Aufruf: Gertraud Panzer hat rund 2000 Unterschriften fürs „Emma“ gesammelt. Seite 26 Aufbruch: Die moderne Stadt Wie Pforzheim nach dem Zweiten Weltkrieg neu geplant wurde. Seite 28 PFORZHEIM & REGION NACHRICHTEN • HINTERGRÜNDE • MEINUNGEN S A M S TA G, 4. J U L I 2 0 1 5 P FO R Z HE I M E R Z E I T UNG 25 JO URNAL Heftige Kritik an Plänen für Gefängnis PFORZHEIM. Der Widerstand wächst gegen die Erwägung der Landesregierung, Pforzheims Justizvollzugsanstalt (JVA) in eine Anstalt für Abschiebehäftlinge umzuwandeln. Harsche Kritik üben Alexander Schmid, der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, sowie Hans-Ulrich Rülke, Stadtrat und Chef der FDP-Landtagsfraktion. Die Beamten der JVA seien aufgeregt, schockiert und verzweiAlexander felt, berichtet Schmid Schmid, der ein solches Vorhaben als „katastrophal“ bezeichnet. Seit einem Jahr herrsche landesweit eine „Riesen-Unruhe“ im Justizvollzug, sagt Schmid mit Blick auf die Todesfälle von Insassen in Bruchsal und Adelsheim. Grün-Rot schicke sich an, eine „schwarze Serie fortzusetzen“. Er bezweifelt, dass es für die Kollegen in Pforzheim eine sozialverträgliche Lösung geben könne. Das seit Jahrzehnten erfolgreiche Modell der Pforzheimer Jugendstrafanstalt dürfe nicht enden. Zudem sei das Gefängnis nicht für Abschiebehäftlinge geeignet. In anderen Bundesländern würden solche Anstalten neu gebaut, nur Baden-Württemberg erwäge eine „Sparlösung“, die schlecht sei für Personal, Kommune und Inhaftierte. Schmid hofft auf ein Umdenken. „Die Landesregierung mutet Pforzheim und der Region mal wieder zu viel zu“, so FDP-Chef Rülke. Die „missglückte Polizeireform“ habe Pforzheim die Polizeidirektion gekostet, „nun möchte man der Stadt noch diese belastende Aufgabe zuschieben.“ Ähnlich hatte sich bereits OB Gert Hager geäußert. erb 4. JULI VOR JAHR UND TAG PFORZHEIM. Der Kunst- und Kunstgewerbeverein zeigt im Reuchlinhaus eine Ausstellung, die zu den wichtigsten und umstrittensten Manifestationen der bildenden Kunst in diesem Jahre zählt: die von der KestnerGesellschaft Hannover in Verbindung mit der Galerie Sydow (FrankfurtBerlin) veranstaltete Ausstellung „Die Wiener Schule des phantastischen Realismus“. „Pforzheimer Zeitung“ vom 4. Juli 1965 Pforzheimer Zeitung Sie haben Fragen an unseren Zustelldienst? Rufen Sie an: 0 72 31 - 933 210 Ausgabe in der Mensa: Dort essen täglich 350 Mädchen und Jungen im Ganztagsbetrieb. Oft müssen Lehrer wegen Personalmangels dabei helfen. FOTOS: KETTERL Ganztagsschule auf der Kippe Für ihre zwei Kinder falle Unterricht öfter mal aus, und auch Freizeitangebote, keine verlässliche Basis etwa für Berufstätige. Den Grund dafür sieht Becht darin, dass die Stadt es nicht schaffe, genügend Personen für den betreuenden Teil des Ganztagsmodells zur Verfügung zu stellen. Brötzinger Lehrer und Eltern fordern: gebundene Ganztagsschule beenden. ■ Der Frust sitzt tief über die fehlenden Personalressourcen. ■ MARTINA SCHAEFER | PFORZHEIM Es fehlt an Köpfen D ie Schulkonferenz der Brötzinger Schule hat in ihrer vergangenen Sitzung beschlossen, die sogenannte gebundene Ganztagsschule zum Jahr 2016/2017 zu beenden. An vier Wochentagen sind die Jungen und Mädchen verpflichtet, für jeweils acht Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen. Es ist die einzige gebundene Ganztagsschule für Grund- und Werkrealschule in Pforzheim. Für die Beschulung ist das Land zuständig, für die Betreuung etwa beim Mittagessen per Erlass die Stadt. Und genau da hängt es nach Meinung der Schulkonferenz. Das Gremium, bestehend aus Rektor, Elternvertreter und Eltern, Schülervertreter und Schülern sowie Lehrern, möchte mit dem Beschluss ein Signal setzen, sagt der Vorsitzende des Elternbeirats, Daniel Becht. Denn handeln kann nur die Stadt. Becht und seinen drei Vorstandskollegen reicht es. Vor neun Jahren hatte die Schule Fühlen sich von der Stadtverwaltung im Stich gelassen: Elternvertreter Daniel Becht und Silvia Schultz wollen für die Brötzinger Schule bessere Bedingungen. „Jetzt gilt es, die bisherige erfolgreiche Arbeit der Schule fortzusetzen.“ Volker Traub, Leiter des staatlichen Schulamts der Stadt Pforzheim mit viel Engagement die gebundene Ganztagsschule für Grund- und Hauptschule eingeführt, bekam durch eine Generalsanierung des Hauses Mensa und die erforderlichen Differenzierungsräume dazu. Doch der Platz reiche schon lange nicht mehr. Nicht nur deshalb seien zwar alle zehn Klassen theoretisch im Ganztagsbetrieb, erste und zweite Klasse aber noch immer außen vor. Es fehle außerdem an sozialpädagogischer Betreuung. Seit der Betrieb im Jahr 2011 von sieben auf heute 17 Klassen aufgestockt wurde, laufe die Organisation seitens der Stadt aus dem Ruder. Das bestätigt auch die zweite Vorsitzende Silvia Schultz. „In der Mensa geben Lehrer neben Sozialpädagogen das Essen aus. Zeit, die für den Unterricht fehlt“, bestätigt Rektor Wolfgang Müller auf Anfrage der PZ: „Insgesamt eine Lehrerstelle verwenden wir für die Essenszeit.“ Dadurch könne beispielsweise weniger Unterstützung beim Lernen angeboten werden. Während ein Sozialpädagoge in Karlsruhe 22 Wochenstunden Zeit für die Kinder habe, seien es in Brötzingen weniger als die Hälfte an Stunden. Dem Rektor fehlen bei acht Sozialarbeiterstellen aber vor allem genügend Köpfe, um die 17 Klassen mittags zu versorgen. Das verpflichtende Schulessen ist laut Elternvertreter Becht ein weiteres Ärgernis, oft kalt und zerkocht. Der Caterer liefere nicht das, was vertraglich zugesichert wurde. Schon jetzt bezahlten viele Eltern das Essen, ohne dass ihre Kinder es nutzten, sagt Becht. Eine von der Stadt kreierte Arbeitsgruppe mit allen Beteiligten habe lediglich ergeben, dass es keine zusätzlichen personellen Mittel gebe. Die Schulkonferenz möchte deshalb mittelfristig entweder die Anzahl der Ganztagsklassen halbieren oder eine offene Ganztagsschule etablieren, zu der sich Eltern freiwillig bekennen könnten. Als Brötzinger müsse man sein Kind in den Ganztagsbetrieb stecken oder eine Sondergenehmigung erwirken, um es in einem anderen Schulbezirk unterzubringen. Das sei eine Farce und nicht im Sinne aller Eltern. Das Signal ist beim Leiter des staatlichen Schulamts Pforzheim Volker Traub schon seit längerem angekommen. Er möchte sich im September zusammen mit Schulleitung und der Stadt die Organisation des Ganztagsbetriebs genau anschauen. Seitens des Landes sei die Schule mit ausreichend Lehrerstunden ausgestattet, sagt er. Der sozialpädagogische Personalschlüssel scheine ebenfalls ausreichend, aber das sei zu klären. Um die Schule sofort zu entlasten, sollen ab Herbst weniger Klassen im Ganztagsbetrieb laufen. Für Bürgermeisterin Monika Müller liegt das Dilemma in der Organisation begründet: „Der Einsatz des städtischen Personals erfolgt durch den Schulleiter, wenn also Personal zu bestimmten Zeiten seiner Ansicht nach fehlt, kann er dies selbst ändern, indem er Arbeitseinsätze anders organisiert.“ Was die Raumnot angehe, da könne man durch einfache räumliche Veränderungen Abhilfe schaffen. „Dies wurde seitens der Schule mit Blick auf ein fehlendes Konzept abgelehnt.“ PFORZHEIMS POLITIKER UND D ER GANZ E REST Frage-Tage MAREK KLIMANSKI PZ-Redakteur „Da sind Hager und Rülke ausnahmsweise einig.“ MAN MUSS DAS RAD nicht immer neu erfinden. „Frag doch mal die Maus“ hat TV-Geschichte geschrieben, „Schlag den Raab“ auch, und „Frag die Mutti“ (es geht um Haushalts-Tipps, nicht um Fragen an die Bundeskanzlerin) macht im Internet Furore. Seit wenigen Tagen gibt es im Facebook-Auftritt der Stadt Pforzheim (er heißt „Unser Pforzheim“) die Reihe „Frag den OB“. In Videos antwortet Oberbürgermeister Gert Hager dort auf Bürger, die wissen wollen, wie es etwa mit dem Stadtteilbad Huchenfeld weitergeht oder wie man Traditionsfirmen in der Stadt halten kann, wie Fremdenfeindlichkeit entgegengetreten Steht per Video Rede und Antwort: Gert Hager bei „FragdenOB“. FOTO: PZ wird und wie das Sperrmüll-Wesen in der Stadt aussieht. Eine innovative Idee, die allerdings leider schon wieder dem Ende zugeht – die Filme sind noch zu sehen, die Möglichkeit, Fragen einzureichen, ist vorbei. Schade. Das bringt uns Freunde des politischen Theaters nun um den Genuss, dass Hagers schärfster Kritiker Hans-Ulrich Rülke mit dem brandaktuellen Thema „Können wir die Umwandlung des Pforzheimer Jugendgefängnisses in eine Abschiebehaftanstalt noch verhindern, die uns die grün-rote Landesregierung da mal wieder einbrocken will?“ auf den OB zukommen könnte. Allzu gerne hätten wir gesehen, wie der OB, ähnlich den anderen Fragen, die Antwort mit „Eine gute Frage, Herr Dr. Rülke“ einläutet. Zumal er in dieser Sache mit FDP-Mann Rülke ausnahmsweise einer Meinung ist. Ansonsten aber hat sich zwischen beiden dieser Tage eine herzliche Polit-Gegnerschaft entwickelt. Das ist mit Händen zu greifen. Wer’s nicht glaubt: Frag den OB.
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