Milchviehforum 2016 Hohenrain / Zollikofen / Landquart 21./22./28. Januar 2016 Erfolgreiche Kälberaufzucht : worauf kommt‘s an ? Martin Kaske Klinik für Rinder Tierärztliche Hochschule Hannover Departement für Nutztiere Rindergesundheitsdienst Vetsuisse-Fakultät Zürich Besonderheiten des Kalbes als Nutztier Besonderheiten des Kalbes als Nutztier • Neugeborene hohes Wachstumspotential hohe Nährstoffeffizienz zunächst nahezu immuninkompetent anfällig für Krankheiten stresslabil physiologisches Verhalten ist problematisch Erfolgreiche Kälberaufzucht - WAS ist das ? • • • • niedrige Totgeburtenrate geringe Kälberverluste niedrige Erkrankungsrate hohe Tageszunahmen in ersten Lebenswochen Ziele der Kälberaufzucht Totgeburten <5% Kälberverluste <3% Erstbesamung 15 Monate Erfolgreiche Kälberaufzucht - WIE geht das NICHT ? Erfolgreiche Kälberaufzucht - WIE geht das ? Geburtsüberwachung Muttertiere Jungrinder Trockensteher Muttertiervakzination Abkalbestall Geburtshilfe Versorgung des Neugeborenen Kolostrumversorgung Betreuung der Tiere Haltung Person Zeitaufwand Warmstall vs. Außenklima Einzel- vs. Gruppenhaltung Einstreuart und -menge Hygiene Menge und Zeitpunkt Qualität Drenchen Überwachung Entmistungsintervall Reinigung / Desinfekt. Rein-Raus-System Stallbrache Biosecurity BVD-Status Paratuberkulose … Fütterung Behandlungsschemata neonatale Diarrhoe Bronchopneumonie Nabelinfektionen Milch vs. MAT „Sperrmilch“ Eimer vs. Automat vs. „Kälberbar“ Tränkemenge und Tränkeintervalle Einfluss der Betreuungsperson auf die Höhe der Kälberverluste Betriebe / Tiere Erkrankungsrate Verluste Betriebsleiter 13 / 377 13,5 3,7 Ehefrau des Betriebsleiters 28 / 952 8,8 1,9 ( Fink 1980 ) Erfolgreiche Kälberaufzucht - WIE geht das ? Geburtsüberwachung Muttertiere Abkalbestall Geburtshilfe Versorgung des Neugeborenen Jungrinder Trockensteher Muttertiervakzination Betreuung der Tiere Menge und Zeitpunkt Qualität Drenchen Überwachung Haltung Person Zeitaufwand Warmstall vs. Außenklima Einzel- vs. Gruppenhaltung Einstreuart und -menge Hygiene Kolostrumversorgung Entmistungsintervall Reinigung / Desinfekt. Rein-Raus-System Stallbrache Biosecurity BVD-Status Paratuberkulose … Fütterung Behandlungsschemata neonatale Diarrhoe Bronchopneumonie Nabelinfektionen Milch vs. MAT „Sperrmilch“ Eimer vs. Automat vs. „Kälberbar“ Tränkemenge und Tränkeintervalle Kolostrum: viel mehr als Antikörper … Passive Immunität Milchleistung Differenzierung des Verdauungstraktes Kolostrum Laktoseverdauung Tierarztkosten Resorption von Nährstoffen Reifung der somatotropen Achse Wachstum Faber et al.., 2005; Daniels et al. 2013; Hammon et al.., 2013 Biestmilchversorgung - die „Essentials“ • Kolostrum früh verabreichen - Schluss der Darmschranke - früher Schutz notwendig • Kolostrum zur freien Aufnahme anbieten - 1. Stunde - 10-12 Stunden später • 40-60 % aller Kälber trinken unbeaufsichtigt nicht ausreichend Kolostrum ! Erfolgreiche Kälberaufzucht - WIE geht das ? Muttertiere Jungrinder Trockensteher Muttertiervakzination Geburtsüberwachung Abkalbestall Geburtshilfe Versorgung des Neugeborenen Betreuung der Tiere Entmistungsintervall Reinigung / Desinfekt. Rein-Raus-System Stallbrache BVD-Status Paratuberkulose … Menge und Zeitpunkt Qualität Drenchen Überwachung Warmstall vs. Außenklima Einzel- vs. Gruppenhaltung Einstreuart und -menge Hygiene Biosecurity Haltung Person Zeitaufwand Kolostrumversorgung Fütterung Behandlungsschemata neonatale Diarrhoe Bronchopneumonie Nabelinfektionen Milch vs. MAT „Sperrmilch“ Eimer vs. Automat vs. „Kälberbar“ Tränkemenge und Tränkeintervalle Etablierte Empfehlungen zur Kälberaufzucht • restriktiver Einsatz von Vollmilch / Milchaustauscher ^ Menge Vollmilch: ca. 10 % des KG/Tag MAT: 20-35 kg/Tränkeperiode 456 g/Tier/Tag Dauer der Tränkeperiode 70 Tage 56 Tage 35 Tage • Ziel: so schnell wie möglich Aufnahme von Kraftfutter / Beifutter ( de Passillé, 2001; Kaske et al. 2009, Hill et al., 2010; de Passilé et al., 2011; von Keyserlingk et al., 2009) Eimertränke : weit weg von der Physiologie … ! 8 – 10 min 2 – 4 min 6 - 12 2 Saugdauer/Tag ca. 60 min < 10 min Tränkemenge/Saugakt ca. 1 Liter > 2 Liter viel wenig Tagesmenge ca. 8 – 16 l ca. 4 – 6 l Entwöhnung 10 Monate ca. 10 Wochen Saugdauer/Saugakt Saugakte/Tag Saugarbeit ( Albright and Arave, 1997; de Passillé, 2001; de Passillé et al., 2002; Reinhardt and Reinhardt, 1981 ) Immer mal was Neues … Intensive Aufzucht – ein viel diskutiertes Thema … Argumente für eine intensivere Fütterung • verminderte Inzidenz von Jungtiererkrankungen bessere Konstitution Energieniveau Signifikanz niedrig* hoch** p Erkrankungen ges. Jahr 32,1 % 12,1 % 0,01 Erkrankungen im Sommer 12,7 % 4,4 % 0,02 Erkrankungen im Winter 52,4 % 20,4 % 0,01 * MAT 120 g/l Wasser, ** pasteurisierte Sperrmilch (Godden et al. 2005) Argumente für eine intensivere Fütterung • verminderte Inzidenz von Jungtiererkrankungen bessere Konstitution • weniger Probleme mit Ethopathien (Godden et al. 2005, Keil 2008) Argumente für eine intensivere Fütterung • verminderte Inzidenz von Jungtiererkrankungen bessere Konstitution • weniger Probleme mit Ethopathien • „Das Kalb von heute – die Kuh von morgen …“ (Hales & Barker 1993, Gluckman & Hanson 2004, Godden et al. 2005, Keil 2008) Der Metabolismus von Säugetieren lässt sich programmieren … „fetal programming“ „metabolic imprinting“ „fuel mediated teratogenesis“ Ein kurzfristiger Einfluss des Ernährungsniveaus beeinflusst lebenslang die endokrinologische und metabolische Konstellation des Organismus. ( Lucas, 1991 ) „perinatal programming“ „developmental programming“ „fetal imprinting“ „nutritional programming“ „Programming“: ein heisses Thema … PubMed references using the phrases "metabolic programming“ OR "fetal imprinting“ OR "developmental programming“ OR "fetal programming" 400 350 300 250 200 150 100 50 0 1 3 1990 5 7 9 1995 11 13 15 2000 17 19 2005 21 23 25 2010 Der Stoffwechsel von Säugetieren lässt sich programmieren … 27 Die Fütterungsintensität des Kalbes beeinflusst die Entwicklung der Euteranlage Energy/protein intake 2nd to 8th week of life Medium High Parenchyma (g/100 kg body weight) 1.9 6.2 Energy/protein intake 8th to 14 th week of life Parenchyma (g/100 kg body weight) Low High Low high 16 15 24 23 (Brown et al. 2005) Meta-Analyse von 12 Publikationen zum Effekt einer intensiven Fütterung von Kälbern auf die spätere Milchleistung Soberon and Van Amburgh, 2013 Ziele einer eigenen Studie 1. Welche Auswirkungen hat eine ad libitum Milchtränke in den den ersten ersten drei drei Lebenswochen Lebenswochen im Vergleich zu einer etablierten restriktiven in Fütterung mit Milch und MAT bei männlichen HF-Kälbern ? • • • • Gewichtsentwicklung Gesundheitsstatus metabolische und endokrinologische Leitparameter Kraftfutteraufnahme ( Eicher-Pruitt et al. 1992, Kaske et al. 2009 ) Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp Außenklima – ja, aber … Erhaltungsbedarf : + 30 % bei - 4 ° vs. 10 °C d. h. zusätzlich 150-200 g/d MAT zusätzlich : guter Witterungsschutz, um Wärmeverluste zu minimieren ( Scibilia et al. 1987; Davis & Drackley 1998; Lago et al. 2008 ) Experimentelles Design: Fütterung von angesäuerter Milch Ergebnisse: Gewichtsentwicklung ADG [g/d] 1800 1600 CG (N = 24) AdL (N = 24) *** *** 1400 * 1200 *** *** 1000 *** *** 24. LT 800 600 *** *** ** 400 200 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Age [ wk ] 46. LT Ergebnisse: Kraftfutter-Aufnahme Kraftfutter [kg/Tag] 3,5 AdL (N=24) CG (N=24) 3,0 2,5 ** 2,0 ** 1,5 * 1,0 0,5 0,0 0 1 2 3 4 5 6 Lebenswoche 7 8 9 10 Auswirkungen der Fütterungsintensität auf die langfristige Entwicklung AdL N CG N P Birth weight [kg] 43.9 ± 2.0 24 43.5 ± 1.1 24 0.93 BW [kg] d 22 70.8 ± 1.4 24 51.5 ± 1.1 24 < 0.001 BW [kg] d 70 111 ± 2 24 91.7 ± 2.0 24 < 0.001 BW [kg] d 238 322 ± 6 24 308 ± 5 22 0.07 BW [kg] d 238 healthy 335 ± 7 14 318 ± 7 10 0.08 305 ± 8 10 301 ± 6 12 0.66 BW [kg] d 238 lung consolidations Auswirkungen der Fütterungsintensität auf die langfristige Entwicklung AdL N CG N P Birth weight [kg] 43.9 ± 2.0 24 43.5 ± 1.1 24 0.93 BW [kg] d 22 70.8 ± 1.4 24 51.5 ± 1.1 24 < 0.001 BW [kg] d 70 111 ± 2 24 91.7 ± 2.0 24 < 0.001 BW [kg] d 238 322 ± 6 24 308 ± 5 22 0.07 BW [kg] d 238 healthy 335 ± 7 14 318 ± 7 10 0.08 305 ± 8 10 301 ± 6 12 0.66 BW [kg] d 238 lung consolidations Meta-Analyse von 12 Publikationen zum Effekt einer intensiven Fütterung von Kälbern auf die spätere Milchleistung Soberon and Van Amburgh, 2013 Vermeidung von Kälbergrippe : eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Aufzucht ! Risikofaktoren für Kälbergrippe Überbelegung Lüftungsmängel Stress Viren Temperaturschwankungen Mycoplasmen Bakterien hohe Luftfeuchtigkeit ungenügende Kolostralmilchversorgung mangelhafte Geburtshygiene ständige Nachbelegung Verlauf der Erkrankung …. es geht sehr schnell ! ~ 3 Tage Virus Wochen 3–10 Tage Komplikation durch Bakterien heftige Gewebereaktion – Sauerstoffaustausch stark eingeschränkt Rindergrippe in Norddeutschland: eine Bestandsaufnahme keine wesentlichen Probleme ( N = 83 ) erhebliche Probleme 34,6 70,8 Marktleistung [ Tiere / Jahr; Median ] 40 80 Impfungen [ % der Betriebe ] 46,2 57,5 Einsatz von Medizinalfutter [ % der Betriebe ] 19,5 58,3 Zukauf [ % der Betriebe ] ( N = 41 ) Einfluss des Haltungssystems auf die Prävalenz von Atemwegserkrankungen Schlüsselfaktoren für Lungengesundheit Nesting score 1 2 3 Häufigkeit von Lungenerkrankungen Score 1 Score 2 Score 3 Bakteriengehalt der Luft [KbE/m3 x 1.000] ( Lago et al. 2006 ) Risikofaktor Ammoniak • zu wenig Frischluft • alte Mistmatratze • hoher Tierbesatz Ammoniakkonzentration bei unterschiedlichen Kälberunterkünften (nach v. Schrader, 1999) ppm 8 7,01 7 6 5 4,2 4 3,91 3,35 2,79 3 2 1 0 Warmstall Trauf-First-Lüftung Windschutznetz Großraumiglu Einzeliglu Trauf-First-Lüftung in der kühlen Jahreszeit ( Nordlund 2013 ) Trauf-First-Lüftung in der warmen Jahreszeit ( Nordlund 2013 ) Trauf-First-Lüftung bei Windstille ( Nordlund 2013 ) Trauf-First-Lüftung mit zusätzlichem Ventilator ( Nordlund 2013 ) „Positive pressure tubes“: die Schlauchbelüftung Foto: Dr. Jenny John Prinzip der Schlauchbelüftung Luftstrom mit Vernebler dargestellt Foto: Dr. Uwe Reinicke Charakteristika der Schlauchlüftung • Ventilator (600 W) muss immer laufen Stromverbrauch 15 KWh/Tag • Luftaustauschrate: 4 x / Stunde • drastische Verminderung der Keimdichte in der Stallluft • Anzahl der Atemwegserkrankungen: - 60-70 % • Amortisation der Investition in 1-2 Jahren Arbeitswirtschaftlich günstig + preiswert : geht das ? Giebelseite in diesem Bereich des Auslaufes offen Iglus mit Auslauf überdacht, alle Seiten offen Giebelseite geschlossen mit Tor 1,50 m Futtertisch 4,00 m 4,00 m 2,25 m 4,00 m Gruppenbucht für 8 Kälber und überdachter Liegefläche Gruppenbucht für 8 Kälber und überdachter Liegefläche Gruppenbucht für 8 Kälber und überdachter Liegefläche Spaceboardlüftung Seitliche Buchtentrennwände: Siebdruckplatten im Rohrrahmen 4,00 m 4,00 m 4,00 m 4,00 m Schwenkbare Abdeckplatten als Unterschlupf für Kälber Impfungen • Impfen allein löst kein Bestandsproblem ! • Impfen kann einem Problem zunächst die „Spitze“ nehmen ! • Lebendvakzinen induzieren i. d. R. eine stärkere Immunreaktion als inaktivierte Vakzinen ! • Prophylaktisch besser als metaphylaktisch; metaphylaktisch besser als „therapeutisch“ ! • Inaktivierte Kombinationsvakzine ggf. als MuttertierVakzination bei gehäuften Problemen in den ersten 14 Lebenstagen ! Eckpunkte einer intensiven Aufzucht 1. Aufzuchtkälber nicht „großhungern“ - d. h. > 6 L Vollmilch / Tag bzw. > 1 kg MAT / Tag unter Berücksichtigung der Haltungsbedingungen! 2. Eine intensive Fütterung ist kein Patentrezept gegen grobe Fehler bei der Haltung von neugeborenen Kälbern! 3. Kälber in den ersten drei Wochen möglichst nicht umstellen (Haltungssystem, Tränkesystem, Futtermittel) ! 4. Bei der intensiven Fütterung mit MAT auf hochwertige Austauscher achten (> 30 % MMP-Anteil)! 5. Der Schlüssel für die erfolgreiche Aufzucht gesunder und frohwüchsiger Kälber bleibt die Betreuung durch den Menschen! Milchviehforum 2016 Hohenrain / Zollikofen / Landquart 21./22./28. Januar 2016 Erfolgreiche Kälberaufzucht : worauf kommt‘s an ? Martin Kaske Klinik für Rinder Tierärztliche Hochschule Hannover Departement für Nutztiere Rindergesundheitsdienst Vetsuisse-Fakultät Zürich
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