MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT

Materialien für den Unterricht
«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT
2015, Junges Theater Solothurn
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Materialien für den Unterricht
«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
Würdest Du für Geld töten?
Was ist kollektives Verhalten?
Wo machen wir uns schuldig im kollektiven Verhalten?
Welche Möglichkeiten haben wir gerecht zu Leben?
LIEBE LEHRPERSONEN,
Mit dieser Mappe möchten wir Anregungen zur Vor- und Nachbereitung eines Theaterbesuchs von
„Der Besuch der alten Dame“ unterbreiten.
Die Materialsammlung ist eine dramaturgisch und theaterpädagogisch aufgearbeitete Sammlung an
Hintergrundwissen und Arbeitsangeboten vor allem für die Lehrerschaft und für ihren Unterricht. Die
Bausteine sind frei kombinierbar. Nicht alle Informationen dienen dazu detailliert an die SchülerInnen
weitergegeben zu werden. Es ist Ihnen überlassen, wie viel Sie verraten wollen und welche Übungen
Sie im Unterricht einsetzen wollen.
Bitte beachten Sie auch das Angebot des Centre Dürrenmatt in Zusammenhang mit der Aufführung
„Besuch der alten Dame“ am TOBS im Anhang.
Wir wünschen viel Spass beim Besuch der Inszenierung am Theater Orchester Biel Solothurn!
Herzliche Grüsse,
Marcel Grissmer und Isabelle Freymond
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«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
INHALT
S. 3
Kurzbeschrieb von «Der Besuch der alten Dame» .
S. 4
Zu Friedrich Dürrenmatt
S. 5
Über Tragödie und Komödie
Dürrenmatt erklärt, warum die Welt sich besser in einer Komödie spiegeln lässt und warum
auch eine solche durchaus tragisch sein kann.
S.6
?
S. 8

Mitmacher
Dürrenmatt über die verschiedenen Arten des Mitmachens und die verschiedenen Arten der
Mitmacher.
Thematische Schwerpunkte mit Diskussionsfragen
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Kollektives Verhalten → S. 8
Pluralistische Ignoranz → S. 8
Verantwortungsdiffusion → S. 9
Zuschauereffekt → S.9
Demokratie → S. 10
Schuld und Schulden → S.10
Angst und Verdrängung → S. 12
S. 14
Warm-ups für den Unterricht: Moralische Selbsteinschätzungen
S. 15
Diskussions-Rollenspiel für den Unterricht:
Claires Angebot an der Gemeindeversammlung in Güllenen
SchülerInnen begeben sich in die Positionen der Güllener Bevölkerung und müssen im
„Ich würde niemals“ und „Alles ist käuflich“: Zwei kurze Übungen für den Unterricht, in
denen die Schülerinnen und Schüler dem eigenen Verhalten in verlockenden
Extremsituationen auf den Grund gehen können.
Hinblick auf das Angebot von Claire Zachanassian Stellung beziehen.
S. 18
Zur Nachbereitung
S. 19
Fotos, Trailer, Zeitungsberichte
S. 20
Besetzung
Gesprächsimpulse und Fragen zur Reflexion über den Theaterabend.
Geeignet zur Nach- und allenfalls Vorbereitung des Theaterbesuches.
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«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
KURZBESCHRIEB VON «DER BESUCH DER ALTEN DAME»
Die Multimillionärin Claire Zachanassian, geborene Kläri Wäscher, kehrt nach Jahren im Ausland
zurück in ihre alte Heimat Güllen. Die Aufregung ist gross, denn das kleine Kaff im tiefsten Schweizer
Mittelland ist völlig abgewirtschaftet, die Fabriken sind geschlossen und es fehlt an allem.
Entsprechend hofft man auf eine grosszügig-gönnerhafte Geste des hohen Besuchs. Das mickrige
Empfangskomitee staunt schliesslich nicht schlecht, als die Zachanassian den «Rasenden Roland» per
Notbremse zum Stehen bringt, hat doch in diesem Provinznest schon seit langem kein Schnellzug
mehr angehalten.
Das freudige Staunen ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn schon bald zeigt sich der wahre Grund für
den Besuch. Claire Zachanassian sinnt nach Rache: Vor Jahrzehnten musste sie aus ihrer Heimat
fliehen, weil sie ein uneheliches Kind von Alfred Ill erwartete. Dieser leugnete damals die Vaterschaft
und gewann mit Hilfe falscher Zeugen den gegen ihn initiierten Prozess. Jetzt fordert die einstmals
Verleumdete Gerechtigkeit: Sie bietet eine Milliarde für die Ermordung von Alfred Ill – ein zutiefst
unmoralisches Angebot, dass die verarmten Güllener in ein klassisches Dilemma stürzt …
Mit dem «Besuch der alten Dame» gelang Friedrich Dürrenmatt (1921 - 1990) der internationale
Durchbruch als Dramatiker. Die tragische Komödie, die 1956 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt
wurde, ist ein bösartig-groteskes Gedankenspiel über die verführerische Macht des Geldes und die
Schwierigkeit menschlichen Handelns in einer Welt, in der alles seinen Preis hat. Es ist eine
rabenschwarze und äusserst unterhaltsame Studie über die Schwäche der «Mitmacher», bürgerliche
Moral und die Tücken der Gerechtigkeit.
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ZU FREIDRICH DÜRRENMATT
Friedrich Dürrenmatt wurde am 5. Januar 1921 in Konolfingen im Emmental geboren. Der
Pastorensohn besuchte das Freie Gymnasium und später das Humboldtianum in Bern, wo er 1941 die
Matura machte. Unentschlossen ob er Maler oder Schriftsteller werden sollte, entschied er sich
schliesslich für ein Studium der Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie. Noch
während der Studienzeit entstanden erste literarische Texte, sowie Federzeichnungen und Gemälde.
1946 brach er das Studium ab, heiratete die Schauspielerin Lotti Geissler und wagte den Schritt in die
Existenz als freier Schriftsteller. Nur ein Jahr später wurde sein erstes Stück „Es steht geschrieben“ am
Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.
Nach Jahren in Basel und in Ligerz am Bielersee, in denen seine drei Kinder zur Welt kamen und
weitere Erfolge als Dramatiker folgten, bezog Dürrenmatt 1952 ein Haus am Pertuis du Sault in
Neuchâtel, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Lotti
heiratete er 1984 die Schauspielerin und Filmregisseurin Charlotte Kerr. Am 14. Dezember 1990, nur
wenige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag, starb Dürrenmatt in Neuenburg an einem
Herzversagen.
Bekannt wurde er mit Kriminalromanen wie „Der Richter und sein Henker“ (1952) oder „Der
Verdacht“ (1953), weltberühmt und äusserst erfolgreich schliesslich mit der Komödie „Der Besuch der
alten Dame“ (1956). Der gesellige und lebenslustige Dürrenmatt, der früher oft knapp bei Kasse war,
genoss es jetzt, mit dem Geld grosszügig umzugehen. Er hatte vor allem unter Schauspielern
zahlreiche Freunde und gab mehreren Schriftstellerkollegen diskrete finanzielle Unterstützung.
Legendär ist zudem sein Weinkeller, der mit exquisitem Bordeaux bestückt war.
Dürrenmatt hielt die Menschheit für unrettbar, die Welt für unveränderbar. Er kritisierte jede
Organisation und Partei – darunter Staat, Kirche und Justiz –, die den Anspruch hatte, das
Gesellschaftssystem zu verbessern. In seinem Werk dominiert das Irreale und Groteske. Immer
wieder hinterfragt er darin das moralische Verhalten von Individuum und Kollektiv beziehungsweise
die menschliche Schwäche. Für den Skeptiker Dürrenmatt ist eine Geschichte „dann zu Ende gedacht,
wenn sie ihre schlimmst-mögliche Wendung genommen hat.“ Und: „Die schlimmst-mögliche
Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie.“
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MITMACHER
von Friedrich Dürrenmatt
Wir machen alle mit, auch der Schreibende, ob wir nun mit der Welt zufrieden sind, worin wir
stecken, oder gegen sie protestieren, Pläne entwerfen, sie zu ändern, uns engagieren, politischen
Parteien beitreten oder gar welche gründen, die sie ändern wollen, usw. Wir machen mit, weil wir
sind, verstrickt nicht nur durch unzählige gesellschaftliche, kulturelle, politische und wirtschaftliche
Fäden mit der Welt als Ganzem, sondern auch als Angehörige eines Staates, den wir als Ganzes nicht
zu überblicken vermögen, als Teile eines Volkes, das uns nach aussen prägt, ob wir wollen oder nicht,
auch als Glieder einer Gemeinde, die in anderen Gemeinden aufgeht, oder als Angestellte irgendeiner
Firma, die ihrerseits wieder mit anderen Firmen verquickt ist: das Knäuel ist unentwirrbar, nur
Theorien über das Durcheinander der Fäden existieren, eine Handvoll Fakten, das meiste ist nur vage
zu vermuten. Wir machen freiwillig mit, sei es auch unter Protest, treiben im Strom der Zeit dahin.
(…)
Mitmachen muss nicht von vornherein negativ sein. Wir unterscheiden: Wir machen mit, weil wir von
der Notwendigkeit dessen überzeugt sind, bei dem wir mitmachen = ein moralisch positives
Mitmachen. Wir machen mit, obgleich wir von der Notwendigkeit dessen nicht überzeugt sind, bei
dem wir mitmachen = ein moralisch negatives Mitmachen.
Ist der positive Mitmacher engagiert von der Sache her, bei der er mitmacht, so ist der negative
Mitmacher nicht engagiert, obgleich er mitmacht, sein Mitmachen ist ein Mitgehen, ein Nachgeben,
ist eine Schwäche, ein Mangel an moralischer Position. Ist der positive Mitmacher aktiv, so der
negative Mitmacher passiv. Ist es beim positiven Mitmacher entscheidend, dass er die Sache, bei der
er mitmacht, als etwas Notwendiges erkennt, als etwas Gutes (…), so spielt die Erkenntnis oder das
Verkennen der Sache, bei der einer mitmacht, beim negativen Mitmacher keine Rolle: Er macht nicht
der Sache, sondern sich zuliebe mit. Das negative Mitmachen ist ein Sich-nicht-Kümmern um die
Erkenntnis (…), auch ein Nichtverwirklichen der Erkenntnis, ein nicht nach der Erkenntnis Handeln,
ein Handeln wider die Erkenntnis, dass die Sache, bei der man mitmacht, nicht nur nicht notwendig,
sondern sogar schlecht ist. (…)
Eine ideale Weltordnung ist nur mit idealen Menschen möglich; setzt man den Menschen ideal, ist es
unverständlich, wie und warum er in eine unvernünftige Ordnung hineingeriet, es nützt nichts, den
idealen Menschen und die ideale Gesellschaftsordnung ins Zukünftige, Utopische zu versetzen und
die jetzige Menschheit auf dem Weg dorthin anzunehmen – der Zwiespalt bleibt bestehen. Der
Mensch wie er ist entspricht nicht dem Menschen wie er sein sollte.
Quelle: Dürrenmatt Lesebuch; Diogenes
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ÜBER TRAGÖDIE UND KOMÖDIE
von Friedrich Dürrenmatt
Schiller schrieb so, wie er schrieb, weil die Welt, in der er lebte, sich noch in der Welt, die er schrieb,
die er sich als Historiker erschuf, spiegeln konnte. Gerade noch. War doch Napoleon vielleicht der
letzte Held im alten Sinne. Die heutige Welt, wie sie uns erscheint, lässt sich dagegen schwerlich in
der Form des geschichtlichen Dramas Schillers bewältigen, allein aus dem Grunde, weil wir keine
tragischen Helden, sondern nur Tragödien vorfinden, die von Weltmetzgern inszeniert und von
Hackmaschinen ausgeführt werden. Aus Hitler und Stalin lassen sich keine Wallensteine mehr
machen. Ihre Macht ist so riesenhaft, dass sie selber nur noch zufällige, äußere Ausdrucksformen
dieser Macht sind, beliebig zu ersetzen, und das Unglück, das man besonders mit dem ersten und
ziemlich mit dem zweiten verbindet, ist zu weit verzweigt, zu verworren, zu grausam, zu mechanisch
geworden und oft einfach auch allzu sinnlos.
Die Macht Wallensteins ist eine noch sichtbare Macht, die heutige Macht ist nur zum kleinsten Teil
sichtbar, wie bei einem Eisberg ist der größte Teil im Gesichtslosen, Abstrakten versunken. Das Drama
Schillers setzt eine sichtbare Welt voraus, die echte Staatsaktion, wie ja auch die griechische Tragödie.
Sichtbar in der Kunst ist das Überschaubare. Der heutige Staat ist jedoch unüberschaubar, anonym,
bürokratisch geworden, und dies nicht etwa nur in Moskau oder Washington, sondern auch schon in
Bern, und die heutigen Staatsaktionen sind nachträgliche Satyrspiele, die den im Verschwiegenen
vollzogenen Tragödien folgen. Die echten Repräsentanten fehlen, und die tragischen Helden sind
ohne Namen. Mit einem kleinen Schieber, mit einem Kanzlisten, mit einem Polizisten lässt sich die
heutige Welt besser wiedergeben als mit einem Bundesrat, als mit einem Bundeskanzler. Die Kunst
dringt nur noch bis zu den Opfern vor, dringt sie überhaupt zu Menschen, die Mächtigen erreicht sie
nicht mehr. Kreons Sekretäre erledigen den Fall Antigone. Der Staat hat seine Gestalt verloren, und
wie die Physik die Welt nur noch in mathematischen Formeln wiederzugeben vermag, so ist er nur
noch statistisch darzustellen. Sichtbar, Gestalt wird die heutige Macht nur etwa da, wo sie explodiert,
in der Atombombe, in diesem wundervollen Pilz, der da aufsteigt und sich ausbreitet, makellos wie
die Sonne, bei dem Massenmord und Schönheit eins werden. Die Atombombe kann man nicht mehr
darstellen, seit man sie herstellen kann. Vor ihr versagt jede Kunst als eine Schöpfung des Menschen,
weil sie selbst eine Schöpfung des Menschen ist. Zwei Spiegel, die sich ineinander spiegeln, bleiben
leer.
Das Mittel nun, mit dem die Komödie Distanz schafft, ist der Einfall. Die Tragödie ist ohne Einfall.
Darum gibt es auch wenige Tragödien, deren Stoff erfunden ist. Ich will damit nicht sagen, die
Tragödienschreiber der Antike hätten keine Einfalle gehabt, wie dies heute etwa vorkommt, doch ihre
unerhörte Kunst bestand darin, keine nötig zu haben. Das ist ein Unterschied. Aristophanes dagegen
lebt vom Einfall. Seine Stoffe sind nicht Mythen, sondern erfundene Handlungen, die sich nicht in der
Vergangenheit, sondern in der Gegenwart abspielen. Sie fallen in die Welt wie Geschosse, die, indem
sie einen Trichter aufwerfen, die Gegenwart ins Komische, aber dadurch auch ins Sichtbare
verwandeln. Das heißt nun nicht, daß ein heutiges Drama nur komisch sein könne. Die Tragödie und
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die Komödie sind Formbegriffe, dramaturgische Verhaltensweisen, fingierte Figuren der Ästhetik, die
Gleiches zu umschreiben vermögen. Nur die Bedingungen sind anders, unter denen sie entstehen,
und diese Bedingungen liegen nur zum kleineren Teil in der Kunst. Die Tragödie setzt Schuld, Not,
Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts, in diesem Kehraus der
weißen Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts
dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und bleibt in
irgendeinem Rechen hängen. Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden
unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht unsere Schuld:
Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie
bei. Unsere Welt hat ebenso zur Groteske geführt wie zur Atombombe, wie ja die apokalyptischen
Bilder von Hieronymus Bosch auch grotesk sind. Doch das Groteske ist nur ein sinnlicher Ausdruck,
ein sinnliches Paradox, die Gestalt nämlich einer Ungestalt, das Gesicht einer gesichtslosen Welt, und
genauso wie unser Denken ohne den Begriff des Paradoxen nicht mehr auszukommen scheint, so
auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist, weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr.
Doch ist das Tragische immer noch möglich, auch wenn die reine Tragödie nicht mehr möglich ist. Wir
können das Tragische aus der Komödie heraus erzielen, hervorbringen als einen schrecklichen
Moment, als einen sich öffnenden Abgrund, so sind ja schon viele Tragödien Shakespeares Komödien,
aus denen heraus das Tragische aufsteigt.
Quelle: Friedrich Dürrenmatt: Theaterprobleme.
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THEMATISCHE SCHWERPUNKTE:
Quelle: nach Begleitmaterialien des Staatstheaters Braunschweig
•
KOLLEKTIVES VERHALTEN
Stichworte zu einigen soziologischen und psychologischen Aspekten
unseres Handelns:
„Jeder kann ein Held sein. Man muss nur handeln, wenn es nötig ist. Und zwar zugunsten einer
anderen Person oder eines moralischen Prinzips. Aber die meisten Menschen tun das nicht. Denn
meistens ist es mit einem persönlichen Opfer verbunden: Man läuft Gefahr, sich zu isolieren, weil die
Leute Abweichler nicht mögen, man kann seinen Job verlieren, man kann im schlimmsten Fall
sterben. Trotzdem handeln manche und andere nicht. Wir wissen nicht, warum.“
Philip G. Zimbardo, (75) ist Psychologe und Professor an der kalifornischen Stanford University.
→ Fragen zur Diskussion:
Was bist du bereit für eine bessere Welt zu opfern?
Was willst du in deinem Leben zur Weltverbesserung beitragen, schränkt dich das kollektive Verhalten
dabei ein?
•
PLURALISTISCHE IGNORANZ
Pluralistische Ignoranz ist ein Begriff aus der Sozialpsychologie. Wenn sich eine Gruppe von
Menschen in einer mehrdeutigen, schwer einschätzbaren Situation befindet und keiner weiß, was zu
tun ist, versuchen die Anwesenden aus der Beobachtung der jeweils anderen Hinweise auf mögliches
sinnvolles Verhalten zu bekommen. (...) Wenn die anderen aber ebenfalls ratlos sind, entsteht
pluralistische Ignoranz. Diese führt − gemeinsam mit der Verantwortungsdiffusion − in einer
Notfallsituation dazu, dass niemand einschreitet oder hilft, da sich jeder einzelne dem passiven
Verhalten der Menge anpasst. Dies kann fatale Folgen haben, wenn sich niemand aus dieser
pluralistischen Ignoranz herauslöst und zum Modell wird, dem die anderen Bystander (Zuschauer)
folgen können.
→ Fragen zur Diskussion:
Kennst du solche Situationen aus dem Alltag? Nenne Beispiele.
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•
VERANTWORTUNGSDIFFUSION
Verantwortungsdiffusion bezeichnet das Phänomen, dass eine Aufgabe, die offensichtlich zu tun ist,
trotz genügender Anzahl und Aufmerksamkeit dafür geeigneter Stellen oder Personen nicht
angenommen oder ausgeführt wird. Der Begriff korrespondiert mit dem der Verantwortung und wird
wissenschaftlich in der Psychologie, Pädagogik sowie Organisationssoziologie verwendet. In der
Verhaltensforschung wurde etwa das Verhalten von Zuschauern bei einer Straftat untersucht und
festgestellt, dass alleine die Anwesenheit mehrerer Zuschauer die Wahrscheinlichkeit von
Hilfeleistungen erheblich senken kann (Bystander-Effekt).
→ Fragen zur Diskussion/ Arbeitsaufgabe:
Wofür fühlst du dich in der Schule verantwortlich? Wofür nicht? (Nenne jeweils 10 Punkte)
Wofür fühlst du dich im Strassenverkehr verantwortlich? Wofür nicht? (Nenne jeweils 10 Punkte)
Wofür fühlst du dich im Privaten verantwortlich? Wofür nicht? (Nenne jeweils 10 Punkte)
Diskutiert über die Ergebnisse. Was ist Verantwortung? Wofür tragen wir Verantwortung, wofür
nicht? Was sind die Ursachen für die Entscheidungen?
•
ZUSCHAUEREFFEKT
Unter Zuschauereffekt (englisch: bystander effect, auch non-helping-bystander effect) versteht man
das Phänomen, dass einzelne Augenzeugen eines Unfalls oder kriminellen Übergriffs mit niedrigerer
Wahrscheinlichkeit eingreifen oder Hilfe leisten, wenn weitere Zuschauer (engl. bystander
„Dabeistehender“) anwesend sind.
Theorien zur Ursache

Die Notwendigkeit oder Dringlichkeit der Hilfeleistung kann von dem
Umstehenden nicht eindeutig eingeschätzt werden. Die Personen
unterlassen Hilfeleistung, weil sie befürchten, dass sie sich blamieren,
wenn sie in einer Situation eingreifen, die für die betroffene(n)
Person(en) nicht bedrohlich ist.

Bei einer größeren Zahl von Umstehenden wird die Bereitschaft
größer, die Situation nicht als Notfall einzuschätzen (pluralistische
Ignoranz). Die anderen Umstehenden sehen offenbar auch keinen
Notfall, denn niemand sonst hat bisher eingegriffen.

Bei einer größeren Zahl von Umstehenden kommt es zu einer
Verantwortungsdiffusion: Verantwortungsteilung auf die Zahl der
Zuschauer bezogen mit gleichzeitiger Abnahme der
Eigenverantwortung. Es wird darauf gewartet, dass eine andere
Person eingreift bzw. den ersten Schritt einer Intervention wagt.

Nach der Reaktanz-Theorie fühlt sich eine um Hilfe gebetene Person
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von dieser Bitte in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt. Als
Gegenreaktion wird sie dazu tendieren, Hilfe zu verweigern.
→ Arbeitsaufgabe für Kleingruppen von ca. 5 Personen:
Überlegt euch eine Situation, in der jmd. in akuter Not ist und schaut, ob und wie dieser Person
geholfen wird, wenn ein Einzelner auf das Setting trifft oder wenn eine Gruppe auf das Setting trifft.
Diskutiert die vorstellbaren Verhaltensweisen. Stellt zwei Vorschläge (Einzelner/ Gruppe) in zwei
Szenen dar.
•
DEMOKRATIE
Durch die Verlogenheit, mit der die Gemeindeversammlung den einstimmigen Entscheid zu Ills
Ermordung als „Gerechtigkeit reinen Herzens“ deklariert, wird sie zu einer Art Volksgerichtshof. In
einer Früheren Fassung des Stücks ruft einer der anwesenden Journalisten nach den Reden des
Lehrers, und des Pfarrers und des Gemeindepräsidenten begeistert aus: „ Nach so einer Versammlung
hat man wirklich das Gefühl: die Demokratie ist immer noch etwas lebendiges.“ Dass der Wille der
Mehrheit gilt und gleichwohl politisch und human falsch sein kann, ist die Zwickmühle der
Demokratie.
→ Fragen zur Diskussion/ Arbeitsaufgabe:
Wenn die Entscheidung Ill zu töten demokratisch gefällt wurde, ist sie dann richtig?
Wenn Demokratie was gutes ist, aber die Mehrheit sich auch mal irren kann, wie sollen wir damit
umgehen?
Wir leben auch in einer Demokratie. Kann das gefährlich werden? Warum? Wie verhindern wir
grosses Unrecht, dass von der Mehrheit beschlossen werden könnte?
•
SCHULD UND SCHULDEN
ZITAT:
ILL: Die Stadt macht Schulden. Mit den Schulden steigt der Wohlstand. Mit dem Wohlstand die
Notwendigkeit, mich zu töten. Und so braucht sie nur da zu sitzen und zu warten. Nur zu warten.
Claire Zachanassian macht die ganz Stadt zu ihren Schuldnern. Die Güllener erhalten die Milliarde nur,
wenn sie Alfred Ill töten. Anfangs weisen alle dieses Angebot als unmoralisch zurück. Aber dann
beginnen sie, sich zu verschulden. Gleichzeitig ändert sich ihr Verhalten gegenüber Ill. Zum einen,
weil er sich tatsächlich schuldig gemacht hat gegenüber Klara; zum anderen, weil er es ist,
dessentwegen sie die Milliarde nicht bekommen. Unsere Sprache bildet das Verhältnis von Schuld
und Schulden deutlich ab. Viele Begriffe mit moralischer Bedeutung sind der Sprache der (antiken)
Finanzwirtschaft entlehnt : Schuld(en), Freiheit, Vergebung, Abrechnung, Erlösung, jmd. etwas
zurückzahlen, in jemandes Schuld stehen, sich auszahlen, sich bezahlt machen, eine Rechnung offen
haben, etwas in Kauf nehmen...
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→ Arbeitsaufgabe für Kleingruppen von ca. 3-4 Personen:
Jede Gruppe wählt sich einen Begriff aus. Versucht zu einem der Begriffe eine Situation zu finden und
sie in einer Szene darzustellen; so dass die Bedeutung des Wortes deutlich wird. Beachtet dabei, dass
ihr bei eurer Planung und Bearbeitung die Fragen: wer? wie? was? wo? für euch beantwortet und in
der Szene zum Ausdruck bringt. Nach der Darstellung kann diskutiert werden, an welcher Stelle die
Bedeutung des Begriffes deutlich wurde und ob die dargestellten Szenen etwas mit unserem Alltag zu
tun haben?
Auszug aus: David Graeber: »Schulden. Die ersten 5000 Jahre«
David Graeber, einer der Begründer und Vordenker der Occupy- Bewegung, stellt in seinem Buch die
These auf, dass das moralische Prinzip, Schulden seien grundsätzlich zurück zu zahlen, immer schon
als Machtinstrument missbraucht wurde. Er enttarnt Geld-und Kredittheorien als Mythen, die die
Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen vorantreiben.
Fast zwei Jahre lang hatte ich im Hochland von Madagaskar verbracht. Kurz vor meiner Ankunft hatte
es einen Malaria-Ausbruch gegeben. Einen besonders schlimmen Ausbruch, denn die Malaria war
schon vor vielen Jahren im Hochland von Madagaskar ausgerottet, und nach zwei Generationen
waren die meisten Menschen nicht mehr immun dagegen. Das Problem war, dass das Programm zur
Bekämpfung der Moskitos Geld kostete, denn man musste in regelmäßigen Abständen überprüfen,
ob die Moskitos sich nicht wieder vermehrten, und Gift sprühen, wenn es so war. Es ging nicht um
viel Geld. Aber da die Regierung einem Sparprogramm des IWF unterlag, hatte sie das Geld für die
Überwachung der Moskitos gestrichen. Bei diesem Malaria-Ausbruch starben 10000 Menschen. Ich
traf junge Mütter, die um ihre Kinder weinten. Man könnte denken, dass man schwerlich
argumentieren kann, der Verlust von 10000 Menschenleben sei gerechtfertigt, damit die Citibank nur
keinen unverantwortlichen Kredit abschreiben muss, der in ihrer Bilanz sowieso nicht groß ins
Gewicht fällt. (...)
Aber (...) - natürlich muss man seine Schulden zurückzahlen. Natürlich?
Verbraucherschulden sind der Lebenssaft unserer Wirtschaft. Alle modernen Nationalstaaten
nehmen zur Finanzierung ihrer Ausgaben Schulden auf. Schulden sind mittlerweile das zentrale
Thema der internationalen Politik. Aber niemand scheint genau zu wissen, was es damit auf sich hat,
oder darüber nachzudenken. Gerade weil wir nicht wissen, was Schulden sind – die Dehnbarkeit des
Begriffs ist zugleich die Grundlage seiner Macht. Wenn die Geschichte etwas zeigt, dann dies, dass es
keine bessere Methode gibt, auf Gewalt gegründete Beziehungen zu verteidigen und moralisch zu
rechtfertigen, als sie in die Sprache von Schuld zu kleiden – vor allem, weil es dann sofort den
Anschein hat, als sei das Opfer im Unrecht.
Was genau heißt es, dass unser Sinn für Moral und Gerechtigkeit auf die Sprache einer geschäftlichen
Transaktion reduziert wird? Was heißt es, wenn wir moralische Verpflichtungen auf Schulden
reduzieren?
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Eigentlich ist der Unterschied zwischen einer Verpflichtung und einer Schuld einfach und
offensichtlich. Eine Schuld ist die Verpflichtung, eine bestimmte Geldsumme zu bezahlen. Eine Schuld
also lässt sich, anders als jede andere Verpflichtung, genau in Zahlen fassen.
Dadurch werden Schulden einfach, kalt und unpersönlich - was sie wiederum übertragbar macht.
Schuldet man einem anderen Menschen einen Gefallen oder sogar sein Leben - dann gilt die Schuld
speziell für diesen Menschen. Wenn man aber 40 000 Dollar zu einem Zinssatz von 12 Prozent
schuldet, ist es egal, wer der Gläubiger ist; auch muss sich keine der beiden Parteien darum
kümmern, was die andere braucht, will oder wozu sie imstande ist – wie sie es bestimmt täte, wenn
es um einen Gefallen ginge oder um Dinge wie Respekt oder Dankbarkeit. Die menschlichen
Auswirkungen spielen keine Rolle, man muss nur rechnen, Kreditsummen, Saldi, Strafzahlungen und
Zinssätze kalkulieren.
So betrachtet, besteht der springende Punkt also darin, dass Geld es schafft, Moral in eine Frage der
unpersönlichen Rechenkunst zu verwandeln - und auf diese Weise Dinge zu rechtfertigen, die uns
ansonsten skandalös oder unanständig vorkämen.
→ Arbeitsaufgabe für Kleingruppen von ca. 4 Personen:
Ein Gläubiger hat einem anderen Schuldner viel Geld geliehen. Nun ist die Frist abgelaufen, um das
Geld abzuzahlen. Aber der Schuldner hat das Geld nicht. Was wird geschehen, was wird verhandelt?
Wer sind die Beiden füreinander? Welche Rolle spielen andere Personen hier in dem Setting.
Durchdenkt verschiedene Konstelationen und Möglichkeiten. Wo spielt die Szene? Wer empfindet was
in dieser Situation? Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Warum wurde das Geld z.B. geliehen?
Was ist in den Jahren geschehen? Was kann jetzt passieren?
Warum ist es so schwer eine Lösung zu finden?
•
ANGST und VERDRÄNGUNG
Angst ist sowohl eine starke als auch eine überwiegende negativ empfundene Emotion. Angst ist
notwendig zur Bewältigung von Gefahren, aber zu viel Angst wirkt lähmend und kann damit genau
diese Bewältigung verhindern. Deswegen muss es eine Methode geben, zu viel Angst zu
kompensieren, auszugleichen oder “wegzudrücken”. Verdrängung ist eine der Methoden, Angst
abzuwehren.
Begriffsdefinition: Verdrängung
Als Verdrängung wird in der Psychoanalyse ein grundlegender Abwehrmechanismus bezeichnet,
durch den tabuisierte und bedrohliche Inhalte und Vorstellungen von der bewussten Wahrnehmung
des Menschen ausgeschlossen werden.
Verdrängung wird als gewöhnlicher, bei allen Menschen auftretender Vorgang aufgefasst. Die
Entwicklung des Konzepts Verdrängung geht auf Sigmund Freud zurück und ist zentraler Bestandteil
der psychoanalytischen Theorie. Verdrängung ähnelt sehr dem Vergessen. Vergessen geschieht
jedoch passiv, Verdrängung ist aktiv: Teile der Erkenntnis des Ich werden in das Unterbewusstsein
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verschoben, also unterdrückt. Diese Unterdrückung wird aktiv aufrecht erhalten, kostet also
permanent Energie – sonst kommt es zur “Wiederkehr des Verdrängten” und damit zu Angst.
→ Fragen zur Diskussion/ Arbeitsaufgabe:
Wovor hatten die Güllener Angst, bevor Claire Zachanassian auftauchte?
Wovor haben sie Angst, nachdem Claire Zachanassian ihre Forderung gestellt hat?
Wer hat Angst vor dem Panther?
Haben die Güllener Angst nach dem Tod von Ill?
Hoffnung und Zukunft
Wie glaubst du, geht die Geschichte weiter, nachdem Ill tot ist? Haben sich die Hoffnungen der
Güllener erfüllt?
Haben die Güllener ein Recht auf das Geld der Milliardärin?
Hätten die Güllener etwas dafür tun können, dass Ill denoch am Leben bleibt?
Was bedeutet Gerechtigkeit für dich?
Was ist der Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Rache?
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WARM-UPS FÜR DEN UNTERRICHT:
MORALISCHE SELBSTEINSCHÄTZUNGEN
Moralisches Selbsteinschätzung I:
«Ich würde niemals..:»
Alle sitzen auf Stühlen im Kreis, es ist ein Stuhl weniger als Personen da sind.
Ein/e Schüler/in steht ohne Stuhl in der Mitte und ruft: „Ich würde niemals ...“ (z.B. beim
Dschungelcamp mitmachen, bei McDonald’s arbeiten, abtreiben, in den Krieg ziehen, Insekten essen
etc.)
Alle, für die das auch zutrifft, müssen aufstehen und sich einen neuen Platz suchen. Die Person in der
Mitte versucht dabei, einen Stuhl zu ergattern, so dass jemand neues nun rufen muss „Ich würde
niemals ...“
Reflektion im Anschluss an das Spiel:
 Was würden besonders viele aus der Gruppe nicht machen?
 Warum würden sie es nicht machen: Finden Sie es eklig, schlimm, unmoralisch, …?
Moralisches Warm-up II:
«Alles ist käuflich»
Es werden grosse Zettel mit unterschiedlich hohen Geldsummen im Raum auf dem Boden verteilt.
Nun stellt die Lehrperson der Klasse folgende Frage:
„Wie viel Geld müsste ich dir bieten, damit du ... machst oder zumindest in Versuchung kommst und
anfängst, darüber nachzudenken?“
Dazu werden die Stichworte benutzt, die ihr beim Warm-Up I („Ich würde niemals…“) gefunden habt.
Jede/r soll nun für sich überlegen, bei welchem Betrag er/sie sich positioniert. (Wenn es schwierig ist,
sich darauf einzulassen, hilft vielleicht die Vorstellung, dass ihr arm seid und dringend Geld braucht.)
Ob die letzte Frage „Wie viel Geld müsste ich dir bieten, damit du einen Fremden tötest ODER damit
du jemanden tötest, den du kennst und schätzt?“ gestellt wird, entscheidet der/die Spielleiter/in. Die
Frage erfordert keine Zuordnung mehr!
Reflexion im Anschluss an das Spiel:
 Wie werden die eigenen Werte und Grenzen durch Geld aufgeweicht?
 Habt ihr euch davon beeinflussen lassen, wo die anderen stehen.
Quelle: nach Begleitmaterialien für den Unterricht, Schauspiel Stuttgart 2013/2014
2015, Junges Theater Solothurn
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Materialien für den Unterricht
«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
DISKUSSIONS-ROLLENSPIEL FÜR DEN UNTERRICHT:
CLAIRES ANGEBOT AN DER GEMEINDEVERSAMMLUNG IN GÜLLEN
In diesem Diskussions-Rollenspiel trifft sich die Bevölkerung des Städtchens, um über das Angebot
von Claire Zachanassian zu beraten. Die Aufgabe eignet sich besonders, wenn die Klasse das Stück
„Der Besuch der alten Dame“ noch nicht kennt.
Ablauf:
1)
Die Klasse wird in Gruppen zu 7-9 Personen aufgeteilt.
Es wird eine Dauer für die Diskussion festgelegt – empfohlen sind ca. 20 Minuten.
2)
Jemand aus der Gruppe liest seiner Gruppe die Grundsituation vor.
3)
Jede Schülerin und jeder Schüler erhält einen Zettel mit einem Namen darauf. Dies ist für die
Diskussion die Rolle des jeweiligen Schülers/der jeweiligen Schülerin.
4)
Nun wird die Gemeindeversammlung begonnen.
Der Bürgermeister / die Bürgermeisterin leitet die Versammlung.
Bevor die Diskussion eröffnet wird, stellen sich alle Anwesenden mit Namen und Beruf vor.
5)
Nach der Hälfte der Dauer der Gemeindeversammlung (also nach ca. 10 Minuten) wird die
erste Zusatzinformation vorgelesen.
6)
Nach der Hälfte der Dauer der Gemeindeversammlung (also nach ca. 14 Minuten) wird die
zweite Zusatzinformation vorgelesen.
7)
Am Ende fasst die Gemeinde einen Beschluss, wie man mit dem Angebot von Frau
Zachanassian umgehen soll.
Grundsituation:
Ihr seid Bewohner eines kleinen Städtchens, wo fast jeder jeden kennt. In den letzten Jahren lief es
nicht gut in eurem Städtchen: Fabriken mussten schliessen, viele Gebäude sind verlottert, Geschäfte
bleiben leer. Ihr seid in den letzten Jahren sehr verarmt und wisst kaum, wie ihr euch und eure Kinder
ernähren sollt.
Nun bekommt ihr Besuch von Clara Zachanassian, die früher mal bei euch gewohnt hat. Sie bietet
unverhofft eine Milliarde Franken, davon 500 Mio. für die Stadt sowie 500 Mio. gleich auf jeden
Bürger verteilt.
Aber es gibt eine Bedingung: Um das Geld zu bekommen, muss jedoch einer aus euren eigenen
Reihen sterben: Alfred Ill, der den Kaufmannsladen betreibt und Frau, Tochter und Sohn hat. Er weiß
von diesem Angebot.
Ihr trefft euch zu einer Gemeindeversammlung, um über das weitere Vorgehen zu beraten.
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Materialien für den Unterricht
«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
Figuren:
Josef Lenker, Bürgermeister
Josefina Lenker, Bürgermeisterin
Die liegt eigentlich viel am wohl deines Städtchens. Machtlos musstest du dem Untergang deiner
Heimat zuschauen und hast fast jede Hoffnung verloren. Einzig auf den Zusammenhalt und die
Hilfsbereitschaft der Bewohnerinnen und Bewohner warst du noch stolz. Das heruntergekommene
Gemeindehaus findest du beschämend.
Du leitest die Gemeindeversammlung. Du bist auch dafür verantwortlich, dass nach der Hälfte und zwei
Dritteln der Gemeindeversammlung jeweils eine Zusatzinformation vorgelesen wird, die bis dann für
alle (auch für dich) geheim bleibt.
Am Ende der Versammlung muss ein Beschluss gefasst werden, wie man mit dem Angebot von Frau
Zachanassian umgehen soll.
Alfred Ill, Besitzer eines kleinen Lebensmittelladens
Du bist schockiert über das Angebot, machst dir aber keine grossen Sorgen um dein Leben: Die Leute im
Städtchen sind ehrlich und freundlich, du hast keine Feinde und hast dir in den letzten Jahren nicht zu
Schulden kommen lassen.
Was Clara Zachanassian betrifft: Du warst in jungen Jahren mit ihr in der Schule, ihr wart sogar einmal
ein paar, aber als sie dann kurz darauf das Städtchen verlassen hat, hast du sie aus den Augen verloren.
Du kannst dir schon vorstellen, warum sich diese offensichtlich verrückt gewordene Frau deinen Tod
wünscht: wohl weil du sie damals verlassen hast und die das nicht verkraftet hat. Eine absurde Sache.
Mathilde Ill, Frau von Alfred Ill
Du liebst deinen Mann, weil er so ein ehrlicher und ehrenwerter Mann ist, der niemandem etwas zu
Leide tun würde. Leider kann er dir und deinen Kindern aber trotz harter Arbeit nicht den erwünschten
Wohlstand bieten – aber das geht ja allen Einwohnern momentan so.
Karl Ill, Sohn von Alfred Ill
Carole Ill, Tochter von Alfred Ill
Du bist das Kind von Alfred Ill. Deinen Vater liebst du sehr: Er arbeitet hart für das wohl der Familie und
ist ein liebevoller Vater.
In einem Jahr wirst du die Schule abschliessen. Du warst KlassenbesteR und deine Leistungen wären
wohl noch besser gewesen, wenn ihr in der Schule genügend Bücher, Papier oder beispielsweise einen
Computer gehabt hättet.
Eigentlich wolltest du studieren gehen, leider könnt ihr euch momentan das Studium (Wohnung in der
Stadt, Material, Studiengebühren etc.) nicht leisten. Der Plan ist nun, eine gewisse Zeit in der Kläranlage
des Nachbarstädtchens zu arbeiten und dann, wenn möglich, später an die Uni zu gehen.
Max Werker, arbeitslos
Marlene Werker, arbeitslos
Bis vor anderthalb Jahren hattest du noch eine Stelle in der Bügeleisen-Fabrik im Städtchen. Dann
wurde die Firma von einem Investoren aufgekauft und statt der erhofften Gehaltserhöhung erhielten
alle Angestellten die Kündigung. Seit da wurde es schwierig. Um deinen drei kleinen Kinder
durchzubringen musstest du zuerst das Auto, dann Fernseher deine Uhr verkaufen, letzte Woche dann
sogar die beiden Kindervelos einem Altmetallhändler aus der Nachbarstadt. Wie soll es weitergehen?
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«DER BESUCH DER ALTEN DAME» VON FREIDRICH DÜRRENMATT
Johannes Himmeler, Pfarrer
Johannah Himmeler, Pfarrerin
Vergebung und Nächstenliebe ist dir das Wichtigste. Das predigst du regelmässig in deinen Messen. In
letzter Zeit waren aber deine Predigten immer schlechter besucht. Die zum einen daran liegen mag,
dass du immer bessere Zeiten versprichst während das Städtchen aber immer mehr verarmt. Zum
anderen liegt es vielleicht auch daran, dass aus Geldmangel die Kirche nie hatte renoviert werden
können und darum die Sitze krumm, die Beleuchtung und die Heizung ausgefallen sind und die
Kirchenorgel sehr falsch klingt.
Michael Peng, Polizist
Michaela Peng, Polizistin
Dein Leben ist eher langweilig: Seit einigen Jahren gibt es keine Diebstähle (es gibt ja nix zu holen) und
allfällige Verkehrsbussen kann eh niemand bezahlen. So verbringst du viel Zeit in der Kneipe, in der das
Angebot aber auch immer dünner wird.
Walter Lämpel, Lehrer
Wilma Lämpel, Lehrerin
Früher warst du einmal Rektorin/Rektor des Gymnasiums. Als dieses aus Spargründen geschlossen
wurde, hast du als Lehrerin/lehrer der unteren Stufen weitergearbeitet. Im Herzen bist du aber den
lateinischen und altgriechischen Ursprüngen treu geblieben, ein wahrer Humanist, der das Wohl des
Menschen ins Zentrum rückt. Es wäre schön, wenn du dies auch als Lehrer, wieder einmal an einem
Gymnasium den fleissigen Griechisch- und Laterinschülerinnen weitergeben könntest.
Zusatzinformation 1:
Nach der Hälfte der Dauer der Gemeindeversammlung vorlesen lassen.
Bisher habt Ihr Ill für einen guten Bürger gehalten, aber jetzt erfahrt Ihr, dass Ill Clara damals
geschwängert hat, sie sitzenließ, seine Vaterschaft leugnete und sie öffentlich so demütigte, dass sie aus
der Stadt floh.
Zusatzinformation 2:
Nach zwei Dritteln der Dauer der Gemeindeversammlung vorlesen lassen
Klara behauptet, damals von Ill schwanger gewesen zu sein. Es gab aber Gerüchte, dass sie auch was mit
einem anderen Mann hatte!
Auswertung:




Wie ist die Diskussion verlaufen?
Was für Wendungen hat die Diskussion genommen?
Wie beurteilst du die Meinungen der verschiedenen Figuren?
Wie realistisch ist die Situation?
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ZUR NACHBEREITUNG
Quelle: nach Begleitmaterialien des Staatstheaters Braunschweig
Bevor Fragen geklärt werden, können die Schülerinnen und Schüler ihre Augen schließen und dann
reihum ihre intensivste Erinnerung, ihr intensivstes Bild aus der Inszenierung beschreiben. Darüber
entfacht sich schon viel. Und man findet viele Anknüpfungspunkte, um ins Gespräch zu kommen.
Beim Nachgespräch geht es nie um richtige Antworten, sondern ums Beschreiben von dem, was man
gesehen und empfunden hat und dazu die Beschreibung der theatralen Mittel.
Was hat wie und warum, wodurch gewirkt?
→ Fragen
Wie waren die Kostüme, beschreibt einzelne Figuren? Waren Symbole in den Kostümen erkennbar?
Was sagt das Kostümbild über diese Gesellschaft aus und über die Figuren aus?
Wie war das Bühnenbild, welche Spielmöglichkeiten hat es den Spielern geboten?
Mit welchen Requisiten wurde die Erzählung modernisiert? Hat das gestört? Wie wurde das
angenommen?
Was erzählt diese Geschichte über heute? Welche Rolle, Bedeutung hatte der schwarze Panther? Wie
wurde der Raum, Zuschauerraum, Bühnenraum genutzt? Was war alles Bühne? Welche Atmosphären
herrschten in der Inszenierung? Beschreibt bitte einzelne Sequenzen und Bilder.
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FOTOS, TRAILER, ZEITUNGSBERICHTE
FOTOS
Bilder eignen sich sehr gut, um nach dem Vorstellungsbesuch in ein Gespräch über die Inszenierung
einzusteigen.
Auf der Webseite des Theater Orchester Biel Solothurn sind Fotos der Produktion ab Premierentag in
guter Auflösung zu finden:
http://www.tobs.ch/de/tobs/presse/pressebilder/
ZEITUNGSBERICHTE
Medienberichte haben oftmals einen beschreibenden aber auch einen wertenden Charakter. Beides
bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich das Gesehene nochmals vor Augen zu
führen und seine eigene Meinung mit anderen Sichtweisen zu vergleichen.
Auf der Webseite können nach der Premiere Berichte aus Printmedien eingesehen und ausgedruckt
werden.
http://www.tobs.ch/de/tobs/pressestimmen/
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BESETZUNG:
«DER BESUCH DER ALTEN DAME»
Produktionsteam
Inszenierung
KATHARINA RUPP
Bühne und Kostüme
CORNELIA BRUNN
Dramaturgie
ADRIAN FLÜCKIGER
Assistenz
LEA HEINZ-ERIAN
RICARDA AMBERG
Hospitanz
LISA MÖSLI
Besetzung
Claire Zachanassian
BARBARA GRIMM
Alfred Ill
MARIO GREMLICH
Boby
LOU ELIAS BIHLER
Der Bürgermeister
CHRISTIAN DIETERLE
Der Lehrer / Der Hofbauer
TIM MACKENBROCK
Der Polizist
JAN-PHILIP WALTER HEINZEL
Der Pfarrer / Der Helmesberger
DIMITRI STAPFER
Die Ärztin / Die Zweite / Die Journalistin
ATINA TABÉ
Zugführerin / Die Dritte
NATALINA MUGGLI
Frau Ill
MILENA ZAHAIEVA ESPOSITO
Jakob Hühnlein / Bürger
FRANZ GRIMM
Ludwig Sparr / Bürger
SAM KÜNTI
Theaterpädagogik
Materialmappe
MARCEL GRISSMER
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2015, Junges Theater Solothurn
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Weitere Infos zum Angebot des Jungen Theater Solothurn finden Sie auf der Webseite www.tobs.ch
unter JUNGES PUBLIKUM.
THEATER ORCHESTER BIEL SOLOTHURN
JUNGES THEATER SOLOTHURN
Theater und Schule
Theatergasse 16-18 | 4500 Solothurn
[email protected]
T ++41 (0) 32 626 20 68
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