Predigt am 30.7.2015 in der DBK - DG - Ev.

Gottesdienst am 30.7.2015 in der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche in Hamburg MeiendorfOldenfelde, mit Pastor Dallas Gastmeier als Liturg und Prediger.
Lesungen aus der Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte – Entwurf zur Erprobung
im Auftrag der EKD, UEK und VELKD – zum 13. Sonntag nach Trinitatis.
Alttestamentliche Lesung aus dem 3.Mose 19.Kapitel, Verse 1-3 + 13-18 + 33-34
Evangelium aus Lukas 10, 25-37 (Barmherzige Samariter)
Predigttext aus Markus 3, 31-35 (Familie im Sinne Jesu)
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus,
es kommt einem vor, als verginge kein Tag, ohne dass irgendwo in Deutschland ein
Flüchtlingsheim brennt. Über 200 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ereigneten sich bisher in
diesem Jahr in Deutschland. Viele davon waren Brandanschläge auf Gebäude, die noch nicht
bezogen waren.
Hetze und blanker Hass gegen Flüchtlinge, Politiker und Journalisten überschwemmen die sozialen
Medien im Internet.
Vor wenigen Tagen drangen zwei Männer mit Messern bewaffnet in eine Asyl-Unterkunft in
Parchim ein. Ebenso folgte ein Brandanschlag bei Hameln.
Am letzten Wochenende bedrohten Rechtsextremisten und Rassisten vor einer Notunterkunft in
Heidenau Asylsuchende und griffen Polizisten an, die die Flüchtlinge schützten.
Vizekanzler Gabriel war dort, sprach vom „Dreckspack“. Ist das der richtige verbale Umgang mit
diesen Menschen? Jedenfalls folgte am nächsten Tag, als die Kanzlerin in Heidenau eintraf, prompt
der Slogan „Wir sind das Pack“; sie halten sich seit Pegida für die schweigende Mehrheit.
Andererseits, so glaube ich, muss man Leute, die andere angreifen und ihre Wohnungen anzünden
als das bezeichnen, was sie sind: Brandstifter - auch geistige, Nazis und Pöbel. Mit denen ist zurzeit
kein wirklicher, demokratischer Dialog möglich.
Jeder Versuch eines Dialoges wertet sie auf und stärkt sie. Sie müssen – so meine Meinung –
verbal und faktisch ausgegrenzt und isoliert werden.
Das sind wir denen schuldig, die Opfer solcher Attacken sind.
Das sind wir den vielen Menschen und Initiativen im Land schuldig, die sich für die
Neuankömmlinge engagieren, die sie willkommen heißen und alles tun und geben,
um ihnen eine friedvolle Ankunft und einen würdigen Neuanfang zu ermöglichen.
Ich gebe zu, ich mag die Bilder nicht mehr sehen von grölenden Demonstranten und von
rauchenden Ruinen, in denen Menschen ein neues Zuhause finden sollten.
Ich kann die hasserfüllten Parolen nicht mehr hören, die Menschen als Dreck bezeichnen und ihnen
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Gewalt androhen.
Ich mag das alles nicht mehr sehen und nicht mehr hören, denn es macht mich traurig und ich
schäme mich.
Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich und sie denken: Nun ist es auch noch Thema im Gottesdienst
und in der Predigt. Aber ich finde, ohne geht nicht.
Denn wenn ich nicht mehr hinsehen und hinhören möchte, bin ich dann nicht wie der Priester und
wie der Levit, die im Gleichnis vom barmherzigen Samariter achtlos an dem Überfallenen
vorübergehen?
Wegsehen und Weghören ist keine Option. Das Gebot der Stunde ist: Barmherzigkeit und
Solidarität.
Und ohne geht schon deshalb nicht, weil wir als Kirchengemeinde nun auch echt nah dran sind: Im
Dezember werden in der Stargarder Str. 48 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge einziehen.
Und bereits in Kürze werden im Gewerbegebiet in Meiendorf Unterkünfte für 1500 Flüchtlinge
eingerichtet. Mittwoch stand es im Abendblatt. Donnerstag ist die Wohnbevölkerung per Flugblatt
informiert worden.
Die Stadteilkonferenz in Meiendorf wird am 10.9. darüber beraten, wie wir diese Menge an Menschen
willkommen heißen, wie die verschiedenen Institutionen im Stadtteil
das alles in positiver Weise koordiniert kriegen - und Fremdenhass und rassistische Gewalttäter
nicht zum Zuge kommen.
Pastor Christiansen hat Ende Juli zu einem Runden Tisch in Oldenfelde eingeladen, um die
Einrichtungen miteinander ins Gespräch zu bringen, sie zu vernetzen.
Dass unsere Kirchengemeinde aktiv mitwirkt und zu einer guten Willkommenskultur für die
Neuankömmlinge beiträgt, ist selbstverständlich.
Als Christinnen und Christen leben wir im Stadtteil und sind als Kirche Teil der Zivilgesellschaft vor
Ort und tragen hier zu einem menschenwerten Leben aller bei.
Als Christinnen und Christen heißen wir alle willkommen – ob Christen oder nicht.
Sie sind immer willkommen. Ich könnte auch sagen: Sie gehören zur Familie. Nicht in unserem
üblichen Sinne. Aber im Sinne Jesu.
In unserem heutigen Predigttext sagt Jesus ganz klar, wer zu seiner Familie gehört.
Es klingt provokativ, was er sagt, passt aber – so finde ich – gut zu unserem aktuellen Thema im
Stadtteil.
Hören wir, was damals geschehen ist, was Jesus erlebt und gesagt hat.
- Frau H. liest den Text Markus 3, 31-35. -
Liebe Gemeinde,
im Artikel 6 unseres Grundgesetzes heißt es: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
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Schutz der staatlichen Ordnung.“ Die Bundesrepublik verpflichtet sich also, Ehe und Familie auf
besondere Weise zu schützen. Doch was ist eine Familie?
Für die Väter und Mütter des Grundgesetzes war noch klar: Ehe und Familie gehören zusammen,
sie
können
eigentlich
nicht
auseinander
gedacht
werden.
Aber die Wirklichkeit lehrt uns anderes: Es gibt heute Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien,
Familien, in denen die Eltern nicht verheiratet sind. Das, was wir uns unter einer Familie vorstellen
– ein verheiratetes Ehepaar und dazu ein, zwei Kinder – ist längst nur noch eins unter vielen
Familienmodellen.
Was also ist Familie?
Meine Familie, das sind die Menschen, von denen ich weiß: Da gehöre ich hin. Da darf ich ganz
selbstverständlich sein. Da wird mir geholfen – bei kleinen Alltagsproblemen und in schweren Krisen.
Diese Menschen sind meine Heimat und ich bin Teil ihrer Heimat. Familie bedeutet Geborgenheit und
Angenommensein. Danach sehnt sich jeder.
Und nun lesen wir im heutigen Evangelium, wie Jesus den Begriff Familie definiert.
Er sagt ganz einfach: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“
Jesus wollte den Begriff der Familie weiten und ihn in einen größeren Zusammenhang mit Gott stellen.
Denn bei Jesus sind Glaube, Wort und Tat eins; sie sollen und wollen das Alltagsleben bestimmen, so
dass das Neue des Reich Gottes aufblitzen kann.
Jesus hat Menschen aus allen Sozialschichten angesprochen und wenig Wert auf Abstammung
gelegt. Er hat Menschen zusammengeführt, die von ihrem Glauben an Gott und seinem Reich her
sozial verantwortlich leben wollten.
Jesus war rigoros: Zu einem sagte er einmal: „Folge mir nach!“ Der erwiderte: „Lass mich zuerst
heimgehen und meinen Vater begraben!“ Jesus sagte zu ihm: „Lasst die Toten ihre Toten begraben.
Du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“
Für Jesus war Gott ein Gott der Lebendigen und nicht der Toten. Nicht Abstammung noch
Ahnentradition zählte für Jesus, sondern das rechte Tun aus dem Glauben an Gott, wie es die 10
Gebote nahelegen.
Aus diesem Gottvertrauen heraus wurde gearbeitet und die Alltagssorgen wie Hunger und Krankheit
gemeinsam gemeistert. In diesem Sinne erinnert Jesu Jüngerschar an eine Familie.
Durch Taten und Lehre hat Jesus es ihnen konkret vorgelebt. Er hat damit uns allen eine
Orientierung gegeben.
Jesus konnte seiner Mutter und seinen Brüdern und Schwestern sein Lebensprogramm und seine
Familie erklären: "Meine Brüder, Schwester und Mutter sind diejenigen, die den Willen Gottes tun".
Der Geist Gottes ist es, der die Glaubensgemeinschaft und die neue Beziehung untereinander stiftet.
Wir erleben dies bei der Taufe eines Kindes, wenn ihm Gottes Geist zugesprochen wird und in die
christliche Gemeinde aufgenommen wird.
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Jesu Tun zielt darauf ab, die Menschen zu einer großen Familie zusammenzuschließen: Keiner muss
sich ausgeschlossen fühlen.
Jesus will dem Menschen seine Menschlichkeit wiedergeben. Durch seine Botschaft will er die
Menschen zu einer großen Menschheitsfamilie zusammenzuführen.
Es entsteht ein Netzwerk von Familien: Berufsfamilie, Gemeindefamilie und weltweite Familie. Dies
gibt dem Leben, unserem Leben Sinn.
Mit Jesu neuem Familienbegriff sind wir Christinnen und Christen zu einem großen Netzwerk von
Familien auf der Welt geworden. Wir wissen umeinander, versuchen uns gegenseitig zu helfen
und folgen dem Ruf Jesu und der 10 Gebote.
Wir hören nun noch einmal die letzten Verse aus dem 3.Buch Mose zu den Zehn Geboten.
Lesung Leviticus 19, 16-18 + 33-34:
„Du sollst nicht als Verleumder umhergehen unter deinem Volk.
Du sollst auch nicht auftreten gegen deines Nächsten Leben; ich bin der Herr.
Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten
zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich lädst.
Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks.
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr.
Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.
Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst;
denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Her, euer Gott“.
Amen.
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