Monatspredigt 01/2016

Predigt über Lukas 15,11-32
Neu anfangen
Liebe Gemeinde
Ein neues Jahr liegt vor uns. Wir dürfen es neu anfangen. Ja, wir dürfen
neu anfangen. Dazu lädt Jesus uns ein mit dem Gleichnis vom verlorenen
Sohn. Es erzählt die Geschichte des Menschen, der sich von Gott entfernt
und dann die Chance bekommt, neu anzufangen.
Ein Mensch hatte zwei Söhne. Der jüngere kam zum Vater und forderte
sein Erbteil, das ihm zustand. Schon damals gab es nicht nur die
Erbteilung nach dem Tod des Vaters, sondern auch die Möglichkeit der
Schenkung noch zu Lebzeiten des Vaters. Allerdings behielt der Vater
trotz der Schenkung die Nutzniessung an dem betreffenden Erbteil. Der
jüngere Sohn wollte aber die Schenkung samt der Nutzniessung. Das ist
ungewöhnlich. Wir finden: Der jüngere Sohn ist fordernd, anmassend und
frech.
Was stand ihm überhaupt zu? Nach alttestamentlichem Recht ein Drittel
des väterlichen Vermögens. Zwei Drittel erhielt der ältere Sohn, der
Erstgeborene.
Was tut der Vater? Er teilt sein Hab und Gut unter die beiden Söhne auf.
Diskussionslos. Ohne zu zögern. Ohne dazu verpflichtet zu sein. Zu
seinem eigenen Nachteil. Der Vater handelt im Interesse des jüngeren
Sohnes. Der jüngere Sohn will nur eines: Freiheit. Dazu braucht er Geld.
Um dem Sohn die Freiheit zu geben, opfert der Vater ein Vermögen. Der
Ehre des Vaters widerspricht das, was hier geschieht.
Der jüngere Sohn verwandelt sein Vermögen in Geld. Er nimmt alles mit
und wandert aus in ein fernes, heidnisches Land. Von einer Frau lesen wir
nichts. Offenbar war der jüngere Sohn jung und unverheiratet, vielleicht
18 bis 20 Jahre alt. Er geht weg vom Vater. Er will sein eigenes Leben
leben.
Weit weg vom Vater führt er ein freizügiges Leben. Er bringt sein
Vermögen durch mit heilloser Lebensführung. Und sein Vermögen ist
doch eine Schenkung des Vaters. Er kann nur das ausgeben, was ihm
vorher gegeben wurde. Ist das heute anders? Können wir irgendetwas
ausgeben, was wir nicht zuerst von Gott empfangen haben? Hat uns Gott
nicht Gesundheit, Ehepartner, Familie,
Beruf, Arbeit, Haus usw.
geschenkt? Ist dies nicht alles anvertrautes Gut? Was tun wir damit? Der
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jüngere Sohn verschwendet sein Vermögen, bis es total aufgebraucht ist.
Er führt ein heilloses Leben. Er hat sein Heil verloren. Er ist innerlich arm
und leer.
Allzu schnell ist das Vermögen aufgebraucht. Ausserhalb des
Vaterhauses kann der Mensch nichts zusammenhalten. Alles zerrinnt ihm
zwischen den Fingern. Zu allem Elend kommt noch eine grosse
Hungersnot über das Land. Jetzt wird es besonders prekär für den
jüngeren Sohn. Er hat alles verloren. Er meinte, Spitze zu sein, in Wahrheit
ist er zu spät gekommen. Er hat das Ziel verfehlt. Er suchte nach Freiheit,
in Wirklichkeit hat er sich von der Freiheit ausgeschlossen. Er hat die
Gemeinschaft mit Gott aufgegeben. Und er wird von der Gemeinschaft mit
Menschen ausgeschlossen. Er leidet Mangel – geistlich und materiell. Wer
sich von Gott entfernt, endet im Mangel. Er läuft in Isolation,
Individualismus, Zielverfehlung und Schmerz über seinen Irrweg, den er
eingeschlagen hat. Wer Gott den Rücken kehrt, mit dem geht es bergab.
Wer sich von Gott unabhängig macht, wird abhängig von Menschen. Dem
jüngeren Sohn bleibt nichts anderes übrig, als sich an einen Bürger zu
hängen. Er liefert sich auf Gedeih und Verderb einem anderen Menschen
aus. Wo sind seine Freunde? Keiner ist mehr da. Keiner steht mehr zu
ihm. In der Not lassen ihn alle erbarmungslos im Stich.
Der jüngere Sohn muss aufs Feld gehen, um Säue zu hüten. Das ist die
tiefste Erniedrigung für einen Juden. Sein Arbeitgeber wollte ihn offenbar
bewusst demütigen. Ein Jude als Schweinehirt, ein Sohn eines reichen
Grossgrundbesitzers als Bettler – das ist ja himmelschreiend.
Damit aber nicht genug. Auch der Hunger bleibt ihm nicht erspart. Der
jüngere Sohn ist am Tiefpunkt seines Lebens angelangt.
Aber da geschieht etwas Entscheidendes. Da ging er in sich (Vers 17). Er
kommt zu sich. Er wacht aus einem Rauschzustand auf und wird nüchtern.
Er kehrt bei sich ein. Er stellt sich der eigenen Situation und denkt über
sich nach. Und er tut Busse. Er bereut seine Schuld und steht dazu. Er
kehrt ein zu Gott. Das ist das Entscheidende im Leben. Die drückende Not
ist noch nicht dasselbe wie Umkehr. Die Umkehr ist die bewusste
Entscheidung des Menschen, seine Wege, die er gegangen ist, zu
verlassen und neue Wege einzuschlagen. Umkehr bedeutet: das Alte
aufgeben und neu anfangen. Niemand wird zur Umkehr gezwungen.
Umkehr ist die freie Entscheidung des Menschen, ein neues Leben zu
beginnen.
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Bis jetzt hat der jüngere Sohn nicht an den Vater gedacht. Er hat ganz
ohne ihn gelebt. Plötzlich erinnert er sich an das Vaterhaus. Ihm dämmert:
Der Vater ist reich. Und er ist gut. Eine Sehnsucht nach Liebe,
Geborgenheit und Heimat kommt beim jüngeren Sohn auf. Er hat nicht nur
einen knurrenden Magen, sondern Hunger nach Gott.
Er zieht die Konsequenzen aus seiner Einsicht: Ich will mich aufmachen
und zu meinem Vater gehen (Vers 18). Einsicht allein genügt nicht. Der
Entschluss muss in die Tat umgesetzt werden. Das tut der verlorene Sohn.
Er löst sich vom alten Leben und beginnt ein neues Leben. Er
verabschiedet sich vom Leben ohne Gott und geht in eine neue Zukunft
mit Gott.
Es gibt aber keine Umkehr ohne klares Schuldbekenntnis. Der Sohn
spricht es aus: Ich habe gesündigt (Vers 18). Er erkennt: Es war Unrecht,
die vorzeitige Erbteilung zu fordern und das Vaterhaus zu verlassen. Es
ist wichtig für das geistliche Leben, dass wir Schuld aussprechen und um
Vergebung bitten.
Liebe Gemeinde
Der verlorene Sohn hat den Entschluss gefasst, zum Vater
zurückzukehren. Das Wichtigste ist: Er hat seinen Entschluss auch in die
Tat umgesetzt.
Der Vater hat den Sohn sehnsüchtig erwartet. Als er sich dem Vaterhaus
nähert, läuft ihm der Vater entgegen, das ist gegen die Sitte des Orients.
Der Würdigere wartet oder geht langsam. Nur Freude und Liebe können
diese Sitte durchbrechen. Der Vater fällt dem Sohn um den Hals. Er ist
wieder in die Familie aufgenommen. Er küsst ihn. Sie gehören zusammen.
Der Vater im Gleichnis ist ein Bild für Gott. So freut sich Gott, wenn ein
Mensch zu ihm umkehrt und heimkehrt ins Vaterhaus. Der verlorene Sohn
macht einen Neuanfang. Er kehrt geistlich heim zu Gott. Der Vater schenkt
ihm das beste Gewand. Damit macht er ihn zu seinem Stellvertreter. Das
Gewand erinnert auch an die Kleider des Heils, die denen angezogen
werden, die die Vergebung ihrer Sünden empfangen haben. Der Vater gibt
dem Sohn einen Siegelring an seine Hand. Ein solcher Siegelring
zeichnete Vizekönige aus. Der jüngere Sohn soll der Stellvertreter des
Vaters sein. Er bekommt Sandalen an seine Füsse. Barfuss zu gehen, galt
als Zeichen der Armut, der Trauer, der Rechtsaufgabe, des Ehrverlusts
und der Gefangenschaft. All dies ist nun zu Ende. Der jüngere Sohn ist
jetzt frei. Seine Ehre ist wiederhergestellt. Sein Sohnesrecht ist erneuert.
Trauer und Armut sind beseitigt. Sogar das gemästete Kalb wird
geschlachtet. Der jüngere Sohn wird wie ein Ehrengast behandelt. Freude
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erfüllt das Vaterhaus. Das freudige Festmahl erinnert zugleich an die
messianische Freudenzeit, die mit Jesus angebrochen ist. Hier freuen sich
nicht nur Menschen, sondern hier freut sich auch Gott. Denn dieser mein
Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist
gefunden worden (Vers 24). Er war tot, weil er getrennt von Gott in Sünde
lebte. Aber jetzt lebt er, weil er zu Gott umgekehrt und zum Vater
heimgekehrt ist. Auch wir sind eingeladen, umzukehren und ein neues
Leben zu beginnen. Die Umkehr kann ein einmaliger Akt sein, eine Wende
um 180 Grad, oder ein länger dauernder Prozess, an dessen Ende die
Gewissheit steht: Ich gehöre meinem Gott.
Liebe Gemeinde
Während Gott die Sünder heil macht, beginnt bei den „Gesunden“ und
„Gerechten“ die Rebellion. Sie werden im Gleichnis durch den älteren
Sohn verkörpert. Sein Vater liebt ihn nicht weniger als den jüngeren Sohn.
So wie er diesem entgegenlief, so kommt er jetzt dem älteren entgegen.
Er nimmt Anlauf um Anlauf, um auch den älteren Sohn zum Festmahl zu
bewegen. Aber dieser weigert sich. Er ist verbittert. Er rechnet seinem
Vater vor, wie lange er ihm schon Sklavendienste leistet. Von einer Freude
am Dienst fehlt jede Spur. Er hält sich für gerecht. Er behauptet, noch nie
eines der Gebote Gottes übertreten zu haben. Er wirft dem Vater vor, ihm
nie einen Bock gegeben zu heben, um zu feiern. Hat er überhaupt darum
gebeten? Er ist völlig unzufrieden und frustriert.
Auch ihm begegnet der Vater ohne Vorwürfe und Tadel. Er stellt klar: Mein
Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein (Vers
31). Reicht das nicht? Ist es nicht das Höchste, bei Gott zu sein? Und das
hat der ältere Sohn ununterbrochen gehabt. Wo soll da Unzufriedenheit
entstehen? Der Vater gab dem Sohn alles. Konnte er nicht so viele Böcke
schlachten, wie er wollte? Konnte er sich nicht mit Freunden freuen? Und
konnte er sich nicht vor allem darüber freuen, mit dem Vater zusammen
zu sein? Wo soll der ältere Sohn benachteiligt und weniger geliebt
gewesen sein? Auch er hat einen Neuanfang in der Beziehung zum Vater
nötig.
Liebe Gemeinde
Gott gibt jedem Menschen eine zweite Chance. Haben wir uns von Gott
entfernt? Haben wir ihn im Alltag vergessen? Sind wir eigene Wege
gegangen? Dann lädt Gott uns heute ein, umzukehren, zu ihm
heimzukehren und neu anzufangen. Oder sind wir zwar im Vaterhaus
geblieben, haben aber die Freude am Herrn verloren? Tun wir unseren
Dienst als Christ pflichtbewusst, aber ohne Begeisterung? Haben wir aus
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den Augen verloren, was Gott uns schon geschenkt hat und täglich
schenkt? Dann sind auch wir eingeladen, einen Neuanfang zu machen.
Ein neues Jahr liegt vor uns. Etwas Neues kann beginnen. Sind wir bereit,
umzukehren und einen Neuanfang mit Gott zu wagen? Fassen wir am
Anfang des neuen Jahres nicht nur gute Vorsätze, sondern setzen wir sie
in die Tat um. Das gibt ein Freudenfest im Himmel.
Amen
1-1-2016, Madeleine Koch-Stoll, Pfrn., Adelboden
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