Bettags-Predigt über Römer 8,18-27: Hoffnung für unsere Welt

Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Bettags-Predigt über Römer 8,18-27: Hoffnung für unsere Welt
St. Mangen / Linsebühl, 19./20. September 2015; von Pfr. Stefan Lippuner
18
Ich bin überzeugt: Die künftige Herrlichkeit, die Gott für uns bereithält, ist so gross,
dass alles, was wir jetzt leiden müssen, in
gar keinem Verhältnis dazu steht. 19 Alle
Geschöpfe warten sehnsüchtig darauf,
dass Gott seine Kinder vor aller Welt mit
dieser Herrlichkeit ausstattet. 20 Er hat ja
die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit
preisgegeben, nicht weil sie selbst schuldig
geworden war, sondern weil er sie in das
Strafgericht über den Menschen miteinbezogen hat.
Er hat aber seinen Geschöpfen die Hoffnung gegeben,21 dass sie eines Tages vom
Fluch der Vergänglichkeit erlöst werden.
Sie sollen dann nicht mehr Sklaven des Todes sein, sondern am befreiten Leben der
Kinder Gottes teilhaben. 22 Wir wissen,
dass die ganze Schöpfung bis jetzt noch
vor Schmerzen stöhnt wie eine Frau bei der
Geburt. 23Aber auch wir, denen Gott doch
schon als Anfang des neuen Lebens ‒
gleichsam als Anzahlung ‒ seinen Geist
geschenkt hat, warten sehnsüchtig darauf,
dass Gott uns als seine Kinder bei sich aufnimmt und uns vom Fluch der Vergänglichkeit befreit.
24 In der Hoffnung ist unsere Rettung schon
vollendet - aber nur in der Hoffnung. Wenn
wir schon hätten, worauf wir warten,
brauchten wir nicht mehr zu hoffen. Wer
hofft denn auf etwas, das schon da ist? 25
Also hoffen wir auf das, was wir noch nicht
sehen, und warten geduldig darauf.
26 Der Geist Gottes kommt uns dabei zu Hilfe. Wir sind schwach und wissen nicht einmal, wie wir angemessen zu Gott beten sollen. Darum tritt der Geist bei Gott für uns
ein mit einem Flehen, das sich nicht in Menschenworten ausdrücken lässt. 27 Aber
Gott, der unser Herz kennt, weiss auch,
was der Geist ihm sagen will. Denn der
Geist tritt so für das Volk Gottes ein, wie es
Gott gefällt.
Liebe Gemeinde.
"Die grosse Hoffnung", so ist dieser Bibeltext aus Römer 8, den wir vorhin gehört haben, in
der Guten-Nachricht-Bibel überschrieben. Darum möchte ich im Blick auf den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag über die Hoffnung predigen, und zwar über die Hoffnung nicht
nur für unsere Seele, für uns persönlich, sondern auch über die Hoffnung für unser Land, ja
die Hoffnung für die ganze Welt.
Vermutlich haben Sie auch schon von Martin Luther King gehört, dem Anführer der schwarzen
Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1960-er-Jahren. Von Beruf war er Pfarrer, und er
war ein sehr guter, mitreissender Redner. Seine berühmteste Rede hielt er 1963 vor einer
Viertelmillion Menschen in Washington mit dem legendären Ausruf: "I have a dream! – Ich
habe einen Traum". Er träumte dabei von einer besseren, gerechteren Welt, damals zuerst
für die Schwarzen in Amerika, aber auch überhaupt. Er hatte einen Traum, der der ganzen
Bewegung ihre Kraft gab; er hatte eine grosse Hoffnung.
Wir wissen, dass dieser Traum von Martin Luther King sich noch nicht voll erfüllt hat. Manches
wurde zwar besser für die Schwarzen, viele politische Forderungen wurden umgesetzt. Aber
die Situation als ganze, und vor allem die Welt als ganze ist noch längst nicht gerecht, noch
längst nicht wirklich gut. Seine Hoffnung ist immer noch eine Hoffnung.
2
Schon der Apostel Paulus wusste um diese Hoffnung, um diese Sehnsucht, dass die Welt
einmal gut wird, heil wird, neu wird. Und nicht nur er und seine Mitchristen hatten diese Hoffnung, er sagt, dass überhaupt alle Geschöpfe (nicht einmal nur alle Menschen, alle Geschöpfe) diese Sehnsucht haben. "Alle Geschöpfe warten sehnsüchtig darauf, dass Gott
seine Kinder vor aller Welt mit seiner Herrlichkeit ausstattet", schreibt er. Eine Sehnsucht, die
noch nicht erfüllt ist: "Also hoffen wir auf das, was wir noch nicht sehen, und warten geduldig
darauf." – Und auch wir heute, bald 2000 Jahre nach Paulus, 52 Jahre nach der Rede von
Martin Luther King, wir warten immer noch auf Erfüllung dieser Sehnsucht nach einer neuen,
einer besseren Welt.
Entscheidend bei diesem Warten ist, dass wir tatsächlich eine Hoffnung haben, eine grosse
Hoffnung. Die Gefahr ist nämlich gross, dass angesichts des Zustandes dieser Welt die Resignation überhandnimmt. So viel Not und Elend gibt es in dieser Welt! Krieg und Terror, vor
allem im Nahen Osten, aber auch in Afrika, der dadurch ausgelöste immense Flüchtlingsstrom
weltweit; Gewalt auch an vielen anderen Orten der Erde, Ungerechtigkeit und Unterdrückung,
Naturkatastrophen, Armut und Hunger. Es ist verrückt.
Aber auch in unserer näheren Umgebung, in unseren Familien, im Zusammensein mit anderen Menschen, in unserem Beruf, in unserem Land, in unserer Gesellschaft überhaupt wie
auch in unserem eigenen, persönlichen Leben merken wir doch immer wieder, dass so vieles
nicht gut ist, nicht in Ordnung ist, nicht heil ist. – Und da, im Blick auf unsere grosse wie auf
unsere kleine Welt, liegen doch vielmals Resignation und Hoffnungslosigkeit sehr nahe; mir
jedenfalls geht es so.
Doch das ist nicht christlich, nicht evangeliumsgemäss. Reinhold Ruthe (ein Psychologe und
Seelsorger) sagte einmal: "Die christliche Botschaft ist das grosse Verbot der Resignation.
Christliches Leben ist personifizierte Hoffnung." Als Christen dürfen, ja sollen wir eine Hoffnung haben für diese Welt. Nicht die Hoffnung, dass die Menschen irgendwann doch einmal
vernünftig genug werden und von sich aus die Welt verbessern. Nein, das zu hoffen, wäre
eine Illusion und entspricht auch nicht der Bibel. Aber wir dürfen die Hoffnung haben, dass
diese Welt einmal neu wird, von Gott selber neu geschaffen und verwandelt wird in die Herrlichkeit Gottes. Diese Hoffnung hatte Paulus, als er schrieb: "Ich bin überzeugt: Die künftige
Herrlichkeit, die Gott für uns bereithält, ist so gross, dass alles, was wir jetzt leiden müssen,
in gar keinem Verhältnis dazu steht." – Und darum: "Also hoffen wir auf das, was wir noch
nicht sehen, und warten geduldig darauf."
Was aber ist der Grund dieser Hoffnung? Ich denke, es ist klar, dass dieser Grund eben nicht
in uns Menschen liegen kann, sondern in Gott selbst, genauer gesagt: in Jesus Christus.
Jesus Christus, der Sohn Gottes ist ein Mensch geworden und ist in diese Welt hineingekommen. Gott sandte seinen Sohn in die Welt, in diese böse, kaputte, friedlose, gefallene Welt,
weil er selber die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, weil er die Welt, seine Menschen,
seine ganze Schöpfung letztlich nicht verlieren, sondern retten will.
Aus diesem Grund, wegen dieses Willens Gottes zur Rettung nicht nur der einzelnen Menschen, sondern der ganzen Welt, der ganzen Schöpfung überhaupt, wegen dieses Heilswillens Gottes haben wir die Hoffnung, dass eines Tages (wir wissen nicht wann, aber vielleicht
schon bald), dass eines Tages diese ganze Welt erneuert wird; dass wir als die, die an Gott
und an Jesus glauben, dass wir als Gottes Kinder in Gottes Herrlichkeit eingehen werden und
mit uns alle Geschöpfe; dass das Reich Gottes kommen wird, in vollkommener Weise kommen wird. Das ist die grosse Hoffnung, die wir nicht loslassen sollen.
Und aus dieser grossen Hoffnung kommen dann all die kleinen Hoffnungen, die wir sehr wohl
auch haben dürfen und sollen; die kleinen Hoffnungen, dass auch schon innerhalb dieser
Welt und Zeit Veränderungen geschehen können. Es wäre nämlich falsch, wenn wir angesichts der Not und Bosheit dieser Welt nur noch auf die neue Welt schauen würden, wenn wir
uns also zurückziehen würden aufs rein Geistliche, nur passiv aufs jenseitige Reich Gottes
warten würden. Das wäre nicht richtig; das ist nicht der Sinn dieser Hoffnung.
3
Denn Gott selber hat uns in diese Welt hineingestellt, und solange er diese Welt noch bestehen lässt, so lange sollen wir auch bewusst und verantwortungsvoll darin leben. Gott hat uns
Menschen, uns Christen den Auftrag gegeben, in dieser Welt in seinem Namen zu wirken,
nämlich das Evangelium zu verkünden, Menschen, die in Not sind, zu helfen, für Gerechtigkeit
zu sorgen, für Frieden zu kämpfen usw. Das ist unser Auftrag: hoffnungsvolle Zeichen zu
setzen.. Und wir dürfen die Zuversicht haben, dass es in allen diesen Bereichen wirklich Veränderungen, Verbesserungen geben darf und dass auch wir unseren Teil dazu beitragen
können.
Wir müssen uns dabei allerdings bewusst bleiben, dass diese kleinen Hoffnungen auf Veränderungen innerhalb dieser Welt letztlich begrenzt sind durch die grosse Hoffnung, dass irgendwann einmal alles ganz neu wird. Alles, was wir in dieser Zeit wirken können, alles, was
auch durch die Kraft Gottes in dieser Welt geschehen darf, bleibt vorläufig, ist noch nicht das
Letztgültige, das Wahre. Aber es sind Zeichen des Kommenden, notwendige Zeichen, bei
denen Gott mit seinem zukünftigen Reich schon in die Gegenwart hineinbricht. Das ist ja das
Grossartige an diesem Reich Gottes, dass es nicht einfach nur die Verheissung von etwas
Jenseitigem bleibt, sondern dass es immer wieder ins Diesseits, in unsere Welt hineinbricht
mit Zeichen, die uns Mut geben weiter zu hoffen.
Ein letzter Gedanke noch: Wie können wir überhaupt diese Hoffnung haben, diese grosse
Hoffnung und auch die kleinen Hoffnungen; bzw. wie können wir in dieser Hoffnung bleiben,
an dieser Hoffnung festhalten? Die Antwort dazu gibt uns Paulus in den letzten paar Versen
des Textes aus dem Römerbrief: "Der Geist Gottes kommt uns dabei zu Hilfe. Wir sind
schwach und wissen nicht einmal, wie wir angemessen zu Gott beten sollen. Darum tritt der
Geist bei Gott für uns ein." – Hoffnung können und müssen wir also nicht aus uns selbst
heraus produzieren. Es ist der Geist von Gott selber, der uns dazu fähig macht.
Wir Menschen sind schwach. Wir neigen dazu, zu resignieren anstatt zu hoffen, uns aus der
Verantwortung zurückzuziehen anstatt uns einsetzen zu lassen. Darum sind wir unbedingt
angewiesen auf den Geist Gottes, der uns hilft und leitet; wir sind angewiesen auf den Heiligen Geist, der in unsere Schwachheit und Resignation hineinkommt und zuerst einmal uns
selber verwandelt und neu macht.
Er macht uns fähig zur Hoffnung im Kleinen wie im Grossen, im Blick auf unser eigenes Leben
und unsere nähere Umgebung wie im Blick auf die ganze weite Welt. Er leitet uns dazu an,
richtig und gut zu handeln in dieser Welt und gleichzeitig hoffnungsvoll auf die neue Welt zu
warten. ‒ Darum wollen wir bewusst immer wieder bitten um diesen Heiligen Geist Gottes,
um seine Erfüllung. Er macht uns fähig, an der Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen,
im Glauben festzuhalten.
AMEN
Gebet
Jesus Christus, unser Retter und Heiland.
Danke für die Hoffnung, die wir durch dich haben dürfen,
die grosse überzeitliche Hoffnung wie auch die kleinen innerweltlichen Hoffnungen.
Danke für dein Wirken in unserem Leben und durch unser Leben.
Du hast auch uns zu Boten dieser Hoffnung gemacht. Dafür danken wir dir.
Wir wissen aber auch und erfahren es immer wieder, dass wir oft schwach sind.
Darum bitten wir dich: Erfülle uns mit deinem Heiligen Geist.
Stärke du selber die Hoffnung in unserem Inneren,
die Hoffnung auf Veränderungen und die Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit.
Hilf uns zudem, dass auch wir hoffnungsvolle Zeichen deines Reiches in unserer Welt setzen können. ‒ Rüste uns aus mit den Fähigkeiten, die wir dazu brauchen.
Und hilf uns, in deinem Namen zu handeln zur Veränderung unserer Welt,
im Vertrauen darauf, dass du sie eines Tages ganz erneuern wirst. Amen.