Wie redet man mit Kindern über Sex?

6 | FRAGE DER WOCHE
KLEINE ZEITUNG
SONNTAG, 24. MAI 2015
F RAG E D E R WO C H E
Wie redet
man mit
Kindern
über Sex?
Wie kann Sexualerziehung gelingen? Und wessen
Sache ist sie? Die der Eltern, der Schulen – oder
überlässt man die Antworten dem Internet?
Die Psychotherapeutin Rotraud A. Perner analysiert.
E
gal an welches Thema man
denkt – wenn es nicht das
erste Mal geschieht, folgt
unvermeidlich die Aktivierung
von Erinnerungsspuren an früheres Erleben samt zugehörigen
Gefühlen. Beim Thema Sexualität folgt Erregung: bei kleinen
Kindern meist Unverständnis,
Neugier oder Heiterkeit, sobald
aber die Hormonstürme (oder
sanften Brisen bis Flauten) eintreten, folgen die vielen Abstufungen von Appetenz oder – Wut.
Der Körper wird angeregt, sich
paarungs- oder kampfbereit zu
machen.
Letzteres geht leichter: Die
meisten Menschen haben die
Erfahrung gemacht, dass kaum
jemand gegen eskalierende Aggressivität einschreitet – man
könnte dann ja schnell selbst zur
Zielscheibe werden. Bei zärtlichen „Grenzüberschreitungen“ –
und würden sie auch nur angesprochen – reagieren viele wie
angelernt mit Scham- und
Schuldgefühlen. Dann schon lieber Tarnung durch Aggression.
Bei allem, was mit Sexualität zu
tun hat, werden Grenzen berührt:
Im Idealfall merkt man bei sich
selbst die Herz- und Blutgefäßer-
weiterung als physischen Entgrenzungsvorgang, aus dem Liebe werden kann, wenn man sich
die Zeit lässt, achtsam mit den
Grenzen der jeweils anderen Person bzw. Personen umzugehen.
Bei den immer wiederkehrenden
Diskussionen, Phantasien und
Widerständen rund um das Thema Sexualerziehung zeigen sich
seit den 1970er-Jahren, als diese
unter Staatssekretärin Elfriede
Karl erstmals begann, die Sorgen
vieler Eltern, ihre Kinder würden
zu „Libertins“ – zu Menschen, die
sich an keinerlei soziale bzw. sexuelle Begrenzungen halten – herangebildet. Diese Angst ist zu
respektieren.
ie demonstriert nämlich
nur das Grundproblem jeder sexuellen Begegnung –
egal ob körperlich vollzogen oder
„nur“ diskutiert: Wir sind unterschiedlich, wir haben unterschiedliche Bestrebungen (Wünsche, Begierden, Befürchtungen,
Zwänge etc.), wir haben unterschiedliche Biographien, Ideologien, Glaubenssätze – und wir haben unterschiedliche soziale Gemeinschaften, Familie mitgemeint, aus denen wir nicht herausfallen wollen. Die Grund-
S
angst jedes Menschen besteht darin, „ganz unmöglich“, d. h. nicht
akzeptabel zu sein. Dann schauen
wir uns Verhaltensmöglichkeiten
von Vor-Bildern ab, die wir für
erfolgreich halten – und im Bereich der gelebten Geschlechtlichkeit stammen diese Modelle
fast nur aus Pornofilmen. (Früher
waren es die Tiere auf der Straße
oder auf dem Bauernhof; das Niveau, das man dabei beobachten
kann, ist ziemlich das Gleiche:
schnell und ziemlich gewaltsam,
weil ohne individuelle Beziehung.)
Nun umfasst aber gelungene
Sexualerziehung die Vermittlung
der Erkenntnis, dass menschliche
Geschlechtlichkeit nicht nur eine
körperliche, seelische und soziale, d. h. Beziehungsdimension besitzt (so wie es auch in der
Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation WHO
heißt), wobei Beziehung mehr als
das Ich-Du-Geschehen umfasst;
sie steht auch in einer Wir- und in
einer Umfeld-Beziehung. Und:
Sie besitzt auch eine geistige, ja
sogar spirituelle Dimension. Genau deswegen ist es wichtig,
wenn man für Sexualerziehung
in der Schule plädiert – und das
tue ich –, die Bedenken und Einwände der Personen, die das häufige Fehlen dieser Mehrdimensionalität erkennen und einfordern, ernst zu nehmen und nicht
als altmodisch, prüde oder ignorant zu bekämpfen.
ch selbst habe 2010 der damaligen Unterrichtsministerin
Claudia Schmied ein auf meiner mehr als 40-jährigen Berufserfahrung basierendes innovatives Projekt zur Ausbildung und
Unterstützung von Lehrkräften,
die sich in der Sexualerziehung
engagieren, vorgeschlagen; es ist
an den zuständigen Beamtinnen
gescheitert, die stolz verkündeten, sie bräuchten nichts Neues,
weil sie ja ohnedies die DVD
„Sex, we can?!“ (http://www.sexwecan.at) hätten. Ohne jetzt die
Arbeit
der
Kollegenschaft
schlechtmachen zu wollen – ich
weiß, wie viel Mühe in solch
einem Produkt drinsteckt! –, sind
alle bisherigen ministeriellen
Initiativen einseitig ausgerichtet
und ignorieren die Differenzen
innerhalb der Adressatengruppen – und die werden aus uns allen gebildet! – und überdies die
Grundsätze jeder gewaltverzichtenden Pädagogik.
I
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KLEINE ZEITUNG
SONNTAG, 24. MAI 2015
ZITATE DER WOCHE
Das ist offenbar die Zeit der
großen Sprücheklopfer.
Innenministerin Johanna
Mikl-Leitner (ÖVP) fordert Quartiere
statt Sprüche für Flüchtlinge.
No paradise but better than hell.
Kein Paradies, aber besser als die Hölle:
Das Leben im Linzer Flüchtlingszelt
schildert Anwari Diaa.
Wenn Kinder ihre
Vorstellung von
Sexualität aus
Pornofilmen
gewinnen,
erfahren sie
das Wesen von
Intimität nicht
ZEICHNUNG:
PETAR PISMESTROVIC
Rotraud A. Perner ist Psychotherapeutin, Gesundheitspsychologin und
Erwachsenenbildnerin
TOPPRESS
Gerade wenn es um Sexualität
– den innersten Kern unserer
Persönlichkeit – geht, liegen subtile Gewaltformen wie Beglückungsterrorismus nahe: egal ob
Partnerpersonen, Experten oder
Erziehungsbeauftragte:
Man
glaubt, so genau zu wissen, was
für den oder die anderen gut ist
und vergisst die Wirklichkeit der
vielen medialen Einflüsse – schulische mitgemeint – außerhalb
der bewusst wahrgenommenen,
die es zu ordnen gilt. Das zeigt die
paartherapeutische Praxis ebenso wie die einzelne Rat suchende
Person am Telefon oder im
Schriftverkehr: Sie alle suchen
Orientierung – vor allem dann,
wenn sie im Konflikt mit anderen
stehen. Nun zeigt sich wie jedes
Mal der Konflikt zwischen angeblich Konservativen und angeblich Progressiven (die aus sozialhistorischer Sicht aber die eigentlich Konservativen sind, die
endlich ihre Ziele der 1970er-Jahre – Stichwort „sexuelle Befreiung“ – „durchsetzen“ wollen).
rdnen
muss
jeder
Mensch selbst – er
braucht aber dazu Informationen, vor allem, dass man
gelungene Beziehungen daran
erkennt, dass Widerspruch respektvoll angenommen wird – so
wie es auch daheim ebenso wie in
der Arbeitswelt nötig ist, wenn
man die Selbstachtung und damit
Gesundheit anderer nicht schädigen will. (Im Kampf will man es
bekanntlich.)
Sexualerziehung sollte als Unterrichtsprinzip quer durch alle
Lehrfächer Raum greifen können. Nur Verhütungswissen und
Mut zur Zärtlichkeit ist zu wenig.
Die heutigen Herausforderungen
O
heißen Sexting und Cybersex
und immer wieder Missbrauch
und Vergewaltigung. Die wenigsten Eltern haben dazu das Wissen
und pädagogische Können und
auch die nötige Sprachkultur –
selbst wenn sie einschlägige Kurse besucht haben (und nicht nur
das Gleiche weitergeben wie ihre
Eltern und Erziehungspersonen,
die logischerweise einer anderen
Generation mit anderen Herausforderungen angehören!) –, sind
diese nicht absichtslos, weil sie ja
ihre eigenen Ziele durchsetzen
wollen und die lauten meist „Sei
mein Klon!“ und „Du sollst keine
anderen Götter haben neben
mir!“ (Deswegen dürfen ja auch
Psychotherapeuten nicht mit
Menschen arbeiten, zu denen sie
eine Privatbeziehung haben!)
rofessionelle Sexualerziehung bedeutet eigentlich
Ethikunterricht – und auch
der könnte sich als Unterrichtsprinzip überall einnisten. Diese
Basis einer themenspezifischen
ganzheitlichen Ausbildung fehlt
nach wie vor an den berufsbildenden Einrichtungen (außer in
meinem Uni-Kurs PROvokativpädagogik, ab Oktober an der Uni
for Life in Graz).
P
Je eher die Zelte abgebaut sind,
desto lieber.
Johanna Mikl-Leitner lässt aber noch
ein paar aufstellen, sicherheitshalber.
Ich sage nicht Nein.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer
(SPÖ) sagt indirekt Ja zur Mission
Hofburg.
Wir sind für Erarbeiten und dann
erstVerteilen.DieandereSeiteist
für gleich Verteilen.
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner
(ÖVP) erklärt den Unterschied zwischen
ÖVP und SPÖ.
Zwei Drittel des Weges sind
gegangen. Jetzt geht es in den
Endspurt.
Die krebskranke Ministerin Sabine
Oberhauser (SPÖ) ist zurück im
Business.
Ich werde mehr denn je schauen,
dass die Partei nicht jene Leute
übernehmen, die sie diffamieren
und Mandatare in den Dreck
ziehen. Das ist nämlich eine
Sauerei.
Karl Schnell könnte sich nach internen
Machtkämpfen in der Salzburger FPÖ
wieder um die Parteispitze bemühen.
Im Wahlkampf ist mir eine
pessimistische Stimmung eh
lieber, dann rennen s’ mehr.
Setzt auf die Ausdauer der Funktionäre:
Max Lercher, Geschäftsführer der
steirischen SPÖ.
Wenn es um den Uhudler geht:
Ich bin ein Südburgenländer.
Agrarminister Andrä Rupprechter
(ÖVP) geriet im Nationalrat ins
Schwärmen.
„Die Muppet Show“ ist nicht
mein Lebensziel.
Erspart sich Kommentare zur aktuellen
Politik: der frühere ÖGB-Präsident Fritz
Verzetnitsch.