Nicht nur an Tagen wie diesen - Evangelische Sonntags

Seite
24 · 18. Oktober 2015 · Sonntags-Zeitung
GEMEINDEREPORT
Nicht nur an Tagen wie diesen
Tradition und Zukunft sind in Roßbach gut ausbalanciert – auch dank einer engagierten Pfarrerin • Von Diana Zulfoghari
40 Jahre gibt es jetzt das Blockhaus am Ortseingang. Das muss
gefeiert werden, finden die Roßbacher. Das tun sie mit einem
Open-Air-Festival am Samstag
und einem Gemeindefest am
Sonntag. Dazu laden sie alle ein,
denn sie sind stolz. Auch auf ihre
Pfarrerin, eine Ex-Bischöfin und
Kirchenpräsidentin.
ROSSBACH
■ Kirchengemeinde Roßbach
Pfarrerin Ilona Fritz
Hauptstrasse 43, 56271 Roßbach
Telefon: 0 26 80/242
E-Mail: ev.kirchengemeinde.ross
[email protected]
Die Familie lebt weiterhin
in den Niederlanden
Die Roßbacher sind schon etwas
geschmeichelt, dass sie sich für
ihre Gemeinde entschieden hat.
Und dafür einiges auf sich
nimmt, etwa die Trennung von
der Familie. Ihr Mann Sjaak Tensen und die studierenden Söhne
leben weiter in Amsterdam, kommen mal am Wochenende. Nur
Snoofy, im Westerwald Schnuffi
gerufen, hat sich ganz auf das
Abenteuer Dorfleben eingelassen.
Es läuft gut.
Ilona Fritz beschreibt im Gottesdienst die Geschichte der einstigen Dorfjugend, die sich im
Hühnerstall traf, der eines Tages
abbrannte. Ein eigenes Haus sollte her. In den 1970ern, als an-
Fotos: Diana Zulfoghari
D
ie Gäste können kommen. Die Getränkewagen sind nach einem
wilden Abend schon wieder einsatzbereit, im Kühlwagen stapeln
sich Würstchen und marinierte
Steaks, Tortenhauben stehen
Spalier. Die Gemeindemitglieder
sitzen an Biertischen, die hellgrün eingedeckt und mit Sonnenblumen dekoriert sind. Ein
freundlicher
schwarzweißer
Hund begrüßt schwanzwedelnd
jeden Neuankömmling. Snoofy
ist ehrenamtlicher Kirchenmitarbeiter. Seine Aufgabe besteht
darin, gute Laune zu verbreiten
und Frauchen – pardon – Frau
Pfarrerin mit jedem ins Gespräch
zu bringen. Die Küsterin verteilt
Liedblätter, die Seelsorgerin
steigt im Talar die Treppe zur
Bühne herauf, der Hund legt sich
hin, er hat alles erledigt.
Das ist jetzt ihre Show. Nein,
Ilona Fritz greift nicht zur E-Gitarre. Sie sagt, sie habe überhaupt
noch nie auf einer solchen Bühne
gestanden. Unangenehm ist es
ihr offensichtlich nicht. Denn
selbstverständlich hat sie einen
gewissen Ruhm. Seit einem Jahr
ist sie jetzt Pfarrerin in Roßbach
und Freirachdorf. Davor war sie in
Holland Bischöfin und Kirchenpräsidentin, acht Jahre lang an
der Spitze der frisch vereinigten
drei evangelischen Kirchen im
Nachbarland.
dernorts Jugendzentren gebaut
wurden, haben die Jugendlichen
aus dem waldreichen Roßbach
Bäume gefällt und eine Blockhütte gebaut. Natürlich mit Hilfe der
Gemeinde. Sie bittet die Beteiligten aufzustehen. Einige der FetenTeens von damals sind heute mit
den Enkeln zum Gottesdienst gekommen. Die Hüttenbauer nehmen den Applaus entgegen, kichern immer noch wie Teens.
Hier und da zeugen tätowierte
Schultern und Knöchel von wilden Zeiten und Rock ’n’ Roll. Die
Blockhüttenjugend von früher
trägt heute noch bunte Haarsträhnen, und die aktuelle Jugend steht
wieder auf komplizierte Flechtfrisuren und Bauernzöpfe zu Hotpants
und
Riemchensandalen. Alle Generation waren
sozial engagiert, seit 40 Jahren
werden alle Einnahmen von Festen, Konzerten und Veranstaltungen gespendet, etwa für krebskranke Kinder. In Roßbach wird
Gottesdienst gefeiert – feiern meinen sie wörtlich. Ilona Fritz zitiert
die Toten Hosen »An Tagen wie
diesen wünscht man sich Unendlichkeit«. Ja bitte, immer Sommer, immer draußen feiern.
Auch viel Nachwuchs sitzt im
Gottesdienst. Ilona Fritz hatte mit
mehr demografischem Wandel
gerechnet, mit weniger Kindern
und deutlich mehr Senioren. Ihre
Bilanz nach einem Jahr: sieben
Taufen, sieben Beerdigungen.
Gut ausgewogen. Die Pfarrerin
hat eine Krabbelgruppe gegründet, um die jungen Mütter kennenzulernen, sie vor Verein-
samung in Erziehungszeiten zu
bewahren. Vielleicht auch sich
selbst, 350 Kilometer von ihren
Lieben weg. Die Homepage der
Gemeinde pflegt sie auch selber.
Später zieht die Pfarrerin
mit ihrem Mann in die Eifel
Roßbach hat schon einiges wegstecken müssen in den vergangenen Jahren. Tatsächlich glitzern
bei den Kirchenvorstehern Tränen, als sie erzählen, wie sie einst
ihren Pfarrer beerdigen mussten.
»So jung! So plötzlich!« – und
dann Vertretungen, immer wieder neue Gesichter, Menschen,
die kommen und gehen. »Ilona
wird hoffentlich bis zur Rente
bleiben«, wünscht sich Marianne
Käß sozusagen als Älteste im Kirchenvorstand. Das sind noch 14
Jahre. »Aber dann gehe ich mit
meinem Mann in die Eifel, da haben wir ein Haus«, kündigt sie an.
Irgendwie weht in Roßbach gerade ein frischer Wind. Es wird renoviert, etwas Neues begonnen.
Auch die Kirche ist Baustelle – der
Bau aus den späten 1950er Jahren
muss komplett saniert werden:
Teppichboden raus, Heizung,
Lampen, die ganze Elektrik erneuert. »Weihnachten feiern wir
wieder in der Kirche!«, beteuert
Fritz. Inge Schneider ist damals in
so einer Übergangsphase im
Schulhaus konfirmiert worden.
Die alte Kirche aus dem neunten
Jahrhundert hatte schwere Risse
im Glockenturm. Schon seit den
1930er Jahren durften die Glocken nicht mehr geläutet werden.
Bergschäden, Einsturzgefahr. In
den 1950er Jahren wurde der Glockenturm gesperrt. Damals dachte niemand an Sanierung. Die
Idee, eine supermoderne Kirche
zu bauen, war zeitgemäßer. Die
Roßbacher haben ihren alten
Kirchturm selber abgerissen. »Das
ist falsch!«, dachte sich schon damals Konfirmandin Inge. Seit
1976 ist sie als Küsterin für die
neue Kirche zuständig. Die Ruine,
in der sie lieber konfirmiert werden wollte, ist bis heute eine Herzensangelegenheit.
Nun ist die einst neue Kirche
Sanierungsfall und die Ruine der
alten Kirche das Lieblingsmotiv
aller Hochzeitsfotografen. Dort
hat die Gemeinde bis vor kurzem
Gottesdienste unter freiem Himmel gefeiert oder Taufen und
auch Konzerte gegeben. Aber
Die Ruine in voller Pracht, daneben die »neue« Kirche, die gerade
renoviert wird. Gut gelaunt ist
Sjaak Tensen (linkes Bild), der
Mann von Ilona Fritz. Er ist gerade zu Besuch aus Amsterdam,
neben ihm sitzt Küsterin Inge
Schneider. Und Ilona Fritz
strahlt.
mittlerweile ist der Ruinenrest
einsturzgefährdet, darf gar nicht
mehr betreten werden. Es sieht so
aus, als wäre die neue Pfarrerin
entschlossen genug, das alte Fass
mit Bergschäden und Haftung
noch einmal aufzumachen oder
andere Wege zu finden, dieses
Wahrzeichen zu retten. Zusammen mit der Feuerwehr, den
Landfrauen, dem TuS, dem Tennisclub, dem gemischten Chor
und dem Kirchenchor, der IG
Blockhaus – mühelos zählt die
Pfarrerin alle Vereine auf. Die
Steaks sind fertig, vom Grill zieht
ein würziger Duft über das Festgelände – die Blaskapelle spielt
auf, damit ist jede Unterhaltung
erstmal beendet. In Roßbach sind
Tradition und Zukunft gut ausbalanciert, finden die Feiernden.
Nicht nur an Tagen wie diesen.
DREI FRAGEN AN ...
... Inge Schneider, seit 1976
Küsterin:
?
Welches ist Ihr liebstes Kirchenlied?
»Herr, wir bitten: Komm und
segne uns«. Das haben wir gerade am Ende des Gottesdiensts
gemeinsam gesungen. Ich mag
die modernen Kirchenlieder. Es
freut mich, dass die Pfarrerin so
viel mit uns singt.
?
Wen würden Sie gerne zu einem Gottesdienst einladen?
Die Notfallseelsorgerin Ulrike
Braun-Steinebach, ich mag sie
so gerne, sie macht so wichtige
Arbeit und ist schon lange nicht
mehr hier gewesen.
?
Was machen Sie mit einer
Spende von 20 000 Euro?
Alles für die Ruine! Da werden
20 000 Euro wohl gar nicht reichen. Aber wenn wir sie wieder
benutzen könnten und am besten mit einem Dach, dass man
auch wetterunabhängig darin
Konzerte geben könnte, das wäre mein Traum.