Seite 24 · 21. Februar 2016 · Sonntags-Zeitung GEMEINDEREPORT Fotos: Peter Bongard (2)/Diana Zulfoghari (1) Zwei zusammengebackene Broten symbolisieren die Vereinigung zur Willkommensgemeinde Freirachdorf-Roßbach. Die Kirchenvorstände verteilen Brot an die Gottesdienstbesucher. Viele Menschen in der Willkommensgemeinde schätzen Pfarrerin Ilona Fritz (rechts) sehr, daneben Inge Schneider. Eine starke Gemeinschaft: die Mitglieder der beiden Kirchengemeinden stellen sich auf zum Erinnerungsfoto. 200 Jahre Probezeit sind genug Roßbacher und Freirachdorfer Protestanten schließen sich endgültig zusammen • Von Peter Bongard Hier wächst gerade zusammen, was schon lange zusammengehört. Roßbach und Freirachdorf haben sich vereinigt und heißen jetzt Willkommensgemeinde. Z usammengehalten haben die beiden schon immer. In den langen Zeiten ohne festen Pfarrer. Oder während der NS-Diktatur, als sie den Nazis die lange Nase zeigen. Aber bei aller Liebe bleiben Roßbach und Freirachdorf zwei getrennte Kirchengemeinden. Zumindest bis 2016. Denn künftig gehen die Protestanten beider Orte gemeinsame Wege: Sie schließen sich zur Willkommensgemeinde Freirachdorf-Roßbach zusammen, setzen damit ein Ausrufezeichen hinter eine Geschichte des Zusammenhalts, die schon vor rund 200 Jahren begonnen hat. Es ist das frühe 19. Jahrhundert: 1815 tritt Nassau das damalige Amt Dierdorf an Preußen ab – mit Ausnahme Freirachdorfs. Und das führt dazu, dass das Dörfchen aus dem Kirchspiel Elgert-Wiedischhausen-Freirachdorf fällt und fortan ohne Schwestergemeinden dasteht. Das benachbarte Roßbach hat einige Jahre später ebenfalls mit Problemen zu kämpfen, weil es keinen Pfarrer findet. Freirachdorf springt zum ersten Mal für die Nachbarn in die Bresche. Deren Geistlicher betreut Roßbach künftig mit. Eine Episode, die beide Gemeinden schon sehr früh eng zusammenbringt. Das Kirchturmdenken, dass jedes Dorf bitteschön eine eigene Ge- meinde haben soll, verhindert, dass aus dem Beschnuppern etwas Festes wird. In den 1930er Jahren rücken die Protestanten beider Orte aber noch enger zusammen – zum einen, weil diesmal Roßbach die Vakanzvertretung für Freirachdorf übernimmt. Zum anderen, weil sie sich dem Druck der Nazis nicht beugen wollen. Die Kirchentüren sind vernagelt und verriegelt Ein Großteil der Gemeindemitglieder beider Orte gehört zur Bekennenden Kirche, der Oppositionsbewegung der evangelischen Christen in der NS-Zeit. Außerdem gibt es zwei inoffizielle Pfarrer in beiden Orten – gläubige Gottesmänner, die der Bruderrat der Bekennenden Kirche in den Westerwald geschickt hat. Der vom Landeskirchenamt offiziell berufene Geistliche ist jedoch Mitglied der linientreuen Deutschen Christen – und sitzt am längeren Hebel. Er verbietet den bekennenden Christen und deren Pastoren, die Kirchen zu betreten. Zeitzeugen berichten, dass im Mai 1940 die Pforten des Gotteshauses gar »doppelt zugeschlagen, vernagelt und verriegelt« sind. Die Christen lassen sich die Schikanen nicht bieten und verschaffen sich an Pfingsten kurzerhand durch die Sakristei Zugang zu ihrer Kirche. Als auch das nicht mehr möglich ist, brechen die Protestanten beider Orte mit ihren Pfarrern zu Fuß nach Oberdreis auf, um dort endlich in Ruhe Gottesdienst feiern zu können. Oder sie treffen sich gleich in Privathäusern: Noch heute erinnern sich Menschen beider Dörfer an Trauungen und Taufen in den eigenen vier Wänden und reden hochachtungsvoll von den Pfarrern der Bekennenden Kirche, die damals mehrmals verhaftet und verhört werden. Die Solidarität und das Festhalten an Überzeugungen bewahren sich die Protestanten beider Orte über den Krieg hinaus. Obwohl es von 1951 bis 1966 in Roßbach wieder eine Durststrecke ohne festen Pfarrer gibt, in der die Freirachdorfer ihren Geschwistern abermals unter die Arme greifen: Die Freirachdorfer Pfarrer betreuen den Nachbarort in dieser Zeit mit – wie schon rund 130 Jahre zuvor. 1966 tritt dann ein besonders prägender Mensch seinen Dienst an: Pfarrer August Philippus. Auf dem Papier ist er zwar in Roßbach »unter Versehung der Pfarrei Freirachdorf« tätig, wie es im damaligen Kirchendeutsch heißt. In der Realität gibt es diese Abstufung aber nicht: Philippus leitet beide Gemeinden gleichberechtigt 24 Jahre lang und setzt in dieser Zeit entscheidende Akzente. Er gründet neue Kreise, investiert viel in die Frauenarbeit. Das Engagement tut beiden Gemeinden gut, sorgt nach den schwierigen Kriegsjahren und der anschließenden Vakanz für Stabilität. 1990 machen Roßbach und Freirachdorf erneut einen großen Schritt aufeinander zu. Unter Pfarrvikarin Gudrun Ortwein beschließen sie pfarramtliche Verbundenheit. Das bedeutet nicht nur, dass die Pfarrvikarin fortan für beide in gleichem Maße verantwortlich ist, sondern dass Gemeindeglieder gemeinsame Projekte wie ein Frauencafé oder große Gottesdienste realisieren. Mit der amtierenden Pfarrerin Ilona Fritz beginnt nun wieder ein neues Kapitel. Aus dem gegenseitigen Aushelfen und der pfarramtlichen Verbundenheit ist jetzt eine echte Einheit geworden. Ein großer Schritt, der sich schon 2014 abzeichnet. Damals finden gemeinsame Klausurtagungen statt, aus denen die Kirchenvorsteherinnen und –vorsteher vor allen Dingen eine Erkenntnis mitnehmen: Eigentlich gibt es zwischen beiden Gemeinden kaum Unterschiede. Schon gar nicht, was die theologische Ausrichtung angeht. Hier wie dort ist Dietrich Bonhoeffer das große Vorbild; beide legen Wert auf Solidarität und sind offen für eine enge Anbindung an die Dorfgemeinschaft; beide beschäftigen ökologische Fragen. Willkommensgemeinde: der Name ist Programm Auch den ersten Test der noch frischen Beziehung übersteht das junge Paar. Um die Obergrenze von zwölf Personen einhalten zu können, verzichten die Roßbacher – die größere der beiden Gemeinden – auf vier ihrer Kandidaten zur Kirchenvorstandswahl, so dass beide Orte gleich viele Delegierte stellen. Nun schließen sich Roßbach und Freirachdorf also zur Willkommensgemeinde zusammen. Ein Name, der Programm sein soll. FREIRACHDORF ■ Pfarrerin Ilona Fritz Willkommensgemeinde Freirachdorf-Roßbach Hauptstraße 43, 56271 Roßbach Telefon: 0 26 80/242 Denn sowohl Pfarrerin Ilona Fritz als auch der Kirchenvorstand träumen von einer Kirche, die eine lobende Gemeinde für alle Generationen wird. Eine, die ihre Kinder- und Jugendarbeit ausbauen und vernetzen möchte, neue Kraft in die Seniorenarbeit steckt, weit über den eigenen Tellerrand hinausblickt und nicht nur neue Gemeindemitglieder, sondern auch Flüchtlinge herzlich willkommen heißt. Dinge, die sicher einen langen Atem brauchen. Allerdings haben die Roßbacher und Freirachdorfer schon mehr als einmal bewiesen, dass sie zusammenhalten können, wenn es darauf ankommt. DREI FRAGEN AN ... ... Freirachdorfs Kirchenvorsteherin Hannelore Vetter: Was macht einen Gottesdienst zu einem Traumgottesdienst? ? Festliche Feiertagsgottesdienste. Welcher Kirchenmann/welche Kirchenfrau beeindruckt Sie? ? Gemeindepfarrerin Ilona Fritz und Margot Käßmann. Was würden Sie spontan mit einer 20 000-Euro-Spende anfangen? ? In Not geratene Personen unterstützen.
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