I. Anspruch E gegen A aus § 823 Abs. 1 BGB 1. Dann müsste

Prof. Dr. Dr. Salje
Lösungshinweise zur Klausur „Rakete gegen Weihnachtsbaum“:
(Fall frei nach OLG Köln NJW 2000, 2905)
1.
Besteht ein Anspruch auf Zahlung von 10.000,- € des E gegen A? (50 Punkte)
I. Anspruch E gegen A aus § 823 Abs. 1 BGB
1.
Dann müsste zunächst der objektive Tatbestand verwirklicht sein.
a) E könnte in Bezug auf das Eigentum an seinem Hausgrundstück
(Doppelhaushälfte) verletzt worden sein. Dies erfordert einen Eingriff in die
Sachsubstanz des Grundstücks. Da E Brandschäden erlitten hat und die Sachsubstanz
infolgedessen beeinträchtigt wurde, ist eine Eigentumsverletzung zu bejahen.
b) Weiter ist eine Verletzungshandlung des A erforderlich. Diese kann
entweder durch positives Tun oder durch Unterlassen der gebotenen Handlung
erfolgen; für die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen ist auf den Schwerpunkt
der Vorwerfbarkeit abzustellen. A hat eine Feuerwerksrakete, die nur für den
Gebrauch im Freien zugelassen war, in einem Wohngebäude gezündet. Da der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auf einem positiven Tun liegt, ist die
Verletzungshandlung ohne Weiteres zu bejahen.
c) Schließlich muss (haftungsbegründende) Kausalität zwischen
Verletzungshandlung und Rechtsgutsverletzung vorliegen. Weil das Zünden der
Rakete nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, ist Kausalität
im Sinne der Äquivalenztheorie zu bejahen. Nach der Adäquanztheorie darf der
eingetretene Erfolg auch nicht außerhalb jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit liegen:
Wer in geschlossenen Räumen einen Feuerwerkskörper zündet, muss mit
Brandschäden insbesondere dann rechnen, wenn die Rakete nur für den Gebrauch im
Freien zugelassen ist. Auch ein adäquater Kausalzusammenhang kann daher nicht
geleugnet werden.
2. Weiter muss die Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung positiv festgestellt
werden. Weil bei Verwendung von Feuerwerkskörpern besondere Gefahren entstehen,
müssen Verwendungsbeschränkungen strikt beachtet werden. Im Hinblick auf die
Nichtbeachtung durch A ist ein Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich. A hat die
Rechtsgutsverletzung auch rechtswidrig begangen.
3. Weiterhin müsste A die Verletzung des äußeren Tatbestands des § 823 Abs. 1
BGB verschuldet haben; beim Verschulden sind Vorsatz und Fahrlässigkeit zu
unterscheiden. Vorsatz setzt Wissen und Wollen von Verletzungshandlung und
Rechtsgutsverletzung voraus; hierfür bestehen keine Anhaltspunkte. A hat nicht
vorsätzlich gehandelt.
A könnte jedoch fahrlässig gehandelt haben, § 276 Abs. 2 BGB. Dies erfordert eine
Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Wird zu einer Silvesterparty
eingeladen, so ist der Eingeladene zur Prüfung verpflichtet, ob und wo mitgebrachte
Feuerwerkskörper gefahrlos verwendet werden können. Dabei sind die aufgedruckten
Verwendungsbeschränkungen zu beachten. Über diese im Verkehr erforderliche
Sorgfalt hat sich A hinweggesetzt und die Rakete im Wohnraum gezündet. Da A
gegen die Vorgaben des § 276 Abs. 2 BGB verstoßen hat, ist Fahrlässigkeit zu
bejahen. Damit liegen alle Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB vor
Rechtsfolge ist die Verpflichtung des A, den kausal entstandenen Schaden zu ersetzen.
Unter Schaden ist die durch das Schadensereignis ausgelöste negative Differenz im
Vermögen des E zu verstehen (10.000,- €). Diese müsste kausal auf der
Rechtsgutverletzung beruhen. Zwar resultiert nur ein Teilschaden von 7.000,- €
unmittelbar aus der Inbrandsetzung; weil jedoch nach der Lebenserfahrung im Rahmen
eines zwingend erforderlichen Feuerwehreinsatzes weitere Schäden durch das
eingesetzte Löschwasser typischerweise entstehen, ist auch dieser Teil des Schadens
der Rechtsgutverletzung am Hausgrundstück durch A kausal zuzurechnen.
Nach § 249 Abs. 2 BGB ist E berechtigt, statt Wiederherstellung durch A in Natur den
erforderlichen Geldbetrag für die Wiederherstellung zu beanspruchen, wenn eine
Sache beschädigt wurde. Dies ist hier der Fall (Hausgrundstück, § 90 BGB). Deshalb
hat E gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.000,- € aus § 823
Abs. 1 BGB.
Hinweis: Kenntnisse im Hinblick auf die § 93, 94 BGB können
studienjahrgangsbedingt nicht erwartet werden. An Stelle des korrekten Begriffs zum
verletzten Rechtsgut Eigentum – „Grundstück“ oder „Hausgrundstück“ – ist daher die
Verwendung von Begriffen wie „Haus“ oder „Doppelhaushälfte“ oder „Wohnung“ als
gleichwertig anzuerkennen.
II. Ein entsprechender Anspruch des E gegen A kann auch aus § 823 Abs. 2 BGB in
Verbindung mit §§ 306a Abs. 1 Nr. 1 und § 306d Abs. 1 StGB bestehen. Dann müsste
A durch dieselbe Verletzungshandlung (Zünden der Rakete) ein Schutzgesetz
rechtswidrig und fahrlässig verletzt haben.
1. Als Schutzgesetz kommt hier schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB)
in Betracht.
a) Gesetz im Sinne des StGB ist jede Rechtsnorm, Art. 2 EGBGB; dazu zählen
insbesondere Gesetze im formellen Sinne. Zweifellos gehören die Vorschriften des
Strafgesetzbuchs zu diesen Rechtsnormen und erfüllen deshalb den Gesetzesbegriff
des BGB.
b) Weitere Voraussetzung ist, dass diese Rechtsnorm jedenfalls auch dem
Schutz Einzelner oder bestimmter Personenkreise zu dienen bestimmt ist und damit
individualschützenden Charakter aufweist. Weil die Brandstiftungstatbestände des
StGB nicht nur die Allgemeinheit vor einer Feuersbrunst, sondern auch jeden
einzelnen Eigentümer und Hausbewohner vor solchen Feuergefahren zu schützen
bezwecken, gehört auch § 306a Abs. 1 StGB zu diesen Schutzgesetzen.
c) Weitere Voraussetzung ist eine Verletzung des Schutzgesetzes. Nach § 306a
Abs. 1 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen zu
dienen bestimmt ist, in Brand setzt oder durch Brandlegung ganz oder teilweise
zerstört. Die Doppelhaushälfte des E dient der Wohnung von Menschen und stellt ein
Gebäude dar. Zwar ist dieses Gebäude nicht unmittelbar durch A in Brand gesetzt
worden; weil jedoch eine Brandlegung ausreicht, in deren Folge ein solches Gebäude
zumindest teilweise zerstört wird, ist der objektive Tatbestand der Strafnorm erfüllt. §
306d Abs. 1 StGB stellt auch die fahrlässige schwere Brandstiftung unter
Strafandrohung. Damit steht die objektive Schutzgesetzverletzung fest.
2. Weil Rechtfertigungsgründe nicht ersichtlich sind, ist auch rechtswidriges
Handeln des A zu bejahen.
3. Gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB muss in jedem Fall ein zumindest fahrlässiger
Verstoß gegen das Schutzgesetz festgestellt werden. A hat wie bereits festgestellt die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt, als er die Feuerwerksrakete in einem
Wohnraum zündete. Damit steht zugleich die fahrlässige schwere Brandstiftung im
Sinne der obigen Schutzgesetze fest.
Rechtsfolge ist wiederum die Verpflichtung zum Schadensatz wegen
Sachbeschädigung im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB (Naturalrestitution durch
Geldersatz) in Höhe von 10.000,- €.
Im Ergebnis steht E gegen A der Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 10.000,- €
sowohl aus § 823 Abs. 1 als auch aus § 823 Abs. 2 BGB zu.
2.
Besteht ein solcher Anspruch auch gegen T, wenn diese im Schädigungszeitpunkt
mit ihrem Freund spazieren gegangen war? (25 Punkte)
Wiederum kommt ein Anspruch des E gegen T aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
1. Dann müsste zunächst der objektive Tatbestand verwirklicht worden sein. E ist
wie gezeigt an seinem Eigentum am Hausgrundstück verletzt worden.
Weiter ist eine Verletzungshandlung der T erforderlich. In Betracht kommt sowohl
positives Tun als auch Unterlassen der gebotenen Handlung, wobei es für die
Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
ankommt. T war zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung des A nicht vor Ort; eine
Mitbeteiligung durch positives Tun kommt daher nicht in Betracht.
a) Deshalb ist zu prüfen, ob T ein gebotenes Verhalten unterlassen hat, als sie
das Haus verließ und damit die Partygäste nicht mehr beaufsichtigen konnte. Die
gebotene Handlung hätte darin bestehen können, den A am Zünden des
Feuerwerkskörpers zu hindern; da T als (stellvertretende) Hausherrin berechtigt
gewesen ist, dem A eine entsprechende Anweisung zu erteilen oder ihm die Rakete
wegzunehmen, liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in der Tat bei einer
Nichtvornahme der gebotenen Handlung. Dass A eine entsprechende Vorhaltung
durch T nicht beachtet hätte, ist nicht ersichtlich.
b) Ein Unterlassen steht dem positiven Tun jedoch nur dann gleich, wenn eine
Garantenstellung bestanden hat. Diese kommt hier sowohl aus Vertrag oder
vertragsähnlicher Beziehung zum Eigentümer V als auch aus enger familienrechtlicher
Beziehung in Betracht; eine unmittelbar im Verhältnis zum geschädigten E bestehende
Garantenstellung ist nicht erforderlich.
T ist von V mit der Aufgabe der Beaufsichtigung des Hauses während des Urlaubs des
V beauftragt worden; angesichts der offensichtlichen Gefahren aus Bränden usw. geht
dieses Rechtsverhältnis deutlich über ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis voraus. Zudem
ist die T auch aus dem Zusammenleben im Haus sowie wegen ihres engen
Verwandschaftsverhältnisses zu V zur Beaufsichtigung und Gefahrvermeidung
verpflichtet gewesen. Damit besteht eine Garantenstellung, die auch solche Gefahren
einschließt, die Dritten gegenüber entstehen können (Parallele zur Streupflicht, vgl.
OLG Köln aaO).
c) Eine Verletzung durch Unterlassen setzt weiter voraus, dass bei Vornahme
der gebotenen Handlung die konkrete Schädigung sicher vermieden worden wäre.
Geboten war es, das Haus zumindest während der Party nicht unbeaufsichtigt zu
lassen. Wäre T im Wohnzimmer anwesend gewesen, hätte sie auf A einwirken und das
Zünden der Rakete verhindern können. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass T
– deren Anwesenheit unterstellt – insofern macht- und einflusslos gewesen wäre. Im
Ergebnis hat T daher das Rechtsgut Eigentum des E durch Unterlassen verletzt.
d) Das Unterlassen der gebotenen Handlung muss zudem kausal den
Verletzungserfolg herbeigeführt haben. Insofern ist das (unterlassene) gebotene
Einschreiten hinzuzudenken; hätte T bei A interveniert, hätte die Eigentumsverletzung
sicher verhindert werden können (äquivalente Kausalität). Wegen der adäquaten
Kausalität wird auf die vorstehenden Erwägungen verwiesen. Insgesamt hat T den
objektiven Deliktstatbestand erfüllt.
2. T hat rechtswidrig gehandelt. Als sie das Haus unbeaufsichtigt ließ, hat sie zudem
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt (§ 276 Abs. 2 BGB) und damit
fahrlässig gehandelt. Weil sie den identischen Schaden verursacht hat, trifft sie im
Verhältnis zu A eine gesamtschuldnerische Verantwortung, § 840 Abs. 1 BGB.
Rechtsfolge ist die Verpflichtung gemäß § 249 Abs. 2 BGB, den Schaden durch
Geldersatz wieder gut zu machen.
3.
Kommt auch ein Schadensersatzanspruch des E gegen V in Betracht? (25 Punkte)
E könnte außerdem einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von DM
10.000,- € gegen V aus § 831 Abs. 1 BGB haben.
1. Dann müsste T Verrichtungsgehilfin des V gewesen sein. Verrichtungsgehilfen
sind Hilfspersonen, die zwecks Ausführung von Tätigkeiten für den Geschäftsherrn
weisungsabhängig tätig werden. Zwar ist T von V (Geschäftsherrn) in dessen Pflichten
als Hauseigentümer eingeschalten worden; jedoch ist es zweifelhaft, ob T als
erwachsene Tochter insofern weisungsgebunden gewesen ist.
T lebte noch in Hausgemeinschaft mit V auf dessen Hausgrundstück. Insofern hatte sie
dessen Rechte und Pflichten als Eigentümer zu respektieren und ist im
Geltungsbereich der aus dem Eigentum des V resultierenden Rechte und Pflichten
verpflichtet gewesen, entsprechenden Anweisungen Folge zu leisten. Nur in diesem
Rahmen ist auch gegenüber erwachsenen Kindern ein Weisungsrecht der Eltern zu
bejahen (so zu Recht OLG Köln aaO). Damit ist T insofern weisungsunterworfen und
damit Verrichtungsgehilfin des V gewesen.
2. Weiterhin müsste T eine rechtswidrige und unerlaubte Handlung begangen
haben. Eine solche kommt aus § 823 Abs. 1 BGB gegenüber E durch Unterlassen in
Betracht. Verletzt worden ist Eigentum des E an dessen Hausgrundstück. Eine
Garantenstellung hat gegenüber V bestanden, aus der E zu Recht auch den Schutz
eigener Rechtsgüter herleitet (vgl. oben). Eine adäquat kausale Verletzungshandlung
der T ist wie oben erläutert zu bejahen. Weil Rechtfertigungsgründe nicht bestehen,
hat T im Verhältnis zu E eine rechtswidrig unerlaubte Handlung begangen.
3. Weitere Voraussetzung ist, dass T die gebotene Handlung „in Ausführung“ einer
„Verrichtung“ unterlassen hat. Hier steht die unerlaubte Handlung (Vernachlässigung
der ihr übertragenen Aufsichtspflicht) im inneren und äußeren Zusammenhang mit den
der T gegenüber V und E obliegenden Verrichtungen; insbesondere ist die unerlaubte
Handlung nicht nur bei Gelegenheit der Verrichtung erfolgt. Auch dieses
Tatbestandsmerkmal ist daher zu bejahen.
4. Eine Verantwortung des V besteht nicht, wenn ihm der Exkulpationsbeweis
gelingt, § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB. Diesen Beweis hat V jedoch gar nicht angetreten.
Damit liegen alle Voraussetzungen des § 831 Abs. 1 BGB vor, so dass auch V
(gesamtschuldnerisch mit A und T) zum Ersatz des Schadens am Hausgrundstück des
E in Höhe von 10.000,- € aus § 831 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 249 Abs. 2 BGB
verpflichtet ist.
Gesamtergebnis:
A, T und V sind zwar keine Mittäter oder Nebentäter im Sinne von § 830 BGB, sondern haben
jeweils eigenständig Haftungstatbestände verwirklicht, die dann zu einem identischen
Schaden bei E geführt haben. Weil § 840 Abs. 1 BGB jedoch nur verlangt, dass die Schädiger
„nebeneinander“ für den entstandenen Schaden verantwortlich sind, besteht insofern eine
Gesamtschuld. E hat gegen alle drei Beteiligten (A, T und V) einen gesamtschuldnerischen
Anspruch auf Zahlung von 10.000,- € wegen Verletzung seines Rechts am Hausgrundstück.
Gemäß § 421 BGB ist er berechtigt, diesen Betrag von jedem Beteiligten in voller Höhe
(einmal) zu verlangen.