Management Ebermast – vorwärts nur im Schneckentempo Aldi Süd und Kaufland wollen ab 2017 nur noch Fleisch von unkastrierten Schweinen kaufen. Ist die Branche dafür schon gerüstet? Das diskutierten Experten auf dem „Forum der Fleischwirtschaft“ in Osnabrück. stockt der Ausbau nun aber gewaltig. Auch weitere Alternativen wie die Kastration unter Betäubung, die Impfung gegen Ebergeruch oder die Kastration mit wirksamer Schmerzausschaltung befinden sich in der Sackgasse. Ungeachtet der Probleme wollen Aldi Süd und Kaufland bereits ab 2017 nur Schlachtungen stocken Übersicht 1: Entwicklung der Ebermast 2011 – 2015 Nach einem steilen Anstieg von 2011 bis 2013 stagnieren die Eberschlachtungen seit zwei Jahren (Übersicht 1). 2014 schlachteten die „großen Drei“ Tönnies, Vion und Westfleisch 3,4 Mio. Eber. Dr. Albert Hortmann-Scholten, Marktexperte der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, rechnet auch in diesem Jahr nur mit einem moderaten Ausbau auf etwa 3,7 Mio. Eberschlachtungen. Zwar waren die Pioniergewinne laut Hortmann-Scholten für die Schlachter und Ebermäster der ersten Stunde enorm. Aufgrund der gesunkenen Futterkosten ist der Vorteil bei den Direktkosten freien Leistungen im Jahr 2014 aber auf etwa 1,80 € je Masteber abgeflaut. „Bei hohen Futterkosten hat er schon bei 5 bis 6 € gelegen“, blickt der Marktexperte zurück. Das liegt daran, dass die Eber das ihnen angebotene Futter wesentlich besser verwerten als Sauschweine oder Börge. Neben Tönnies, Vion und Westfleisch haben auch kleinere Schlachter Erfahrungen mit Ebern gesammelt. Danish Crown in Essen (Oldenburg) schlachtet demnächst die ersten Eber. S 10 top agrar 8/2015 2,5 noch Fleisch von unkastrierten Schweinen abnehmen. Der Druck auf die Branche wächst dadurch. Anfang Juni diskutierten Fachleute auf dem „Forum der Fleisch wirtschaft“ in Osnabrück über die Zukunft der Ebermast. top agrar fasst die wichtigsten Aussagen zusammen. Regina Kremling Tiere in Mio. Stück 2,1 2,0 2,0 2,2 2011 2012 2013 1,7 1,5 1,5 2014 2015 1,0 0,8 0,6 0,5 0 0,9 0,5 0,4 0,1 Tönnies 0,1 Westfleisch 0,6 0,6 0,2 Vion Quelle: Hortmann-Scholten (LWK Niedersachsen), Firmenangaben 2014 schlachteten Tönnies, Westfleisch und Vion zusammen etwa 3,4 Mio. Jungeber. Laut Schätzung werden es 2015 voraussichtlich 3,7 Mio. sein. Schnell gelesen • Ab 1. Januar 2019 darf man Ferkel nicht mehr betäubungslos kastrieren. Das besagt das Tierschutzgesetz. • Eine praxistaugliche Alternative zur Kastration ist noch nicht in Sicht. Auch der Ausbau der Ebermast ist ins Stocken geraten. • Aufgrund der Geruchsproblematik und der Fettqualität lehnen viele Verarbeiter Eberfleisch ab. Grafik: Driemer D ie Uhr tickt: Ab 1. Januar 2019 ist die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Das regelt das Tierschutzgesetz. Es bleiben also nur noch dreieinhalb Jahre, um Alternativen zu etablieren. Ein Ausweg wäre die Ebermast. Zunächst noch als Königsweg gefeiert, Foto: Kremling Kein Stress, stabile Gruppen, kurzer Transport: Das sind gute Voraussetzungen für einen geringen Androstenon-Gehalt beim Eber. Tierschützer üben Druck auf Lebensmittelhändler aus Die überraschende Ankündigung von Aldi Süd und Kaufland, ab 2017 nur noch Fleisch von unkastrierten Tieren abnehmen zu wollen, kam nicht von ungefähr. Zuvor hatte der Tierschutzverein Provieh ein Schreiben an die bei der Initiative Tierwohl beteiligten Lebensmittelhändler verschickt. Darin fordert er sie dazu auf, die Vermarktung von Jungeberfleisch in ihrer Einkaufspolitik umzusetzen. Ansonsten sähe man sich gezwungen, die Verbraucher umfassend über die betäubungs lose Kastration zu informieren und darüber, dass der LEH Alternativen verweigert, obwohl er in der Initiative Tierwohl die Ebermast sogar fördert. Viele Branchenkenner vermuten, dass weitere Lebensmittelhändler Aldi Süd und Kaufland folgen werden. „Das wird die Debatte in der fleischverarbeitenden Industrie beschleunigen“, ist sich Verarbeiter lehnen Eberfleisch ab Viele Fleischverarbeiter und Metzger reagieren nach wie vor zurückhaltend oder gar ablehnend auf Eberfleisch. Das Risiko von geruchs auffälligen Tieren ist ihnen zu groß. Ganz deutlich untermauerte Jürgen Benner, Betriebsleiter beim Premium-Schinkenhersteller Bedford, seine Ablehnung gegen Eberfleisch: „Unsere Kunden erwarten immer die gleiche Qualität, keine Wundertüte.“ Neben dem Ebergeruch haben die Verarbeiter noch ein weiteres Problem: Der Eberschlachtkörper besitzt im Vergleich zum Schlachtkörper von Kastraten und weiblichen Tieren einen geringeren Fettanteil. Auch intramuskulär lagert der Eber weniger Fett ein. Zudem sind die Anteile an ungesättigten Fettsäuren erhöht, das Fleisch hat eine weichere Konsistenz. Dem Problem der ungesättigten Fettsäuren könnte man zwar begegnen, indem man dem Eber mehr gesättigte Fettsäuren übers Futter zuführt. Wissenschaftler konnten allerdings nachweisen, dass sich dadurch der Fett-Stoffwechsel verlangsamt. Folglich reichern sich mehr Androstenon und Skatol im Fett an. Dr. Heinz Schweer, Direktor Landwirtschaft bei Vion, sicher. Denn Fakt ist, dass der LEH den Druck der Tierschützer an die vorgelagerten Stufen weitergibt. „Ob wir das dann fachlich genauso sehen oder nicht, ist irrelevant. Wir haben einen Kunden und den müssen wir zufriedenstellen“, unterstrich Jörg Altemeier, Leiter des Bereichs Tierschutz und Forschung der Tönnies-Gruppe. Stinker nicht untermischen! Um mit den Eigenschaften des Eberschlachtkörpers besser umgehen zu können, forscht die fleischverarbeitende Industrie an neuen Rezepturen und Herstellungsverfahren. Wie Professor Ralf Lautenschläger von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe verdeutlichte, konnte man aber bislang kein Verarbeitungsverfahren finden, dass den Ebergeruch ausreichend vermindert oder gar ganz überdeckt. Brühen, kochen, pökeln, marinieren oder verschneiden konnte den Ebergeruch nicht genügend maskieren – vor allem nicht für sensitive Personen. top agrar 8/2015 S 11 Management Stress erhöht Skatol-Werte Riecht Schweinefleisch fäkalartig, dann ist Skatol dafür verantwortlich. Da Skatol im Dickdarm durch Bakterien-bedingten Eiweißabbau entsteht, kommt es bei Ebern, Kastraten und weiblichen Tieren vor. Weil aber Androstenon und Testosteron eine hemmende Wirkung auf den Skatol-Abbau durch die Leber haben, kann sich mehr Skatol in das Fett der Eber einlagern. In der Vergangenheit hieß es häufig, dass Skatol durch die Haut diffundieren kann und deshalb Tiere aus verschmutzten Buchten stärker stinken. „Das stimmt nur zum Teil“, erklärte Prof. Dr. Ulrike Weiler vom Fachgebiet Verhaltensphysiologie landwirtschaftlicher Nutztiere an der Uni Hohenheim. Denn in neueren Untersuchungen konnten die Hohenheimer Wissenschaftler nachweisen, dass Skatol zwar durch die Haut diffundieren kann, die Konzentrationserhöhungen aber lokal begrenzt und oberflächlich sind. Damit lassen sich also nicht die einheitlich erhöhten Skatolwerte im Fett von Stinkern erklären. Vielmehr beeinflusst Stress die Skatolwerte im Blut. So zeigen Verlaufskurven des Stresshormons Cortisol und Skatol im Blut eine auffällige Über einstimmung. Deshalb weisen beispielsweise Eber mit vielen Hautverletzungen deutlich höhere Skatol-Konzentrationen im Körperfett auf. Das erklärt auch, warum Eber, die auf dem stehenden Lkw lange am Schlacht hof warten, höhere Skatol-Werte haben als Eber, die am Schlachthof zügig abgeladen wurden. Wie Weiler in einer Studie nachweisen konnte, stieg die Skatol-Konzentration im Fett um 21,5 ng pro Stunde Wartezeit. Deshalb empfiehlt sie, Eber am Schlachthof schnellstmöglich abzuladen und ruhig zu treiben. Darauf haben die Landwirte jedoch keinen Einfluss mehr. „Damit sind Konflikte zwischen Landwirt und Schlachthof vorprogrammiert“, gibt Weiler zu bedenken. Mehr Androstenon bei langen Transporten Die Androstenon-Werte im Fett der von „Stinkern“ merklich reduzieren. Eber steigen, wenn die Tiere in instaWie Frau Dr. Weiler ausführte, nehmen bilen Gruppen gehalten werden, häufig Menschen Skatol und Androstenon die Umgebung wechseln und sehr lange unterschiedlich stark bzw. zum Teil gar transportiert werden. So konnte Pronicht wahr (Übersicht 2). In puncto fessor Dr. Ulrike Weiler in einer Studie Skatol sind knapp 90 % der deutschen an der Universität Hohenheim nachBevölkerung empfindsam. Beim Androsweisen, dass die Androstenon-tenon ist knapp die Hälfte sensitiv. Konzentration im Fett um 0,09 µg pro Fakt ist: Wer Androstenon und Stunde anstieg, während die Eber transSkatol sehr stark bis mittel wahrnimmt, portiert wurden. Kürzere Transportlehnt das Fleisch in der Pfanne oder auf zeiten können folglich das Auf treten dem Teller ab! Übers. 2: Sensitivität bei Verbrauchern Quelle: Weiler et al., 1997 Grafik: Driemer Intensität der Wahrnehmung, % sehr stark bis mittel schwach Skatol keine Androstenon 0 S 12 20 top agrar 8/2015 40 60 80 100 Rund 88 % der Verbraucher nehmen Skatol intensiv wahr. Bei Androstenon sind es 43 %. In puncto Ebermast ist Stefan Meyer ein alter Hase. Bereits seit fünf Jahren mästet er Eber. Besonders gewöhnen musste er sich an die größere Aktivität der Tiere. R aufende Jungs – so betitelt Stefan Meyer aus Twistringen in Niedersachsen gerne seine Jungeber. Denn eines stellte der 39-jährige Landwirt, der bereits seit fünf Jahren Eber mästet, schnell fest: „Eber sind vor allem in den Nachmittagsstunden viel aktiver als Sauschweine oder Börge. Dann rangeln und raufen sie – wie kleine Jungs eben.“ Entsprechend steigt auch der Geräuschpegel an. Die Eber sind dann doppelt so laut wie die Sau schweine, so die Hör-Erfahrung von Stefan Meyer. Meist liegt es daran, dass beim Aufspringen der Eber, der unten sitzt, laut aufschreit. „Das sind natürlich unangenehme Geräusche“, gibt Meyer unumwunden zu. Er hätte auch erst lernen müssen, diese Aktivität und Lautstärke der Eber emotional auszuhalten. Penisbeißen hat er bei den Ebern bislang noch nicht beobachtet. Er vermutet allerdings, dass aufspringende Eber teilweise ihren Penis verletzen, weil die „unten sitzenden“ Tiere dann einen leicht blut-roten Rücken haben. Im Gegensatz zur nachmittäglichen „Raufphase“ sind die Eber in den Morgenstunden meist recht faul und stehen kaum auf. Morgens nehmen sie deshalb auch ihr Futter viel schleppender auf. Tierkontrolle nachmittags: S tefan Meyer hat sein Management an diese Ruhe- und Aktivitätsphasen angepasst. Die Tierkontrolle führt er am liebsten nachmittags durch. „Weil die Eber dann aktiver sind, sehe ich auch mehr“, begründet der Unternehmer. Ähnlich wie bei Sauschweinen achtet er darauf, weniger fitte Eber sofort auszuselektieren. Dazu hat er eine Bucht in jedem Abteil mit einem Trenngitter ausgestattet, um schwächelnde Tiere von der Gruppe trennen zu können, ohne sie in ein anderes Abteil bringen zu müssen. Das ist wichtig, um die Verluste im Griff zu behalten. Auf Meyers Betrieb liegen sie mit 1,5 % auf einem niedrigen Niveau. Die Anzahl der verletz- Fotos: Kremling „Der Markt muss die Eber wollen“ Unter Männern: Stefan Meyer hält die Masteber am liebsten in kleineren Gruppen von 10 bis 14 Tieren. Die Übersichtlichkeit ist dann besser, so der Mäster. ten Eber ist zudem nur minimal höher als die der verletzten Sauschweine. Das Verhalten der Eber und das daran angepasste Management sind nach Meyers Ansicht die größten Herausforderungen bei der Ebermast. Ansonsten waren es nur kleine Schrauben, an denen er drehen musste. Meyer erhält die Ebergruppen immer passend zur Stallgröße. Bekommt er die Eber, erhält ein anderer Mäster aus dem gemeinsamen Ferkelverbund die Sauschweine, und umgekehrt. Beim Einstallen achtet er auf viel Ruhe. Die Eber bringt er in 10er- bis 36er-Gruppen unter. Aufgrund der besseren Über- Aufspringende Eber sieht man in den Nachmittagsstunden häufiger. sichtlichkeit sind ihm aber kleinere Buchten mit 10 bis 14 Ebern am liebsten. In puncto Futtertechnik hat er hingegen keine Präferenz. Die Ergebnisse sind sowohl am Breiautomaten als auch bei der Flüssigfütterung am Quertrog vergleichbar, weiß Stefan Meyer dank seiner sorgfältigen biologischen und ökonomischen Auswertungen jeder Mastgruppe. Im Schnitt liegen die Tageszunahmen bei 870 g und die Futterverwertung bei 1 : 2,5. Am Breiautomaten füttert er ad libitum. An der Flüssigfütterung erhalten die Eber um 7, 13 und 17 Uhr jeweils ein Drittel der Tages-Futtermenge. „Hier füttere ich die Eber ebenfalls gut aus“, erklärt Meyer. Er setzt auf Fertig-Eberfutter, das bis 90 kg mit 13,4 MJ ME, 1,2 g Lysin und 16,5 % Rohprotein aus gestattet ist. Ab 90 kg kommt dann ein Futter mit 13,0 MJ ME, 0,95 g Lysin und 14 % Rohprotein zum Einsatz. Als Meyer mit der Ebermast anfing, war der Rohprotein-Gehalt deutlich höher, vor allem in der Endmast. „Das war zuviel des Guten“, weiß der Mäster heute. Zudem hat er gelernt, dass Eber überhaupt kein altes Futter mögen. Ruhe beim Ausstallen: B eim Absortieren verlässt sich Stefan Meyer ganz auf sein geschultes Auge. Weil sich Eber und Sauschweine seiner Meinung nach in ihrer Struktur sehr ähneln, brachte die Ebermast hier keine Umstellung für ihn mit. Um den 80. Masttag stallt er die ersten Schweine aus. Beim Treiben ist „Ruhe bewahren“ das oberste Gebot für den Mäster. Sobald die Vorläufer aus der Bucht sind, machen die verbleibenden Eber einen deutlichen Schub. Dann sind sogar noch Zunahmen von 1 000 g pro Tag möglich. „Wichtig ist deshalb, bei Ebern schneller am Vermarkten zu bleiben“, verrät Stefan Meyer. Etwa eine Woche nach den Vorläufern macht er meist schon einen ganzen Zug voll. Das Gros der Eber stallt er etwa um den 100. Tag herum aus. Rund 10 % bleiben dann noch übrig. Diese Nachläufer gruppiert der Mäster anschließend neu zusammen und behält sie meist noch etwa drei Wochen im Stall, sodass er im Schnitt über alle Eber auf 109 Masttage kommt. Vermarktet werden die Eber an Vion, Tönnies, Westfleisch und Danish Crown. Die Klassifizierung erfolgt mittels AutoFOM zu den üblichen Masken des jeweiligen Schlachtunternehmens. Im Vergleich zu den Sauschweinen ist die Ausschlachtung der Eber rund 0,5 %-Punkte schlechter. Stefan Meyer achtet bei der Gruppenauswertung vor allem auf das Schlachtgewicht (SG) und die Indexpunkte (IXP). Hier strebt er Werte von 97 kg SG und 1,01 IXP/kg SG an. Nur wenige Stinker: Nach Aus- kunft der Schlachtunternehmer gibt es nur wenige „Stinker“ unter den Ebern. Meyer erklärt das damit, dass er immer zu 100 % Ferkel aus einer Geburtswoche aufstallt, d. h. in der Ferkelerzeugung dürfen keine Ferkel zurückversetzt werden. Geruchsarme Eberväter werden nicht eingesetzt. Alles in allem hat Stefan Meyer den Einstieg in die Ebermast nicht bereut. Auch ökonomisch lohne es sich, lässt der Mäster durchblicken. Er fühlt sich deshalb für den Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration Anfang 2019 bestens vorbereitet. Aktuell spürt er allerdings auch, dass der Ebermarkt voll ist. „Das ist schade, denn wir kommen mit der Ebermast klar“, findet Stefan Meyer. „Jetzt braucht es ein klares und breites Bekenntnis des Handels!“ -rk- top agrar 8/2015 S 13
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