Von (Spät-)Aussiedlern lernen? Implikationen für die

Von (Spät-)Aussiedlern lernen? Implikationen für die Flüchtlingsforschung
Panelvorschlag für die Erste Tagung des Netzwerks Flüchtlingsforschung „65 Jahre Genfer
Flüchtlingskonvention“, 6.-8.10.2016, IMIS Osnabrück
Das hier projektierte Panel schlägt eine vergleichend angelegte Perspektive auf (Spät-)Aussiedler im
Allgemeinen und Russlanddeutsche im Speziellen im Kontext der historischen und gegenwärtigen
Flüchtlingsforschung vor. Obwohl keine Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention sind
(Spät-)Aussiedler seit Einführung dieser Rechtskategorie im Jahr 1953 ein konstitutiver Bestandteil
der politischen und wissenschaftlichen Diskussion zu Flucht und Flüchtlingen. Auf rechtlicher Ebene
waren sie im bundesdeutschen Diskurs als „Nachzügler“ der Flucht und Vertreibung der Deutschen
am Ende des Zweiten Weltkrieges als „nationale“ Flüchtlinge antithetisch zum „politischen“
Flüchtling konzipiert. Im wissenschaftlichen Sinne wurden sie – wie auch die Vertriebenen – von
Anfang an als Teil des „Weltflüchtlingsproblems“ begriffen; entsprechend wurden etwa die ersten
Forschungen zu den (Spät-)Aussiedlern der 1970er Jahre von der deutschen Sektion der Association
for the Study of the World Refugee Problem (AWR) vorgelegt.
Aus diesem Befund ergibt sich eine Vielzahl von disziplinübergreifenden Fragestellungen hinsichtlich
der Situierung der Forschung zu (Spät-)Aussiedlern im Zusammenhang der gegenwärtigen
Flüchtlingsforschung, welche im Rahmen dieses Panels behandelt werden können. In historischer
Perspektive würde beispielsweise eine Untersuchung der Aussiedlerforschung der 1970er Jahre (wie
auch der „Flüchtlingsforschung“ zu den Vertriebenen in den 1950er Jahren) einen wichtigen und
notwendigen Beitrag zur Disziplingeschichte der Flüchtlingsforschung in der Bundesrepublik liefern.
Speziell mit Blick auf die im Zweiten Weltkrieg heimatlos gewordenen Russlanddeutschen könnte
eine migrationshistorische Analyse ihrer Ansiedlung in der Bundesrepublik wie auch ihrer
transkontinentalen Weiterwanderung nach Nord- und Südamerika wiederum unser Verständnis von
Fluchtmigrationen auch in der Gegenwart schärfen.
Auch in einer stärker gegenwartsbezogenen Forschungsperspektive ergeben sich vielfältige
Möglichkeiten. In einer Regimeperspektive wäre das Aussiedleraufnahmeregime vergleichend mit
dem Flüchtlingsregime in den Blick zu nehmen, sowohl hinsichtlich Methoden und Techniken der
Anerkennung wie auch insbesondere bezüglich der umfangreichen Erfahrungen mit der Ansiedlung
und Integration von ca. drei Millionen Spätaussiedlern seit 1987. In dem Maße, in dem solche
vergleichenden Betrachtungen bereits getätigt werden, stoßen sie im öffentlichen Diskurs auf
Widerstand angesichts des vermeintlich kategorialen Unterschieds zwischen heutigen Flüchtlingen
und einstigen Spätaussiedlern und Vertriebenen. In diesem Zusammenhang könnte man explizit
thematisieren, wer wie und mit welcher Zielsetzung solche Abgrenzungsdiskurse pflegt. Gleichzeitig
bewahrte ihre offizielle Identifikation als Deutsche die Spätaussiedler bekanntlich nicht vor intensiver
Stigmatisierung durch die „einheimische“ Bevölkerung. Hier lohnt sich schließlich ein systematisch
vergleichender Blick auf den Zusammenhang von Vorurteilen gegenüber „deutschen“
Spätaussiedlern und „fremden“ Flüchtlingen bzw. „Ausländern“.
Vorschläge zu den beispielhaft skizzierten oder auch anderen Themenbereichen können bis 31. März
2016 gerichtet werden an:
Prof. Dr. Jannis Panagiotidis, Juniorprofessur für die Migration und Integration der
Russlanddeutschen, IMIS Osnabrück ([email protected])