Nähme ich Flügel der Morgenröte. Predigt für den 1

Nähme ich Flügel der Morgenröte…
Predigt über Psalm 139, 9f.
für den 1. Sonntag nach Trinitatis, 7. Mai 2015
Das Predigtwort:
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
Die Predigt:
Ja, dieser Gedanke als Predigtwort
für den heutigen ersten Sonntag nach Trinitatis,
jenen Sonntag, der das Erwähltsein von Menschen
in der Kraft der göttlichen Liebesmacht bedenkt.
Du bist gesegnet und Du kannst ein Mensch
für dieses Leben sein.
Und dieser Gedanke auch um des Lebens willen,
das uns so verwirrt
in einem unumkehrbaren gesellschaftlichen Prozess
und das sich spiegelt in unseren persönlichen Lebensvollzügen.
Am vergangenen Dienstag war ich unterwegs zu einem Traugespräch,
in dem wir mit dem katholischen Priester die Trauung in der Piaristenkirche
vorbereiten wollten. Auf dem Weg dorthin klingelt mein Handy.
Eine Familie ruft mich an, ob ich sobald als möglich zu ihnen kommen könnte,
weil ihre Tochter, die an einer psychischen Erkrankung leidet,
Hilfe brauchen würde in der Psychiatrie.
Sie sei aber nicht gewillt, sich in die Hände ihrer Psychiater zu begeben.
„Sie sind eine der wenigen Vertrauenspersonen,
der sich unser Kind überhaupt noch anvertraut.
Sie könnten das schaffen.“
Aus Erfahrung kann ich das gut glauben,
bin aber zum Augenblick wirklich in einer inneren Not,
weil ich zu dem Brautpaar möchte.
Den Bräutigam habe ich getauft, als ich sehr jung war.
Seine liebe Mutter habe ich eingesegnet.
Unseren Termin für das Brautgespräch hatten wir sehr schwer gefunden.
Er rechnet mit mir – auch und besonders aus der Erfahrung des geteilten Schmerzes
vor einigen Jahren…
Auf einmal denke ich im Schnellschritt mit dem mobilen Telefon in der Herrengasse:
„Von allen Seiten umgibst Du mich und hältst Deine Hand über mir…“
Und bin ein wenig still…
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In diesem Augenblick sagt der Vater der erkrankten Tochter von sich aus:
„Könnten Sie morgen so gegen elf Uhr bei uns sein?“
Ich frage zurück: „Geht das denn für Sie alle?“
Und er sagt: „Ja, es wäre unaufgeregter
für unsere Tochter, für meine Frau und für mich am Tag.“
Sehr gerne sage ich zu.
Ich habe dann eine traumhafte Begegnung in der Liechtensteinstraße mit dem
Brautpaar, dem Priester. Der hatte mich gebeten, das Tischgebet zu sprechen.
Ich danke unter anderem, dafür, dass wir hier immer satt werden dürfen
und was für ein Geschenk das ist…
Eine Stunde später bedankt der Priester sich bei mir für mein Gebet und für diesen
Satz. Das war das erste Mal in einer so persönlichen ökumenischen Begegnung.
Wenn das Brautpaar in der Küche sich anschickt, etwas vorzubereiten,
dann nehmen wir beide unter dem Tisch schnell unsere Smartphones,
um eine Nachricht zu beantworten,
noch etwas nachzusehen auf unseren Tageslisten…
Wir haben richtig herzlich von den Handys aufblickend gelacht,
weil es so typisch ist…
Und mir fällt ein, dass in derselben Stadt die junge Frau lebt,
der so schwer zu helfen ist in ihrer psychischen Erkrankung…
Ist es mehr geworden, das Erkranken überhaupt
in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt,
in der es keinen Maßstab mehr zu geben scheint?
Ist es mehr geworden?
Und wie wird ein Wert festgestellt.
Wie ist das noch messbar?
Die Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu unternimmt für ihr Schreiben immer
kleine Fluchten und findet in den Kleinwelten der Dörfer
die ganze gegenwärtige und komplexe Welt:
Da schreibt sie über eine junge Frau:
„Charlotte ist in Thüringen geboren.
Und noch zu DDR-Zeiten in die BRD übergesiedelt.
Sie hat Design in Berlin studiert,
eine Weile in der Schweiz gelebt.
Mit ihrem kanadischen Mann ist sie nach Belgien gezogen.
Und jetzt ist sie aus Belgien nach Rumänien,
nach Katzendorf in Siebenbürgen gekommen.
Mit einem jungen, belgischen, zugelaufenen Kater,
der auf den rumänischen Namen Viorel hört.
Mit fünf belgischen Zwerghühnern.
Mit neun internationalen Milchziegen und einem Ziegenbock.“
Eine Schriftstellerin unternimmt kleine Fluchten für ihr Schreiben,
inmitten der großen Fluchten dieser Erde mit all ihren Nöten…
Wir leben in einer großen äußeren und inneren Beunruhigung…
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Wohin mit mir und meinen Fragen?
Und wohin mit meiner Sehnsucht
dass ein Klärendes geschieht,
die Dinge und Verhältnisse sich klären
und ich wieder verklärt werde
Und bitte doch von einer Klarheit zu der anderen…
Sollte so der Weg meines Lebens nicht sein?
Könnte es nicht so sein?
JA
glaube ich mit einem der schönsten und wahrsten Konjunktivsätze
der biblischen und der Weltliteratur:
„Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.“
Dieser schöne religiöse Konjunktiv einer Gewissheit.
Wie ein Kind lacht und läuft so schnell es kann und es weiß:
Die Mutter, der Vater läuft hinterher und holt mich ein.
Und etwas in uns weiß wie das Kind:
Etwas in mir bleibt unverletzt und unversehrt
und es ist immer und es bleibt ewig so
wie
ich in Gott.
Immer schon hat Gott mich eingeholt,
die Hand gereicht und mich fest im Griff seiner Zärtlichkeit, der Zartheit Gottes –
Und Du hältst Dich mit Deiner Rechten...
Warum denn mit Deiner Rechten?
Weil ich Dich ins Recht bringe.
Dir steht die Liebe zu und das Leben
Und dann Du der Liebe und dem Leben
Denn das ist das Heilige in Dir und in Dir:
Dass Gott an Dich glaubt.
„Gott glaubt an mich!“ Sage Dir das ein jeder, eine jede:
„Gott glaubt an mich!“
Nie bin ich allein, stets bin ich der Deine, die Deine
Lachen oder Weinen,
Gesundsein und Krank sein
Leben, Sterben
Heimat suchen und sie am Ende finden,
weil doch die Politik auch von Menschen gemacht wird,
die in sich den Traum vom wahren Menschsein tragen
und die klug sind –
der Begriff um den sich der Kirchentag dreht, der heute in Stuttgart endet –
Christ sein und an das Leben glauben…
Und sein, damit wir klug werden…
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Und mein geliebter Jesse Thoor soll für Dich, liebe Silvia
und für Euch alle, Ihr Lieben, zur Sprache kommen:
Und
Und
Und
Und
es kommen die Vögel von den Bergen und aus jeder Richtung.
es kommen die Fische mit den hellen Kreuzen auf ihren Rücken.
die Sterne mit den verzweigten Augen und mit den weisen Händen.
die Monde mit den silbernen Geräten und mit den höchsten Reden.
Und
Und
Und
Und
du bleibst immer bei mir, und du verlässt mich nicht.
du wendest mühelos mein Leib, und du begleitest mich.
läuterst meine Wünsche, und du änderst meine Gedanken.
du richtest mich wieder auf, und du beendest meine Not.
Und ich erwäge den Lauf des Regens und den Rat der Sonne.
Und ich rufe deinen Namen laut und vor allen Leuten.
Und ich esse dein Brot, und ich trinke deinen Wein.
Und es kommen deine Wochentage zu mir mit großer Verheißung.
Und es kommen deine vier Boten mitsamt den sieben heiligen Zeichen.
Und dein Wille geschieht zur Zeit, und geschieht in Ewigkeit.
+ Amen.
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