Wenn Reiche eine Bank für Arme gründen

MITTWOCH, 20. JANUAR 2016
Region 23
Wenn Reiche eine Bank für Arme gründen
Ein Solitär in der heutigen
Gesellschaft ist das Gespann
Hülfsgesellschaft Schaffhausen und Ersparniskasse
Schaffhausen. Diese seit
200 Jahren währende Erfolgsgeschichte zeichnete gestern
der Zürcher Wirtschaftshistoriker Adrian Knoepfli im Museum zu Allerheiligen nach.
VON ALFRED WÜGER
Am Anfang stand der Ausbruch des
indonesischen Vulkans Tambora im
Jahre 1815. Diese Eruption, die grösste,
die in historischen Zeiten je beobachtet
wurde, hatte schwerwiegende Auswir­
kungen auf das Klima. Das Jahr 1816
wurde vom Volksmund «Jahr ohne
Sommer» genannt, es kam auch in der
Schweiz zu Ernteausfällen und Hunger.
Dazu waren in Europa durch die napo­
leonischen Kriege ganze Landstriche
ausgeraubt und verödet.
Mit diesen beiden dramatischen Er­
eignissen stieg der Wirtschaftshistori­
ker Adrian Knoepfli in seinen Vortag
ein. Warum? Weil in dieser schweren
Zeit im Jahre 1816 in der ganzen
Schweiz Hülfsgesellschaften gegrün­
det wurden. Um den armen Leuten zu
helfen, ohne Zweifel, aber auch mit
einem hohen moralischen Anspruch –
die Unterschichten sollten zu einem
anständigen Leben erzogen werden.
Und ganz frei von Eigennutz handelten
die damaligen Reichen auch nicht: Es
sollte, indem man es den Armen besser
Der Wirtschaftshistoriker Adrian Knoepfli referierte auf faszinierende Weise die Geschichte der Allianz zwischen Hülfsgesellschaft und der von ihr ins Leben gerufenen Ersparniskasse in Zeiten, wo Sparen neu war und etwas galt.
Bild Selwyn Hoffmann
gehen liess, verhindert werden, dass
die sich auflehnen.
Die Stadt Schaffhausen hatte im
Jahre 1820 rund 5500 Einwohner. Die
meisten trieben Handel mit Salz, Korn
und Wein, es gab Gewerbe in der Stadt
und einen ersten Industriebetrieb: die
Baumwollspinnerei. Bereits im Jahre
1800 war von Pfarrer Johann Franz
Ziegler eine erste Hülfsgesellschaft ge­
gründet worden. Ihr war aber kein Er­
folg beschieden gewesen. Das war 1816
anders. Nicht zuletzt, weil die Hülfsge­
sellschaft 1817 die Ersparniskasse ins
Leben rief. Die ersten Jahre dieser
Bank, so Adrian Knoepfli, hätten sich
allerdings zäh angelassen, und zwar
weil das Zielpublikum der Bank – die
kleinen Leute, Bauern und Handwer­
ker – kaum Geld gehabt hätten, das sie
auf die hohe Kante hätten legen kön­
nen. Dies habe sich erst geändert, als
im Zuge der Industrialisierung in den
Fabriken Geld verdient wurde. Jeden­
falls zahlte die Ersparniskasse im
Jahre 1835 ihren ersten Beitrag an die
Hülfsgesellschaft, die dann 1878/79 eine
erste Suppenküche einrichtete und
1893 das Kinderspital in Schaffhausen
ins Leben rief. Dieses sollte bis zum
Jahre 1975 bestehen.
1822 war von der Hülfsgesellschaft
an der Rosengasse auch ein Waisen­
haus gegründet worden. Dieses wurde
1858 von der Stadt übernommen. 1843
war die Hülfsgesellschaft stark gefor­
dert, als die Schaffhauser Baumwoll­
spinnerei abbrannte. Die Hülfsgesell­
schaft stellte Beiträge an Arbeiter, Rei­
segeld für auswärts Stellensuchende
und Geld für Unterricht und Lehrmittel
von Kindern zur Verfügung.
Und mit der Ersparniskasse ging es
allmählich aufwärts. Um 1930 kamen in
den Haushalten Kässeli auf für Sparbat­
zen, die später auf die Bank gebracht
wurden. Damals sei das Sparen ein
wichtiges Ziel gewesen. Allerdings war
der Ersparniskasse auf dem Platz
Schaffhausen auch Konkurrenz erwach­
sen: 1862 wurde die «Bank in Schaffhau­
sen» gegründet, die eigene Banknoten
ausgab und die Industrialisierung in der
Stadt finanzierte. 1862 gab es zehn Spar­
kassen im ganzen Kanton, und 1883
wurde die Schaffhauser Kantonalbank
gegründet. Die Ersparniskasse konnte
sich die ganze Zeit behaupten. 1875 war
sie an den Münsterplatz gezogen, wo sie
auch heute noch ist. «Sie wollte immer
die Bank der kleinen Leute sein», so
­Adrian Knoepfli. Im Jahre 1880/81 ver­
fügten 2574 Personen über Spareinlagen
von 1 bis 100 Franken, 657 solche von
1000 bis 2000 Franken. Nur ganz wenige
hatten viel Geld auf der Bank.
Von der Hülfsgesellschaft, die im
Ernstfall hätte für die Ersparniskasse
haften müssen, wurde die Bank an der
kurzen Leine gehalten. Den Zerfall der
deutschen Währung nach dem Ersten
Weltkrieg überstand sie dank – nicht
zuletzt von dieser Zeitung damals stark
kritisierten – hohen Reserven. Und wohl
auch, weil sie nie hatte Dividenden an
Aktionäre habe ausschütten müssen, so
Adrian Knoepfli.
Heute ist die Ersparniskasse immer
noch eine erfolgreiche Bank, auch wenn
sie sich von der Hülfsgesellschaft eman­
zipiert hat und eine Aktiengesellschaft
ist. Dennoch ermöglichen Beiträge aus
dem Reingewinn der Bank weiterhin die
Arbeit der Hülfsgesellschaft. «Das gibt
es sonst nirgends mehr», so Adrian
Knoepfli. «Das Gespann Ersparniskasse/
Hülfsgesellschaft ist heute ein Solitär.»
Schaffhauser wehren sich gegen
die Durchsetzungs-Initiative
Nicht nur den Titel, sondern
auch den genauen Inhalt der
Durchsetzungs-Initiative
solle man lesen, argumentieren die Gegner der Vorlage.
VON ZENO GEISSELER
Nach der Kollision mit der Mittelleitplanke geriet das Auto in Brand. Bild SHPol
Auto auf der A4 nach Unfall
völlig ausgebrannt
Ein Alleinunfall ereignete sich gestern
kurz nach 8 Uhr auf der A4, Höhe
­Mutzentäli. Wie die Schaffhauser Poli­
zei mitteilt, fuhr eine 45-jährige Fahr­
zeuglenkerin von Schaffhausen kom­
mend in Richtung Bargen. Nach der
Verzweigung Mutzentäli prallte sie aus
noch unbekannten Gründen in die Mit­
telleitplanke. Das Fahrzeug drehte sich
und ging in Flammen auf. Die Lenkerin
konnte sich selbständig aus dem bren­
Personalien
Beförderungen im Offizierskorps
Im Offizierskorps der Schweizer ­Armee
hat das Eidgenössische ­
Departement
für Verteidigung, Bevölkerungsschutz
und Sport folgende ­Offiziere aus unse­
rer Region auf Anfang dieses Jahres be­
fördert. Zum M
­ ajor ernannt wurden:
Urs Feldmann aus Henggart, Christoph
nenden Fahrzeug befreien. Durch die
aufgebotene Feuerwehr der Stadt
Schaffhausen konnte das Feuer ge­
löscht werden, der Personenwagen
brannte aber völlig aus. Die unter
Schock stehende Lenkerin wurde
zwecks Untersuchung ins Spital gefah­
ren. Während den Löscharbeiten und
der Unfallaufnahme wurde die A4 in
diesem Bereich für rund drei Stunden
in beide Fahrtrichtungen gesperrt. (r.)
Merki aus Schleitheim; zum Haupt­
mann: Andrea Lee aus Altikon, Samuel
Meier aus Buchberg; zum Oberleut­
nant: Michael Bührer aus Dorf, And­
reas Gross aus Ossingen, Luca Kraner
aus Schlatt, Martin Näf aus Kleinandel­
fingen, ­Marlon Ruschinski aus Schaff­
hausen, Patrick Spahn aus Schaffhau­
sen, ­Michael Oliver Wagner aus Schaff­
hausen, Pascal Ziegler aus Thayngen.
Kein Thema beherrscht die nationale
Politik derzeit mehr als die Durch­
setzungs-Initiative. Die Urheberin, die
SVP, argumentiert, dass die Initiative
bloss dafür sorge, dass Bundesbern
die vom Volk angenommene Ausschaf­
fungs-Initiative rasch umsetze. Dies
­sehen die Gegner, darunter auch ein
Schaffhauser Komitee, das gestern
seine Argumente vorgestellt hat,
­anders.
«Wer sich nur vom Initiativentitel
und vom Plakat leiten lässt, ohne den
Initiativtext näher zu studieren, wird
wohl getäuscht», sagte FDP-Vertrete­
rin Jeanette Storrer gestern vor den
Medien. «Eigentlich handelt es sich um
eine verschärfte Neuauflage der Aus­
schaffungs-Initiative.» Iren Eichen­
berger von der ÖBS kritisierte die
­Urheberin der Initiative mit deutlichen
Worten: «Die SVP hat ein krankhaftes
Bedürfnis, die Schweiz vor der Bedro­
hung durch Ausländer zu schützen.»
Dabei sei es schon heute möglich, ge­
fährliche Verbrecher auszuweisen. Im
Übrigen sei es eine Illusion, anzuneh­
men, ein Ja schütze die Schweiz zum
Beispiel vor Terrorismus. «Fanatisierte
Menschen, die bereit sind, sich mit
ihren ‹Feinden› in die Luft zu sprengen,
fragen nicht nach den Straffolgen.»
Gabriela Buff aus Hallau trat na­
mens eines überparteilichen Klett­
gauer Komitees mit dem Namen «jetzt
langets» auf. «Im Klettgau wählen wohl
über 50 Prozent die SVP.» Diese Leute
würden wohl mehrheitlich auch der In­
itiative zustimmen, ohne genau zu wis­
sen, was passiere, wenn sie angenom­
men werde. Ihr Komitee wolle rechts­
staatlichen und auch christlichen Be­
denken Raum bieten, sagte Buff.
Simone Stöcklin von der CVP er­
gänzte, die Initiative verursache Mehr­
kosten in «zweistelliger Millionen­
höhe». Julian Stoffel von der Juso er­
wähnte Beispiele von Bagatelldelikten,
welche automatisch zu einer Ausschaf­
fung führten, etwa ein Vater, der ver­
gesse, bei der Familienausgleichskasse
einen Ausbildungsunterbruch seines
Sohnes anzugeben. Es könne nicht
sein, dass Ausländer wegen solcher
Kleinigkeiten ausgeschafft würden,
während Schweizer für die gleiche Tat
mit einer Geldstrafe davonkämen.
Osman Osmani von der SP er­
wähnte, dass auch 400 000 Secondos
­betroffen seien, die in der Schweiz ge­
boren und aufgewachsen seien. Ihnen
drohe bei einem Delikt die Ausschaf­
fung in ein Land, mit dem sie nichts
verbinde. Katrin Bernath von der GLP
schliesslich ergänzte, dass die Initia­
tive der Wirtschaft schade. «Sie schafft
Rechtsunsicherheit und ist daher ein
Risiko für Unternehmen.» Stabilität
und Rechtssicherheit seien Erfolgs­
faktoren für die Schweiz, die man nicht
aufs Spiel setzen dürfe.
Über die Durchsetzungs-Initiative
stimmt das Schweizer Volk am 28. Feb­
ruar ab.
Julian Stoffel von den Juso (rechts) informiert über die Initiative, in der Mitte Simone
Stöcklin von der CVP, ganz links Iren Eichenberger von der ÖBS. Bild Zeno Geisseler