Das Klimadrama - Beweise aus dem All

Rundfunk Berlin Brandenburg
Mo 07.12.2015 I 22:15 I OZON unterwegs I Sendungsmanuskript
Das Klimadrama - Beweise aus dem All
Sentinels - (Wächter) heißen die neuen Satelliten, die in 700 Kilometern Höhe um
unsere Erde kreisen. Wächter über alles, was hier unten passiert: Erdbeben,
Waldbrände und Unwetter, aber auch über das Auswuchern von Städten, das
Schwinden der Wälder und des Gletschereises
Europa hat eine beispiellose Mission gestartet, Copernicus, deren Ergebnisse
überlebenswichtig werden können. Denn zusammen mit Daten vom Boden lassen sich
Modelle entwickeln, die zeigen, wie sich in Zeiten des Klimawandels die Vegetation in
jeder Regionen ändern wird und wie man am besten gegensteuern kann. An vielen
Orten der Welt, von Brasilien bis in die norddeutsche Tiefebene, sind Wissenschaftler
aus Berlin und Brandenburg aktiv, um aus Fernerkundungsdaten Handlungsoptionen
zu machen.
Immer genauer wird der Blick auf unsere Erde auch dank Spezialkameras aus Berlin.
Aus hochaufgelösten Bildern von Himalaya-Gebirgstälern und dem Mount Everest
werden 3D-Modelle, die Gletscher-, Geoforscher und Bergretter gern nutzen würden.
Doch oft ist es ein langer Weg, bis spannende technische Entwicklungen in der Praxis
ankommen. Immerhin konnten Luftbilder von Kathmandu beim Erdbeben im April in
Nepal helfen.
Manuskript der Sendung
Erst aus dem Weltraum gesehen, offenbart er seine Schönheit ganz - aber auch die
menschliche Hybris. Eine Insel entsteht, im Meer vor Dubai. Unaufhaltsam dringt die
Zivilisation in unberührte Landschaften vor. Durstige Baumwollfelder lassen den einst
viertgrößten Binnensee der Erde, den Aralsee, immer schneller schrumpfen.
Wüsten wachsen. Und der Wind weht den Sahara-Staub, aber auch fruchtbaren
Ackerboden, bis tief hinein nach Europa. Abholz-Maschinen fressen sich in die
Regenwälder. Die Folgen sind auch an den Polen zu sehen. Das Arktische Meer-Eis
pulsiert im Lauf der Jahre und Jahres-Zeiten. Seit der Jahrtausend-Wende schmilzt es
immer schneller ab.
Wo sie hinwollen – kommt man normalerweise nicht rein. Obwohl offen und für
jedermann zugänglich sein soll, was hier entsteht: Zu Daten verarbeitete Signale aus
dem All. Sie – und wir - dürfen mal schauen, was diese Bodenstation so macht. Eintritt
ins „Echtzeitdatenzentrum“ in Neustrelitz.
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Neustrelitz. Ein Punkt am Boden, um den sich vieles dreht – erfahren die Teilnehmer
der Exkursion während des nationalen Fernerkundungsforums im November. Sie alle
wollen die Satellitendaten für ihre Arbeit nutzen: in Firmen und Ministerien,
Verwaltungen, Forschungsinstituten.
Wenn sich ein Satellit der Bodenstation nähert, dreht sich die Schüssel dem Signal
entgegen, fängt es auf. Das passiert mehr als 30mal am Tag.
O-Ton Dr. Schwarz:
„Alle Informationen sind immer praktisch vergleichbar zu jedem Produkttyp und
hängen natürlich sehr stark auch von den Nutzeranforderungen ab. Und auf dem
Monitor hier oben sehen Sie mal das Produkt von heute früh. Sie sehen die Zeit daran,
3:44 UT aufgenommen, das heißt also vier Uhr.“
Schifffahrts-Unternehmen brauchen solche Bilder. Gelbe Pfeile zeigen die
Windrichtung an. Über die blauen Punkte lassen sich Wellenhöhen abrufen. Auch
Umweltsündern kommt man so auf die Spur. Jedes Schiff wird per Mausklick erkannt.
O-Ton:
„Wir haben praktisch im Jahr zehn Missionen, die wir unterstützen, das kann man gut
hier an dem Schedule sehen.“
Auch die neue europäische Mission Copernicus sendet Daten hierher,
vom Satelliten SENTINEL 1 A.
O-Ton:
„Die Daten von diesem Satelliten werden praktisch über diese Antenne, die Sie dort
sehen…“
So viele Details, die man sich nicht alle merken muss. Sie sind Fachleute auf anderen
Gebieten.
O-Ton Robert Schima:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
„Ganz konkret, der Bereich wo ich herkomme, ist Umweltforschung im terrestrischen
Bereich. Ich entwickle Messsysteme und Messgeräte vom HelmholtzUmweltforschungszentrum in Leipzig. Wir haben eigentlich Interesse daran, auf
mehreren Skalen Daten zu verschneiden. D.h. von der Fernerkundung bis zur
terrestrischen Ebene. Und mich interessiert eigentlich der Ansatz: Wie kann ich Daten
bekommen? Welche Daten gibt es? Und wie kann ich meine eigenen Daten dort
integrieren?“
In nur 15 Minuten werden aus Signalen Bilder, diese hier sind von Kunden bestellt.
Ein Vulkan, kurz vor dem Staubausbruch Ende Oktober.
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Das Auftauen der Permafrostböden im hohen Norden.
Das schnelle Schmelzen eines Gletschers – Und: des Meereises. Frisches Eis ist rosa,
altes Packeis hellblau eingefärbt.
Die Neustrelitzer Schatzkammer wird – ausnahmsweise mal – geöffnet. Und den
Tresor darf man immerhin fotografieren. Alle empfangenen Rohdaten werden hier
gespeichert, mehr als Gold wert. Weil sie auch die Erdveränderungen belegen.
Unschätzbares Beweismaterial. Sechs Parabolantennen fangen Informationen auf, an
diesem einsamen Ort. Nichts darf die Signale aus dem Weltraum stören.
Tagsüber war eine der „Satellitenschüsseln“ geputzt worden. Glück für uns. So ist eine
Hebebühne da – und die seltene Gelegenheit, mit nach oben zu fahren. Einblick in den
Hohlspiegel, der die Strahlen exakt in die Mitte lenkt, ins Herz sozusagen, den
Empfänger. Hier also landen die Signale, die Huckepack auf elektromagnetischen
Wellen aus dem All kommen.
Aufbruch in eine neue Ära der Erd-Beobachtung. Am 3. April 2014 startet der Satellit
Sentinel-1A zu seiner Mission. In 700 Kilometern Höhe ist er am Ziel, von hier aus soll
er unseren Planeten erkunden. Als erster einer ganzen Flotte. Das geplante SatellitenNetzwerk dient einem ehrgeizigen Ziel: Die Erde rund um die Uhr zu überwachen.
Denn sie wandelt sich ständig: Vegetation, Meere, Eisbedeckung, Luft. Alle
Veränderungen sollen nun ins Visier genommen werden, so detailliert wie noch nie.
Mit seinen Radar-Augen kann der neue Satellit sogar bei Nacht und durch Wolken
sehen. Und zeigen, wie die Oberfläche unter ihm beschaffen ist, was dort gerade
passiert.
Bald soll der Himmels-Späher einen Zwilling bekommen. Nur 5 Tage wird es dann
dauern, bis das Duo den gesamten Globus einmal überflogen hat.
Sentinel – zu Deutsch: Wächter. Wächter zum Beispiel über Gefahrenzonen wie
Neapel am Fuße des Vulkans Vesuv. Hebt und senkt sich der Boden im Erdbeben
gefährdeten Kalifornien? Bei jedem Überflug entstehen neue Aufnahmen. Die
vergleichen Forscher dann mit bisherigen. So können sie kleinste Bewegungen im
Boden feststellen. Und zum Beispiel sehen: sinkt die abgerutschte, blau markierte
Region im Himalaya seit dem letzten Beben weiter ab?
Seit Juni 2015 schwebt Sentinel-2A durch`s All. Auch er wird sich mit einem Zwilling
die Erkundungs-Arbeit teilen. Umwelt- und Klima-Daten sammeln, die Politiker
vielleicht zum Handeln bringen.
Die Satelliten habe eine neuartige Kamera an Bord. Die kann Aufnahmen machen in
13 Spektral-Farben des Lichts. Zeigen, wie sich die Vegetation mit den Jahres-Zeiten
verändert, aber auch Wasserdampf und Schwebeteilchen in der Luft.
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Die Sentinel-3-Satelliten sollen vor allem die Ozeane und Meere inspizieren. Zum
Beispiel beobachten, wieviel Chlorophyll das Wasser enthält.
Sieben unterschiedliche Missionen gehören zu dem ehrgeizigen europäischen
Programm. Auch der Wirtschaft soll es dienen. Mit den Informationen aus dem All
lassen sich Schiffsrouten optimieren. Das spart Treibstoff, schont die Umwelt.
Die Mess-Instrumente aller Satelliten sind aufeinander abgestimmt. Daten lassen sich
so besser kombinieren. Wichtig vor allem bei Katastrophen. Zieht ein Unwetter herauf,
weiß man schnell: Wo regnet das Wasser nieder? Wie hoch steigen dadurch die
Pegel? Wie kommt man am besten in die gefährdeten Gebiete. Informationen, die
Helfer schnellstmöglich brauchen. Deshalb werden die Daten über Relais-Satelliten
zur Erde geschickt. Ein bis drei Stunden später sollen sie Nutzern schon zur Verfügung
stehen. Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr.
Die Sentinels werden auch die globale Waldbedeckung überwachen. Halten sich
Abholzung und Aufforstung die Waage? An der Berliner Humboldt-Uni werden
Lichtspektren von Pflanzen aufgenommen. Eine Art Fingerabdruck, aus dem sich die
Aktivität der Pflanzen ermitteln lässt. Haben ihre Blätter viel Chlorophyll, dann strahlen
sie das Licht anders zurück als eine vertrocknete Pflanze. Diese Spektren wollen
Geowissenschaftler nutzen, um den Zustand der Wälder, die sie auf den
Satellitenbildern sehen, noch genauer zu verstehen.
Das Team um Patrick Hostert hat vor allem Brasilien im Blick, das von Waldrodungen
besonders betroffen ist. Sie wollen eine Frage klären, die für das Weltklima so wichtig
ist: wieviel Kohlendioxid kann welcher Wald aufnehmen und speichern.
O-Ton Prof. Patrick Hostert:
Humboldt-Universität zu Berlin
"Wir leben in einer ganz tollen Zeit für Erd-Beobachtung. Das kann man jetzt schon
festhalten. Und ich denke, wenn wir sehen dass diese Daten... Das deutet sich ja
schon an: Sentinel-1 funktioniert schon, Sentinel-2 wird funktionieren, Sentinel-3
kommt bald. Wir werden sehen, dass wir ganz neue Räume erschließen können
bezüglich der Daten-Auswertung, die es so nicht gab."
In vielen Ländern arbeiten Forscher schon an neuen Analyse-Methoden. Denn die
Sentinel-Daten kann jeder kostenlos nutzen, auf der ganzen Welt.
Mindestens 15 Jahre lang sollen die Satelliten der Copernicus-Mission die Erde im
Blick behalten. Sie werden unser Bild von ihr wohl grundlegend verändern.
Copernicus – anders geschrieben zwar als der Begründer der modernen Astronomie
vor 500 Jahren. Doch der Anspruch, in Neuland vorzustoßen, ist ähnlich. Die hier
zusammensitzen, wollen „Copernicus erfolgreich nutzen“ – so der Slogan des
Nationalen Forums Fernerkundung in diesem Jahr in Berlin. Dafür ist der Chef der
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Europäischen Raumfahrtagentur ESA aus seiner Zentrale in Paris angereist. Und hat
in einer Kaffeepause kurz Zeit für uns.
Frage:
Sie mahnen einen Paradigmenwechsel in der Raumfahrt an. Können Sie mal
beschreiben, was meinen Sie damit - und warum.
Antwort:
Wir beobachten ja derzeit, dass die Raumfahrt sich massiv verändert. Vor 50 Jahren
war Raumfahrt insbesondere geprägt durch nationale Eitelkeiten, durch
Prestigedenken zwischen den Großmächten. Danach kam eine Öffnung der
Raumfahrt, heute ist Raumfahrt allgegenwärtig. Manchmal denke ich, vielleicht sollten
wir alle Satelliten mal für einen Tag abstellen, dann würden die Menschen erst merken,
wie weit wir mittlerweile von dieser Infrastruktur abhängen. Navigation,
Kommunikation, Erdbeobachtung, Wetternachrichten usw., all das hängt von der
Raumfahrt ab.
Frage:
Wir wissen ja schon unglaublich viel über den Zustand der Erde, wie beschädigt sie
ist. Und wenn ich dann auf das Handeln schaue, da klafft eine riesengroße Lücke. Wo
sehen Sie die Ursachen, warum wird so wenig getan, dieses Wissen umzusetzen?
Antwort:
Das ist eine total politische Frage, die Sie stellen, die ist natürlich nicht in meinem
Verantwortungsbereich. Was ich tun kann, und das tue ich gern und weise darauf hin,
dass wir mit den Daten aus dem Weltraum und Daten aus dem Boden den
Entscheidungsträgern in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Politik und
Gesellschaft Informationen liefern. Die Entscheidungen müssen dann dort gefällt
werden.
Frage:
Was wünschen Sie sich?
Antwort:
Ganz einfach, dass die Politik zuhört und zuschaut, was wir machen und dann auch
die Entscheidungen trifft. Es geht nicht nur um unser lächerliches Leben von 60, 70,
80 Jahren, sondern es geht hier wirklich um den Erhalt der Erde als Lebensgrundlage
für die Gesellschaft.“
Schon die alten Griechen träumten vom Blick aus luftigen Höhen. Der weise Sokrates
sinnierte:
"Wenn wir uns hoch über die Erde erheben könnten, würden wir die Welt, in der wir
leben, besser verstehen."
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Ikarus versuchte es, der Sage nach. Und stürzte ab. Mehr als zwei Tausend Jahre
mussten vergehen, bis die notwendigen Technologien erfunden waren.
Der Forscher Ernst Wandersleb startete 1905 nicht nur seine erste Ballonfahrt, er
konstruierte auch Geräte, um die Erde von oben festzuhalten. Das eröffnete ganz neue
Perspektiven, weitete den Horizont.
Die Dampfschiff-Haltestelle Niederlommatsch an der Elbe. Radial angelegte Gehöfte
und Felder bei Baruth. Einmal die Erde wie ein fliegender Vogel sehen - ein
Hofapotheker im Taunus machte es möglich. Entwickelte leichte Miniatur-Kameras.
Und ließ seine Brieftauben damit in die Lüfte starten. Auf einem berühmten Foto sind
am Rand sogar die Flügelspitzen zu sehen. Das Militär nutzte Tauben zur LuftAufklärung.
Mit Flugzeugen dann wurde es systematischer. In den 1930 Jahren gab es die Idee,
topografische Karten durch Luftbilder zu ergänzen, die viel genauer waren.
Mit dem Start von Sputnik 1 begann 1957 das Zeitalter der Raumfahrt. Der kleine
Satellit hatte zwei Funksender an Bord. Schickte damit piepsende Signale hinunter zur
Erde. Rund zehn Jahre später konnte die Menschheit das erste Farbfoto der gesamten
Erde bestaunen. Aufgenommen von einem amerikanischen Wetter-Satelliten.
Zum Ende des 20. Jahrhunderts erkundeten die ersten Erdbeobachtungs-Satelliten
aus Europa den Planeten. Mit Messtechnik für verschiedene Spektren des Lichts und
mit Radar. Ein Schwerpunkt ihrer Mission: die Ozeane. Die ERS-Satelliten nahmen die
globalen Meeresströme ins Visier und sammelten Daten zum Klima-Phänomen El
Nino.
Einer der Satelliten hatte ein neu entwickeltes Spektrometer an Bord. Damit
untersuchte er auch die Atmosphäre der Erde und konnte zeigen, wie sich die
Ozonschicht, die die Erde vor schädlichen UV-Strahlen der Sonne schützt, über einen
Zeitraum von mehr als 10 Jahren verändert hat. Gut sichtbar: Das Ozonloch am
Südpol.
Das Jahr 2000. Radar-Sensoren an einem langen Mast, festgemacht an einer
amerikanischen Raumfähre. Die Radar-Augen sahen die Erde aus zwei Richtungen.
Das erste globale Gelände-Modell der Erd-Oberfläche konnte berechnet werden.
Immer neue Missionen folgten. Längst haben Satelliten rund um die Uhr jeden Winkel
der Erde im Visier.
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Wir sind im Wintergetreide. Auf einem Testfeld des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt, auf dem viele mitackern. Auch Satelliten. Es liegt bei Demmin in
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Mecklenburg-Vorpommern, mit typischer Vegetation für die nordostdeutsche
Tiefebene.
Sie hat alles im Blick, von der Erde bis weit in den Himmel hinauf.
Einmal im Monat schweben Wissenschaftler von der TU Berlin und vom
Geoforschungszentrum Potsdam mit ihren Geräten über die Landschaft. Durch
Lichtreflektion misst ein Sensor, wie dicht die Blätter stehen. Wieviel Blattgrün und
Feuchte in ihnen stecken. Alle anderthalb Meter eine Messung und ein spezielles Foto.
Die Ergebnisse werden später mit Flugzeug- und Satellitendaten verglichen. Das
große Ziel: Herauszufinden, wie Pflanzen mit neuen Umweltbedingungen klarkommen.
Wie sich zum Beispiel der Wald durch den Klimawandel verändert. Wie gut der
Waldboden noch Kohlendioxid speichern kann, wenn es wärmer wird.
Ein einzigartiges, natürliches Laboratorium, zu dem auch viele Ackerflächen gehören.
30 mal 30 Kilometer ist das Forschungsgebiet groß. 15 Jahre lang soll es beobachtet
werden, so umfassend gab es das noch nie. Was wächst auf welchem Boden – und
wie gut?
Es ist eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Gegenden Deutschlands.
Sie messen immer dann, wenn „ihre“ Satelliten drüberfliegen.
O-Ton Dr. Sibylle Itzerott:
„Eines unserer Satellitensysteme, TerraSAR-X und TanDEM-X, die wir auswerten,
kommt alle elf Tage vorbei und macht eine Aufnahme. Damit wir sehen können oder
vergleichen können, was tatsächlich am Boden für Verhältnisse geherrscht haben zu
dem Zeitpunkt, machen wir alle elf Tage auch tatsächlich so eine Aufnahme von
verschiedenen Ackerstandorten am Boden, das sind 25 Standorte. Und wir messen
eigentlich alles, was den Standort charakterisiert.“
Um genau zu verstehen, was hier passiert, braucht es unterschiedlichste Daten. Selbst
aus dem Untergrund. Sensoren für Bodenfeuchte kommen fünf Meter tief in
die Erde.
O-Ton Dr. Sibylle Itzerott:
„Die Klimaprognosen sagen ja, dass insbesondere in den Sommermonaten weniger
Niederschlag fallen wird. Das bedeutet auch, dass den Pflanzen zum Wachstum
weniger Wasser zur Verfügung steht. Deshalb setzt unser Bodenmessnetz da an,
übers ganze Jahr die Bodenfeuchte unter den Ackerkulturen zu beobachten. Und dann
in 10 Jahren zu sehen, da hat sich was verändert.“
Die Drohne erweitert den lokalen Blick. Hier auf einen einstmals trockengelegtes Moor,
das wieder vernässt wurde. Entsteht ein neues Feuchtgebiet, kann es auch wieder
Kohlendioxid speichern. Eine Senke, wie die Fachleute sagen.
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Messungen auch auf dem Wasser.
Noch entweicht der Landschaft viel klimaschädliches Methan. Auch nach solchen
Quellen für Treibhausgabe suchen die Forscher. Das ist wichtig, um gegensteuern zu
können.
O-Ton Dr. Sibylle Itzerott:
„Wenn wir regionale Klimamodelle, europäische Klimamodelle betreiben wollen, dann
müssen wir eigentlich Informationen über gesamte Flächen bekommen. Das heißt, es
reicht nicht, wenn wir an einzelnen Punkten Biomasse messen, an einzelnen Punkten
Bodentemperaturen, Bodenfeuchte messen. Sondern wir müssen versuchen, diese
Flächeninformationen durch Fernerkundungsdaten in das Modell einzubringen.“
Im Geoforschungszentrum in Potsdam vergleichen sie dann ihre Daten mit denen der
Satelliten.
O-Ton:
„Die Änderung der organische Bodensubstanz sieht man. Ja an diesem anderen Bild,
das sieht wirklich interessant aus.“
Falschfarbenbilder zeigen die Vegetation sehr genau: vom Sumpf. Vom Wald. Den
Äckern
O-Ton:
„Wenn man also Zeitreihen dieser Satellitenbilder verwendet, dann kriegt man eine
dichte Folge von Änderungen dargestellt, die man dann tatsächlich auch in den
Modellen zur regionalen Klimaentwicklung benutzen muss.“
Zeitreihen über Monate und Jahre. Damit die Prognosen genauer werden. Und dann
gibt`s auch noch Überflüge - wie hier vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt,
mit neuester Sensortechnik an Bord. Die Bilder aus Flugzeug-Höhe sind sozusagen
das Verbindungsstück zwischen den Daten vom Boden und denen aus dem All. Aus
den abgeflogenen Streifen wird ein Bild der ganzen Landschaft zusammengebaut.
Reichlich Wissen über die sich wandelnde Natur.
Wenn Jörg Brauchle unterm Flugzeug liegt, ist es mal wieder soweit: ein Kameratest
steht an. Hier ist es die Tumblecam, eine kleine Leichte, die Purzelbäume schlagen
kann, sich in alle möglichen Richtungen dreht. Kameras für sehr spezielle Aufgaben
entwickelt sein Team – die manchmal recht anstrengend und auch schon mal sehr
extrem sind. Diese Kamera muss in die Unterdruckkammer, wo sonst Satelliten
getestet werden. Noch in dünner Luft in neun Kilometer Höhe soll sie fotografieren, bei
minus 35 Grad.
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Die jungen Männer hatten von Forschungsflügen mit einem Motorsegler im Himalaya
gehört. Eine einmalige Chance, das Gebirge hochgenau fotografisch zu vermessen.
In nur einem Jahr entwickelten sie dafür eine Kamera.
Im Januar 2014 ist es soweit. Projektleiter Jörg Brauchle montiert die Spezialkamera
unter den Tragflügel des Motorseglers. Sie muss nicht nur extreme
Umweltbedingungen verkraften, sondern auch extreme Lichtverhältnisse: ständiges
Wechseln von Schnee, Sonne und Schatten.
Vom nepalesischen Flughafen Pokhara geht‘s zum Dach der Welt.
O-Ton Jörg Brauchle:
„Die Anspannung ist enorm. Ich hoffe, dass sie mit Bildern wieder landen.“
Der Mount Everest. Der höchste Berg der Erde. Kleine Videokameras, am Flugzeug
festgemacht, liefern einzigartige Aufnahmen. Doch ihre Spezialkamera soll mehr:
Automatisch schießen die Kameraköpfe in schneller Folge Bilder. Die Köpfe sind
geneigt. So können sie einen Punkt aus verschiedenen Perspektiven aufnehmen.
Sichtbereich - 120 Grad. Wichtig, um steile Hangstrukturen gut einzufangen.
Der Gebirgszug wird Streifen für Streifen überflogen. Die Flugroute können die Piloten
sehen. Doch ob die Kamera richtig arbeitet, werden sie erst nach der Landung wissen.
O-Ton Jörg Brauchle:
„Ich kann es kaum erwarten, draufzuschauen auf die Bilder, denn wenn die was
geworden sind, dann ist das der Wahnsinn.“
Dann die Gewissheit: Es hat funktioniert. Hochaufgelöste Bilder vom Mount Everest.
Daraus sollen in Berlin dreidimensionale Modelle werden:
Dutzend Mal sind sie geflogen. Auch über dem Seti-Tal, das zu den unzugänglichsten
und gefährlichsten Gebieten der Erde gehört. Immer wieder brechen Hänge ab,
überfluten Gletscherseen. Geländemodelle könnten helfen, Risiken zu erkennen. Bei
ihrer Abreise haben sie einen ungeheuren Datenschatz im Gepäck: 350-tausend Bilder
von der Himalaya-Region. Doch erst hier in Berlin- Adlershof entscheidet sich, ob sich
daraus exakte Modelle berechnen lassen. Aus unzähligen überlappenden
Einzelbildern entsteht eine dreidimensionale Oberflächenform.
Der Khumbu-Gletscher am Mount Everest. Der Gipfel.
Deutlich zu erkennen – der Unterschied zwischen Satellitenbild und Luftbild.
O-Ton Jörg Brauchle:
„Satelliten sind heute in der Lage 30 bis 40 Zentimeter am Boden aufzulösen. Wir sind
direkt in das Gelände geflogen und haben eine Auflösung von ungefähr 10 bis 20
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Zentimetern. Das bedeutet, dass wir viel detaillierter auflösen können. Und können
sehr gut erkennen, wo ist die Grenze zwischen Gletscher und Berg. Das bedeutet,
dass wir auch mit den Schrägblicken auf die Hänge andere geologische
Untersuchungen vollführen können, als es wir bisher in der Lage waren.“
Noch mitten in der Auswertung wird Nepal von einem gewaltigen Erdbeben erschüttert.
Besonders betroffen – die Hauptstadt Kathmandu. Auch dort waren sie als Test kurz
geflogen. Wollten wissen, ob sich die Kamera auch für historische Stadtgebiete eignet,
mit vielen Weltkulturerbe-Stätten wie Tempeln. Nun werden diese nebenbei
gemachten Bilder zur konkreten Hilfe.
O-Ton Jörg Brauchle:
„Als wir von dem Erdbeben erfahren haben, war für uns klar, dass wir diese Daten
anbieten den deutschen Katastrophenschutzbehörden, weil wir wussten, dass es solch
einen Datensatz in dieser Region noch nicht gibt.“
Schnell wurden solche Karten daraus. Die Infrastruktur vor dem Beben. Damit konnten
sich Technisches Hilfewerk und Rotes Kreuz besser in den Trümmern orientieren.
Flussläufe für die Wasserentnahme, Verbindungsstraßen, Krankenhäuser,
Feuerwehren leichter finden.
O-Ton Jörg Brauchle:
„In Kathmandu konnten wir zeigen, dass unsere Daten tatsächlich im praktischen
Einsatz innerhalb kürzester Zeit genutzt werden können.“
Aber auch der Forschung könnten sie helfen. Im Wissenschaftszentrum der HimalayaAnrainerstaaten ist man sehr an den Bildern interessiert. Durch weitere Befliegungen
ließe sich genau ermitteln, wie schnell die Gletscher schmelzen.
Bisher wird hier am Boden gemessen und Langzeitbeobachtungen gibt es kaum. Seit
Jahren erforschen sie im nepalesischen Seti-Tal die gefährlichen Erdbewegungen. Es
ist mühsam, und viele Gebiete sind für Menschen unzugänglich. Flugzeuge mit der
Luftbildkamera könnten sie erkunden. Und Piloten könnten durchs Himalaya-Modell
fliegen. Im Flugsimulator Rettungsflüge trainieren. Doch bis heute sind das alles nur
Visionen.
O-Ton Jörg Brauchle:
„Es ist teilweise schwierig, eine ganz neue Technologie so kund zu tun, dass es sich
rumspricht, dass sie tatsächlich einsatztauglich ist, mit überschaubarem Aufwand. Das
braucht manchmal Zeit.“
Schon tüfteln sie am nächsten Prototyp. Für den Einsatz überm Meer. Die Bilder sollen
erstmals in Echtzeit übermittelt werden. So könnte man Umweltverschmutzungen, wie
Ölteppiche rechtzeitig erkennen.
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Kommen noch Satelliten dazu, wäre das die ideale Kombination: großflächig, zeitnah
und äußerst genau unseren Blauen Planeten im Blick zu haben.
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