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Und der Rabbiner geht zu seine Scharen und sagt: Leute, wir haben eine Woche, schwimmen zu lernen. Zitator: Auszug Doron Rabinovici (gesprochen: Rabinovitsch) Vermeiden Sie es, im heiteren Ton jene Ressentiments wiederzugeben, die im Ernst nicht mehr gesagt werden dürfen. (...) Unterlassen Sie das stereotype Händereiben, wenn Sie einen Juden nachzuahmen vermeinen; Ihr Gegenüber könnte sonst glauben, Sie litten unter einer ansteckenden Hautkrankheit. Überschütten Sie Juden nicht mit ihrer reichhaltigen Sammlung jüdischer Witze, um sich ihnen anzubiedern. Doron Rabinovici. O-Ton Oliver Polak, Track 3 Da kam ne ältere Dame nach der Show so zu mir und fragte mich so: "Herr Polak, Sie sind Jude, dat is interessant. Kann man davon leben?" Ich sag': "Doch, doch wir können sehr gut davon leben, wir müssen ja nicht mehr durch so viele teilen. Sprecherin: Kapitelüberschrift Ein Humorist, der keine Witze mochte - Eine Ortsbesichtigung. Sprecher Ein Wohnhaus im ruhigen Norden von Tel Aviv. Hier hat jemand gelebt, der sich den Krach der Stadt vom Leib hielt. Und Tel Aviv ist viel lauter als deutsche Städte. In der Küche des Hauses steht Tierarzt Doktor Rafael Kishon und kocht Kaffee. O-Ton Rafi Kishon Ich kenne bis heute noch keinen Deutschen, der nein sagt, bei einem guten Kaffee nachmittags, und so bin ich auch. Sprecher Und schon spricht Rafi Kishon von seinem berühmten Vater, den israelischen Schriftsteller Ephraim Kishon, der hier einst lebte und häufig Journalisten zu Besuch hatte. Doch kein Journalist hat damals Kaffee bekommen, erzählt der Sohn. O-Ton Rafi Kishon Und zwar weil nicht weil mein Vater geizig war, sondern konzentriert auf das Wesentliche, nicht viel Small Talk, sondern kommen, sprechen, direkt zum Punkt zu kommen. Sprecher Denn der Vater habe jede freie Minute genutzt, um zu schreiben. So sei sein Erfolg zustande gekommen. Sein erfolgreichstes Buch hieß "Familiengeschichten". O-Ton Rafi Kishon 184 am Ende Familiengeschichte gilt als der meist verkaufte und meist übersetzte hebräische Buch nach der Bibel. Und ich hab immer den Verdacht gehabt, dass mein Vater wirkt bis zu sein letzten Tag ununterbrochen, weil er hat ein Plan, die Bibel auf die zweite Stelle zu bringen. Sprecher [Rafi Kishon spricht so gut deutsch, weil er mit seiner Mutter, Ephraim Kishons erster Frau, deutsch sprach. Eva Kishon stammte aus Wien. Zudem hat Rafi Kishon in Gießen Tiermedizin studiert.] Im oberen Geschoss des Hauses hat Rafi Kishon alles so gelassen, wie es zu Zeiten seines Vaters aussah. So ist das Arbeiszimmer noch in dem Zustand, in dem es einst war. Vor allem fallen die vielen Lampen über dem riesigen Schreibtisch auf- Kishon glaubte, dass viel Licht den Körper und den Geist anregt. Ebenfalls auffällig: Im Arbeitszimmer des Satirikers steht ein Bett. O-Ton Kishon hat manchmal nur vier stunden geschlafen 189 bei 5 oder 6 Er schlief hier öfter, weil sein ganzer Lebensrhythmus war anders als normale Menschen. Er schlief nicht mehr als vier Stunden. Er arbeitete sehr gern während der Nacht, dann wacht er auf während der Nacht und schrieb noch mal und schlief mittags, abends. Er hat keinen normalen Lebensrhythmus gehabt. Sprecher Entspannt und heiter klingt das alles nicht. Eher klingt es nach einem, der getrieben war, der Ehrgeiz hatte, der unter Druck stand, der sich seinen Erfolg erkämpfen musste. Das fing schon bei der Sprache an, denn Hebräisch war nicht Ephraim Kishons Muttersprache. Doch in ungeheurem Tempo habe er der Mann aus Ungarn die Sprache gelernt und seine Kenntnisse bis zur Perfektion gebracht, erzählt der Sohn. O-Ton Er war kein lustiger witziger Mensch, auf keinen Fall. Sein Humor war ein zynischer Humor, sarkastisch. Die ganze Last des Lebens. des Holocaust, das lag immer auf seinen Schultern, und er hat immer die Menschheit ein bisschen dunkel gesehen, ja. Bisschen pessimistisch war er immer. Sprecher Kein Wunder - denn Ephraim Kishon hatte gleich mehrere Katastrophen des 20. Jahrhunderts hautnah miterlebt - als junger Ungar, als er noch Ferenc Hoffmann hieß. Der größte Teil seiner Familie kam im Holocaust um. Ferenc Hoffmann erlebte Arbeitslager und einen sogarTodesmarsch, flüchtete und tarnte sich als Nichtjude. Nach der Befreiung Budapests wollte man ihn nach Weißrussland verschleppen – wieder konnte er flüchten. O-Ton 189, 4.00 Er sagte immer, dass komischerweise seine Alpträume kommen eher aus der kommunistische Zeit, , und nicht von der Zeit während der Holocaust. Und da steht über sein Bett, noch bis heute, bis jetzt, siehst du, da: Beria sal. Sal schreibt man auf Hebräisch, wenn jemand gestorben ist. Beria war der Kopf von die NKGB. Er war die furchtbare Person, die alle Antikommunisten verfolgt hat. Und ich hab meinen Vater mal gefragt als Kind, Vater, was soll dieses Bild da ? Beria sal? Er sagt, ja, jeden Morgen stehe ich auf und ich sehe, dass er gestorben ist, der Tag beginnt schon besser. Sprecher Woraus man schließen kann: Ein Witz spiegelt nicht wider, wie heiter die Welt ist jedenfalls dieser Witz nicht. Dieser Witz hat eine Narbe, eine Kränkung, eine Menschheitskatastrophe zum Thema. Und er zeigt: Ich habe überlebt, die sowjetischen Geheimdienste konnten mir nichts anhaben. Wenn etwas so katastrophal ist, dass man darüber nicht mehr weinen kann, muss man lachen, findet Rafi Kishon. O-Ton Rafi Kishon Das erklärt überhaupt, warum das jüdische Volk so viel Erfolg hat in Humor. Das ist der Kishon, das ist Woody Allen, das ist Seinfeld. Das ist ein Volk, das immer unterdrückt und verfolgt war, was bliebt ihm noch zu machen? Darüber zu lachen. Sprecher Etwas durfte man übrigens in Gegenwart von Ephraim Kishon auf keinen Fall tun: einen Witz erzählen. O-Ton Rafi Kishon 189 bei 1 Er hasste Witze wie die Pest. Wenn du zu ihm gekommen bist und gesagt hast "Hör mal Ephraim, ich möchte Dir einen Witz erzählen,W hast Du gesehen, wie er gezittert hat am ganzen Körper. Wird bleich, er hasste es einfach, weil er selbst hat einen sehr delikaten feinen, raffinierten Humor gehabt. Und dann musste er so machen, als ob es sehr lustig wäre. Er hasste es richtig, Witze. Musiktrenner Zitator Heinrich Heine "Ironie haben wir nicht, rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, aber jedes andere Bier können Sie doch haben. –Heinrich Heine. O-Ton Elisabeth Juppiter Cohn gesteht seiner Frau, dass er eine Freundin hat. Sie regt sich fruchtbar auf,ja. Sagt er: "Regt dich nicht auf, der Blau hat auch eine und der Grün hat auch eine, und die tanzen alle im selben Ballett." Die Frau Cohn sagt: "Ich will sie sehen." Also gut, er nimmt sie mit ins Cabaret. "Schau, die ganz links, das ist die vom Blau, die ganz rechts, das ist die vom Grün. Die ganz in der Mitte, das ist meine." Sagt die Frau Cohn: "Unsere ist die Schönste." (Lachen im Hintergrund) Zitator Der katholische Priester weiß ganz genau, wann das Leben beginnt: "Mit der Befruchtung der Eizelle durch den Samen." Der evangelische Pfarrer findet, man müsse die Sache differenzierter betrachten. Und der Rabbiner will schlichten. "Wenn die Kinder aus dem Haus sind, und der Hund tot ist, dann beginnt das Leben." Zitator 2(?) Doron Rabinoci Nun zu einer kleinen wissenschaftlichen Erkenntnis, von der bloß wenige Menschen zu wissen scheinen. Die Pointe des Witzes, in Englisch „punch line“ genannt, gehört unbedingt an den Schluss. Doron Rabinovici Musiktrenner Sprecherin Kapitelüberschrift Bissiger Witz im Angesicht der Katastrophe – Eine Zeitreise. Sprecher Es war 1960 - nicht mal zwanzig Jahre nach dem Ende der Schoa. Da kam ein Buch heraus, das in Deutschland zum Bestseller wurde: "Der jüdische Witz" von Salcia Landmann. Die meisten der kleinen Anekdoten darin spielten in einer Welt, die die Nazis gerade mit deutscher Gründlichkeit zerstört hatten - im Schtetl. Also in den Judenvierteln Osteuropas, in denen man Jiddisch sprach. Witze über die Gemeinde kamen vor, über "Talmudscharfsinn", über Wunderrabbis und über Gebet und Ritus. Und weil das deutsche Publikum die jüdische Welt nicht kannte, wimmelte das Buch von Klammern, von Übersetzungen und Erklärungen. Nur selten ist etwas von der Katastrophe zu spüren: Zitator Ein Jude liest beim Gebet: (...)- Du hast uns auserwählt aus allen Völkern... Herr des Himmels, was hast du ausgerechnet von uns gewollt? Sprecher: Die meisten von Landmanns kleinen Erzählungen lassen heutige Leser ratlos zurück, mit der Frage: Das soll mal komisch gewesen sein? ZItator Kutscher zu den eiligen Fahrgästen: "Wozu soll ich die armen Tiere antreiben? Glaubt mir, ich kenne meine Pferde. Wenn sie wollen, dann ziehen sie los wie die Teufel!" "Und warum kommen sie nicht vom Fleck?" "Was soll ich machen? Meine Pferde rennen wirklich großartig, sobald sie nur wollen- aber sie haben ihr Lebtag noch nicht gewollt." Sprecher: Mag sein, dass die Menschen derlei Harmlosigkeiten nach dem Krieg herzerfrischend fanden. Doch es gab auch Kritik an dem Werk. Am schärfsten fiel sie bei dem österreichischen Autor und Theaterkritiker Friedrich Torberg aus. Übrigens brachte Torberg auch den größten Teil von Kishons Werken ins Deutsche. Zitator Salcia Landmann (...) hat eine Sammlung schlechter, weder spezifischer noch verbürgter noch jüdischer Witze angelegt, und sie hat den jüdischen Witz als solchen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sie hat ihn(...) ermordet. Und nur um einer einzigen Erkenntnis willen ist ihr Buch dennoch lesenswert. Mögen die antisemitischen Spatzen alles, was man in diesem Buch über Juden erfährt, von den antisemitischen Dächern pfeifen: dass die Juden keine jüdischen Witze erzählen können, ist neu. Um auch noch diese Verleumdung in die Welt zu setzen, musste erst der jüdische Witz von Salcia Landmann erscheinen. Sprecher: Sehr plastisch zeigt Torberg, wie Salcia Landmann jüdische Witze entstellt. So jedenfalls nennt es Torberg. Wie sie die scharfen Töne anderer Fassungen desselben Witzes durch Harmlosigkeiten ersetzt. Wie Pointen verloren gehen. Um seine These zu untermauern, dass Salcia Landmann antisemitische Witze erzählt, zählt Torberg nur ein paar Namen aus ihren Witzen auf, in der Reihenfolge des Erscheinens. Gedalje Hopser, Juda Eisendraht, Joiner Kupferblech, Fleckseif, Blaukraut und so weiter. Sprecherin Kapitelüberschrift Jüdischer Witz oder Judenwitz – eine Begriffsklärung Sprecher: Jüdischer Witz oder Judenwitz: Beide Ausdrücke entstanden am Anfang des 19. Jahrhunderts und wurden damals synonym gebraucht, sagt der Erlanger Germanist Gunnar Och. Zunächst war vom Judenwitz die Rede. O-Ton Och 300079 39 Das ist eigentlich eine diffamierende Vokabel. Sie wird von Seiten der Literaturkritik gebraucht, um gegen Autoren jüdischer Herkunft wie Saphir, Heinrich Heine und Ludwig Börne vorzugehen und ihnen einen zersetzenden Witz vorzuhalten. Richtig, daran ist, dass das witzige Autoren sind, aber diesen Witz aufs Judentum zurückzuführen, ist dann doch eine ganz eigene und problematische Angelegenheit. Sprecher: "Zersetzender Witz": Die Liste der Schmähungen, die zum Beispiel Heinrich Heine über sich ergehen lassen musste, ist lang - und sie reicht weit über seinen Tod hinaus. Noch 1906 schreibt der Journalist Adolf Bartels, ein Mann, der sich selbst als Antisemiten bezeichnete: Zitator Dass Heine Humor oder, wie man vielleicht doch besser sagt, die drollige Komik seiner Rasse besaß, bestreite ich nicht, sie amüsiert uns auch, gewiss, doch lässt sie uns nur über Menschen lachen, nicht mit den Menschen und Dingen, wie der deutsche Humor. Sprecher:: Doch die genannten jüdischen Autoren haben sich die Schmähvokabel aus dem 19. Jahrhundert zu eigen gemacht und ihren Humor selbst als „jüdischen Witz“ und auch als „Judenwitz“ bezeichnet. Ihre Texte zeichnen sich durch Polemik aus. Ihre Witze haben scharfe Spitzen. In Heinrich Heines Wintermärchen weissagt eine Hellseherin Deutschlands Zukunft aus dem Nachttopf. In seinen publizistischen Fehden schreckte Heine vor fast nichts zurück, feindete seine Gegner auch persönlich an, etwa den Grafen August von Platen für seine Homosexualität. Er sei … Zitator …mehr ein Mann von Steiß als von Kopf. Sprecher: Freilich reagierte Heine mit solchen Äußerungen auf Platens antisemitische Anwürfe. Für Heinrich Heines Zeitgenossen, den Zeitschriftengründer Moritz Saphir ist der jüdische Witz eine Waffe der Schwachen, erklärt der Germanist Gunnar Och: O-Ton Och Es gibt dann einen sehr bedeutenden Beitrag, den er selber in Rückblick auf die Berliner Jahre verfasst hat, wo er über Judentum und Witz nachdenkt und tatsächlich äußert, der jüdische Witz sei die Waffe der Unterdrückten gegen seine Unterdrücker. Also, nun wird höhnisch aus dem Kerker heraus gelacht, das sind Formulierungen, die Saphir gebraucht. Sprecher: Für Heinrich Heine war "Witz" viel mehr als ein kurzer Text mit Pointe am Ende. Für Heine war der Witz eine Erkenntnisform. Heine schreibt lange Essays über die Deutschen und die Franzosen, die Religion und die Philosophie. Witzig sind sie alle. Und fast immer ist der Witz bei Heine Mittel des politischen Kampfes. Über die Witze des großen Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing schreibt Heine Sätze, die auch auf ihn selbst zutreffen: Zitator Wen sein Schwert nicht erreichen konnte, den tötete er mit den Pfeilen seines Witzes. Die Freunde bewunderten die bunten Schwungfedern dieser Pfeile; die Feinde fühlten die Spitze in ihrem Herzen. Der Lessingsche Witz gleicht nicht jenem Enjouement, jener Gaité, jenen springenden Saillies, wie man hier zu Land dergleichen kennt. Sein Witz war kein kleines französisches Windhündchen, das seinem eigenen Schatten nachläuft; sein Witz war vielmehr ein großer deutscher Kater, der mit der Maus spielt, ehe er sie würgt. Sprecher: Man kann nicht verlangen, dass Reflexionen über den Witz lustig sind, denn kein Mensch verlangt, dass Tragödientheorien zum Heulen sind. Doch wenn Heinrich Heine über den Witz nachdenkt, dann ist er komisch. Wenn Heine im Pariser Exil Witze mit Windhunden und Katern vergleicht, dann stiftet er vor allem Verwirrung, lässt offen, ob deutsche oder Franzosen den besseren Humor haben. Witz kann für Heine anmutig sein, er soll aber vor allem eine Wirkung haben, soll weh tun und sogar tödlich sein. Er gipfelt im unerwarteten Einfall. In seinen Reisebildern bringt Heine alles mögliche zusammen. So diskutiert er ausgerechnet mit einer Eidechse über deutsche Philosophen. Zitator Heinrich Heine "Gut, gut", erwiderte der alte Eidechserich, »ich merke schon, was Sie meinen; aber sagen Sie mir, haben diese Philosophen viele Zuhörer?« Ich schilderte ihm nun, wie in der gelehrten Karawanserei zu Berlin die Kamele sich sammeln um den Brunnen Hegelscher Weisheit, davor niederknien, sich die kostbaren Schläuche aufladen lassen, und damit weiterziehen durch die Märkische Sandwüste. Ich schilderte ihm ferner, wie die neuen Athener um den Springquell des Schellingschen Geistestranks sich drängen, als wär es das beste Bier, Breihahn des Lebens, Gesöffe der Unsterblichkeit. Sprecher: Es gab viele Gründe für Juden in Deutschland, ihre Situation als" Kerker" zu empfinden: So waren ihnen die besseren Berufe lange Zeit versperrt. In der Mehrheitsgesellschaft Fuß zu fassen, war im 19. Jahrhundert schwierig und blieb es in der Weimarer Republik. Saphir und Heine konvertierten sogar zum Christentum, um aufsteigen zu können. Doch in der Wahrnehmung der anderen blieben sie immer Juden. Wer immer als andersartig sichtbar bleibt, für den sind polemische Witze eine Überlebensstrategie. Der gibt es auf, sich anzupassen und spielt lieber das enfant terrible, zumal die Situation zum Galgenhumor einlädt. Zudem hat das deutsche Publikum den polemischen politischen Witz, den es seit Heine mit Juden in Verbindung brachte, immer auch gemocht, wie der Erfolg von Heines Werken zeigt. Die Kombination jüdischer Witz und geschliffene Polemik hat sich in Deutschland erhalten. Sie findet sich in der Weimarer Republik bei Kurt Tucholsky genauso wie bei Alfred Kerr. Sie findet sich bei Marcel Reich-Ranicki, bei Maxim Biller, bei Oliver Polak und bei Henryk Broder . Musiktrenner Sprecherin Nur die Minderheit kann über sich selbst lachen – Schlaglichter aus Jahrhunderten. Zitator Doron Rabinocivi Eine Religion, die sich dem Wort verschrieben hat, mag zu Witzen neigen … Sprecher … schreibt der österreichisch-israelische Autor Doron Rabinovici. Dem Wort hat sich das Judentum in der Tat verschrieben. Dem langen Wort, gerne auch dem verwirrenden Wort. Denn während man ein christliches Vaterunser schnell auswendig lernen kann, ist das beim wichtigsten jüdischen Gebet kaum möglich - dem Schmone Esre. Schmone Esre bedeutet achtzehn, das Gebet enthält aber neunzehn Bitten. Verwirrend, tatsächlich. Und es ist sehr viel länger als das Vaterunser. Am Schabbat lautet der Text anders als am Wochentag, an den Hohen Feiertagen noch einmal anders als im übrigen Jahr. Zitator weiter Das Ghetto zwang zu Ironie, doch die Kraft des jüdischen Witzes liegt nicht bloß im Vermächtnis der Vergangenheit. schreibt Rabinovici weiter. Zitator Rabinovici weiter Über einen Humor, der nur jüdische Traditionen wiedergibt, könnte niemand lachen, denn die Nichtjuden verstünden ihn nicht, und die Juden würden ihn bereits kennen. Sprecher Also was nun: Ist die Liebe zum Wort der Grund für den jüdischen Witz? Oder das Ghetto? Oder beides zusammen? Schon der Talmud kann komisch sein. Dort kann eine lange religiöse Diskussion zwischen zwei Kontrahenten mit den Worten enden: "Dann lenkte er ihn auf etwas anderes ab." - Vielleicht ist es für Juden leichter, Widersprüche auszuhalten, als für Christen, weil es weniger wichtig ist, das Richtige zu glauben. ZItator In den 1920er Jahren reist ein Jude aus seinem Shtetl nach Warschau. Als er zurückkommt, erzählt er einem Freund: "Ich habe einen Juden getroffen, der in einer Talmudschule gewesen ist und den Talmud zu großen Teilen auswendig kann. Ich habe einen Juden getroffen, dem ein großes Kleidungsgeschäft gehört, und ich habe einen Juden getroffen, der ein glühender Kommunist war." Antwortet der Freund: "Na und? Warschau ist halt eine große Stadt mit einer Million Juden." "Ja schon, aber es war jedes Mal derselbe Jude." Sprecher: Auch die Frage nach der Existenz Gottes beantworten Juden am liebsten mit einem Witz. Zitator Ein jüdischer Marxist schickt seinen Sohn in New York auf eine katholische Schule. Der kommt eines Tages nach Hause und erzählt begeistert von Vater, Sohn und heiligem Geist. Sagt der Vater: "Also erstens gibt es nur einen Gott. Und zweitens: An den glauben wir nicht." Sprecher: Und wenn man doch an Gott glaubt, kann man sich über seine Offenbarung wirklich freuen? Der jüdische Witz ist sich nicht ganz sicher. Zitator Moses kommt vom Berg Sinai und sagt: "Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Ich konnte ihn auf zehn runterhandeln. Und die schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei. Musiktrenner Sprecher Das Selbstironische, das Schräge und das Derbe haben es Rabbiner Walter Rothschild angetan. In seiner Freizeit stellt er sich auf die Bühne und singt Songs über die Absonderlichkeiten des jüdischen Lebens. Zuspiel CD Track 8 (intro unter Sprechertext, dann hoch) Ah woke up one mornin‘, /Ah was standing on the middle of the bima, in the middle of mah Drahsha, on this weeks Prarasha I had the shabbes morning blues man.-.... Sprecher: Hier zum Beispiel intoniert Rabbiner Rothschild den Shabbes Morning Blues - eine Art rabbinischen Alptraum: Der Rabbiner wacht auf, als der Gottesdienst schon lange läuft, hat keine Hosen an und sein Gebetsschal hängt schief. Einfälle für seine Songs und Geschichten kommen Walter Rothschild fast überall: unter der Dusche, im ICE, in der S-Bahn oder auch, wenn ein jüdischer Junge religionsmündig wird. O-Ton Rothschild langweilige Bar Mizwah Eine von die Lieder habe ich geschrieben auf eine Serviette in die Synagoge während ein ganz langweilige Bar Mizwa-Abendessen. Man muss irgendetewas tun zwischen die Reden, so ich nahm die Servietten, Scibbel, scribbel. Jetzt nehm‘ ich immer in mein Tasche einige Postkarten oder glatte Papier, damit ich etwas zu schreiben habe. Sprecher: Witze erzählt Walter Rothschild, wo er geht und steht - natürlich auch wenn er in der Synagoge eine jüdische Pregigt hält. Auch dann ist Rothschild ganz Entertainer. Ein Rabbiner müsse schließlich Interesse wecken, etwas dafür tun, dass die Menschen in die Synagoge kommen. Diesen Witz hat er schon oft erzählt: O-Ton Rothschild Witz Regenschirm Der Rabbiner schenkt dem Bar Mitzwah-Jungen einen Regenschirm und sagt: "Normalerweise schenken wir dem Bar Mitzwa eine Bibel, aber wir dachten dieses würden Sie öffnen ab und zu." Sprecher: Walter Rothschild überlegt einen Augenblick: Erzählt er wirklich bei jeder Ansprache Witze? Nein, wenn er auf Beerdigungen spricht, dann nicht. Trotzdem gibt es jede Menge jüdischer Witze zum Thema Tod und Sterben. Wie zum Beispiel diesen, den der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik erzählt. O-Ton Micha Brumlik 30083 Also, es liegt ein alter Jude im Sterben. Zum Entsetzen seiner Familie konvertiert er auf dem Sterbebett zum Christentum. Die Familie bedrängt ihn. Taten, wie konntest Du das tun? Ah, wenn schon einer stirbt, besser einer von denen als von uns. Sprecher: Die Konversion zum Christentum kommt häufig vor im jüdischen Witz . Denn in vielen Zeiten und Ländern war sie die Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft . Dieselben BErufe ergreifen zu können wie die "Goyim", die Nicht-Juden, das war lange ein jüdischer Traum in vielen Zeiten und Ländern. Zitator Ein Jude konvertiert zum Christentum und nimmt die Sache ganz besonders ernst. Er lässt sich sogar zum Pfarrer ausbilden. Nach seiner ersten Predigt lobt ihn der Kollege: "Das war schon alles wunderbar. Nur eine Kleinigkeit würde ich ändern. Am Anfang sagt man: Liebe Gemeinde und nicht Liebe Goyim!" Sprecher: Häufiges Objekt des jüdischen Witzes ist die jüdische Mutter, die Mame, der man einen Hang zum Melodrama nachsagt. Zitator Die italienische Mutter sagt zum Kind: "iss deine Pizza oder ich bringe Dich um". Die jüdische Mutter sagt: "Iss deinen Kugel oder ich bringe mich um". Sprecher: Ein Kugel ist in der jüdischen Küche Nordeuropas eine Art Auflauf. Die jüdische Mutter ist dem Klischee zufolge stets darauf aus, dass ihre Kinder Karriere machen, möglichst Anwälte oder Ärzte werden und den angeblich häufigsten jüdischen Vornamen erwerben: nämlich Doktor. Auch wenn die Kinder erwachsen sind, mischt sich die jüdische Mame ständig ein. Davon weiß auch der jüdische Comedian Oliver Polak ein LIed zu singen.Pollack stammt aus dem Emsland. Oliver Polak Meine Mutter wollte immer, dass ich 'n jüdisches Mädchen heirate. Sie sagte immer: "Oliverrr, emsländische Landschönheiten sind drall und fruchtbar wie das Vieh, das sie hüten und auch sonst nur sehr schwer von ihm zu unterscheiden." ist es eigentlich so, Entschuldigung, nur ganz kurz, dass der christliche Gott alles weiß, alles sieht und immer da ist ? Ja? Wenn das so ist, dann ist er bei meiner Mutter in die Lehre gegangen. Als Säugling war ja noch alles ganz normal, so chilly-billy, easy going. Erst im Kindergarten ist mir aufgegangen, dass meine Mutter so'n bisschen anders drauf war als die anderen Mütter. Sie ist nämlich immer geblieben. Ich dachte, das lässt mit der Pubertät nach. Pustekuchen. Als ich mit meiner Freundin in Urlaub fahren wollte, das erste Mal alleine, ohne meine Mutter, sagte meine Mutter. "Oliver, das kannst du machen, wenn du 18 bist." Ich sag: "Mama, ich bin 23." Sagt sie: "Tja mein Sohn, dann hast du wohl die Chance verpasst." O-Ton Elisabeth Juppiter 30083 bei 2 Drei ältere Damen streiten sich, wer den besten Sohn hat. Sagt sie: "Ich hab den besten Sohn. Der ist ein fantastischer Zahnarzt, arbeitet wie verrückt, aber jeden Schabbes ist er bei mir. Sagt die zweite: Ist noch gar nichts. Mein Sohn ist Geschäftsmann, wahnsinnig viel zu tun,verdient,was er will, aber einmal die Woche geht er mit mir einkaufen. Sagt die dritte: "Ist noch gar nichts. Meiner ist Anwalt auf der Fifth Avenue, verdient, was er will, kann sich den besten Analytiker leisten, zahlt vier mal in der Woche vierhundert Dollar und spricht dort nur über mich. O-Ton Brumik Nach ernsthaften Gesprächen ruft der Familientherapeut die Mutter des jungen Mannes an und bestellt sie in die Praxis, Frau Cohn, ich muss ihnen leider mitteilen, Ihr Sohn hat einen Ödipus-Komplex. - "Ah, Ödipus, Schnödipus, Hauptsache er hat lieb die Mama." Sprecher Womit wir bei Sigmund Freud wären, der sich 1905 in seinem Werk "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten" tiefgründige Gedanken macht und eine Theorie des jüdischen Witzes entwirft. Juden lachten besonders gern über sich selbst, meinte Freud. Zitator Die Bedingung der Selbstkritik mag uns erklären, dass gerade auf dem Boden des jüdischen Volkslebens eine Vielzahl der trefflichsten Witze erwachsen sind (...). Es sind Geschichten, die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind.(...) Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst vorkommt, dass sich ein Volk in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht. Sprecher: Witze über sich selbst seien ein Minderheitenphänomen, sagt der amerikanische Germanist Sander Gilman, denn die Mehrheitsgesellschaft mache keine Witze über sich. Als Juden im 18. Jahrhundert in die bürgerliche Gesellschaft eintreten wollten, hätten sie demonstrativ laut über sich gelacht, um bloß dazuzugehören. O-Ton Gilman Ich lache, wenn du irgendwas sagst. Und dann sage ich das über mich selbst, und das ist ein Zeichen, dass wir sind über mich einig. Sprecher Gilman findet Witze über sich selbst jedoch problematisch. O-Ton Gilman Ich glaube, das ist am Ende natürlich sehr schlecht. Was im Laufe des 19. Jahrhunderts passierte, ist, man konnte nie selbstkritisch genug sein. Das heißt, jedes Mal, wenn man zu einem gewissen Punkt kam, musste man noch selbstkritischer sein. Sprecher: Aber müssen jüdische Witze unbedingt etwas mit jüdischem Selbsthass zu tun haben, das Judentum abwerten, Juden zu Witzfiguren machen? Wer Witze über sich selbst macht, zeigt damit nicht nur Mut zur Selbstkritik, sondern vor allem: Souveränität. Zitat Sind eigentlich alle Juden intelligent? - Nein, aber die Dummen lassen wir taufen. Sprecher: Auch für jüdische Witze gilt: Wer zuletzt lacht, lacht am längsten. Zitator Kommt ein Jude 1946 ins Kaffeehaus: "Josef, bringen Sie mir einen Tee und einen Völkischen Beobachter." "Aber mein Herr, ich habe Ihnen schon hundert Mal gesagt, den Völkischen Beobachter gibt es nicht mehr." "Ich weiß, aber ich kann es nicht oft genug hören." THE END
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