MAI 2015 6. SONNTAG DER OSTERZEIT LESEJAHR B JOH 15,9-17 Die Liebe als kategorischer Indikativ Nicht an einer bestimmten Uniform, einem Abzeichen oder einer Ehrennadel, nicht an einer Urkunde oder einem Zeugnis, nicht an der Zahl der Kirchtürme oder an der Dicke der Bankkon ten sollen uns die Menschen erkennen, sondern am „neuen Gebot“: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lie ben“ (vgl. Joh 15, 9. 17). Wir wissen, wie nötig die Welt Liebe braucht. Ohne Liebe trocknet sie aus, erkaltet sie. Manche sprechen heute von einer „Eiszeit der Herzen“. Menschen, die sich ausleben, spüren, dass sie im Tiefsten des Herzens, leer sind. Manche große Liebe hat sich im Lauf der Zeit „zerlebt“. Dem gilt es entge genzusteuern. Liebe ist Gabe und Aufgabe, Indikativ und Imperativ zugleich. Bevor wir als Christen etwas tun, dürfen wir uns lieben lassen. Christen sind Menschen, die sich von der unermesslichen Liebe Gottes beschenken lassen. In Jesus Chris tus ist diese Liebe erfahrbar geworden. Das ist die entscheidende, prägende Gewis sheit für unsere christliche Existenz. Wir hätten keine Antwort auf die ersten und letzten Fragen nach dem Woher und Wohin unseres Lebens, wenn an uns nicht die göttliche Liebeserklärung ergangen wäre: „Ich habe dich beim Namen gerufen. Du gehörst mir“ (Jes 43,1). Wir wären von gähnender Leere umgeben, wenn wir durch Jesu Tod und Auferstehung nicht hineingezogen wären in die Bewegung Gottes auf uns Men schen zu. Durch Gottes Liebe sind wir, was wir sind. Die angemessene Haltung von Geliebten ist dankbare Freude. Wir sagen Gott Dank für die Liebe, die ein Leben schenkt, das nicht heute blüht und morgen verwelkt, sondern bleibt und durchträgt: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15, 11). Die Mission der Kirche besteht darin, Kunde von dieser gottmenschlichen Liebesbeziehung zu geben. An der Liebe soll man uns erkennen. Es ist eine üble Gewohnheit geworden, bei dem Wort „Kirche“ an Krise und Kritik zu denken statt an Dankbarkeit und Freude. Kritik hat ihr Recht und ihre Zeit. Wir brauchen sie, damit die Kirche nicht erstarrt, weder träge wird noch bequem. Aber die Kritik(sucht) darf die Glau bensfreude nicht ersticken. Und vor allem sollte jede Kritik, bevor sie geäußert wird, erst durch das Sieb der Liebe gehen. Das bedeutet: Nur der hat das Recht zur Kritik, wenn er es aus Liebe zur Kirche tut, wenn seine Kritik getragen ist vom Fühlen mit der Kirche (sentire cum Eccle sia). Aufbauende Kritik kann nur von Menschen kommen, denen die Kirche am Herzen liegt. Für mich ist es tröstlich, dass bei allen Problemen, die wir vielleicht mit „Gottes Bodenpersonal“ haben, die Grundfeste des Glaubens unver rückbar steht: Gott hat uns geliebt. Sein Liebes versprechen war kein vorlauter Versprecher. Er macht keinen Rückzieher – trotz allem. Aus dem Indikativ wird ein Imperativ: Das Geschenk der Liebe will sich mitteilen. Aus Geliebten werden Liebende. „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15, 14). Unsere erste Visitenkarte ist weni ger ein komplettes Glaubensbekenntnis, so wichtig das ist. Mindestens so glaubwürdig wie das Lippenbekenntnis ist das Lebenszeugnis. Viele warten darauf, dass Christen ihr Herz zum Pfand geben und mit ihrer Freude anstecken. Wie viele leben einfach in den Tag hinein oder wer den bloß noch gelebt! Zu müden und erschöpf ten Menschen, die oftmals der Resignation oder Depression erlegen sind, schickt Gott uns heute. Was können sie von uns erwarten? Von uns, die wir so viel – vielleicht manchmal zu viel – von der Liebe reden! Immanuel Kant hat der Geschichte den Begriff vom „kategorischen Imperativ“ einge prägt. Doch die Achtung vor jedem Menschen, die der kategorische Imperativ predigt, wird erst dann gelingen, wenn Gott nicht außen vor bleibt. Wahrer Humanismus hat nur Bestand, wenn er das Menschliche in Gott verankert. Dem Imperativ zu lieben geht der kategorische Indikativ voraus: Du bist geliebt von Gott. Das ist unser christliches Erkennungszeichen, einer Aufgabe zu leben, die uns Gott als Gabe schon geschenkt hat: Liebe. Bischofsvikar Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier Direktor des Hauses Sankt Ulrich und Leiter des Seelsorgeamtes Diözese Augsburg „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe! (…) Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ Joh 15,9.16b-17 Impressum:missio, Internationales Katholisches Missionswerk e.V., Goethestraße 43, 52064 Aachen
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