Die Formel für die perfekte Gartemperatur

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Die Formel für die perfekte Gartemperatur
Mit ein wenig Chemie und Physik zum gewünschten Garpunkt.
Ein Koch braucht kein Physiker zu sein, um für seine Gäste feine Fleischgerichte zuzubereiten. Aber mit ein klein wenig Physikwissen kann er Fleisch ohne grossen Aufwand
besonders zart und saftig werden lassen. Wir haben beim deutschen Physiker Thomas
Vilgis nachgefragt, was Fleisch im Innersten zusammenhält und bei welchen Gartemperaturen welches Stück Fleisch am besten wird.
«Wenn ein Koch den molekularen Aufbau von Lebensmitteln kennt und versteht, was beim Garen im Innern der Lebensmittel passiert, kann er in Sachen Konsistenz und Geschmack so einiges herausholen», erklärt Thomas A. Vilgis. Fleisch zum Beispiel besteht aus Wasser, Fett und
Proteinen – insbesondere aus den Muskelproteinen Myosin, Aktin und Kollagen. Diese Proteine
geben dem Fleisch seine Form und binden die Flüssigkeit in seinem Innern.
Was passiert beim Kochen?
Der Fleischsaft im Muskelfleisch ist an die Proteine gebunden. Wird das Fleisch erhitzt, verlieren
die Proteine nach und nach ihre natürliche Form und damit ihre Fähigkeit, Wasser zu binden.
Das Fleisch ändert seine Textur und verliert Flüssigkeit. «Es wird gar», sagt der Koch. «Die Proteine denaturieren», sagt der Physiker.
Fleisch unter der Lupe.
Zwischen 50 und 60 °C geraten die ersten Proteine aus der Form, die Wasserbindung funktioniert aber noch relativ gut. «Ab ca. 70 °C werden die Proteine gar und können das Wasser nicht
mehr halten. Fleischsäfte treten aus, das Fleisch wird trocken und zäh», erklärt Thomas A. Vilgis.
Alles eine Frage der Temperatur
Wie schafft es ein Koch nun, dass das Fleisch gar, aber nicht zu gar wird, und vor allem schön
saftig bleibt? «Soll das Fleisch saftig und zart bleiben, dürfen nur bestimmte Proteine im Fleisch
ihre Gestalt verändern. Denn je mehr Proteine garen, umso mehr Flüssigkeit geht verloren»,
erklärt der Physikprofessor. Dies können wir ganz gezielt mit der Temperatur steuern.
Die einzelnen Proteine haben unterschiedliche Gartemperaturen. Myosin gart je nach Fleisch
sorte schon bei 40 bis 50 °C bzw. 60 °C (vgl. siehe Tabelle). Das Fleisch ist in diesem Zustand
saftig und weich – aber noch sehr saignant, was nicht bei allen Gästen gut ankommt.
Ist das Myosin vollständig denaturiert, setzt je nach Fleischsorte zwischen 60 und 70 °C die Aktin-Denaturierung ein. Vor und zu Beginn der Aktin-Garung ist das Fleisch medium. «Schreitet
die Aktin-Denaturierung weiter fort – also ca. ab 70 °C – wird das Fleisch immer zäher und bis
zur ‹Schuhsohle› ist es nicht mehr weit», weiss der Physikprofessor von zahlreichen Tests in
Labor und Küche.
Gartemperaturen für Muskelfleisch – nach Fleischsorten.
Als Garmethode empfiehlt der Physiker Sous-vide: «Hier lässt sich die Temperatur und somit
der Garzustand am besten kontrollieren. Wer nicht auf Röstaromen verzichten will, kann in einer
sehr heissen Pfanne, unter dem Salamander oder gar mit dem Bunsenbrenner nachrösten –
aber nur kurz!»
Der Trick mit dem Fett
Gut durchwachsenes Muskelfleisch lässt sich einfacher zubereiten als mageres – vor allem
auch bei eher hohen Temperaturen auf dem Grill oder in der Bratpfanne. Denn das Fett im
Fleisch schmilzt beim Erhitzen und sorgt so dafür, dass der Temperaturanstieg im Innern des
Fleisches gebremst wird. So tritt beim Garen viel weniger Flüssigkeit aus, das Fleisch bleibt
saftiger und zarter. Darum: Achten Sie vor allem auch für die Grillsaison auf gut marmorierte
Fleischstücke.
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Weniger edle Stücke veredeln
Bei kollagenreichen Fleischstücken – also Schmorfleisch wie Beinscheiben, Schulter und Bäckchen – müssen Gartemperaturen und Garzeit höher gewählt werden. Das Bindegewebe Kollagen hat eine starke, eher zähe Struktur, die sehr viel mehr Energie braucht, um zu denaturieren, d.h., um gar zu werden. Meist sind Kerntemperaturen um die 68 °C nötig, um die Kollagene
zum Schmelzen zu bringen. Aus den geschmolzenen Kollagenen bildet sich die Gelatine, die
sehr viel Wasser aufnehmen kann. Während also das Muskelfleisch bei 68 °C bereits langsam
trocken wird, kann die neu gebildete Gelatine die frei werdende Flüssigkeit wieder auffangen.
«Und so wird aus dem anfänglich zähen Kollagen schliesslich ein perfekter Wasserbinder und
Zartmacher. Schmorfleisch bleibt also auch bei höheren Temperaturen schön saftig, wenn ausreichend Bindegewebe enthalten ist» – auch diesen Tipp des Fachmanns gilt es beim Einkauf
im Hinterkopf zu behalten.
Der Koch ist nicht der einzige Verdächtige
«Die Prozesse, die einen ungetrübten Genuss garantieren, beginnen nicht erst beim Kochen»,
führt Thomas A. Vilgis weiter aus. Neben dem Schlachtalter beeinflussen etwa auch die Reifezeit und die Art der Lagerung die Struktur der Fleischstücke. «So ist der Wassergehalt bei dryaged Fleisch deutlich ausgeglichener als bei vakuumgereiftem Fleisch, bei dem das überschüssige Wasser nicht entweichen kann. Auch darauf gilt es bei der Garung zu achten.»
Und vor allem ist es eine natürliche und artgerechte Tierhaltung, die sich, so ist Vilgis überzeugt,
positiv auf die Struktur des Fleisches auswirkt.
Thomas A. Vilgis ist Professor für theoretische Physik an der
Universität Mainz, Forscher am Max-Planck-Institut und Autor
zahlreicher Kochbücher – u.a. «Kochen für Angeber» (2014) und
«SOUS VIDE. Der leichte Einstieg in die sanfte Gartechnik»
(2012).
Denaturierung
Denaturierung bezeichnet eine Veränderung der molekularen Struktur,
eine strukturelle Veränderung von
Biomolekülen wie zum Beispiel Proteinen durch äussere Einflüsse. So
verändern sich beispielsweise die
Proteine in einem Ei (das Eiweiss)
beim Braten. Durch die Temperaturerhöhung denaturiert das Eiweiss
und gerinnt.
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Optimale Gartemperaturen verschiedener Fleischsorten
Geflügel
Rind
Schwein
Lamm
45 °C 50 °C
Myosin
Aktin
saignant
medium
60 °C
trop cuit
70 °C
80 °C