Bauzeichen verraten Baumeister - Histoire Urbaine

Dr Robert L. PHILIPPART
Das „Tiirmchen“ mit der Inschrift „Mir wëlle bleiwe wat
mir sin“, die „Gëlle Frau“, die Adolf-Brücke sowie die
Philharmonie gehören zu beliebtesten Fotomotiven ausländischer Besucher. Eine Stadt ist Zeichen ihrer Gesellschaft und sozialen Ordnung. Sie ist nicht nur Markt, sie
ist auch Ausdruck von Macht und Sehnsüchten. Jeder
Straßenzug bildet einen Satz, jedes Haus einen Buchstaben. Die folgenden Seiten erlauben nur einen sehr kurzen Einblick in dieses Thema und begrenzen sich auf das
ausgehende 19. Jahrhundert bis hin zur Entwicklung der
Moderne.
Auswischen von Zeichen?
Welche Zeichen wollte man zur Zeit der Schleifung der
Festung Luxemburg setzen? Von Auswischen zu neuer
„mise en scène“ reicht die Palette mit dem Umgang des
historischen Militärerbe.
Einerseits handelte es sich um eine moderne Festung an
deren Ausbau noch im Mai 1867 gearbeitet worden
war. Andererseits erinnerte sie an eine fremde Garnison.
Ein politisch neutrales Land durfte nicht über eine kriegerische Festungsanlage verfügen. Festungsmauern, welche
die Oberstadt tragen, konnten aus statischen Überlegungen heraus nicht abgerissen werden. Festungswälle wurden zu Promenaden, Bastione (Beck/Jost) zu Panoramaterrassen umgestaltet.
Gebäude die eine neue Funktion aufnehmen konnten blieben weitgehend erhalten. Zeugen historischer Bauperioden, insofern sie keinen kriegerischen Charakter aufwiesen, wurden zu „Landmarks“ hergerichtet. Sie sollten auf
Dauer auf die historischen Grenzen zwischen städtischem
und ländlichem Raum hinweisen. Festungswerke wurden
teilweise zu künstlichen Ruinen verstümmelt (Bock/Türme
Rue des Capucins
Bauzeichen
verraten Baumeister
am Rahmplateau, Verlorenkost). Dieser Eingriff, sollte zeigen, dass der „Zahn der Zeit“ daran genagt habe, dass
man mit Distanz auf die Vergangenheit zurückblicken
könne. Bäume wurden entlang der Festungsmauern im
Petrussthal gepflanzt, denn man wollte die „vilains murs“
durch eine Begrünung der Stadt verstecken.
Zeichen der Macht
Die Ständeordnung des Ancien Régime regelte klar
Machtpositionen. Wappen in Bleiglas-Fenstern oder als
Ornament auf Fassaden ließen den Besitzer und seine
Machtstellung klar erkennen. Doch die Französische
Revolution beendete diese Gesellschaftsordnung. Wappen wurden von Hausgiebeln entfernt, zugemauert oder
„abgekratzt“, wie es das Beispiel auf N°18 rue de l’Eau
zeigt. Auch bei Umbauarbeiten waren Wappen zugemauert worden, wie es die freigelegten Wappen auf
N°8 in der Wiltheimstraße zeigen. Auch die Symbole
der Zünfte waren aus dem öffentlichen Raum verbannt.
Das 19. Jahrhundert erinnerte sich an diese vergangenen
Zeiten. In Goldbuchstaben sind auf den Säulen des „Couloir du Roi“ im Palais grand-ducal (1890) die Namen
von 155 Persönlichkeiten, welche Luxemburg im Ancien
Régime im Ständehaus vertraten, eingetragen. Sie sind
neben weiteren Darstellungen zahlreicher Adels- und Abtwappen auf Wandgemälden und in Bleiglasfenstern relevant für diese „mémoire collective“ die das ausgehende
19. Jahrhundert förderte. Interessant sind ebenfalls die
Darstellung (1907) am Cercle/Cité der Überreichung
des Freiheitsbriefes an die Stadt Luxemburg durch Gräfin
Ermesinde (1244) sowie die historischen und heutigen
Stadtwappen. Doch auch wirtschaftliche Macht findet
ihren Ausdruck an Gebäuden. Industrie und Handelssymbole, sowie die Darstellung der Landwirtschaft schmücken das Postgebäude am Piquet. Moderne Trophäen
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greifen am ARBED-Palast Symbole der Industrie, des Handels und des Bergbaus auf. Diese Zeichen verdeutlichen
die Funktion des Gebäudes. Auch die Fruchtbarkeit der
Landwirtschaft wird am Pavillon grand-ducal des Bahnhofsgebäudes dargestellt.
Unter deinem Schutz und Schirm
Ecke Avenue de la Liberté / rue Goethe
Abgeordnetenkammer
Doch Macht, Pracht oder Eitelkeit stellen keineswegs die
einzige Dynamik zur Schaffung von Bauzeichen dar. Pestpfeile an den Häusern N°10 Rue du Nord, Haus N°1416, Rue de la Boucherie und N°35 Grand‘ Rue sollten
die Bewohner vor dieser Seuche beschützen. Die Steinklammern am Lentzeneck lassen die Buchstaben „JMJ“
erkennen. Die Bewohner stellten sich damit unter den
Schutz der Heilgien Familie (Josef, Maria, Jesus). Auch
Schutzherren haben ihren Platz an der Fassade. Das Redemptoristen-Kloster ziert eine Statue des Ordensgründers,
der Heilige Alfons von Ligurien (Ecke Rue des Capucins/
Rue Beaumont). Übrigens, die Eckstellung ist keineswegs
unbedacht ausgewählt. Sie zieht die Blicke aus gleich
zwei Winkeln auf sich. Oben auf der Liste der Heiligen,
welche auch Bürgerhäuser zieren, steht die Trösterin der
Betrübten. Am Forum Royal steht eine Kopie der Figur,
welche einst zur Stadtseite am Neu Tor angebracht war.
Sie grüßte die Pilger in Richtung der ehemaligen Pilgerstätte auf Glacis. Als das Neu-Tor im Rahmen der Schleifungsarbeiten abgetragen wurde, ergriffen Bürger die Initiative, ein „Edicule Notre Dame“ an der Rue des Bains/
Avenue de la Porte Neuve zu errichten. Es handelte sich
dabei um ein rein privates Unternehmen, bei dem der
Besitzer des Eckhauses den zur Straße gerichteten abgekuppelten Giebel für das Denkmal 1876, zur Verfügung
stellte. Das Standbild der Trösterin grüßte nunmehr die
Pilger in Richtung Kathedrale. 1975 musste das Eckhaus
samt Denkmal einem Neubau weichen. Auf Initiative des
Verlegers François Mersch und im Einverständnis mit dem
Architekten Paul Retter, sowie der Gemeindeverantwortlichen, wurde das „Muttergottes Portique“ am Forum geschaffen. Staatsarchitekt Charles Arendt, hatte 1874/75
die Diskussionen um den Abriss des Neu Tors verfolgt.
1875 baute er eine Muttergottesstatue, die er 1862 zur
Krönung des Prinz Heinrich Tors entworfen hatte, an die
Ecke seines Wohnhauses am Boulevard Royal/Avenue
Marie-Thérèse ein. Auch sie sollte die Besucher der Stadt
als Schutzpatronin empfangen. Auf Initiative des „Service
des Sites et Monuments Nationaux” ist dieses Standbild
bis heute, wenn auch in einem bereits umgestalteten Neubau, erhalten geblieben.
Am Boulevard Roosevelt schauen die Statuen der HL Augustinus und Pierre Fourier, Begründer und Reformator
der „Congrégation Notre Dame“ auf die Passanten. Hier
befand sich einst die „Ecole Sainte Sophie“.
Interessant ist dabei, dass diese Heiligen-Darstellungen
nur in Ausnahmefällen auf die Zeit vor der Französischen
Revolution zurückführen. Damals waren die meisten re-
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ligiösen Symbole aus dem öffentlichen Raum entfernt
worden. Mehrere Statuen waren versteckt oder überdeckt worden, und wurden erst Jahrzehnte später wieder
aufgestellt. Spuren dieser Zeit des Umbruchs zeigt das
noch heute verstümmelte Ordenswappen am Portal der
Kongregationskirche (protestantischer Tempel), welche zu
einer Lagerhalle und dann zu einem Theaterhaus umfunktioniert worden war. In Folge des Konkordats war ein
öffentliches Ausleben religiöser Überzeugungen erneut
möglich geworden. Dies erklärt die „Renaissance“ der
Heiligen-Darstellungen im öffentlichen Raum. Man beachte ihre überdimensionale Größe für den Betrachter.
Doch auch heidnische Gottheiten haben Anspruch auf
Darstellung. Merkur und Fortuna beschirmen die Kunden
der „Staatssparkasse“ an der Place de Metz. Die Büste
Merkurs schmückt den Haupteingang des ehemaligen
BIL-Hauptsitzes am Boulevard Royal (heute Banque Centrale). Bacchus grüßt die Kunden eines Geschäftshauses
an der Kreuzung Rue de Bonnevoie/Avenue de la Gare.
Sternzeichen zieren die Uhr am Giebel des Postgebäudes (Rue Aldringen). Venus ziert zusammen mit Merkur,
dem Schutzherrn von Handel und Industrie, den Garten
des ehemaligen Wohnhauses des Architekten Mathias
Martin (Av. Gaston Diderich). Zu den sehenswertesten
Darstellungen gehört die Krönung Merkurs durch Viktoria
am Tympanon des ARBED-Palastes. Weltkugeln in Bronze
deuten auf die internationale Bedeutung des ehemaligen
ARBED-Konzerns hin (BCEE, Avenue de la Liberté).
Der Staat und die Stadt als Garant
für Erfolg und Wohlstand
Spannend wird die Frage des „Zeichens“ bei Vereinen
oder staatlicher Verwaltungen. Die Fassade des katholischen Volkshauses (Boulevard Royal/Avenue Emile
Reuter) zierte eine Herz-Jesu Darstellung. Die Société du
Casino (heute Casino, forum d’art contemporain) hatte
mehrheitlich Unternehmer und Rechtsexperten vereinigt.
Die Fassade des Gebäudes zeigt klar den Anspruch dieser Aktiengesellschaft: der Staat dient als Garant für Erfolg und Wohlstand. Die Fassade zur Seite des Bd Roosevelt zeigt eine Darstellung des Staatswappens umgeben
von den Symbolen der Siegespalme und der Fruchtgirlande. Das Portal des ehemaligen Gerichtshofs zeigt ein
sehr ähnliches Motiv. Eine längere Auseinandersetzung
zur Auswahl der Symbolik am Abgeordnetenhaus hatte
stattgefunden. Engel, als Boten zwischen Himmel und
Erde, tragen die Gesetzesrolle, die Staatskrone das Füllhorn als Zeichen des Wohlstands.
Doch auch Büsten hochgestellter Persönlichkeiten finden
ihren Platz an Gebäuden. Die Darstellung der luxemburger Kaiser, Grafen, des Prinz-Leutnant Heinrich der
Niederlande und seiner Frau Amalia, des König-Großherzogs Wilhelm III zieren die Hauptfassade des Bahnhofgebäudes. Hinzu kommen politische Persönlichkeiten,
welche sich für den Bau der Eisenbahn in Luxemburg
eingesetzt hatten. Attribute der Regierungsmacht und der
Gerichtbarkeit rahmen das Staatswappen am Giebel der
Schalterhalle. Als Erinnerung an Luxemburgs Existenz im
Mittelalter wurden im Hof des großherzoglichen Palais,
die Helme mit den Wahlsprüchen Heinrichs VII und Johann des Blinden abgebildet. Die im 19. Jhdt gewonnene
Unabhängigkeit wurde mit den mittelalterlichen Freiheiten gleichgestellt. Doch auch an Gräfin Ermesinde und an
Peter Ernest von Mansfeld, Gouverneur von Luxemburg,
wird erinnert. Die Existenz des „neuen“ Luxemburgs sollte
somit historisch berechtigt werden.
Natur, Eitelkeit und Schönheit
Aber auch die Erbauer zeigen sich gern, wie die Büste
Alexander Rüdells am Bahnhofsgebäude belegt. Bereits
Adam Roberti, der „Baumeister“ des ehemaligen Stadthauses (1572, heute Palais grand-ducal) hatte sein Antlitz diskret in die Fassade eingefügt!
Bahnhofsvorsteher Josef Junck ist am Verwaltungstrakt
des Bahnhofsgebäudes dargestellt. Er trägt diskret hinter dem rechten Ohr das Abzeichen der Freimaurerloge,
dessen Großmeister er war. Menschliche Schönheit dient
ebenfalls als Schmuck. Der ideelle Mensch in Stein, meist
weiblich, grüßt die Passanten in der Grand-Rue, an der
Ecke Rue Origer/ Place de Paris, Rue Michel Welter, am
Haus „Steckeisen“, um nur diese zu nennen.
Jugendstil greift wohl auf weibliche Motive zurück, doch
bringt er die Natur als Hauptmotiv ins Spiel. Dabei werden Pflanzen aus der Heimat gegenüber der üblichen mediterranen und antiken Welt gerne dargestellt. So auch
an dem mit Kastanienblättern geschmückten Portique des
Cercle/Cité am Place d’Armes.
Streng und geradlinig: Die Fassaden des 19. Jahrhunderts wirken „ordentlich“. Regelmäßig angelegt mussten
sie sein, um Licht und Luft in die Stadt hineinzulassen. Vorund Rücksprünge an Fassaden waren aufs strengste geregelt. Jede Schmutzecke sollte vermieden werden. Sauber
wohnen war die Devise im Zeitalter der Wasserleitung
und des Abwasserkanals.
Denkmäler verraten ihre Lobbyisten
Denkmäler sind sehr starke Zeichen. Man stelle sich die
Frage, wer eigentlich Recht auf ein eigenes öffentliches
Denkmal hat, oder wer nur stolz darauf sein darf, einer
Straße seinen Namen gegeben zu haben. Oder genügt
ein von Freunden errichtetes Denkmal im Stadtpark oder
am Friedhof? Denkmäler haben wohl öffentlichen Anspruch, doch stellen sie nur die Macht, Werte und Interessen der Projektträger dar. Der Anspruch auf „national“,
gilt in dem Sinne, dass auf Landesebene Geld von einem
Vorstand für das Projekt gesammelt wurde. Mit „Amalia“ im Stadtpark und der Einweihung des „Edicule Not-
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re Dame“ 1876 huldigte Luxemburg gleich zwei Frauen. Männer erhielten Denkmäler erst im Nachhinein. In
Frankreich sprach man Ende des 19. Jahrhunderts von einer „Statuomanie“. Das Interesse für historische und kulturelle Persönlichkeiten diente der Stadtverschönerung, und
zielte meist auf eine Aufwertung der anliegenden Grundstücke. Das Stadtdenkmal entspricht einem neuen Lebensstil und kennzeichnet die offene Stadt. „Amalia“ und
„Willhem II“ (1884) kann man auch als „akademische“
Denkmäler bezeichnen. Das über den Wahlzensus gewählte Bürgertum entschied sich die neugeschichtlichen
Herrscher als Garant für Luxemburgs Unabhängigkeit zu
feiern. Gemein ist beiden Denkmälern, dass sie von international angesehenen Künstlern geschaffen worden sind.
Man sieht sich in Verbindung mit ähnlichen Darstellungen
im Ausland. Beim „Dicks/Lentz-Denkmal (1903) ist dies
ganz anders: Hier geht es nicht nur um die beiden Dichter,
Edmond de la Fontaine und Michel Lentz, sondern um die
Luxemburger Sprache, die zunehmend auch die Sprache
der Abgeordneten werden sollte. Der Anspruch auf mehr
Demokratie ist bei der Ausrichtung des Denkmals nicht
zu leugnen. Es wurde, entgegen der Fürstendenkmäler,
von einem luxemburgischen Architekten geschaffen, von
einem luxemburgischen Bildhauer verwirklicht und in
Luxemburger Stein gefasst. 1897 hatte der Unternehmer
Léon Conrot den Eckturm seines Hauses am Krautmarkt
mit Versen der „Hémecht“ und des „Feierwon“ sowie mit
dem Nationalwappen verziert. Bilden Staat und Sprache
eine Einheit, oder ist es ein Augenzwinkern an Carl
Mathias Spoo der 1896 den Abgeordneten-Eid in Luxemburger Sprache geleistet hatte? Schließlich steht Conrots
Bau in der Fluchtlinie des Hohen Hauses.
Der Erde entsprungen
Staatsminister Paul Eyschen setzt sich konsequent für den
Rückgriff auf Luxemburger Baumaterial bei öffentlichen
Bauten ein. Der ehemalige Staatsarchitekt, Sosthène
Weis, huldigt seinem Einsatz mit einem Grabmal in Ernzener Stein.
Dass die Adolf-Brücke das Identitätsbewusstsein der Luxemburger tief prägt, kommt nicht von ungefähr. Es geht
hier nicht allein um technisches Können. Die Brücke musste „sentir le terroir“, sozusagen natürlich dem Boden entsprießen. Dafür wurde auf Baumaterial aus Luxemburger
Steinbrüchen zurückgegriffen. Doch das genügte nicht.
1895 hatten die Rümelinger Brasseur Lambert & Cie
Zementwerke, Eyschen eine künstliche Grotte aus Beton
geschenkt. Ihm war nun klar, dass dieses moderne Baumaterial auch ein Zeichen eines modernen Luxemburgs
ist. Es musste seinen Platz in diesem Bauwerk erhalten.
Eyschen hatte zudem begriffen, dass Luxemburgs Mittelklasse nur Zukunft hat, wenn sie sich weiterbildet, sich
den Errungenschaften der Technik stellt und selbst Verantwortung übernimmt. So fordert er die Schüler der von ihm
gegründeten Handwerkerschule dazu auf, die Motive der
Skulpturen an der Brücke zu entwerfen. Er wird dies auch
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beim Bau des Postgebäudes am Piquet verlangen. Der
Luxemburger stellt nicht nur sein Können unter Beweis, er
zeigt auch seine Kreativität.
Luxemburgs Stahlproduktion bleibt dabei nicht Außen
vor. Wohl verzichtet man auf die Vorschläge Paul Wurths
und des Omnium immobilier eine Stahlbrücke über das
Petrusstal zu errichten. Stolz ist man auf das 1913 eröffnete „Nouveau Paris“, dieses Großwarenhaus, welches
bereits mit den „Galeries Lafayette“ zusammenarbeitete.
Ein Stahlkorsett erlaubt es nahezu gänzlich auf eine Fassade und Zwischenwände zu verzichten, um Auslagefenster zu schaffen.
Modern oder konservativ?
Beachtenswert ist, dass der Jugenstil sich in zentralstem
Raum frei entfalten durfte (Rue du Curé, Grand’Rue, uvm),
wobei beim Wiederaufbau in Flandern nach dem ersten
Weltkrieg Jugendstil in Zentrumslagen untersagt war. Luxemburgs Badeanstalt wird vom Experten August Oslender als „prouesse technique“ bezeichnet. Luxemburg war
offen für neue Erfahrungen.
Sozial und funktional getrennt
Welcher wirtschaftliche Sinn gilt den inzwischen wertlosen Militärbrachen? Diese Herausforderung erforderte
eine Aufteilung des Stadtgebiets in Zonen: eine Wohnzone für das mittlere Geschäfts- und Industriebürgertum
in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof (Rechts und links
der Avenue de la Gare), Villenviertel für Aktienbesitzer
großer Unternehmer, welche ihren Sitz in der Hauptstadt
hatten, Areale welche Unternehmen als „Leuchttürme der
Wirtschaft“ aufnehmen konnten. Diese Verwaltungssitze
sollten ertragskräftige Einwohner anziehen, welche den
lokalen Handel stärkten, aber nicht mit ihm in Konkurrenz
traten. Der Staat als Eigentümer der Militärbrachen und
als Gesetzgeber verfügt hier über große Machtfreiheit.
Der Hauptbahnhof wird in der Achse der Avenue de la Liberté errichtet. Der Uhrturm am Bahnhofsgebäude zeigt,
dass Vernetzung und Handel mit dem Ausland Wohlstand bringen. Die gesamte Wirtschaft läuft im Zeitplan
der Uhr, bietet Arbeitszeit, Fahrzeit, Freizeit!
Die zur Stadt hingerichtete Front der Place de Paris
musste im Monumentalstil errichtet werden. Joseph Nouveau, Schüler von Victor Laloux ( Architekt z.B. der Gare
d’Orsay) hatte die Idee geliefert in „pariser Stil“ zu bauen. Die repräsentative Architektur sollte klar zeigen, dass
man den suburbanen Raum um Hollerich verlässt, und
nun den zentralen Teil der Stadt betritt.
Eyschen setzte sich dafür ein, dass die Eisenbahndirektion und die Staatssparkasse ihren Sitz am Place de Metz
erhielten. Ihre Architektur musste einen Brückenkopf schaffen. In der Abgeordnetenkammer führte er den Vergleich
Ehemaliger Justizpalast
an, der Turm der Sparkasse solle, nach dem Vorbild der
St. Michaelkirche in der Altstadt, das neue Stadtbild
beherrschen. Dabei war klar, dass Wirtschafherrschaft
Vorrang vor jeder weiterer Symbolik habe. In diesem
Sinne war es Eyschen auch gelegen, den „Jardin creux“
am Boulevard Royal aufzugeben. Hier wird die Banque
Internationale à Luxembourg ihren Sitz errichten (heute
Sitz der Banque Centrale). Zwischen diesen beiden Polen, Place de Metz und Banque Internationale wird sich
Luxemburgs Bankenplatz entwickeln. Ein persönliches
Anliegen Eyschens war die Schaffung von Sozialversicherungen. Demnach durften die „Assurances Sociales“
nicht im Stadtbild fehlen. Ein Staatsgelände entlang der
Rue Ste Zithe wurde dafür zurückbehalten.
Postgebäude, rue de la Poste
Gibt es nun einen typisch luxemburgischen Baustil? Im
Zeitalter des Historismus beschäftigte diese Frage die
Gesellschaft sehr stark. Zusammenfassend sei gesagt,
dass die Überzeugung getragen wurde, jede Funktion
definiere ihren eigenen Baustil. Ausländische Experten
wurden nach Luxemburg berufen um öffentliche Projekte zu begutachten oder gar Projekte einzureichen. Die
allermeisten luxemburgischen Architekten der Jahre
1850 bis 1920 hatten sowohl in einem deutschsprachigen als auch in einem französischsprachigen Land
studiert. Modellbücher und Architekturmagazine waren
im Umlauf. Ludwig Levy hatte den Bau der Synagoge
entworfen, Charles Arendt führte das Projekt aus. Der
ebenfalls deutsche Architekt Alexander Rüdell hatte den
luxemburgischen Architekten Nicolas Petit damit beauftragt, den Bau des Bahnhofsgebäudes zu beaufsichtigen.
Sosthène Weis als Chefarchitekt der ARBED stand dem
französischen Architekten René Théry beim Bau des Sitzes dieses Unternehmens zur Seite. Bauträger wie auch
Architekten, Ingenieure oder Abgeordnete waren viel gereist, verfügten über private Bildaufnahmen. Studienreisen ins Ausland wurden für größere Projekte organisiert
(Postgebäude, Laboratoire, Aldringenschule, Fondation
Pescatore, uvm). Man besuchte internationale Messen.
Als „Weltenbürger“ wollte man „internationale“ Architektur umsetzen. Dieser Ansicht traten Charles Arendt und
Antoine Hirsch entschieden entgegen. Ersterer forschte
nach dem „altluxemburger” Haus, wobei der Direktor
der Handwerkschule sich um „ Bau- und Wohnprobleme
der Gegenwart“ sorgte, und sich Häuser für mittelständisches Bürgertum wünschte, welche dem Klima, der Geschichte, der Bodenbeschaffenheit entsprechen, welche
auf lokale Baumaterialien zurückgreifen. Handwerkliche
Kunst stellte sich austauschbarer Baukultur mit industriellem Charakter entgegen. Die ersten Siedlungen in Belair
oder Limpertsberg sind bis heute Zeichen diese Suche
nach dem eigentlichen „Heimathaus“.
Ehemaliger Justizpalast
Luxemburger Baukultur
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Richtigstellung betreffend den Artikel von Herrn Philippart zum Thema Norddeputierte im dck 1/2015:
Herr Mathias Thinnes war Bürgermeister in Weiswampach, nicht Herr Jean-Pierre Jérôme Thinnes.
Einen Bürgermeister von Binsfeld gab es nicht.
Jean-Pierre Jérôme Thinnes gebürtig aus Binsfeld war Abgeordneter von 1891-1918.
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