Buchbesprechung Tote Mädchen lügen nicht Stefan Federbusch ofm „Es geht um die Auswirkungen deines Verhaltens. Genauer, die Auswirkungen auf mein Leben. Es geht um Dinge, die du so nicht geplant hattest...“ (45) und die doch fatale Folgen haben, tödliche Folgen. Ein Zusammentreffen dummer Zufälle, verpasster Gelegenheiten, übler Gerüchte und jugendlichen Leichtsinns. In vielen Fällen kann ich die Folgen meines Verhaltens nur schwer oder gar nicht abschätzen oder verzichte von vorneherein auf derartige Überlegungen. Was schnell und leicht dahergesagte Worte beim anderen auslösen, in welch existenzielle Nöte ein scheinbarer Scherz führen kann..., darüber mache ich mir nur selten Gedanken. „Ich glaube, dass ist der entscheidende Punkt. Niemand von uns weiß genau, wie viel Einfluss wir auf das Leben der anderen haben. In der Regel gibt es keine konkreten Hinweise, und so machen wir einfach so weiter, ohne unser Verhalten zu überdenken“ (154). „Ich bin mir keiner Schuld bewusst“ - „Wahr doch nicht so gemeint“ – „Ist doch halb so wild“ „Stell dich doch nicht so an“ – „Die ist doch selber schuld“ ..., häufig gebrauchte Entschuldigungen, wenn klar wird, dass die Sache daneben gegangen ist und meine Worte und/oder Taten alles andere als gut ankamen. Die Angeberei – was ist schon dran an ein bisschen Wichtigtuerei; die Rache auf der Liste – war halt Zufall, dass es ausgerechnet dich traf; die Spannerei - nur ein kleiner Eingriff in das Sicherheitsempfinden der Privatsphäre; das Rollenspiel, um andere fürs eigene Image auszunutzen - das macht doch jeder; die sexuelle Anmache – ist doch normal für das Alter; die Angst, zu den eigenen Gefühlen zu stehen und nicht einzugreifen – das geht doch vielen so; das Stehlen aufmunternder Nachrichten – nimm´s nicht so schwer; das Stehlen eines selbst geschriebenen Gedichtes – da hatten doch alle was von; die Vergewaltigung einer Mitschülerin nicht verhindert – war halt der beste Kumpel; durch Fahruntauglichkeit indirekt einen Unfall verursacht mit Todesfolge - ok, das ist schon heftiger, aber wer soll das ahnen; das Beste im Beratungsgespräch gegeben – und doch auf die klare Selbstmordankündigung nicht reagiert... alles nicht so schlimm und nur Lappalien? Als Einzelereignis vielleicht unbedeutend, aber in der Summe ein Berg von Kränkungen und Verletzungen. Solche Ausreden sind Clay Jensen vergangen, seit er vor seiner Haustür ein Päckchen gefunden hat mit 7 Cassetten, auf denen seine Mitschülerin Hannah Baker die Hintergründe erläutert, die zu ihrer Entscheidung geführt haben, sich das Leben zu nehmen. 13 Menschen sollen sich diese Cassetten nacheinander anhören, um zu verstehen, was ihr Anteil an dieser Entscheidung ist. 13 Episoden aus ihrem Leben, 13 Gründe, warum. „Hintergangen zu werden. Eines der schlimmsten Gefühle überhaupt“ (17). „Ein Gerücht um einen Kuss hat eine Erinnerung zerstört, von der ich hoffte, sie würde etwas ganz Besonderes sein. Ein Gerücht um einen Kuss hat mir einen Ruf eingebracht, den andere Leute für bare Münze nehmen. Manchmal kann ein Gerücht um einen Kuss eine ganze Lawine auslösen“ (34). Bei Gerüchten bleibt immer was hängen. Aus einem Gerücht wird ein Schneeballeffekt. Aus dem Gerücht erwächst auf einer Liste der „geilste Arsch der Jahrgangsstufe“. „Stellt euch einfach vor, wie es ist, seine ganze Seele in den ersten Kuss zu legen... und dafür eine schallende Ohrfeige zu ernten. Wie es ist, wenn die einzigen beiden Menschen, denen ihr vertraut, sich plötzlich gegen euch wenden. Wenn sie dich für ihre Machtspielchen missbrauchen, dir aber später Betrug vorwerfen... Stellt euch vor, den letzten Rest an Sicherheit und Privatsphäre zu verlieren, nur damit ein anderer seine perverse Neugier befriedigt (143). Und die Lawine rollt weiter... Statt Justin Foley, Alex Standahl, Jessica Davis, Taylor Down, Courtney Crimsen, Markus Cooley, Zach Dempsey, Ryan Shaver, Clay Jensen, Jenny Kurz, Bruce Walker und Mr. Porter lassen sich deutsche Namen einsetzen. Tote Mädchen lügen nicht – nirgends. Auch bei uns nicht, denn: „Wenn du jemanden lächerlich machst, dann bist du auch verantwortlich dafür, wie sich andere dieser Person gegenüber verhalten“ (56). Auch Hannah hat ihre ungerechten, unfairen und unzugänglichen Seiten. Auch Hannah hat Chancen vertan, wo sie hätte für andere eingreifen müssen... Das macht das Erstlingswerk des damals 33-jährigen Jay Ashers zusätzlich sympathisch, da es nicht moralisiert, nicht pädagogisiert, sondern schlichtweg erzählt, wie komplex das Leben ist, wie kompliziert Beziehungen sein können. Clay Jensen hat sich in einer Nacht alle Cassetten mit den 13 Episoden angehört und währenddessen die dazugehörigen Orte aufgesucht. Ich habe das Buch auch mitten in der Nacht kaum aus der Hand legen können. Sorry, dass ich mit dieser Besprechung schon einiges vorweg genommen habe. Die Lektüre wird trotzdem spannend bleiben! Jay Asher Tote Mädchen lügen nicht Aus dem Amerikanischen von Knut Krüger 288 Seiten Cbt-Jugendbuchverlag, München 7. Aufl. 2009 ISBN: 978-3570160206 Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel „Thirteen Reasons Why“ und wurde bis zur deutschen Ausgabe bereits 160.000 mal in den USA verkauft. Preis: 14,95 Euro [Erstveröffentlicht in: contact 3/2011, S. 3-4, Schulzeitschrift des Franziskanergymnasiums Großkrotzenburg]
© Copyright 2024 ExpyDoc