Essay von Lisa Feustel In dem Zitat „[...] Es ist ebenso unmoralisch, Geld von den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben, unter der Voraussetzung, dass die Reichen ihr Geld ehrlich verdient haben. Wieso ist Stehlen moralisch? Und wo ist der Unterschied zwischen Besteuerung und Diebstahl?“ behauptet der allseits verehrte Milton Friedman, eine höhere Besteuerung der Reichen zugunsten der Armen wäre Diebstahl und damit moralisch verwerflich. Dies ist eine gewagte These, wenn man bedenkt, dass eine solche „progressive Einkommenssteuer“ in fast allen westlichen Ländern üblich ist. Um Friedmans Vergleich bewerten zu können, lohnt es sich das Wesen des Diebstahls genauer zu betrachten. Als Diebstahl kann man das Besitzergreifen eines Guts ohne Einverständnis des Besitzers bezeichnen. Ein Einverständnis wird nur dann vorliegen, wenn der Besitzer eine Gegenleistung erhält oder es sich um eine Schenkung handelt. Besitz scheint demnach eine Voraussetzung für Diebstahl zu sein. Ein Gut, das niemandem gehört, kann auch nicht gestohlen werden. Doch woher nimmt ein Mensch überhaupt das Recht etwas sein Eigentum zu nennen? Aus unserer Definition des Diebstahls geht hervor, dass ich ein Gut dann rechtmäßig erhalten kann, wenn ich im Rahmen eines fairen Tauschgeschäfts eine Gegenleistung erbringe oder der Eigentümer des Guts es mir aus freien Stücken schenkt. Den Tisch, den ich besitze, tauschte ich beim Händler für Geld (das ich im zuvor als Gegenleistung für Arbeit erhalten hatte) ein. Damit ging der Tisch vom Besitz des Händlers in meinen über. Der Händler wiederum hatte ihn in innerhalb eines Tauschgeschäfts mit dem Tischler erhalten, der hatte das Holz dafür von Holzhändler eingetauscht. Diese Kette kann man so lange fortführen, bis man zu dem Punkt kommt, an dem jemand den Baum, der auf seinem Stück Land gewachsen war, verkaufte. Doch was, wenn der Baum aus einem Samen, der vom Land eines anderen mit dem Wind hinüber geweht wurde, gewachsen ist. Müsste der Baum dann nicht diesem gehören? Schließlich hat er nie das Einverständnis gegeben, dass er den Besitz wechseln darf. Doch selbst wenn man solche Gedankenspiele außer Acht lässt und der Einfachheit halber annehmen, dass alles was sich auf einem Stück Land befindet zum Besitz gehört, ergeben sich Probleme. Nach unserer Vorstellung tollten die Menschen vor tausenden von Jahren als den Affen noch sehr ähnliche Wesen über die Erde, aßen hier einen Apfel, tranken dort Wasser aus dem Fluss, schlossen sich vielleicht sogar zeitweise zusammen um eine Wildschwein zu erlegen und es gemeinsam zu verspeisen. Jeder nahm was er brauchte und alle hatten gleichberechtigten Zugang zu den Dingen. Wie konnte in solch einer Gesellschaft jemand behaupten, alle Äpfel, die auf jenem Stück Land wachsen, gehörten nur noch ihm, und die Wildschweine die sich dort aufhalten wären von nun an auch nicht mehr für alle da? Wie kam es, dass Dinge, die niemandem und damit allen gehörten, plötzlich im Besitz eines einzelnen waren? Schon JeanJacques Rousseau verteufelte den ersten Landbesitzer als die Ursache von Verbrechen, Kriegen und Morden und als den Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Damit meinte er, dass uns all jene aus Besitz entstanden Konflikte erspart geblieben wären, wenn Besitz nie eine Legitimation erhalten hätte. Wenn man davon ausginge, dass bei dem Umbruch von einer allen gehörenden Erde zu einem Stück Land im Besitz eines einzelnen, sich jemand unrechtmäßig bereichert hat, wäre Besitz in jedweder Form ungerechtfertigt und Diebstahl, auch nicht als Steuern, wäre gar nicht erst möglich. Doch da eine solche Schlussfolgerung in unserer besitzorientierten Welt (das Recht auf Eigentum ist sogar Teil der UNKonvention der Menschenrechte) vielleicht etwas ungewohnt sein mag, spielen wir das Gedankenspiel vom apfelessenden Urmenschen einfach weiter. Nehmen wir an, alle Menschen würden in einem gerechten Entscheidungsfindungsprozess beschließen, demjenigen, der als erstes auf die Idee kommt etwas als sein Eigentum zu deklarieren, soll es auch gehören. In den Besitz eines andern soll es nur dann übergehen, wenn der Eigentümer einverstanden ist, also z.B. durch fairen Tausch oder Schenkung. Damit wären wir bei den heute gültigen Regeln den Besitz betreffend, und diese hätten durch den gemeinsamen Beschluss gewissermaßen eine Legitimation. Warum hat der Staat aber trotzdem ein Recht in dieses aufgestellte Regelsystem einzugreifen und einigen Personen Eigentum wegzunehmen? Der eine Grund liegt in dem Anspruch unserer Gesellschaft grundlegende Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen. Bei unseren Urmenschen war die Verteilung der verfügbaren Güter mehr oder weniger gerecht: Jeder hatte die gleiche Chance an Besitz zu gelangen wie der andere und derjenige, der zu langsam war, hatte eben selbst Schuld. Im Großen und Ganzen hat aber wohl jeder seinen Teil an den Äpfeln erhalten und konnte sein Bedürfnis nach Nahrung befriedigen, schon deshalb weil ich den Urmenschen so viel Vernunft unterstelle, dass sie erkennen konnten, dass es unmöglich ist alles allein aufzuessen, und sie deshalb getauscht haben. In unserer heutigen Welt allerdings sind die Güter extrem ungleich verteilt, mit einigen wenigen, die unvorstellbare Massen besitzen und vielen anderen, die am Existenzminimum leben. Die Reichen besitzen damit viel mehr, als es ihnen je möglich sein wird auszugeben. Weil sie aber trotzdem an ihrem Besitz festhalten, fehlt ihnen anscheinend die Vernunft, zu erkennen, dass sie das, was sie besitzen, nicht alles brauchen können. Warum sollte hier der Staat als vernünftige Instanz nicht eingreifen und ihnen diesen Gedankengang abnehmen, und dabei noch dafür sorgen, dass die Bedürfnisse von mehr Menschen befriedigt werden die dadurch ein menschenwürdiges Leben führen können? Der andere Grund liegt in der Fairness. Bei den deutlichen Unterschieden zwischen dem mehr oder weniger gleichmäßig verteilten Besitz bei den Urmenschen und dem enormen Ungleichgewicht heute liegt der Schluss nahe, dass irgendwann ein paar Menschen aufgehört haben müssen faire Tauschgeschäfte durchzuführen und stattdessen begannen durch viele kleine ungerechte Geschäfte ihre Mitmenschen übers Ohr zu hauen. Auch wenn Milton Friedman als Voraussetzung für seine These nennt, „ dass die Reichen ihr Geld ehrlich verdient haben“, drängt sich die Vermutung auf, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Und wenn unmoralische Vorgänge zu dem jetzigen Zustand geführt haben sollten, sähe ich es nicht als unmoralisch an, zu versuchen den Zustand so zu ändern, dass wir Verhältnisse erhalten, die eher aus fairen Vorgängen entstanden sein könnten. Doch selbst, wenn diese theoretischen Überlegungen zum Thema Besitz nicht auf Zustimmung treffen sollten, kann Besteuerung immer noch rechtmäßig sein. Wenn Diebstahl, wie eingangs definiert das Besitzergreifen eines Guts ohne Einverständnis des Besitzers ist (was auf Steuern zu zutreffen scheint, denn nach Diskussionen über Spitzensteuersätze etc. scheinen unsere reichen Mitbürger durchaus nicht einverstanden mit der Abgabe eines Teils ihres Besitzes zu sein), dann schließt das mit ein, dass ein Besitzerwechsel eines Guts dann rechtmäßig ist, wenn der Besitzer einverstanden ist. Einverstanden sind die Menschen meistens dann, wenn sie eine Gegenleistung dafür bekommen. Und genau das ist meiner Meinung nach bei Steuern der Fall. Vielleicht würde mir Milton Friedman in dieser These sogar teilweise zustimmen, denn schließlich werden aus Steuergelder all diese Dinge bezahlt, die wir alle benutzen, also bspw. Straßen, Schulen oder ein funktionierendes Rechtssystem. Doch selbst, wenn man von Steuern zur Finanzierung von Gemeinschaftsgütern absieht, und vielmehr Friedmans Eingangssatz wörtlich nimmt, in dem man sagt, der Staat nimmt Geld von den Reichen und gibt es den Armen, wird dabei eine Gegenleistung erbracht. Denn eine Gesellschaft mit einer solchen Ungleichverteilung wie wir sie haben, kann langfristig nicht funktionieren. Durch Armut entstehen zwangsläufig Unzufriedenheit, Kriminalität und auf lange Sicht wohl auch gewalttätige Unruhen, also Phänomene, die auch die Reichen bedrohen. Zeigen uns als reiches Europa nicht Fälle von Flüchtlingsanstürmen auf europäische Mittelmeerinseln und randalierende Jugendliche in Frankreichs armen Vororten, dass Armut, obwohl sie uns nicht direkt betrifft, auch unsere Lebensqualität einschränken kann? Durch eine erzwungene Umverteilung sorgt der Staat jedoch für die Erhaltung des so genannten sozialen Friedens, der allen, auch den Reichen, zu Gute kommt. All diese Argumentationsgänge führen zu dem Schluss, dass Besteuerung nicht mit Diebstahl gleichgesetzt werden kann und deshalb auch nicht unmoralisch ist. Der Grund warum ich persönlich der Meinung bin, dass eine übergeordnete Institution wie der Staat in die Besitzverhältnisse eingreifen sollte, ist jedoch ein ganz anderer. Ihm zu Grunde liegt die Erkenntnis, dass unsere Lebensqualität fundamental mit unseren finanziellen Voraussetzungen zusammenhängt. Der Reichtum unserer Eltern bestimmt den Bildungsgrad, den wir erlangen, und damit das Einkommen, das wir einmal beziehen werden. Die Gegend, in der wir geboren werden, bestimmt die medizinische Versorgung, die wir erhalten, und ein zukünftiger Unternehmenserbe muss sich wenig Sorgen über seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt machen. All diese Faktoren sind jedoch völlig zufällig. Und gerade weil die Art und Weise wie wir unser Leben verbringen werden nur so wenig von uns selbst abhängt und wir nichts dafür können wo, wann und mit welchen Eltern wir geboren wurden, sollten wir denjenigen, die weniger Glück mit ihren Startvoraussetzungen hatten nicht mit einem schulterzuckenden „Pech gehabt“ begegnen. Vielmehr sollte es unsere Pflicht sein, allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen zu bieten. Und da in unserer Welt Erfolg eben nicht nur von der persönlichen Leistung abhängt, sondern sehr viel mit Geld zu tun hat, ist dies das erste Mittel um ein Stück Gerechtigkeit zu schaffen.
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