AG-14---Fall

Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester - Lösung
AG 14 - FALL: DER HERR DER RINGE
ZUGANG, STELLVERTRETUNG, RECHTSGESCHÄFT, ANFECHTUNG, VOLLMACHT, HAFTUNG NACH § 179 BGB, WUCHER
LÖSUNG:
A. Ansprüche gegen A
I. Anspruch C gegen A aus § 433 II BGB
C könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung der 250,€ aus § 433 II BGB haben.
1. Diese setzt einen entsprechenden Kaufvertrag zwischen C und A voraus. Dieser erfordert wiederum zwei
entsprechende, übereinstimmende Willenserklärungen
von C und A.
Im vorliegenden Fall liegt ein Kaufvertrag vor. Dieser
wurde aber von C und V geschlossen.
2. Dieser könnte aber gem. § 164 I S. 1 BGB für und gegen A wirken.
Dies setzt voraus, dass A wirksam durch V vertreten
wurde, § 164 I S. 1 BGB.
a) Dazu müsste V zunächst eine eigene Willenserklärung
abgegeben haben. Da V hier selbständig darüber entschieden hat, welchen Ring er zu welchem Preis kauft, ist
dies unproblematisch gegeben.
b) Weiterhin müsste V in fremden Namen gehandelt haben. Indem V dem C erklärte, er handele „namens und im
Auftrag des A“, hat er offengelegt, dass er A vertrete.
Folglich liegt ein Handeln in fremden Namen vor.
c) Ferner müsste V Vertretungsmacht gehabt haben. Hier
käme eine Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung
seitens des A gem. § 167 I Alt. 1 BGB in Betracht.
aa) Unproblematisch liegt hier eine Bevollmächtigung
mit dem Schreiben des A vom 19.1. an V vor.
bb) Diese Bevollmächtigung könnte jedoch gem. § 130 I
S.2 BGB unwirksam sein.
Dazu müsste V vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugegangen sein.
(1) Fraglich ist, wann die Bevollmächtigung zuging. Zugang erfolgt dann, wenn die Erklärung dergestalt in den
Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme zu
rechnen ist, immer jedoch mit tatsächlicher Kenntnisnahme. Da die Bevollmächtigung vom 19.1. erst am 22.1.
im Briefkasten des V landet, geht sie erst zu diesem Zeitpunkt zu.
(2) Unproblematisch ist in dem Schreiben vom 21.1. ein
Widerruf zu sehen. Fraglich ist nun, ob der Widerruf vom
21.1. „vorher“ iSd § 130 I S. 2 Alt. 1 BGB zuging. Dieser wurde am Abend des 21.1. in den Briefkasten des V
eingeworfen. Da nach obiger Definition am Abend nicht
mehr mit der Kenntnisnahme zu rechnen war und auch
keine tatsächliche Kenntnisnahme erfolgte, liegt kein Zugang am 21.1. vor.
(3) Möglicherweise ging der Widerruf dem V aber
„gleichzeitig“ iSd § 130 I S. 2 Alt. 2 BGB zu. Da der
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Widerruf sich bereits am 22.1. im Briefkasten befand,
bevor noch die Post ausgetragen wurde. Somit befand
sich der Widerruf zumindest gleichzeitig mit dem Brief
vom 19.1. zu dem Zeitpunkt im Briefkasten des V, in
dem V diesen gewöhnlich leert. Da es nach der Definition nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme ankommt,
ist gleichzeitiger Zugang gem. § 130 I S. 2 Alt. 2 BGB
erfolgt.
Daher ist die Bevollmächtigung nicht wirksam geworden.
Anmerkung: Eine andere Ansicht ist hier meines Erachtens nur
schwer vertretbar. Falls man jedoch davon ausgeht, dass der Widerruf später als die Bevollmächtigung zugegangen ist, kommt
man unproblematisch zu einem Widerruf mit Unwirksamkeit der
Bevollmächtigung ex nunc nach § 168 S. 3 BGB, da V das Vertretergeschäft erst am 31.1. tätigt.
Mithin war V nur Vertreter ohne Vertretungsmacht. Somit liegt gem. § 177 I BGB zunächst nur ein schwebend
unwirksamer Vertrag vor.
3. Fraglich ist, ob dieser von A gem. § 177 I BGB genehmigt und damit wirksam wurde.
Da A den Vertrag nicht gelten lassen will, hat er zumindest konkludent die Genehmigung verweigert. Daher ist
der Vertrag endgültig unwirksam.
Ergebnis: C hat gegen A keinen Anspruch aus § 433 II
BGB auf Zahlung der 250,- €.
II. Anspruch D gegen A aus § 433 II BGB
D könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung der 225,€ aus § 433 II BGB haben.
1. Dies setzt einen entsprechenden Kaufvertrag zwischen
D und A voraus. Dieser erfordert wiederum zwei entsprechende, übereinstimmende Willenserklärungen von D
und A.
Im vorliegenden Fall liegt ein Kaufvertrag vor. Dieser
wurde aber von D und V geschlossen.
2. Der Vertrag könnte aber gem. § 164 I S.1 BGB für und
gegen A wirken.
Dies setzt voraus, dass A wirksam durch V vertreten
wurde, § 164 I S.1 BGB.
a) Dazu müsste V zunächst eine eigene Willenserklärung
abgegeben haben. Da V auch hier selbständig darüber
entschieden hat, welchen Ring er zu welchem Preis kauft,
ist dies unproblematisch gegeben.
b) Weiterhin müsste V in fremden Namen gehandelt haben. Indem V dem D erklärte, er handele „auf Rechnung
des A“, hat er offengelegt, dass er A vertrete. Folglich
liegt ein Handeln in fremden Namen vor.
c) Ferner müsste V Vertretungsmacht gehabt haben.
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aa) Eine wirksame Bevollmächtigung iSd § 167 I Alt. 1
BGB liegt jedoch nicht vor (s.o.)
bb) In Betracht käme aber eine Vertretungsmacht nach
§ 171 I Alt.1, II BGB.
(1) Dazu müsste zunächst eine besondere Mitteilung
von A an D vorliegen, dass er V bevollmächtigt habe.
Dabei ist zunächst zu prüfen, ob das Schreiben des A an
D nicht eine Außenvollmacht iSd § 167 I Alt. 2 BGB
darstellt. Da A jedoch ursprünglich dem V Innenvollmacht erteilen wollte und auch der Inhalt des Schreibens
nicht den Charakter einer rechtsgeschäftlichen Erklärung
hat, ist (mit der hL) von einer Mitteilung auszugehen.
bb) Problematischer ist jedoch die Anfechtbarkeit der
besonderen Mitteilung. Da sie nicht auf das Herbeiführen
von Rechtsfolgen gerichtet ist, sondern vielmehr nur der
Information dient, ist sie keine Willens-, sondern reine
Wissenserklärung. Diese stellt kein Rechtsgeschäft iSd
§ 142 I BGB dar.
Anmerkung: Eine andere Ansicht ist hier mit entsprechender
Begründung vertretbar, entspricht aber wohl nicht der hL.
Die Lösung dieses Problems ist höchst umstritten. Ein
Teil der Lehre argumentiert, dass die besondere Mitteilung nicht vom Wortlaut des § 142 I BGB erfasst werde.
Im Übrigen stelle § 171 BGB einen Fall der Rechtsscheinshaftung dar. Rechtsschein sei aber grundsätzlich
nicht anfechtbar.
Dagegen spricht jedoch, dass § 171 BGB lediglich den
gutgläubigen Dritten schützen will. Die Vorschrift soll
ihn nicht besser stellen, als den Dritten, dem gegenüber
eine anfechtbare Außenvollmacht erteilt wurde.
(2) Diese dürfte auch nicht nach § 171 II BGB widerrufen worden sein. Da A erst nachdem er von dem Kauf
erfährt, die Vollmacht nicht mehr gelten lassen will, liegt
kein rechtzeitiger Wiederruf vor.
Mithin muss auch die besondere Mitteilung analog § 142
I BGB anfechtbar sein.
Es liegt also analog § 142 I BGB ein anfechtbares
„Rechtsgeschäft“ vor.
(3) Schließlich dürfte D gem. § 173 Alt. 2 BGB auch
keine Kenntnis vom Fehlen der Vertretungsmacht gehabt
haben. Dies ist unproblematisch der Fall.
b) Ferner müsste ein Anfechtungsgrund gegeben sein.
aa) In Betracht kommt hier zunächst eine Anfechtung
wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 I BGB.
Somit hatte V grundsätzlich Vertretungsmacht gem.
§ 171 I Alt.1, II BGB.
Dazu müsste eine arglistige Täuschung vorliegen.
d) Fraglich ist aber, ob V nicht außerhalb dieser Vertretungsmacht handelte, § 164 I S. 1 BGB, da er einen versilberten Ring anstelle eines silbernen Verlobungsringes
kaufte.
(1) Diese setzt zunächst eine Irrtumserregung beim Erklärenden voraus. Da bei A durch die Behauptung des F, der
V sei ein großer Schmuckkenner, ein Irrtum entstand,
liegt eine Irrtumserregung vor.
Sinn und Zweck des § 171 I BGB ist es jedoch, den Vertragspartner des Vertretenen zu schützen, der auf den Inhalt der besonderen Mitteilung vertraut hat. Mithin hat
die Vertretungsmacht den Umfang, der sich aus der besonderen Mitteilung ergibt. Aus dieser geht aber im konkreten Fall nicht hervor, dass die Vertretungsmacht des V
ursprünglich auf den Kauf eines silbernen Ringes beschränkt war. Es ist nur von einem Verlobungsring die
Rede.
(2) Dieser Irrtum müsste durch Vorspiegelung falscher
Tatsachen erregt worden sein. Dies war hier unproblematisch der Fall (s.o.).
Folglich hat V im Rahmen seiner Vertretungsmacht iSd
§164 I S. 1 BGB gehandelt.
3. Diese Vertretungsmacht könnte jedoch durch Anfechtung der besonderen Mitteilung gem. § 142 I BGB ex
tunc erloschen sein.
a) Dies setzt zunächst ein anfechtbares Rechtsgeschäft
voraus, § 142 I BGB.
aa) Dies ist schon für die Bevollmächtigung fraglich.
Zwar stellt die Bevollmächtigung nach § 167 I BGB unstrittig ein Rechtsgeschäft dar. Ein Teil der Lehre will
jedoch bei ausgeübter Innenvollmacht die Anfechtung
nicht zulassen oder zumindest stark einschränken.
Doch bereits vom Wortlaut des § 142 I BGB werden
auch Bevollmächtigungen klar erfasst. Unter entsprechender Berücksichtigung der Besonderheiten bei Stellvertretergeschäften namentlich der Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht, die hier zugunsten des § 122
BGB unter Umständen ausgeschlossen werden müsste,
spricht nichts gegen eine Anfechtung der Bevollmächtigung.
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(3) Dies müsste auch arglistig geschehen sein. Da F den
A bewusst anlog, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen,
liegt hier Absicht iSd des Strafrechts vor. Folglich ist
Arglist gegeben.
(4) Wie sich schon aus dem Widerruf der Bevollmächtigung nach Kenntniserlangung vom Irrtum ergibt, war der
Irrtum auch kausal für die Mitteilung des V.
(5) Fraglich ist allerdings, ob der D sich die Täuschung
des F zurechnen lassen muss. Denn wie sich aus § 123 II
S. 1 BGB ergibt, berechtigt eine Täuschung durch Dritte
nur bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Erklärungsempfängers zur Anfechtung.
Somit ist zu prüfen, ob F überhaupt „Dritter“ iSd § 123 II
S. 1 BGB ist.
Nach der sehr weitgehenden Rechtsprechung des BGH
sei jeder „nicht Dritter“, der mit dem Erklärungsempfänger besonders verbunden sei und dessen Verhalten ihm
deswegen billigerweise zugerechnet werden muss, sofern
diese Person dem Erklärungsempfänger interessenmäßig
verbunden sei.
Dagegen spricht jedoch, dass entgegen der gesetzgeberischen Intention die Anfechtungsmöglichkeit wegen arglistiger Täuschung durch diese Auslegung über Gebühr
ausgedehnt wird. Zudem fehlt es an einem sicheren Abgrenzungskriterium.
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Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Täuschende Vertreter oder Verhandlungsgehilfe des Erklärungsempfängers ist. In dem ersten Fall käme man nach § 166 I BGB
zu einer Wissenszurechnung, in dem zweiten Fall über
eine analoge Anwendung des § 278 BGB zu einer Verhaltenszurechnung.
Da F weder in einer besonderen Beziehung zu V steht,
noch dessen Vertreter oder Verhandlungsgehilfe war,
kommt man hier nach beiden Theorien zu dem Ergebnis,
dass F Dritter iSd § 123 II S. 1 BGB ist.
Anmerkung: Da der Streit im vorliegenden Fall keine Rolle
spielt, hätte eine etwas kürzere Problemerörterung genügt.
Somit ist eine Anfechtung nach § 123 I BGB wegen arglistiger Täuschung nicht möglich.
bb) Möglicherweise kommt aber eine Anfechtung wegen
arglistiger Täuschung durch einen Dritten gem. § 123 II
S. 1, I BGB in Betracht.
(1) Eine arglistige Täuschung durch einen Dritten, hier F,
liegt vor (s.o.).
(2) Diese müsste D auch gekannt haben. Da D aber keine
Ahnung von der Behauptung des F hatte und diese auch
nicht kennen musste, ist dies nicht der Fall.
Somit liegt keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch einen Dritten vor.
cc) Schließlich könnte als Anfechtungsgrund ein Irrtum
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person
nach § 119 II BGB in Betracht kommen.
(1) Fraglich ist, ob Schmuckkenntnisse eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person darstellen.
Eigenschaften einer Person sind Merkmale, die ihr für
eine gewisse Dauer anhaften und sie charakterisieren. 1
Dazu gehört sicherlich die Schmuckkenntnis.
Umstritten ist, was die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft ausmacht. Ein Teil der Lehre liest Verkehrswesentlichkeit als Vertragswesentlichkeit. Die Eigenschaft
müsste also bei den Vertragsverhandlungen angesprochen und auch obj. bezüglich des jeweiligen Rechtsgeschäfts als wesentlich angesehen werden.
Diese Auslegung schränkt den Wortlaut jedoch unnötig
ein. Vielmehr sind alle für das konkrete Rechtsgeschäft
nach der Verkehrsanschauung erkennbar wesentlichen Eigenschaften als verkehrswesentlich anzusehen.
Da es im vorliegenden Fall um eine Vertretung bei einem
Schmuckkauf ging, ist für jedermann erkennbar eine Wesentlichkeit von Schmuckkenntnissen gegeben.
Somit liegt eine verkehrswesentliche Eigenschaft vor.
(2) Hier hatte sich A auch unproblematisch über das Vorliegen geirrt.
(3) Dieser Irrtum war auch für die Erteilung der Bevollmächtigung und der damit verbundenen besonderen Mitteilung kausal nach § 119 I BGB.
Somit ist der Anfechtungsgrund des § 119 II BGB gegeben.
1
c) Ferner müsste eine Anfechtungserklärung nach § 143 I
BGB vorliegen. Diese ist mit der Aussage des A, er fechte die Vertretung an, eindeutig gegeben.
d) Diese müsste auch dem richtigen Anfechtungsgegner
gem. § 143 I BGB gegenüber erklärt worden sein. Fraglich ist, ob § 143 III S. 1 BGB oder § 143 II BGB einschlägig ist.
Grundsätzlich ist bei einer Bevollmächtigung § 143 III
S.1 BGB gegeben, da die Vollmachtserteilung ein einseitiges Rechtsgeschäft darstellt.
Aber ein Teil der Literatur verlangt grundsätzlich bei
ausgeübter Vollmacht nach § 143 II BGB die Anfechtung
zumindest auch gegenüber dem Vertragspartner, da sie
sich indirekt gegen den Vertrag richte.
Dafür besteht jedoch bei einer wie hier der Außenvollmacht vergleichbaren Lage kein Bedürfnis, denn auch
§ 143 III S. 1 BGB erlaubt eine Anfechtung gegenüber
dem Vertragspartner, wenn er wie in diesem Fall „der
andere“ – nämlich der Erklärungsempfänger ist.
Achtung: Bei Anfechtung einer reinen Innenvollmacht passt das
nicht mehr, denn hier war nur der Vertreter Erklärungsempfänger. Dann muss auf jeden Fall auf § 143 II BGB zurückgegriffen
werden.
Anmerkung: Auch hier genügten ein Lösungsansatz und ein
kurzer Verweis auf das Problem.
Somit ist nach beiden Ansichten dem richtigen Anfechtungsgegner, nämlich D, die Anfechtung erklärt worden.
e) Schließlich müsste noch die Frist des § 121 I S. 1
BGB eingehalten worden sein. Diese verlangt, dass die
Anfechtung unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern,
erfolgt, sobald er Kenntnis vom Anfechtungsgrund hatte.
Da A aber, obwohl er schon am 21.1. von seinem Irrtum
Kenntnis hatte, ohne erkennbaren Grund bis zum 7.2.
gewartet hat, liegt schuldhaftes Zögern vor. Somit hatte
A die Anfechtungsfrist nicht eingehalten.
Damit liegt keine wirksame Anfechtung vor. Die Vertretung ist wirksam.
Zwischenergebnis: Damit hat D grundsätzlich einen Anspruch aus einem Kaufvertrag gem. § 433 II BGB gegen
A auf Zahlung der 225,- €.
4. Der Kaufvertrag könnte aber wegen Wuchers gem.
§ 138 II BGB nichtig sein.
Dies setzt ein Wuchergeschäft iSd § 138 II BGB voraus.
a) Dazu müsste zunächst obj. ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen. Die
Grenzen sind hier recht ungenau. Ein Teil der Literatur
und der Rechtsprechung wollen in der Regel bei einer
Überschreitung des Werts der Gegenleistung um 100 %,
andere erst bei 400 % ein auffälliges Missverhältnis annehmen. Hier liegt eine Überschreitung um 900 % vor,
weshalb auf jeden Fall von einem auffälligen Missverhältnis auszugehen ist.
b) Ferner müsste auch bei V subjektiv einer der in § 138
II BGB angeführten Schwächen vorliegen.
BGH NJW 1992, 1222.
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aa) In Betracht käme hier zunächst die Unerfahrenheit.
Unerfahrenheit iSd § 138 II BGB meint nicht nur die Unerfahrenheit auf einem Teilgebiet, sondern einen grundsätzlichen Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung,
der gemeinhin nur bei Jugendlichen oder geistig beschränkten Personen angenommen wird. Da V hier aber
nur die nötigen Schmuckkenntnisse fehlen, ist dieses
Merkmal nicht gegeben.
bb) Es könnte aber ein Mangel an Urteilsvermögen vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene
nicht in der Lage ist, das Verhältnis von Leistung und
Gegenleistung des konkreten Geschäfts vernünftig zu
beurteilen. Da V jegliche Schmuckkenntnisse fehlten, ist
dies hier zu bejahen (a.A. vertretbar).
cc) Fraglich ist aber, ob hier auf den V abgestellt werden
darf, denn der Vertrag kam mit A zustande. Dieser hat
gleich erkannt, dass der Ring nur einen geringen Wert
hatte.
Hier könnte jedoch der Mangel an Urteilsvermögen des
V dem A gem. § 166 I BGB zugerechnet werden. Dies
setzt zunächst eine Vertretung des A durch V voraus.
Dies ist der Fall (s.o.). Ferner müsste es um die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung gehen. Da es um das
Bestehen oder nicht Bestehen des Vertrages geht, ist diese Voraussetzung erfüllt. Schließlich müssten diese rechtlichen Folgen durch Willensmängel beeinflusst werden.
Willensmängel iSd § 166 I BGB sind nicht nur die des §
119 BGB. Vielmehr muss man auch hier die „Willensmängel“ des § 138 II BGB mit einbeziehen.
Anmerkung: Hier ist auch eine a.A. vertretbar. Dann muss man
allerdings auf jeden Fall zu einer analogen Anwendung des
§ 166 I BGB kommen.
D hat hier den V über den objektiven Marktwert des
Schmuckstückes getäuscht. Eine Täuschung ist hier gegeben. Anders als bei der Anfechtung nach § 119 BGB
ist bei der Anfechtung nach § 123 BGB jeder Motivirrtum beachtlich. Da D mit Absicht handelte, erfolgte diese
auch arglistig.
Auch hier wird der Willensmangel dem A über § 166 I
BGB zugerechnet.
Der Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung ist gegeben.
Anmerkung: Hier könnte auch ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vorliegen. Der obj. Marktwert ist aber keine verkehrswesentliche Eigenschaft. Insofern käme nur die Versilberung anstelle eines massiv silbernen Rings als verkehrswesentliche Eigenschaft in Betracht. Dafür, dass V darüber irrte,
gibt es aber zu wenig Anhaltspunkte im Sachverhalt.
c) Eine Anfechtungserklärung gem. § 143 I BGB ist in
der Aussage des A, „der Vertrag sei eh nichtig“ zu sehen.
d) Auch die Anfechtungsfrist nach § 124 I, II S. 1 BGB
wurde unproblematisch eingehalten.
Mithin ist der Vertrag auch nach § 142 I BGB nichtig.
Ergebnis: D hat keinen Anspruch gegen A aus § 433 II
BGB auf Zahlung der 225,- €.
B. Ansprüche gegen V
I. Anspruch C gegen V aus § 433 II BGB iVm § 179 I
Alt. 1 BGB
C könnte gegen V einen Anspruch auf Zahlung der 250,€ aus § 433 II iVm § 179 I Alt. 1 BGB haben.
Somit liegen die Voraussetzungen des § 166 I BGB vor.
Der Mangel an Urteilsvermögen des V wird A zugerechnet.
1. Dies setzt zunächst voraus, dass V als Vertreter ohne
Vertretungsmacht einen entsprechenden Vertrag mit C
geschlossen hat.
c) Schließlich müsste D diesen Mangel an Urteilsvermögen ausgenutzt haben. Dies setzt Kenntnis von dem Mangel an Urteilsvermögen und Kenntnis des Missverhältnisses voraus. Beides ist hier gegeben.
a) Ein solcher Vertag liegt unproblematisch mit dem
Kaufvertrag über den Ring für 250 € vor (s.o.).
Somit ist der Vertrag wegen Wuchers ex tunc nichtig,
gem. § 138 II BGB.
5. Der Vertrag könnte auch durch Anfechtung des A gem.
§ 142 I BGB ex tunc nichtig sein.
a) Fraglich ist hier, ob ein anfechtbares Rechtsgeschäft
vorliegt, da der Vertrag ja schon nach § 138 II BGB nichtig ist.
Nach wohl noch hL ist die Anfechtung nichtiger Rechtsgeschäfte zum Schutze des Anfechtungsberechtigten
möglich (sog. Lehre von der Doppelwirkung), wenn auch
nicht notwendig.
Anmerkung: In Ihrer Klausur müssen Sie sowieso alle Nichtigkeitsgründe prüfen, auch wenn einer schon gegeben ist. Insofern
genügt wieder ein kurzer Hinweis auf das Problem.
b) Ferner müsste ein Anfechtungsgrund gegeben sein.
Als Anfechtungsgrund käme hier eine arglistige Täuschung gem. § 123 I BGB in Betracht.
Seite 4 von 5
b) V hat auch als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt (s.o.).
2. Ferner dürfte der von V angeblich Vertretene, hier A,
den Vertrag nicht genehmigt haben, nach § 177 I BGB.
Dies ist, wie oben geprüft, der Fall.
3. Schließlich müsste V auch Kenntnis von seiner fehlenden Vertretungsmacht gehabt haben, § 179 II BGB.
Dies ist fraglich. V hatte das Schreiben mit dem Widerruf
nicht gelesen. Hier lag also nur grob fahrlässige Unkenntnis vor. Diese genügt nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 179 II BGB nicht, die nur von „gekannt“
spricht und nicht wie sonst der Kenntnis das Kennenmüssen gleichstellt. Insofern ist mit der hL eine Analogie abzulehnen.
Da V den Mangel seiner Vertretungsmacht nicht kannte,
haftet er folglich nicht nach § 179 I Alt.1 BGB auf Vertragserfüllung.
© Maack 2003 / 2006
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht, 1. Semester - Lösung
Ergebnis: C hat somit keinen Anspruch gegen V auf
Zahlung der 250,- € aus § 433 II BGB iVm § 179 I Alt.1
BGB.
Anmerkung: C hat aber einen Anspruch gegen V auf Ersatz des
Vertrauensschadens nach § 179 II BGB. Danach war aber nicht
gefragt. Daher durfte das auch nicht mehr geprüft werden.
II. Anspruch D gegen V
Hier sind schon wegen Bestehens der Vertretungsmacht
keine Ansprüche ersichtlich.
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