DIE THEATERGEMEINDE MAINZ SCHAUT ZU LORE LAY Wann immer von Rheinromantik gesprochen wird – die Sage um die schöne, Verderben bringende Loreley lässt sich nicht wegdenken. Dabei ist deren Geschichte kein Märchen aus uralten Zeiten, sondern wurde erst im Jahre 1800 vom Dichter Clemens von Brentano ersonnen. Seither hat sie zahlreiche Äußerungen in Musik, Dichtung und bildender Kunst inspiriert. Nicht zuletzt Heinrich Heines berühmte Zeile Ich weiß nicht, was soll es bedeuten... ist längst im kollektiven Bewusstsein verankert. Unter dem Titel Lore Lay – so auch die Schreibweise bei Brentano – hat das Mainzer Staatstheater jetzt für das Kleine Haus eine romantische Soiree über Männer Frauen und den großen Fluss zusammengestellt. Innerhalb von gut zwei Stunden wird der „Mythos“ vor allem parodistisch durchleuchtet. Das hat durchaus vergnügliche Facetten. Der Abend bietet keine durchgängige Handlung, sondern besteht aus einer szenischen Collage mit vier Hauptsequenzen, drei Zwischenszenen und einem Epilog. Darin eingebunden sind Stücke von Brahms, Schubert, Schumann, Wolff und Mahler – bis hin zu Werken von Gershwin, Schönberg und dem zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino. Heraus sticht eine kaum je gehörte Opernszene von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schon das erste der vier Bilder macht dem Publikum klar, dass man es hier nicht mit einem üblichen Liederabend zu tun hat. In einem biedermeierlichen Salon sitzen drei Paare beisammen, um gemeinsam Hausmusik zu machen; ein gewisser Herr Heine hat auch ein paar Zeilen beigesteuert. Doch schon deuten sich Affären an, Techtelmechtel mit dem Hausmädchen, Tränen fließen, Teller fliegen. Die zu Gehör gebrachten Stücke werden geschickt auf die Beziehungen der Figuren untereinander gemünzt. Dann sind wir Gast bei einer Teegesellschaft im Hause Clemens von Brentanos, wo man Märchen aus der Region Mainz erzählt. In der dritten Sequenz ruft eine Betrogene im Wald nach Geistern, die ihr bei ihrer Rache helfen sollen. Schließlich verwandelt sie sich in die Loreley. Sodann erobert eine Gruppe von Loreleyen den Felsen am Rhein und bezirzt die vorbeifahrenden Schiffer, die samt und sonders kentern. Die Zwischenszenen sollen der Überleitung dienen. Zweifelsohne fordern das übertriebene Getue um die Figur der Loreley mit der von großen Gefühlen bestimmten Überlieferung der Motive und die damit einhergehende Verkitschung von Landschaft und Geschichten um den Rhein als solchem eine Parodie geradezu heraus. Dass z. B. der lächerliche Singsang vom fröhlichen, lachenden Menschenschlag am sonnigen Rhein, wo die Traube schwillt und die Seele quillt längst nicht mehr ernst zu nehmen ist, wird aber auch so schon deutlich genug. Die Persiflage schlägt jedoch manchmal um: Wenn z.B. eine Sängerin unvermittelt mit einem Baseballschläger ihrem Liebesfrust Luft macht und eine Küchenzeile heulend und kreischend zerlegt, dann ist lediglich Brutalo-Klamauk im Spiel. Auch die Schifferszene wirkt seltsam plump. In Mainz hat man versucht, das Bild von der Loreley als Nixe, Zauberin, erotische Männerfantasie, als Betrogene parodistisch miteinander zu verweben. Das gelingt an einigen Stellen – witzig vor allem der Männergesangsverein in Zwischenszene III. Es wurde fleißig jede Menge Material über den Schauerstoff sowie über sonstige Spielarten der Rheinromantik gesammelt. Aber nicht alle Szenen sind für Nicht-LoreleyKenner zugänglich. Ein wenig isoliert bleibt dabei die schöne Opernsequenz, die sängerisch und szenisch – auch dank des Bühnenbildes – zum Besten des Abends gehört. So gesehen könnte Heinrich Heines Ich weiß nicht, was soll es bedeuten... von einigen Zuschauern durchaus auf diese Produktion bezogen werden. Johannes Kamps November 2015 Theatergemeinde Mainz
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