ZEICHEN SETZEN

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ZEICHEN
SETZEN
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Die schlechteste
Tinte ist besser als
das beste Gedächtnis.
The palest ink lasts longer than the most
retentive memory. Chinesisches Sprichwort
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Zeichen, Bilder, Zahlen – von den frühesten Felsritzungen bis hin
zu den Displays des digitalen Zeitalters haben sich die Aufzeichnungstechniken und ihre Ergebnisse in einem permanenten Prozess verändert. Zwischen dem Beschreibmaterial, dem jeweiligen
Werkzeug, mit dem gezeichnet oder geschrieben wird, und dem
geschriebenen Produkt bestehen vielfältige materielle und kommunikative Zusammenhänge. Wer zeichnet oder schreibt wann unter welchen Bedingungen für welchen Adressaten? Wie lange hält
eine aufgezeichnete Botschaft, wie verläuft der Weg vom Sender
zum Empfänger? Die Beständigkeit der Speicherung und die
Techniken der Überlieferung und Übertragung variieren zwischen
einer 25.000 Jahre alten Höhlenmalerei und einer SMS, die in
einem Augenblick geschrieben, gesendet und gelöscht wird.
M A K I N G O N E'S M A R K
Symbols, pictures, numbers – from the earliest drawings scratched
into the rock face to digital era displays, the techniques for recording images and the results of these have been in a constant process
of change. A diverse range of material and communicative interrelations link what is to be illustrated or described, the tool used
to draw or write this, and the finished product. Who draws or writes
when, under what conditions, and for whom? How long does a
written message survive, what course does the pathway between
sender and recipient take? The permanence of a piece of recorded
information and the techniques for transmitting or carrying it
vary between a 25,000-year-old cave painting and an SMS, which
is written, sent and deleted in a moment.
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MARKIERUNGEN – AUCH WENN SICH
D I E M I TT E L W A N D E L N
Wie vor Jahrtausenden markiert der Mensch auch heute noch sein
Lebensumfeld mittels Zeichen. Steinzeitliche Felsmalereien wie
auch moderne Großstadtgraffiti bezeugen diesen Antrieb. Das
menschliche Urbedürfnis: Zeichen von sich selbst in die Welt zu
tragen und über das eigene Leben hinaus Spuren zu hinterlassen.
Bereits die Steinzeitmenschen gestalteten ihre Höhlen mittels
Sprühtechnik. Fester Bezug zum Ort und extreme Haltbarkeit unterscheiden diese Aufzeichnungen von Markierungen des eigenen
Körpers. Tätowierungen markieren personale Rollen und Identitäten von Menschen, und hören diese auf zu existieren, verschwinden
auch sie.
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WORT UND HAND
Aufzeichnen ist meist auch ein handwerklicher Vorgang: Beim
Prägen, beim Ritzen, beim direkten Farbauftrag oder bei der Verwendung einer Schablone ist die menschliche Hand als Greifwerkzeug unverzichtbar. Sie wirkt mittels Werkzeugen, die dem
Material die Gestalt geben: Hammer und Meißel oder Punze,
Grabstichel und Messer, eine Hand (meistens die rechte) führt das
Schreibgerät, zwei Hände bedienen eine Tastatur über die Fingerspitzen (»the world at your fingertips«). Und zwischen das Gehirn
mit seinen beiden Hälften und die Hände sind auch noch Nervenbahnen geschaltet, und zwei Augen führen Aufsicht.
Die Zusammenhänge von Rechtshändigkeit und Linkshändigkeit
mit Abläufen im Gehirn werden in der Gehirnforschung untersucht. Etwa jeder zehnte Mensch ist Linkshänder. Noch vor zwei
Generationen wurden Linkshänder diskriminiert und umerzogen,
das gilt heute wissenschaftlich als untragbarer Eingriff ins Gehirn.
TATT O O - M A S C H I N E
G R AV I E R W E R K Z E U G
Im Internet werden heute leicht erreichbar für jeden die erforderlichen Utensilien verkauft, die man zur Anfertigung von dauerhaften Körperbemalungen braucht.
Gravierwerkzeuge: Hammer, Punzen, Zirkel, Stichel. Die Schlagstempel
zum Bearbeiten von Metall, der Zirkel zum Anreißen von Holz oder Metall
und die Gravierstichel für den Holzstich sind so gestaltet, dass eine gezielte
Materialbearbeitung das Anbringen von Zeichen und Bildern erlaubt.
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PIXEL – AUS BILDELEMENTEN
ZUSAMMENGEFÜGT
O R I G I N A L E U N D KO P I E N
Aufzeichnungen können aus einzelnen Bildelementen zusammengesetzt sein. Die Gestalt des Bildes, des Ornaments oder des Schriftbildes wird in Pixel (picture elements) zerlegt. Bei Teppichen oder
Mosaiken haben diese Pixel spezifische Eigenfarben. Die Autotypie
löst Bilder zur Druckwiedergabe von Halbtönen in Einzelpunkte
auf, die im modernen Vierfarbendruck in den vier Prozessfarben
Cyan, Magenta, Yellow und Black nach dem Prinzip der subtraktiven Farbmischung wiedergegeben werden. Bildschirme (Monitore) übernehmen das Prinzip des Bildpunktrasters auf Basis der
additiven Farbmischung von Rot, Grün und Blau.
Die Anfertigung einer möglichst identischen Zweitschrift – auch
Kopie oder Duplikat genannt – gehört zu den uralten Bedürfnissen von Schriftkulturen. Im Briefwechsel wollen Absender und
Empfänger Zugriff auf dasselbe Dokument haben, sei es ein Zeugnis, ein Vertrag oder andere Bescheinigungen. Es gibt dabei sehr
unterschiedliche Grade der Authentizität. Einige Formen zielen nur
auf den Wortlaut, andere streben eine identische Textgestalt an.
Verfahren der Authentifizierung und Beglaubigung zum Beispiel
durch Notare gehören zur gesellschaftlichen Praxis der Schriftkultur. Doch was ist im digitalen Zeitalter das Original, was die
Kopie, woran erkennt man die Echtheit einer Datei, einer Bildschirmanzeige oder eines Computerausdrucks?
Die künstlerische Technik des Mosaiks geht weit zurück in die
sumerische Zeit in Mesopotamien. In der griechischen und römischen Antike erreichten Mosaiken aus geschliffenem Stein, aus
Keramik und Glas eine Blütezeit und weite Verbreitung. Die Zusammensetzung von Bildflächen aus einzelnen Bildpunkten wird
in der Kunst und in der Technik universell eingesetzt.
K U G E L- M O S A I K- S P I E L
KO P I E R P R E S S E
Spielerisch den Umgang mit Bildelementen lernen: Kugel-Mosaik-Spiel,
Friedrich Adolf Richter & Cie., Rudolstadt um 1900
Eine Kopie für den Absender: Briefkopierpresse um 1900. Die zweisäulige
schwarz lackierte Spindelpresse mit Golddekor diente zur Anfertigung
einer Briefkopie. Dabei wurde das Schriftbild von der Rückseite her unter
Druck in ein Kopierbuch aus sehr dünnem Papier, das jeweils blattweise
angefeuchtet wurde, übertragen.
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BRIEFE
Briefe haben häufig privaten Charakter und sind traditionell handschriftlich. Ein Absender schreibt an einen oder mehrere Empfänger. Briefe haben eine mittlere Dauerhaftigkeit – langlebiger als
ein Notizzettel, vergänglicher als eine Urkunde –, die Anfertigung ist nicht aufwendig. Sie sind zum Transport bestimmt, weshalb sie leicht und klein sein müssen: Die Bezeichnung Brief
kommt von dem lateinischen Wort brevis, das »kurz« bedeutet.
Seit dem 19. Jahrhundert wurden Briefe in Umschläge gesteckt.
Geschäftsbriefe wurden zunehmend mit der Schreibmaschine,
später rechnergestützt erstellt. Diese Formen haben heute auch
im privaten Bereich Bedeutung erlangt.
Abwandlungen waren etwa das Telegramm oder das über das Telefonnetz übermittelte gerasterte Telefax. Der Brief als Medium zwischen (in der Regel) zwei an einem kommunikativen Austausch
Beteiligten war ein bedeutendes Modell für literarische Fiktionen
wie den Briefroman. Briefe zwischen bekannten Persönlichkeiten
werden häufig in Buchform ediert und sind beliebter Lesestoff.
Die häufigste Briefform heutzutage ist die E-Mail.
SCHREIBEN VOR KUGELSCHREIBER UND FINELINER
Kristalltintenfass mit silbernem Deckel und Federhalter aus Alpacca, vermutlich Österreich um 1900