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Ärzte setzen nur selten auf Operationen | Manuskript
Ärzte setzen nur selten auf Operationen
Bericht: Inga Klees
Regensburg halb sieben morgens. Zwei Freudinnen unterwegs in eine Münchner Klinik. Sie
teilen beide das gleiche Los: Sie gehören zu den mehr als eine Million extrem
übergewichtigen Menschen in Deutschland. Beifahrerin Andrea Liebke hat es schon hinter
sich. Sie hat sich den Magen verkleinern lassen. Fahrerin Christine Liedl möchte das auch.
Eine Operation, der einzige Ausweg bei ihrem Gewicht auch wirklich langfristig abzunehmen:
Christine Liedl
Das ist die einzige Chance. Ich hab es sooft probiert, ich hab Sport gemacht, ich hab 10
Jahre im Fußballverein gespielt, war das schon übergewichtig. Ich hab Badminton gespielt.
Aber es ist nie was runter gegangen, es ist immer weiter hochgegangen.
Selbstunternommene Abnehmversuche, da habe ich gar nicht mehr mitgezählt ehrlich
gesagt.
163 Kilo wiegt sie, eine ganze Weile schon. Zwei Anträge hat Christine Liedl bei ihrer
Krankenkasse gestellt, damit diese die Kosten in Höhe von 8.000 Euro für die
Magenverkleinerung übernimmt. Und zwei Mal wurde ihr Antrag abgelehnt.
Christine Liedl
Für mich ist das ein Schlag ins Gesicht. Weil, die Krankenkasse ist eigentlich dafür da, dass
sie mich unterstützt, gesund zu werden.
Fast Food, Essen jederzeit und überall bei mangelnder Bewegung fordern ihren Tribut.
Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Bundesbürger übergewichtig. Besonders die Zahl der
extrem Schwergewichtigen steigt. Ihre Fettleibigkeit, also Adipositas ist eine Krankheit, die
äußerst komplex ist. Es geht um Vererbung, Hormone, neurologische Zusammenhänge.
Prof. Hans Hauner, Institut für Ernährungsmedizin TU München
Bei der extremen Adipositas empfehlen wir wirklich eine Operation. Das sind auch
meistens Menschen mit starken genetischen Einflüssen auf das Körpergewicht, die in der
Regel ja schon alles versucht haben um abzunehmen, ohne Erfolg. Und das ist dann
sozusagen noch die einzig wirklich wirksame und sichere Therapie, um sie aus diesem
Risikobereich herauszubringen und wird von allen Fachgesellschaften empfohlen.
Denn die zuständigen ärztlichen Fachgesellschaften haben inzwischen wissenschaftlich
nachweisen können, dass die sogenannten Konservativen Therapieprogramme, also Sport,
Ernährungsberatung und Psychotherapie bei einem Bodymaßindex von 50 und mehr keine
ausreichende Gewichtsabnahme bringen. Sie haben deshalb die Magenverkleinerung oder
Magenumgehung als einzige Möglichkeit zur erfolgreichen Behandlung dieser Patienten in
einer Leitlinie empfohlen. Eine Empfehlung die von Krankenkasse zu Krankenkasse und
Bundesland zu Bundesland völlig unterschiedlich umgesetzt wird:
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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So wird in Bayern beispielsweise mit sieben Operationen pro 100.000 Einwohner im
Vergleich zu anderen Bundesländern eher wenig operiert: (Quelle: Adipositas Zentrum
München-Bogenhausen)
Prof. Thomas Hüttl, Chirurgische Klinik München Bogenhausen
Das ist etwas, was eine extreme und inakzeptable soziale Ungerechtigkeit darstellt. Wir
haben ein ganz starkes Nord-Süd Gefälle. Bayern ist ein Extrembeispiel, gehört zu den am
schlechtesten nicht versorgten, sondern therapierten Bundesländern. In den einzelnen
Bundesländern liegt das Problem auch ganz klar darin, dass Dogmatiker die Macht
bekommen haben, auch ärztliche Kollegen, Macht bekommen haben, sich über die
Leitlinien, über die eigenen Richtlinien einfach hinwegzusetzen und das Ganze wird auch
durch keine Kontrollinstanz geahndet außer der Sozialgerichtsbarkeit.
Christine Liedl hat sich ebenfalls dazu entschlossen ihren Fall durch das Sozialgericht
entscheiden zu lassen. Wie erfolgreich so eine Operation sein kann, erlebt sie immer wieder
bei ihrer Freundin:
Andrea Liedke: Also das war letztes Jahr im Juli, August rum.
Christine Liedl: Das ist ja unglaublich. Und wie viel Kilo waren das jetzt seit der OP?
Andrea Liedke: Die OP war am 25.11. letzten Jahres und bis jetzt sind es 26,5 Kilo.
Auch bei Andrea Liedke hat die Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Operation
zunächst abgelehnt.
Andrea Liebke: Die konservativen Therapiemöglichkeiten wären noch nicht ausgeschöpft.
Genauso argumentiert auch die Bahn Betriebskrankenkasse gegenüber Frau Liedl. Ein
Standardargument, das sich nicht nur über die Leitlinien der medizinischen
Fachgesellschaften, sondern sogar über die Vorgaben des Medizinischen Dienstes des
Spitzenverbandes der Krankenkassen, kurz MDS hinwegsetzt.
So die Erfahrung von Fachanwalt Tim Werner, der auch Christine Liedl vor dem Sozialgericht
vertritt:
Tim C. Werner, Fachanwalt für Sozialrecht
Es wird begründet, indem die immer selben Scheinargumente wiedergekäut werden,
nämlich, dass auch Patienten mit einem Bodymaßindex über 50 oder sogar 60,
multimodale, konservative Therapiekonzepte in Anspruch zu nehmen hätten, was schlicht
falsch ist, sowohl nach den Leitlinien der Fachgesellschaften als auch nach dem
Begutachtungsleitfaden des MDS. Bei dieser Patientengruppe besteht eine primäre
Operationsindikation,
d.h.
es
besteht
außerhalb
der
Chirurgie
keine
Behandlungsalternative mehr.
Wie kann das alles sein? Wir fragen nach beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes
Bund der Krankenkassen, beim Bayerischen Gesundheitsministerium und dem medizinischen
Dienst in Bayern. Keine Interviews, nur schriftliche Stellungnahmen.
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Der Begutachtungsleitfaden des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes
Krankenkassen soll eigentlich für eine bundesweit einheitliche Begutachtung sorgen.
Operationen wie eine Magenverkleinerung sind aber trotzdem eine Krankenkassenleistung
im Einzelfall:
Zitat: „Die Ärzte des MDK sind bei ihrer medizinisch-fachlichen Tätigkeit ... nur ihrem
ärztlichen Gewissen unterworfen. Die gutachtlichen Stellungnahmen des MDK sind
Entscheidungshilfen für die Beurteilung des Einzelfalls.“ So das bayerische
Gesundheitsministerium.
Eine Gewissensentscheidung des MDK- Arztes und eine Entscheidung im Einzelfall also. So
wie bei Christine Liedl.
Sind 164 Kilo jetzt das höchste Körpergewicht, was sie je erreicht haben? Ja.
Nach Ansicht ihres Arztes Doktor Otto Dietl hat Frau Liedl alle Bedingungen für eine
Operation erfüllt:
Dr. Otto Dietl, Chirurgische Klinik München Bogenhausen
Wir haben deshalb eine bariatrische Operation befürwortet, weil Frau Liedl einen BMI von
60 kg pro Quadratmeter hat. Das ist nach dem Begutachtungsleitfaden des Medizinischen
Dienstes eine primäre Indikation zur Operation. Trotzdem hat Frau Liedl eigentlich wie ein
Patient, der nicht so einen hohen BMI hat, die Konservative Therapie komplett aus
schöpft. Sie hat über mindestens sechs Monate Ernährungsberatung gemacht. Sie hat ihre
psychotherapeutische Begutachtung positiv bewerkstelligt und führt die entsprechende
Bewegungstherapie seit nahezu einem Jahr durch und dennoch hat der Medizinische
Dienst und ihre Krankenkasse die Operation verweigert.
Die Bahn Betriebskrankenkasse, bei der Frau Liedl versichert ist, wollte FAKT gegenüber
keine Stellung nehmen und verweist auf das laufende Verfahren vor dem Sozialgericht. Bis
das abgeschlossen ist, kann es noch eine Weile dauern. Christine Liedls Wunschgewicht sind
erst einmal 90 Kilo und das sind 70 Kilo weniger als heute. Ohne eine Operation ist das aber
unerreichbar.
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