Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel

President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
Berlin
20-112015
Martin Schulz
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Terrorattentate von Paris haben uns alle tief erschüttert. Terroristen ermordeten wahllos und
heimtückisch mehr als 120 unschuldige Menschen – im Konzertsaal, im Restaurant, im
Fußballstadion, auf der Straße. «Jeden von uns hätte es treffen könne», genau diese Angst
wollen die Terroristen in unseren Herzen einpflanzen.
Die Attentate von Paris waren ein Anschlag auf die Freiheit.
Ein Anschlag auf unsere europäischen Werte.
Ein Anschlag auf uns alle.
Genau deshalb wollen wir Europäer in dieser Zeit der Trauer
uns nicht spalten lassen sondern umso enger zusammenstehen;
Wir wollen uns nicht von dem Hass der Attentäter vergiften lassen, sondern uns allen Populisten
in den Weg stellen, die Ängste schüren und gegen Andere hetzen; gar die humanitären
Grundlagen unserer Flüchtlingspolitik in Frage stellen.
Wenn jetzt von einigen gefordert wird, nach Paris müsse die Flüchtlingspolitik geändert werden,
dann ist das eine beschämende Instrumentalisierung der Opfer.
Wenn wir jetzt Flüchtlinge aus Syrien unter Generalverdacht stellen, Islam und Islamismus
gleichsetzen, dann hat der sogenannte Islamische Staat uns seine Kategorien eines Krieges der
Kulturen aufgezwungen;
dann sehen wir die Welt bereits mit den ideologischen Scheuklappen der Fanatiker;
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
1/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
dann machen wir aus Opfern Täter, denn die Flüchtlinge suchen ja gerade Schutz bei uns weil
sie vor der Barbarei dieser Mörderbanden fliehen!
Nach den fürchterlichen Attentaten in Oslo und Utøya durch einen Rechtsextremisten sagte der
damalige norwegische Premierminister Jens Stoltenberg: "Wir werden reagieren mit noch mehr
Demokratie, mit noch mehr Humanität, aber niemals mit Naivität". Das muss der Leitfaden
unseres Handelns sein: unsere offene demokratische Gesellschaft zu verteidigen und auf der
Basis unsere Werte eine realistische, problemlösungsorientierte Politik zu betreiben.
Der Realismus gebietet, dass wir mindestens drei Fakten in der aktuellen Flüchtlingspolitik
anerkennen:
Erstens, solange der Bürgerkrieg in Syrien andauert, werden Menschen vor den Bomben
Assads und der Brutalität des IS fliehen.
Zweitens, solange syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens nicht nur keine Zukunft
haben, sondern auch keine menschenwürdige Gegenwart, werden sie sich auf den Weg zu uns
machen.
Drittens, solange kriminelle Netzwerke und unilaterale Entscheidungen von Mitgliedstaaten den
Lauf der Ereignisse diktieren, werden Menschen ihr Leben verlieren und sind auch unsere
europäische Zusammenarbeit und auch unsere hart erkämpfte Freizügigkeit in Gefahr.
Deshalb: wir werden die epochale Herausforderung der Flüchtlingskrise nur meistern können,
wenn wir als Europäerinnen und Europäer solidarisch zusammen stehen. Eigentlich sollte dies
eine intuitive Erkenntnis sein, denn die europäische Einigung fußt ja gerade auf der Erkenntnis,
dass wir gemeinsam stärker sind als es jeder für sich alleine ist, dass unsere Interessen mit den
Interessen unserer Nachbarn aufs Engste verwoben sind und Robert Schumans „Solidarität der
Tat“ auf einer nüchternen Einsicht in die Notwendigkeiten beruht – und keinesfalls auf einer
naiv- romantischen Europaduselei.
Denn damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, erkannten die Staats- und Regierungschefs ganz
nüchtern, dass der Friede in Europa dauerhaft nur durch eine Verschränkung der nationalen
Souveränitäten zu gewährleisten war. Heute wäre von den amtierenden Regierungschefs ein
ganz ähnliches Bekenntnis gefordert: im 21. Jahrhundert gibt es Ereignisse und Probleme, die
die Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten schlichtweg übersteigen. Die Finanzkrise war eine
globale Krise, in deren Folge wir Europäer schmerzhaft erfahren mussten, dass unsere
Nationalökonomien keine von einander abgekoppelten „Black Boxes“ sind, sondern im Gegenteil
auf das Engste miteinander verwoben. Und auch die Flüchtlingskrise ist eine globale Krise.
Heute sind weltweit mehr Menschen als zu jedem anderen Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg
auf der Flucht, 60 Millionen Menschen. Einer von 122 Menschen ist heute weltweit auf der
Flucht oder ist Asylbewerber. Diese Dimensionen muss man sich in ihrer ganzen Dramatik
immer wieder vor Augen führen – eine solch enorme globale Herausforderung können
Nationalstaaten im Alleingang wirklich nicht lösen.
Auch in Deutschland hört man immer mehr Stimmen, dass man langsam an der Grenze der
Belastbarkeit angekommen sei. Und es gibt Gemeinden, die sind sichtbar an der Grenze der
Belastbarkeit angekommen. Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass eine Million
Flüchtlinge unter 507 Millionen Menschen in 28 Ländern zu verteilen deutlich leichter verkraftbar
sein sollte. Deshalb: die Wirtschaftsweisen hatten Recht als sie vor einer Woche sagten:
aufgrund der offenen Grenzen handelt es sich bei der Flüchtlingskrise um eine europäische
Herausforderung, bei der man auch europäische Solidarität einfordern darf.
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
2/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
Ja, wer hätte das gedacht, dass man so viel Beifall dafür bekommen kann, wenn man auf einem
deutschen Wirtschaftsgipfel europäische Solidarität einfordert.
Wenn ich vor ein, zwei, drei Jahren Solidarität mit Italien, Malta oder Griechenland in der
Flüchtlingsfrage einforderte – und diese Länder wurden ja wirklich sehr lange sehr alleine damit
gelassen, schiffsbrüchige Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten; da wurden dann zwar
feierliche Schweigeminuten vollzogen, wenn sich vor Lampedusa mal wieder eine Katastrophe
mit hunderten Toten ereignete, um dann aber umgehend mit Verweis auf die Dublin-Regeln
entrüstet zu reagieren, wenn diese Länder einigen Flüchtlingen nicht die Weiterreise nach
Norden versperrten – damals habe ich für Appelle an die europäische Solidarität vielleicht auf
linken oder kirchlichen Veranstaltungen Applaus bekommen, aber viele andere und hat die
Situation im Mittelmeer kalt gelassen.
Doch die Krux mit der Soldiarität ist nun einmal, dass man sie nicht auf jene wenigen
Politikfelder begrenzen kann, bei denen man sich den grössten Eigennutz davon verspricht. „Ja
gerne“ zu Strukturfondsmitteln aber „nein danke“ zu Flüchtlingsquoten sagen, das geht ebenso
wenig wie die Vorteile des Euros geniessen aber keine Stabilitätsregeln einhalten oder keine
Bankenunion haben wollen.
Und doch findet sich genau diese Einstellung im Europäischen Rat der Staats- und
Regierungschefs. Globalen Herausforderungen wird da mit Erbsenzählermentalität begegnet,
jeder schaut nur auf seinen eigenen kleinen Vorteil - ganz nach dem Prinzip: „Heiliger Sankt
Florian, verschon mein Haus, zünd andre an." Nur: in Europa besteht immer die Gefahr eines
Flächenbrandes, wenn ein Haus in Flammen aufgeht. Wenn jeder nur seinen eigenen
nationalen Vorteil zu maximieren trachtet, dann kommen dabei am Ende Ergebnisse heraus, die
keinem wirklich nutzen.
Was wir im Europäischen Rat zurzeit erleben ist genau das: die Maximierung des nationalen
Vorteils. Vom Grundsatz habe ich Verständnis für einen Regierungschef, der auch im
Europäischen Rat die Wahrung der Interessen seines Landes als seine erste Aufgabe
betrachtet. Nur ergibt die Addition von 28 nationalen Interessen nun mal nicht automatisch das
europäische Allgemeinwohl. Deshalb ist der Konstruktionsfehler der, dass man nicht
Gemeinschaftsaufgaben definieren kann, sie dann aber nicht von Gemeinschaftsorganen
erledigen lässt. Das führt dazu, dass die gleichen Leute, die von Europa Problemlösungen
verlangen, sich von Gipfel zu Gipfel hangeln ohne Ergebnis und anschließend Europa für
unfähig erklären, Probleme zu lösen.
Dieses "Blame Game" ist hinreichend bekannt. Aber in letzter Zeit hat sich die Problematik
weiter verschärft: Nicht nur, dass die Regierungschefs ihre eigenen – in der Formation des
Europäischen Rates als Organ der Europäischen Union beschlossenen Entscheidungen kritisieren; sie setzen sie zu oft gar nicht um.
Da wird nach hartem Ringen und zähen Verhandlungen endlich beschlossen, dass als Akt
konkreter europäischer Solidarität 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien umgesiedelt
werden - doch was ist seitdem passiert? Bislang ist ein Flug von Italien nach Schweden
gestartet und ein weiterer Flug von Griechenland nach Luxemburg. Da stellt sich schon die
Frage nach unserer Glaubwürdigkeit.
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
3/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
Ähnlich betrüblich stellt sich die Lage an den sogenannten Hotspots dar – genau dort, wo
Migranten erstmals registriert werden sollen - und das ist Voraussetzung für einen geordneten
Umgang mit den Migrationsbewegungen - fehlt es noch immer an Geld, an Personal an
Ressourcen. Fehlende staatliche Strukturen können aber nicht dauerhaft durch die selbstlose
Großherzigkeit der Bürgerinnen und Bürger ausgeglichen werden.
Als Besonders dramatisch empfinde ich es, wenn Gelder, die auf Gipfeln zur Bewältigung der
Flüchtlingskrise versprochen wurden, nicht fließen. Gefühlt wird ja jede Woche ein neuer Fonds
gestiftet. In der vergangenen Woche wurde etwa in Valletta ein Afrika-Fond ins Leben gerufen,
um Fluchtursachen zu bekämpfen und gerade auch der jungen Generation eine Zukunft in Afrika
zu eröffnen. Die EU Institutionen brachten 1,8 Milliarden in den Fonds ein. Die Mitgliedstaaten
sollten eigentlich noch einmal denselben Betrag aufbringen – aber sie kamen gerade Mal auf 78
Millionen. Bei Fonds, mit denen Flüchtlingen in Syrien oder den Nachbarländern ein
menschenwürdiges Leben ermöglicht werden soll, sieht es ähnlich aus. Und an dieser Stelle
muss man auch mal die Golfstaaten in die Pflicht nehmen, für Waffenlieferungen sitzt das Geld
locker, wenn es um die Menschenwürde geht weniger.
Das World Food Programm sah sich in diesem Sommer sogar gezwungen, die Versorgung der
Flüchtlinge auf das Nötigste zu kürzen – dem World Food Programm ging schlicht das Geld aus.
UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres hat die Kürzungen der Hilfsmittel als Auslöser für
die Flüchtlingswellen der letzten Monate identifiziert. Und wir müssen uns schon fragen, ob es
wirklich eine Überraschung ist, wenn Menschen bevor sie verhungern lieber ihr Leben riskieren
und sich in schiffsbrüchigen Booten auf die Überfahrt nach Europa machen?
Auch in anderen Politikfeldern zeigen sich gravierende Probleme. Anstelle von langfristigem,
vorausschauendem Handeln tritt immer mehr kurzfristiger, monotopischer Aktionismus - da wird
ein Krisengipfel nach dem anderen einberufen, erst zur Finanzkrise, zur Eurokrise, dann zur
Jugendarbeitslosigkeit, dann fand ein Griechenlandgipfel nach dem nächsten statt, seit dem
Sommer jagt ein Gipfel zur Flüchtlingskrise den nächsten, nur um jetzt vielleicht bald von AntiTerror-Treffen abgelöst zu werden. Kaum taucht ein neues Thema, eine neue Krise am Horizont
auf, dann verlieren wir andere, eben noch für so drängend befundene Probleme völlig aus dem
Blick. Und mit ihnen geben wir auch die langfristigen Ziele, die wir uns selbst gesetzt hatten, um
existentielle Probleme zu lösen oder die Weichen in eine gute Zukunft zu stellen, einfach auf.
Unsere gemeinsame Währung muss sturmfest gemacht werden? Die Finanzwelt re-reguliert?
Die Wirtschafts- und Währungsunion gehört vollendet? Nicht nur aus der öffentlichen, und
medialen sondern auch aus der politischen Diskussion ist dieses Thema fast verschwunden.
Ohne Zweifel, die Flüchtlingskrise ist eine epochale Herausforderung - aber folgt daraus, dass
wir alle anderen Politikfelder ausblenden müssen? Alle Projekte unvollendet stehen oder gar
fallen lassen, von deren existentieller Bedeutung für unsere Zukunft wir noch vor ein, zwei
Jahren - im Falle Griechenlands noch vor wenigen Monaten - zutiefst überzeugt waren?
In den letzten Jahrzehnten ging die Europäische Union aus Krisen gestärkt hervor, meist wurde
als Antwort eine Vertragsänderung gegeben. Das will ich keinesfalls propagieren. Aber die
Gesetzesvorhaben, die wir zur Krisenlösung und Krisenvorbeugung auf den Weg bringen, die
müssen wir schon auch zu Ende bringen.
Vor zwei Jahren hielt ich hier auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung ein Plädoyer
für die Bankenunion. Die Bankenunion, so sagte ich damals, sei ein historisches Projekt, das in
seiner Bedeutung nur mit dem Binnenmarkt vergleichbar sei. Durch die Bankenunion sollte der
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
4/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
Teufelskreis zwischen Bankschulden und Staatsschulden gesprengt; und der Steuerzahler
dadurch geschützt werden. Marode Banken sollten nicht länger andere Banken mit in den
Abgrund reissen, Staaten in wirtschaftliche Schwierigkeiten stürzen und den Steuerzahler in
Haftung nehmen können. Banken sollten für Banken haften, so die Grundidee.
Nächsten Dienstag wird die Kommission den Vorschlag zur Einlagensicherung als essentiellen
weiteren Schritt zur Vollendung der dritten Säule der Bankenunion vorstellen. Ich bin überzeugt,
dass es langfristig keine Alternative zur Vollendung der Bankenunion gibt. Eine einheitliche
Währung braucht ein nach denselben Prinzipien arbeitendes Bankensystem.
Manche sagen nun, es sei doch unfair, wenn Banken in einem Land für Banken eines anderen
Landes gerade stehen sollen. Dabei verkennen sie, dass es zweifelsfrei noch viel unfairer ist,
wenn Steuerzahler für international operierende Banken einspringen müssen. Die Bankenunion
will ja gerade eine Antwort darauf geben, dass Banken europäisch leben, aber national sterben.
Die Auswirkungen von Bankenpleiten und Finanzkrisen machen an Staatsgrenzen jedenfalls
nicht halt. Ein stabiles europäisches Bankensystem ist im Interesse eines jeden Landes, vor
allem auch im Interesse Deutschlands, darauf hat ja Professor Fratzscher mehrfach
hingewiesen.
Das System der Bankenunion kann durchaus mit einer Autoversicherung verglichen werden.
Alle Autofahrer sind dazu verpflichtet, in eine Versicherung einzuzahlen. Damit soll nicht
"Solidarität" gestiftet werden oder die solide Arbeitenden, die schludrigen und unseriös
Arbeitenden bezahlen, wie es pauschalisierend und verkürzt gerne mit einem gewissen Unterton
dargestellt wird. Sondern es soll sichergesellt werden, dass bei einem Unfall die Kosten des
Schadenfalls gedeckt sind. Natürlich gibt es unterschiedliche Autofahrertypen - Raser, Drängler,
Schleicher, aber auch Vielfahrer, Wenigfahrer und Saisonfahrer - um nur einige zu nennen deshalb richtet sich der individuelle Versicherungsbeitrag auch nach dem individuellen
Risikoprofil und dem individuellen Risikoverhalten. Sichere Autofahrer zahlen genauso wie
solide Banken mit seriösen Geschäftsmodellen und nachhaltigem Wirtschaften niedrigere
Beiträge. Ich bin mir sicher, dass die berechtigen Anliegen der Sparkassen und
Genossenschaftsbanken gehört, ihre berechtigten Interessen berücksichtigt und wir eine Lösung
für sie finden werden.
Denn die Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems gehen ja nicht von der Sparkasse
Aachen aus sondern vom unkontrollierten Finanzmarktkapitalismus, der Banken überall
erschüttert. Tritt erneut der Krisenfall ein, und sollte die Bankenunion bis dahin nicht vollendet
sein, dann laufen wir Gefahr, dass deutsche Steuerzahler wieder für Bankenpleiten einstehen
müssen. Dass durch die Bankenunion wieder Deutsche für andere zahlen müssen ist eine
unlautere Behauptung. Das ist genau das Gegenteil von dem, was durch die Bankenunion
erreicht werde soll: Europäische Steuerzahler zu schützen, indem die toxische Verbindung
zwischen Bankschulden und Staatsschulden durch die Einrichtung eines bankenfinanzierten
Versicherungsfond gesprengt wird. Und das ist auch im Interesse der deutschen Steuerzahler.
Letztlich entscheidet sich an der Bankenunion, ob unser Wirtschafts-, unser Währungs-, und
unser Bankensystem funktionsfähig sind und bleiben. Mario Draghi hat uns in einer Rede in
Frankfurt vor zwei Wochen noch einmal daran erinnert, dass eine Währungsunion nur mit einer
Bankenunion wirklich funktionieren kann. "For money to be truly one, it has to be truly fungible
independent of its form and independent of its location". Genau das zu erreichen, ist das Ziel
des Drei-Säulenkonzepts der Bankenunion.
Die erste Säule, die Einheitliche Bankenaufsicht, die 128 Großbanken direkt überwacht, konnte
unlängst bereits ihren ersten Geburtstag feiern. Kleinere Banken unterstehen weiterhin der
nationalen Überwachung, aber unter harmonisierten Regeln. In EU-Sprache heißt dieser Ansatz
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
5/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
"Single Rule Book" - damit sollen einheitliche Wettbewerbsbedingungen für alle Spieler
geschaffen werden.
Die zweite Säule, der Einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus soll ab dem 1. Januar 2016
einsatzfähig sein, vorausgesetzt die Mitliedstaaten haben bis dahin den Intergouvernementalen
Vertrag über den Einheitlichen Abwicklungsfond unterzeichnet. Wenn alles nach Plan verläuft,
dann werden ab 2024 55 Milliarden in dem Bankenabwicklungsfonds verfügbar sein. Dieser
"Versicherungspool" soll dann sicherstellen, dass keine öffentlichen Gelder für die Stabilisierung
maroder Banken eingesetzt werden müssen. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung,
dass die zweite Säule wie geplant und ohne Verzögerungen einsatzfähig wird.
Zur dritten Säule, der Einheitlichen Einlagensicherung, wird die Kommission in den nächsten
Tagen einen Vorschlag vorlegen. Zu diesem Thema konnte man am 9. November in einem
Qualitätsblatt des deutschen Journalismus - in der Süddeutschen Zeitung - folgendes lesen:
"Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der deutsche
Bundestag versuchen, einen europäischen Topf für Spareinlagen zu verhindern. Pikant ist, dass
sie damit einen Beschluss blockieren, den sie selbst gefasst haben." Denn so heißt es weiter in
dem Artikel : "ausgerechnet die deutschen Sparer und Steuerzahler, die jetzt vor den angeblich
nachlässigen Nachbarn geschützt werden sollen, (mussten) in der Finanzkrise mehr als 30
Milliarden Euro an Steuergelder zur Rettung hiesiger Institute abschreiben. In keinem anderen
Land mussten Steuerzahler so viel für die Rettung der Banken ausgeben." Soweit das Zitat der
SZ.
Was haben wir doch für ein kurzes Gedächtnis! Erinnern wir uns wirklich nicht mehr, dass solide
haushaltende Länder wie Irland und Spanien - und Spanien hatte vor der Krise eine niedrigere
Staatsverschuldung als Deutschland! - in die Schuldenfalle gerieten und kurz vor dem
Staatsbankrott standen, weil sie ihre ins Strudeln geratenen Banken mit Steuergeldern retten
mussten?
Die Wiederholung genau eines solchen Szenarios - dass der Steuerzahler für Pleitebanken
einspringen muss - soll durch die Bankenunion verhindert werden. Doch könnten wir uns ab
dem 1. Januar 2016 im Falle einer Bankenpleite in einer absurden Situation wiederfinden: die
Kosten einer Bankenabwicklung können, nachdem die Zulässigkeit geprüft und das Bail-InPrinzip angewendet wurde - also die Anteilseigner mithaften -; durch den Einheitlichen
Europäischen Abwicklungsfonds mitgetragen werden.
Die Einführung eines Einheitlichen Einlagensicherungssystems wäre der Königsweg, um die
Ziele der Bankenunion zu erreichen: Steuerzahler schützen und Banken von öffentlichen
Finanzen entkoppeln.
Doch bevor wir weitere Integrationsschritte machen, müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass
alle auch alles wie vereinbart umsetzen. Denn nur so erreichen wir gleiche
Wettbewerbsbedingungen mit gleichen Spielregeln für alle. Momentan hapert es an einigen
Stellen noch gewaltig: Bislang haben nur 16 Staaten die Richtlinie zur Bankenabwicklung
umgesetzt, und nur 11 Staaten die Richtlinie zu den Einlagensicherungssystemen. Wir müssen
sicherstellen, dass das integrierte System auf festem Boden steht: solide Banken, die
angemessen kapitalisiert sind. Deshalb ist es auch richtig, dass die EU-Kommission in zwei
Stufen vorgehen will. Zunächst soll es bei nationalen Systemen bleiben und erst wenn die
notwendigen nationalen Voraussetzungen erfüllt sind, greift das europäische System. Bis dahin
aber, haben wir noch viel Zeit und Arbeit vor uns.
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
6/7
President des Europäischen Parlaments Martin Schulz
Deshalb: auch was die Bankenunion betrifft geht der Appell an die Regierungschefs, sich an das
zu halten, was sie selbst beschlossen haben. Eine Bankenunion macht man entweder gut oder
gar nicht. Eine unvollständige Bankenunion, in der die dritte Säule fehlen würde, wäre
hochgradig dysfunktional. Wenn die nächste Finanzkrise Europa trifft, dann werden wir weitaus
schlechter aufgestellt sein als 2009: angesichts leerer öffentlicher Kassen verfügen wir weder
über die nötigen Finanzmittel noch halten wir mit einer unfertige Bankenunion die benötigten
Instrumente in Händen, um eine solche Krise zu managen. Bleiben wir jetzt auf halbem Wege
stehen, dann werden wir nicht nur die Ziele der Bankenunion verfehlen, sondern die
Steuerzahler und Sparer ungeschützt dem nächsten Sturm an den Finanzmärkten aussetzen.
Deshalb: die Vollendung der Bankenunion gehört für 2016 ganz oben auf die Agenda.
Deshalb: Sehr geehrte Damen und Herren,
wir Europäer müssen uns einen Ruck geben, enger zusammen rücken und angesichts globaler
Herausforderungen und Gefahren gemeinsam agieren: ob Finanzkrise, Flüchtlingskrise,
Klimawandel oder auch der internationale Terrorismus. Gemeinsam sind wir stärker - wenn wir
das Durchwurschteln und Auf-Sicht-Fahren beenden und endlich wieder solide, nachhaltige und
auf Langfristigkeit angelegte Politik betreiben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
For further information:
[email protected]
Andreas Kleiner
+32 498 98 33 22
Armin Machmer
Spokesperson
+32 479 97 11 98
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel
7/7