Gerald Beyrodt: Der jüdische Witz

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hr2-kultur | Camino – Religionen auf dem Weg
Der jüdische Witz
Von Gerald Beyrodt
Sendung am 23. August 2015
Beitrag
O-Töne und Zitate auf Musikbett
O-Ton Rothschild
Es kommt eines eine Stimme von oben von der Herr, in eine Woche werde ich eine
neue Sintflut von die Himmel bringen. Der Papst sagt : Eu, meine Gläubige, Ende
der Welt kommt, wir haben es verdient, wir müssen beten und fasten, und der
protestantische Bischof sagt zu seine Gläubige: O, es ist furchtbar, Gott möchte uns
bestrafen für unsere Sündigen, lasset uns beten und fasten,und vielleicht können wir
seine Gnade trotzdem erwecken. Und der Rabbiner geht zu seine Scharen und sagt:
Leute, wir haben eine Woche, schwimmen zu lernen.
Zitator: Auszug Doron Rabinovici (gesprochen: Rabinovitsch)
Vermeiden Sie es, im heiteren Ton jene Ressentiments wiederzugeben, die im Ernst
nicht mehr gesagt werden dürfen. (...) Unterlassen Sie das stereotype Händereiben,
wenn Sie einen Juden nachzuahmen vermeinen; Ihr Gegenüber könnte sonst
glauben, Sie litten unter einer ansteckenden Hautkrankheit. Überschütten Sie Juden
nicht mit ihrer reichhaltigen Sammlung jüdischer Witze, um sich ihnen anzubiedern.
Doron Rabinovici.
O-Ton Oliver Polak, Track 3
Da kam ne ältere Dame nach der Show so zu mir und fragte mich so: "Herr Polak,
Sie sind Jude, dat is interessant. Kann man davon leben?" Ich sag': "Doch, doch wir
können sehr gut davon leben, wir müssen ja nicht mehr durch so viele teilen.
Sprecherin: Kapitelüberschrift
Ein Humorist, der keine Witze mochte - Eine Ortsbesichtigung.
Sprecher
Ein Wohnhaus im ruhigen Norden von Tel Aviv. Hier hat jemand gelebt, der sich den Krach
der Stadt vom Leib hielt. Und Tel Aviv ist viel lauter als deutsche Städte. In der Küche des
Hauses steht Tierarzt Doktor Rafael Kishon und kocht Kaffee.
O-Ton Rafi Kishon
Ich kenne bis heute noch keinen Deutschen, der nein sagt, bei einem guten Kaffee
nachmittags, und so bin ich auch.
Sprecher
Und schon spricht Rafi Kishon von seinem berühmten Vater, den israelischen Schriftsteller
Ephraim Kishon, der hier einst lebte und häufig Journalisten zu Besuch hatte. Doch kein
Journalist hat damals Kaffee bekommen, erzählt der Sohn.
O-Ton Rafi Kishon
Und zwar weil nicht weil mein Vater geizig war, sondern konzentriert auf das
Wesentliche, nicht viel Small Talk, sondern kommen, sprechen, direkt zum Punkt zu
kommen.
Sprecher
Denn der Vater habe jede freie Minute genutzt, um zu schreiben. So sei sein Erfolg
zustande gekommen. Sein erfolgreichstes Buch hieß "Familiengeschichten".
O-Ton Rafi Kishon 184 am Ende
Familiengeschichte gilt als der meist verkaufte und meist übersetzte hebräische Buch
nach der Bibel. Und ich hab immer den Verdacht gehabt, dass mein Vater wirkt bis zu
sein letzten Tag ununterbrochen, weil er hat ein Plan, die Bibel auf die zweite Stelle
zu bringen.
Sprecher
[Rafi Kishon spricht so gut deutsch, weil er mit seiner Mutter, Ephraim Kishons erster Frau,
deutsch sprach. Eva Kishon stammte aus Wien. Zudem hat Rafi Kishon in Gießen
Tiermedizin studiert.]
Im oberen Geschoss des Hauses hat Rafi Kishon alles so gelassen, wie es zu Zeiten
seines Vaters aussah. So ist das Arbeiszimmer noch in dem Zustand, in dem es einst war.
Vor allem fallen die vielen Lampen über dem riesigen Schreibtisch auf- Kishon glaubte,
dass viel Licht den Körper und den Geist anregt. Ebenfalls auffällig: Im Arbeitszimmer des
Satirikers steht ein Bett.
O-Ton Kishon hat manchmal nur vier stunden geschlafen 189 bei 5 oder 6
Er schlief hier öfter, weil sein ganzer Lebensrhythmus war anders als normale
Menschen. Er schlief nicht mehr als vier Stunden. Er arbeitete sehr gern während der
Nacht, dann wacht er auf während der Nacht und schrieb noch mal und schlief
mittags, abends. Er hat keinen normalen Lebensrhythmus gehabt.
Sprecher
Entspannt und heiter klingt das alles nicht. Eher klingt es nach einem, der getrieben war,
der Ehrgeiz hatte, der unter Druck stand, der sich seinen Erfolg erkämpfen musste. Das
fing schon bei der Sprache an, denn Hebräisch war nicht Ephraim Kishons Muttersprache.
Doch in ungeheurem Tempo habe er der Mann aus Ungarn die Sprache gelernt und seine
Kenntnisse bis zur Perfektion gebracht, erzählt der Sohn.
O-Ton
Er war kein lustiger witziger Mensch, auf keinen Fall. Sein Humor war ein zynischer
Humor, sarkastisch. Die ganze Last des Lebens. des Holocaust, das lag immer auf
seinen Schultern, und er hat immer die Menschheit ein bisschen dunkel gesehen, ja.
Bisschen pessimistisch war er immer.
Sprecher
Kein Wunder - denn Ephraim Kishon hatte gleich mehrere Katastrophen des 20.
Jahrhunderts hautnah miterlebt - als junger Ungar, als er noch Ferenc Hoffmann hieß. Der
größte Teil seiner Familie kam im Holocaust um.
Ferenc Hoffmann erlebte Arbeitslager und einen sogarTodesmarsch, flüchtete und tarnte
sich als Nichtjude. Nach der Befreiung Budapests wollte man ihn nach Weißrussland
verschleppen – wieder konnte er flüchten.
O-Ton 189, 4.00
Er sagte immer, dass komischerweise seine Alpträume kommen eher aus der
kommunistische Zeit, , und nicht von der Zeit während der Holocaust. Und da steht
über sein Bett, noch bis heute, bis jetzt, siehst du, da: Beria sal. Sal schreibt man auf
Hebräisch, wenn jemand gestorben ist. Beria war der Kopf von die NKGB. Er war die
furchtbare Person, die alle Antikommunisten verfolgt hat. Und ich hab meinen Vater
mal gefragt als Kind, Vater, was soll dieses Bild da ? Beria sal? Er sagt, ja, jeden
Morgen stehe ich auf und ich sehe, dass er gestorben ist, der Tag beginnt schon
besser.
Sprecher
Woraus man schließen kann: Ein Witz spiegelt nicht wider, wie heiter die Welt ist jedenfalls dieser Witz nicht. Dieser Witz hat eine Narbe, eine Kränkung, eine
Menschheitskatastrophe zum Thema. Und er zeigt: Ich habe überlebt, die sowjetischen
Geheimdienste konnten mir nichts anhaben.
Wenn etwas so katastrophal ist, dass man darüber nicht mehr weinen kann, muss man
lachen, findet Rafi Kishon.
O-Ton Rafi Kishon
Das erklärt überhaupt, warum das jüdische Volk so viel Erfolg hat in Humor. Das ist
der Kishon, das ist Woody Allen, das ist Seinfeld. Das ist ein Volk, das immer
unterdrückt und verfolgt war, was bliebt ihm noch zu machen? Darüber zu lachen.
Sprecher
Etwas durfte man übrigens in Gegenwart von Ephraim Kishon auf keinen Fall tun: einen
Witz erzählen.
O-Ton Rafi Kishon 189 bei 1
Er hasste Witze wie die Pest. Wenn du zu ihm gekommen bist und gesagt hast "Hör
mal Ephraim, ich möchte Dir einen Witz erzählen,W hast Du gesehen, wie er gezittert
hat am ganzen Körper. Wird bleich, er hasste es einfach, weil er selbst hat einen sehr
delikaten feinen, raffinierten Humor gehabt. Und dann musste er so machen, als ob
es sehr lustig wäre. Er hasste es richtig, Witze.
Musiktrenner
Zitator Heinrich Heine
"Ironie haben wir nicht, rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, aber jedes andere Bier
können Sie doch haben. –Heinrich Heine.
O-Ton Elisabeth Juppiter
Cohn gesteht seiner Frau, dass er eine Freundin hat. Sie regt sich fruchtbar auf,ja.
Sagt er: "Regt dich nicht auf, der Blau hat auch eine und der Grün hat auch eine,
und die tanzen alle im selben Ballett." Die Frau Cohn sagt: "Ich will sie sehen." Also
gut, er nimmt sie mit ins Cabaret. "Schau, die ganz links, das ist die vom Blau, die
ganz rechts, das ist die vom Grün. Die ganz in der Mitte, das ist meine." Sagt die
Frau Cohn: "Unsere ist die Schönste." (Lachen im Hintergrund)
Zitator
Der katholische Priester weiß ganz genau, wann das Leben beginnt: "Mit der
Befruchtung der Eizelle durch den Samen." Der evangelische Pfarrer findet, man
müsse die Sache differenzierter betrachten. Und der Rabbiner will schlichten. "Wenn
die Kinder aus dem Haus sind, und der Hund tot ist, dann beginnt das Leben."
Zitator 2(?) Doron Rabinoci
Nun zu einer kleinen wissenschaftlichen Erkenntnis, von der bloß wenige Menschen
zu wissen scheinen. Die Pointe des Witzes, in Englisch „punch line“ genannt, gehört
unbedingt an den Schluss. Doron Rabinovici
Musiktrenner
Sprecherin Kapitelüberschrift
Bissiger Witz im Angesicht der Katastrophe – Eine Zeitreise.
Sprecher
Es war 1960 - nicht mal zwanzig Jahre nach dem Ende der Schoa. Da kam ein Buch
heraus, das in Deutschland zum Bestseller wurde: "Der jüdische Witz" von Salcia
Landmann. Die meisten der kleinen Anekdoten darin spielten in einer Welt, die die Nazis
gerade mit deutscher Gründlichkeit zerstört hatten - im Schtetl. Also in den Judenvierteln
Osteuropas, in denen man Jiddisch sprach. Witze über die Gemeinde kamen vor, über
"Talmudscharfsinn", über Wunderrabbis und über Gebet und Ritus. Und weil das deutsche
Publikum die jüdische Welt nicht kannte, wimmelte das Buch von Klammern, von
Übersetzungen und Erklärungen. Nur selten ist etwas von der Katastrophe zu spüren:
Zitator
Ein Jude liest beim Gebet: (...)- Du hast uns auserwählt aus allen Völkern... Herr des
Himmels, was hast du ausgerechnet von uns gewollt?
Sprecher:
Die meisten von Landmanns kleinen Erzählungen lassen heutige Leser ratlos zurück, mit
der Frage: Das soll mal komisch gewesen sein?
ZItator
Kutscher zu den eiligen Fahrgästen: "Wozu soll ich die armen Tiere antreiben?
Glaubt mir, ich kenne meine Pferde. Wenn sie wollen, dann ziehen sie los wie die
Teufel!"
"Und warum kommen sie nicht vom Fleck?"
"Was soll ich machen? Meine Pferde rennen wirklich großartig, sobald sie nur
wollen- aber sie haben ihr Lebtag noch nicht gewollt."
Sprecher:
Mag sein, dass die Menschen derlei Harmlosigkeiten nach dem Krieg herzerfrischend
fanden. Doch es gab auch Kritik an dem Werk. Am schärfsten fiel sie bei dem
österreichischen Autor und Theaterkritiker Friedrich Torberg aus. Übrigens brachte
Torberg auch den größten Teil von Kishons Werken ins Deutsche.
Zitator
Salcia Landmann (...) hat eine Sammlung schlechter, weder spezifischer noch
verbürgter noch jüdischer Witze angelegt, und sie hat den jüdischen Witz als solchen
bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sie hat ihn(...) ermordet. Und nur um einer
einzigen Erkenntnis willen ist ihr Buch dennoch lesenswert. Mögen die
antisemitischen Spatzen alles, was man in diesem Buch über Juden erfährt, von den
antisemitischen Dächern pfeifen: dass die Juden keine jüdischen Witze erzählen
können, ist neu. Um auch noch diese Verleumdung in die Welt zu setzen, musste
erst der jüdische Witz von Salcia Landmann erscheinen.
Sprecher:
Sehr plastisch zeigt Torberg, wie Salcia Landmann jüdische Witze entstellt. So jedenfalls
nennt es Torberg. Wie sie die scharfen Töne anderer Fassungen desselben Witzes durch
Harmlosigkeiten ersetzt. Wie Pointen verloren gehen. Um seine These zu untermauern,
dass Salcia Landmann antisemitische Witze erzählt, zählt Torberg nur ein paar Namen aus
ihren Witzen auf, in der Reihenfolge des Erscheinens. Gedalje Hopser, Juda Eisendraht,
Joiner Kupferblech, Fleckseif, Blaukraut und so weiter.
Sprecherin Kapitelüberschrift
Jüdischer Witz oder Judenwitz – eine Begriffsklärung
Sprecher:
Jüdischer Witz oder Judenwitz: Beide Ausdrücke entstanden am Anfang des 19.
Jahrhunderts und wurden damals synonym gebraucht, sagt der Erlanger Germanist
Gunnar Och. Zunächst war vom Judenwitz die Rede.
O-Ton Och 300079 39
Das ist eigentlich eine diffamierende Vokabel. Sie wird von Seiten der Literaturkritik
gebraucht, um gegen Autoren jüdischer Herkunft wie Saphir, Heinrich Heine und
Ludwig Börne vorzugehen und ihnen einen zersetzenden Witz vorzuhalten. Richtig,
daran ist, dass das witzige Autoren sind, aber diesen Witz aufs Judentum
zurückzuführen, ist dann doch eine ganz eigene und problematische Angelegenheit.
Sprecher:
"Zersetzender Witz": Die Liste der Schmähungen, die zum Beispiel Heinrich Heine über
sich ergehen lassen musste, ist lang - und sie reicht weit über seinen Tod hinaus. Noch
1906 schreibt der Journalist Adolf Bartels, ein Mann, der sich selbst als Antisemiten
bezeichnete:
Zitator
Dass Heine Humor oder, wie man vielleicht doch besser sagt, die drollige Komik
seiner Rasse besaß, bestreite ich nicht, sie amüsiert uns auch, gewiss, doch lässt sie
uns nur über Menschen lachen, nicht mit den Menschen und Dingen, wie der
deutsche Humor.
Sprecher::
Doch die genannten jüdischen Autoren haben sich die Schmähvokabel aus dem 19.
Jahrhundert zu eigen gemacht und ihren Humor selbst als „jüdischen Witz“ und auch als
„Judenwitz“ bezeichnet. Ihre Texte zeichnen sich durch Polemik aus. Ihre Witze haben
scharfe Spitzen. In Heinrich Heines Wintermärchen weissagt eine Hellseherin
Deutschlands Zukunft aus dem Nachttopf. In seinen publizistischen Fehden schreckte
Heine vor fast nichts zurück, feindete seine Gegner auch persönlich an, etwa den Grafen
August von Platen für seine Homosexualität. Er sei …
Zitator
…mehr ein Mann von Steiß als von Kopf.
Sprecher:
Freilich reagierte Heine mit solchen Äußerungen auf Platens antisemitische Anwürfe.
Für Heinrich Heines Zeitgenossen, den Zeitschriftengründer Moritz Saphir ist der jüdische
Witz eine Waffe der Schwachen, erklärt der Germanist Gunnar Och:
O-Ton Och
Es gibt dann einen sehr bedeutenden Beitrag, den er selber in Rückblick auf die
Berliner Jahre verfasst hat, wo er über Judentum und Witz nachdenkt und tatsächlich
äußert, der jüdische Witz sei die Waffe der Unterdrückten gegen seine Unterdrücker.
Also, nun wird höhnisch aus dem Kerker heraus gelacht, das sind Formulierungen,
die Saphir gebraucht.
Sprecher:
Für Heinrich Heine war "Witz" viel mehr als ein kurzer Text mit Pointe am Ende. Für Heine
war der Witz eine Erkenntnisform. Heine schreibt lange Essays über die Deutschen und
die Franzosen, die Religion und die Philosophie. Witzig sind sie alle. Und fast immer ist
der Witz bei Heine Mittel des politischen Kampfes. Über die Witze des großen Aufklärers
Gotthold Ephraim Lessing schreibt Heine Sätze, die auch auf ihn selbst zutreffen:
Zitator
Wen sein Schwert nicht erreichen konnte, den tötete er mit den Pfeilen seines Witzes.
Die Freunde bewunderten die bunten Schwungfedern dieser Pfeile; die Feinde
fühlten die Spitze in ihrem Herzen. Der Lessingsche Witz gleicht nicht jenem
Enjouement, jener Gaité, jenen springenden Saillies, wie man hier zu Land
dergleichen kennt. Sein Witz war kein kleines französisches Windhündchen, das
seinem eigenen Schatten nachläuft; sein Witz war vielmehr ein großer deutscher
Kater, der mit der Maus spielt, ehe er sie würgt.
Sprecher:
Man kann nicht verlangen, dass Reflexionen über den Witz lustig sind, denn kein Mensch
verlangt, dass Tragödientheorien zum Heulen sind. Doch wenn Heinrich Heine über den
Witz nachdenkt, dann ist er komisch. Wenn Heine im Pariser Exil Witze mit Windhunden
und Katern vergleicht, dann stiftet er vor allem Verwirrung, lässt offen, ob deutsche oder
Franzosen den besseren Humor haben. Witz kann für Heine anmutig sein, er soll aber vor
allem eine Wirkung haben, soll weh tun und sogar tödlich sein. Er gipfelt im unerwarteten
Einfall.
In seinen Reisebildern bringt Heine alles mögliche zusammen. So diskutiert er
ausgerechnet mit einer Eidechse über deutsche Philosophen.
Zitator Heinrich Heine
"Gut, gut", erwiderte der alte Eidechserich, »ich merke schon, was Sie meinen; aber
sagen Sie mir, haben diese Philosophen viele Zuhörer?«
Ich schilderte ihm nun, wie in der gelehrten Karawanserei zu Berlin die Kamele sich
sammeln um den Brunnen Hegelscher Weisheit, davor niederknien, sich die
kostbaren Schläuche aufladen lassen, und damit weiterziehen durch die Märkische
Sandwüste. Ich schilderte ihm ferner, wie die neuen Athener um den Springquell des
Schellingschen Geistestranks sich drängen, als wär es das beste Bier, Breihahn des
Lebens, Gesöffe der Unsterblichkeit.
Sprecher:
Es gab viele Gründe für Juden in Deutschland, ihre Situation als" Kerker" zu empfinden:
So waren ihnen die besseren Berufe lange Zeit versperrt. In der Mehrheitsgesellschaft Fuß
zu fassen, war im 19. Jahrhundert schwierig und blieb es in der Weimarer Republik. Saphir
und Heine konvertierten sogar zum Christentum, um aufsteigen zu können. Doch in der
Wahrnehmung der anderen blieben sie immer Juden.
Wer immer als andersartig sichtbar bleibt, für den sind polemische Witze eine
Überlebensstrategie. Der gibt es auf, sich anzupassen und spielt lieber das enfant terrible,
zumal die Situation zum Galgenhumor einlädt. Zudem hat das deutsche Publikum den
polemischen politischen Witz, den es seit Heine mit Juden in Verbindung brachte, immer
auch gemocht, wie der Erfolg von Heines Werken zeigt.
Die Kombination jüdischer Witz und geschliffene Polemik hat sich in Deutschland
erhalten. Sie findet sich in der Weimarer Republik bei Kurt Tucholsky genauso wie bei
Alfred Kerr. Sie findet sich bei Marcel Reich-Ranicki, bei Maxim Biller, bei Oliver Polak und
bei Henryk Broder .
Musiktrenner
Sprecherin
Nur die Minderheit kann über sich selbst lachen – Schlaglichter aus Jahrhunderten.
Zitator Doron Rabinocivi
Eine Religion, die sich dem Wort verschrieben hat, mag zu Witzen neigen …
Sprecher
… schreibt der österreichisch-israelische Autor Doron Rabinovici. Dem Wort hat sich das
Judentum in der Tat verschrieben. Dem langen Wort, gerne auch dem verwirrenden Wort.
Denn während man ein christliches Vaterunser schnell auswendig lernen kann, ist das
beim wichtigsten jüdischen Gebet kaum möglich - dem Schmone Esre. Schmone Esre
bedeutet achtzehn, das Gebet enthält aber neunzehn Bitten. Verwirrend, tatsächlich. Und
es ist sehr viel länger als das Vaterunser. Am Schabbat lautet der Text anders als am
Wochentag, an den Hohen Feiertagen noch einmal anders als im übrigen Jahr.
Zitator weiter
Das Ghetto zwang zu Ironie, doch die Kraft des jüdischen Witzes liegt nicht bloß im
Vermächtnis der Vergangenheit.
schreibt Rabinovici weiter.
Zitator Rabinovici weiter
Über einen Humor, der nur jüdische Traditionen wiedergibt, könnte niemand lachen,
denn die Nichtjuden verstünden ihn nicht, und die Juden würden ihn bereits kennen.
Sprecher
Also was nun: Ist die Liebe zum Wort der Grund für den jüdischen Witz? Oder das
Ghetto? Oder beides zusammen? Schon der Talmud kann komisch sein. Dort kann eine
lange religiöse Diskussion zwischen zwei Kontrahenten mit den Worten enden: "Dann
lenkte er ihn auf etwas anderes ab." - Vielleicht ist es für Juden leichter, Widersprüche
auszuhalten, als für Christen, weil es weniger wichtig ist, das Richtige zu glauben.
ZItator
In den 1920er Jahren reist ein Jude aus seinem Shtetl nach Warschau. Als er
zurückkommt, erzählt er einem Freund:
"Ich habe einen Juden getroffen, der in einer Talmudschule gewesen ist und den
Talmud zu großen Teilen auswendig kann. Ich habe einen Juden getroffen, dem ein
großes Kleidungsgeschäft gehört, und ich habe einen Juden getroffen, der ein
glühender Kommunist war."
Antwortet der Freund: "Na und? Warschau ist halt eine große Stadt mit einer Million
Juden."
"Ja schon, aber es war jedes Mal derselbe Jude."
Sprecher:
Auch die Frage nach der Existenz Gottes beantworten Juden am liebsten mit einem Witz.
Zitator
Ein jüdischer Marxist schickt seinen Sohn in New York auf eine katholische Schule.
Der kommt eines Tages nach Hause und erzählt begeistert von Vater, Sohn und
heiligem Geist. Sagt der Vater: "Also erstens gibt es nur einen Gott. Und zweitens:
An den glauben wir nicht."
Sprecher:
Und wenn man doch an Gott glaubt, kann man sich über seine Offenbarung wirklich
freuen? Der jüdische Witz ist sich nicht ganz sicher.
Zitator
Moses kommt vom Berg Sinai und sagt: "Ich habe eine gute und eine schlechte
Nachricht. Die gute zuerst: Ich konnte ihn auf zehn runterhandeln. Und die
schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei.
Musiktrenner
Sprecher
Das Selbstironische, das Schräge und das Derbe haben es Rabbiner Walter Rothschild
angetan. In seiner Freizeit stellt er sich auf die Bühne und singt Songs über die
Absonderlichkeiten des jüdischen Lebens.
Zuspiel CD Track 8 (intro unter Sprechertext, dann hoch)
Ah woke up one mornin‘, /Ah was standing on the middle of the bima, in the middle
of mah Drahsha, on this weeks Prarasha I had the shabbes morning blues man.-....
Sprecher:
Hier zum Beispiel intoniert Rabbiner Rothschild den Shabbes Morning Blues - eine Art
rabbinischen Alptraum: Der Rabbiner wacht auf, als der Gottesdienst schon lange läuft,
hat keine Hosen an und sein Gebetsschal hängt schief.
Einfälle für seine Songs und Geschichten kommen Walter Rothschild fast überall: unter
der Dusche, im ICE, in der S-Bahn oder auch, wenn ein jüdischer Junge religionsmündig
wird.
O-Ton Rothschild langweilige Bar Mizwah
Eine von die Lieder habe ich geschrieben auf eine Serviette in die Synagoge
während ein ganz langweilige Bar Mizwa-Abendessen. Man muss irgendetewas tun
zwischen die Reden, so ich nahm die Servietten, Scibbel, scribbel. Jetzt nehm‘ ich
immer in mein Tasche einige Postkarten oder glatte Papier, damit ich etwas zu
schreiben habe.
Sprecher:
Witze erzählt Walter Rothschild, wo er geht und steht - natürlich auch wenn er in der
Synagoge eine jüdische Pregigt hält. Auch dann ist Rothschild ganz Entertainer. Ein
Rabbiner müsse schließlich Interesse wecken, etwas dafür tun, dass die Menschen in die
Synagoge kommen. Diesen Witz hat er schon oft erzählt:
O-Ton Rothschild Witz Regenschirm
Der Rabbiner schenkt dem Bar Mitzwah-Jungen einen Regenschirm und sagt:
"Normalerweise schenken wir dem Bar Mitzwa eine Bibel, aber wir dachten dieses
würden Sie öffnen ab und zu."
Sprecher:
Walter Rothschild überlegt einen Augenblick: Erzählt er wirklich bei jeder Ansprache
Witze? Nein, wenn er auf Beerdigungen spricht, dann nicht. Trotzdem gibt es jede Menge
jüdischer Witze zum Thema Tod und Sterben. Wie zum Beispiel diesen, den der
Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik erzählt.
O-Ton Micha Brumlik 30083
Also, es liegt ein alter Jude im Sterben. Zum Entsetzen seiner Familie konvertiert er
auf dem Sterbebett zum Christentum. Die Familie bedrängt ihn. Taten, wie konntest
Du das tun? Ah, wenn schon einer stirbt, besser einer von denen als von uns.
Sprecher:
Die Konversion zum Christentum kommt häufig vor im jüdischen Witz . Denn in vielen
Zeiten und Ländern war sie die Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft . Dieselben
BErufe ergreifen zu können wie die "Goyim", die Nicht-Juden, das war lange ein jüdischer
Traum in vielen Zeiten und Ländern.
Zitator
Ein Jude konvertiert zum Christentum und nimmt die Sache ganz besonders ernst. Er
lässt sich sogar zum Pfarrer ausbilden. Nach seiner ersten Predigt lobt ihn der
Kollege: "Das war schon alles wunderbar. Nur eine Kleinigkeit würde ich ändern. Am
Anfang sagt man: Liebe Gemeinde und nicht Liebe Goyim!"
Sprecher:
Häufiges Objekt des jüdischen Witzes ist die jüdische Mutter, die Mame, der man einen
Hang zum Melodrama nachsagt.
Zitator
Die italienische Mutter sagt zum Kind: "iss deine Pizza oder ich bringe Dich um". Die
jüdische Mutter sagt: "Iss deinen Kugel oder ich bringe mich um".
Sprecher:
Ein Kugel ist in der jüdischen Küche Nordeuropas eine Art Auflauf.
Die jüdische Mutter ist dem Klischee zufolge stets darauf aus, dass ihre Kinder Karriere
machen, möglichst Anwälte oder Ärzte werden und den angeblich häufigsten jüdischen
Vornamen erwerben: nämlich Doktor. Auch wenn die Kinder erwachsen sind, mischt sich
die jüdische Mame ständig ein. Davon weiß auch der jüdische Comedian Oliver Polak ein
LIed zu singen.Pollack stammt aus dem Emsland.
Oliver Polak
Meine Mutter wollte immer, dass ich 'n jüdisches Mädchen heirate. Sie sagte immer:
"Oliverrr, emsländische Landschönheiten sind drall und fruchtbar wie das Vieh, das
sie hüten und auch sonst nur sehr schwer von ihm zu unterscheiden." ist es
eigentlich so, Entschuldigung, nur ganz kurz, dass der christliche Gott alles weiß,
alles sieht und immer da ist ? Ja? Wenn das so ist, dann ist er bei meiner Mutter in
die Lehre gegangen. Als Säugling war ja noch alles ganz normal, so chilly-billy, easy
going. Erst im Kindergarten ist mir aufgegangen, dass meine Mutter so'n bisschen
anders drauf war als die anderen Mütter. Sie ist nämlich immer geblieben. Ich
dachte, das lässt mit der Pubertät nach. Pustekuchen. Als ich mit meiner Freundin in
Urlaub fahren wollte, das erste Mal alleine, ohne meine Mutter, sagte meine Mutter.
"Oliver, das kannst du machen, wenn du 18 bist." Ich sag: "Mama, ich bin 23." Sagt
sie: "Tja mein Sohn, dann hast du wohl die Chance verpasst."
O-Ton Elisabeth Juppiter 30083 bei 2
Drei ältere Damen streiten sich, wer den besten Sohn hat. Sagt sie: "Ich hab den
besten Sohn. Der ist ein fantastischer Zahnarzt, arbeitet wie verrückt, aber jeden
Schabbes ist er bei mir. Sagt die zweite: Ist noch gar nichts. Mein Sohn ist
Geschäftsmann, wahnsinnig viel zu tun,verdient,was er will, aber einmal die Woche
geht er mit mir einkaufen. Sagt die dritte: "Ist noch gar nichts. Meiner ist Anwalt auf
der Fifth Avenue, verdient, was er will, kann sich den besten Analytiker leisten, zahlt
vier mal in der Woche vierhundert Dollar und spricht dort nur über mich.
O-Ton Brumik
Nach ernsthaften Gesprächen ruft der Familientherapeut die Mutter des jungen
Mannes an und bestellt sie in die Praxis, Frau Cohn, ich muss ihnen leider mitteilen,
Ihr Sohn hat einen Ödipus-Komplex. - "Ah, Ödipus, Schnödipus, Hauptsache er hat
lieb die Mama."
Sprecher
Womit wir bei Sigmund Freud wären, der sich 1905 in seinem Werk "Der Witz und seine
Beziehung zum Unbewussten" tiefgründige Gedanken macht und eine Theorie des
jüdischen Witzes entwirft. Juden lachten besonders gern über sich selbst, meinte Freud.
Zitator
Die Bedingung der Selbstkritik mag uns erklären, dass gerade auf dem Boden des
jüdischen Volkslebens eine Vielzahl der trefflichsten Witze erwachsen sind (...). Es
sind Geschichten, die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten
gerichtet sind.(...) Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst vorkommt, dass sich ein Volk
in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht.
Sprecher:
Witze über sich selbst seien ein Minderheitenphänomen, sagt der amerikanische
Germanist Sander Gilman, denn die Mehrheitsgesellschaft mache keine Witze über sich.
Als Juden im 18. Jahrhundert in die bürgerliche Gesellschaft eintreten wollten, hätten sie
demonstrativ laut über sich gelacht, um bloß dazuzugehören.
O-Ton Gilman
Ich lache, wenn du irgendwas sagst. Und dann sage ich das über mich selbst, und
das ist ein Zeichen, dass wir sind über mich einig.
Sprecher
Gilman findet Witze über sich selbst jedoch problematisch.
O-Ton Gilman
Ich glaube, das ist am Ende natürlich sehr schlecht. Was im Laufe des 19.
Jahrhunderts passierte, ist, man konnte nie selbstkritisch genug sein. Das heißt,
jedes Mal, wenn man zu einem gewissen Punkt kam, musste man noch
selbstkritischer sein.
Sprecher:
Aber müssen jüdische Witze unbedingt etwas mit jüdischem Selbsthass zu tun haben, das
Judentum abwerten, Juden zu Witzfiguren machen?
Wer Witze über sich selbst macht, zeigt damit nicht nur Mut zur Selbstkritik, sondern vor
allem: Souveränität.
Zitat
Sind eigentlich alle Juden intelligent? - Nein, aber die Dummen lassen wir taufen.
Sprecher:
Auch für jüdische Witze gilt: Wer zuletzt lacht, lacht am längsten.
Zitator
Kommt ein Jude 1946 ins Kaffeehaus: "Josef, bringen Sie mir einen Tee und einen
Völkischen Beobachter." "Aber mein Herr, ich habe Ihnen schon hundert Mal
gesagt, den Völkischen Beobachter gibt es nicht mehr." "Ich weiß, aber ich kann es
nicht oft genug hören."
THE END