STERNENWOCHE «Gefunden!» Die Viertklässler von Illnau suchen Nepal auf der Karte und lernen die Lebens bedingungen der nepalesischen Kinder kennen. «Noch mehr Geld für die ‹Sternenwoche›»: Fay und Mutter Angela Lembo backen Mailänderli. helf K INDE en R K SAM I N D E M R 23.– EL AKTIO N 29.11 N .2015 «GUETSLI BACKEN und am Fest verkaufen» Die neunjährige FAY LEMBO ist eines von vielen tausend Kindern, die an der «Sternenwoche» für Altersgenossen aus Nepal sammeln. Unsere Autorin begleitet ihre Tochter und lässt sich von ihrem Enthusiasmus anstecken. Text Angela Lembo Fotos Gabi Vogt F ay sitzt am Frühstückstisch. Schweigend rührt sie in ihrer Milch. Dann hält meine neunjährige Tochter unvermittelt inne und sagt: «Mami, ich will noch nicht heiraten.» Welch seltsame Gedanken so früh am Morgen in diesem kleinen Hirn herumgeistern, denke ich und sage beruhigend: «Das hat doch keine Eile, du hast alle Zeit der Welt.» Fay nickt. «Ich schon», sagt sie, «aber die Mädchen in Nepal nicht.» Als ich sie verwundert anschaue, sprudeln die Worte aus ihr heraus und fügen sich zu der Geschichte zusammen, die sie gestern in der Schule gelesen hat. Die elfjährige Laxmi wohnt mit ihren Eltern in Nepal in ärmlichen Verhältnissen. Für tagelangen Unterricht, wie Fay ihn kennt, fehlen Geld und Zeit. Laxmi muss zu Hause arbeiten, Feuer machen, Wasser holen, kochen und putzen. Ihre drei Schwestern – die jüngste ist 16 – sind bereits verheiratet. «Die müssen dort so früh heiraten, damit sie aus dem Haus sind und die Eltern nicht mehr für sie zahlen müssen», sagt Fay und reisst die Augen weit auf. «Stell dir vor, Mami, Laxmi und ihre Familie gibt es wirklich, das ist nicht erfunden.» 18 Schweizer Familie 48/2015 Die Geschichte ist mir wohl bekannt. Der Text dazu stammt aus der Feder meiner Kollegin Gabriela Meile. Sie hat Laxmi getroffen, als sie kürzlich für die «Schweizer Familie» nach Nepal reiste. Dorthin soll dieses Jahr der Erlös aus der Sammelaktion «Sternenwoche» von Unicef Schweiz und «Schweizer Familie» fliessen, damit benachteiligte Kinder zur Schule gehen können. «Stell dir vor, Mami, Laxmi und ihre Familie gibt es wirklich, das ist nicht erfunden.» Fay Lembo Als Journalistin kenne ich die «Sternenwoche» seit vielen Jahren. Ich habe selber schon über die kreativen Sammelideen von Schweizer Kindern berichtet. Bislang allerdings nur aus einem professionellen Blickwinkel: Mit wem sollen wir reden? Was wollen wir zeigen? Wie muss der Text verfasst sein, damit er die Leser berührt? Diesmal ist es anders. Als Mutter einer Tochter, die sich mit ihrer Klasse seit den Herbstferien auf die «Sternenwoche» vorbereitet, bin ich nicht mehr bloss Beobachterin. Die Begeisterung, von der Kinder und Eltern mir früher in Interviews berichtet haben, erfasst jetzt auch mich. Immer häufiger befassen wir uns am Familientisch mit den Lebensbedingungen in Nepal. Sinnieren über den Wert einer guten Bildung – «ohne Schule keine Arbeit, kein Geld, kein Zuhause», fasst Fay zusammen. Schmieden Pläne, wie wir den Sammelbatzen der Schule erhöhen könnten – «Guetsli backen und am Familienfest verkaufen!», sagt sie. Vielseitige Auseinandersetzung Aus Neugier setze ich mich in der einen oder anderen Stunde ins Klassenzimmer in Illnau ZH. Ich bin beeindruckt, wie vielseitig die Lehrerin das Thema in den Unterricht einfliessen lässt. So wie diesen Vormittag. Im Stundenplan steht «Mensch und Umwelt». Die Schüler suchen auf einer grossen Weltkarte das Land zwischen Tibet und Indien. «Da, gefunden!», ruft Hennes und zeigt mit dem Finger auf Nepal. «Gut», ➳ Fotos: Name Schweizer Familie 48/2015 19 STERNENWOCHE MENSCHEN «STERNENWOCHE» Liebe Leserinnen, liebe Leser Schlüsselanhänger in allen Formen und Farben entstehen: Im Werkunterricht basteln die Primarschüler hübsche Gegenstände für die «Sternenwoche»-Sammelaktion. Fay Lembo sägt für ihren Schlüssel anhänger ein Herz aus. Für die «Sternenwoche» vor Ort: Chefredaktor Daniel Dunkel mit syrischen Flüchtlingskindern in Jordanien, 2014. Die «Schweizer Familie» hilft Kindern in Not. Gemeinsam mit Unicef Schweiz führen wir jedes Jahr im November die «Sternenwoche» durch – eine humanitäre Aktion, an der Tausende von Kindern in der Schweiz für hilfsbedürftige Kinder in der Welt sammeln. 2014 unterstützte die «Sternenwoche» den Bau von Schulen und sanitären Anlagen für syrische Kinder in Flüchtlingslagern. Dieses Jahr sammeln Schweizer Kinder für ihre Altersgenossen in Nepal, wo viele Kinder nicht zur Schule gehen können und es an Schulgebäuden, ausgebildeten Lehrern und Unterrichtsmaterial mangelt. Die Schweizer Kinder beweisen bei ihren Sammelaktionen viel Einfallsreichtum, Einsatz und Solidarität. Dabei ist die wertvolle Erfahrung, dass man als Kind anderen Kindern helfen kann, oft wichtiger als das Spendenresultat. Erwachsene können die «Sternenwoche» und den beherzten Einsatz der Kinder unterstützen, indem sie direkt auf das Sammelkonto einzahlen. Herzlichen Dank! Daniel Dunkel, Chefredaktor Postkonto: 80-7211-9 Vermerk «Sternenwoche/Nepal» www.sternenwoche.ch 20 Schweizer Familie 48/2015 sagt die Lehrerin. «Weisst du auch, was der orange Punkt dort zu suchen hat?», fragt die Lehrerin. «Er zeigt, dass es dort manchmal Erdbeben gibt», antwortet der Bub. So wie diesen Frühling, als die Erde bebte und 9000 Menschen ums Leben kamen. Wie ein Erdbeben entsteht, haben die Kinder kürzlich erfahren. «Die Erdplatten verschieben sich», erinnert sich Luana. «Ein richtig gutes Gefühl» Die Kinder lernen viel in diesen Vorbereitungslektionen zur «Sternenwoche». Nicht nur basteln und verkaufen, wie manch einer es bei einer Sammelaktion erwarten würde. «Das Thema lässt sich fächerübergreifend in den Unterricht integrieren», sagt Luzia Bättig, 28, die mit den Schülern seit ein paar Wochen auch über die nepalesische Kultur, über die Rechte von Kindern und über Armut diskutiert. Gerade in der Weihnachtszeit würden die Kinder hierzulande mit Konsumgütern überhäuft, sagt die Primarlehrerin. «Es ist mir ein Anliegen, dass sie dafür sensibilisiert werden, dass es nicht allen gleich gut geht, und mit der ‹Sternenwoche› kann ich das aufnehmen.» Darum war es für sie keine Frage, das Projekt, an dem sie sich schon früher beteiligt hatte, mit der neuen vierten Klasse weiterzuführen. Auch die Handarbeitslehrerin der Klasse, Patricia von Däniken, 41, ist ein alter «Sternenwoche»-Hase. Sie war dabei, als die vorherige Klasse erstmals sammelte, und war begeistert von der Eigendynamik, die im Klassenzimmer entstand. «Schon im zweiten Jahr forderten die Schüler von sich aus eine weitere Teilnahme und entwickelten eigene Bastel ideen», erinnert sie sich. Dazu kommt die spezielle Atmosphäre, die jeweils herrscht. «Für einmal arbeitet nicht jeder für sich, sondern es arbeiten alle zusammen, und jeder bringt seine Stärken ein.» So wie diesen Nachmittag im Werk unterricht. Fay sägt ein Herz aus einem Stück Holz. «Wir machen Schlüsselanhänger», sagt sie. Andere sind schon weiter, bekleben ihre Formen mit Stoff oder führen einen Metallring in das kleine Loch im Holz. Eine knifflige Arbeit. Bellaria probiert und probiert, doch es will nicht klappen. «Gib her, ich mache das für dich, dann kannst du unterdessen noch mehr Formen aussägen», sagt Hennes, der in der handwerklichen Arbeit aufblüht. «Es ist toll, dass wir so was machen dürfen, und erst noch für einen guten Zweck», sagt er. Und Noemi, die neben ihm steht, fügt an: «Find ich auch, das gibt mir ein richtig gutes Gefühl.» Mir geht es gleich, als ich ein paar Tage später mit Fay in der Küche stehe und einen Teig auswalle. Oft wollte ich mich mit ihr in den vergangenen Jahren für die «Sternenwoche» engagieren. Und doch habe ich mir nie die Zeit genommen, weil unzählige Verpflichtungen wichtiger schienen. Jetzt ist meine Tochter die treibende Kraft. Sie steckt mich an mit ihrem Enthusiasmus. Will die Mailänderli unbedingt noch vor dem Geburtstagsfest ihres Urgrossvaters gebacken haben, um sie den Verwandten «Ich möchte die Kinder sensibi lisieren»: Lehrerin Luzia Bättig (l.). Schülerinnen bereiten sich auf die «Sternenwoche» vor (o.). «Jedes Kind bringt seine Stärken ein.» Patricia von Däniken, Werklehrerin zu verkaufen. «Das bringt noch mehr Geld ins ‹Sternenwoche›-Böxli», sagt sie. Ich helfe gern, geniesse nicht nur die gemeinsame Zeit mit meiner Tochter, sondern freue mich, dass ihr so viel an der Hilfe für Nepal liegt. Es berührt mich, wie viele Gedanken sie sich dazu macht. Nicht nur über Laxmi, deren Traum von einer Ausbildung zur Ärztin in Erfüllung gehen soll. Auch über ihr eigenes Leben. «Ich wünsche mir, immer frei zu sein», sagt Fay und legt ein Teigherz aufs Blech. Ich hake nach, will wissen, was Freiheit bedeutet. «Tun, was ich will», erwidert sie. «Spielen, lernen, einen Job finden, der mir Freude macht.» Und heiraten? «Vielleicht, eines Tages», sagt sie. «Aber nicht weil ich muss, sondern aus Liebe.» ● ANZEIGE i g n a g Wie it m g i ir cht m u d Gäl ? Mit Wissen, Wille und einer engagierten Partnerin. Darum unterstützen wir den Nachwuchs im Bereich Bildung. Ganz einfach. moneyfit.postfinance.ch
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