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20. Juli 2015
D&O
AKTUELL
Anwaltsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen/Hamm,
Urt. v. 7. November 2014
– 2 AGH 9/14,
NJW 2015, 890 (n.rkr.)
Für den Fall maßgebliche
Regelungen:
§ 59b Abs. 2 Ziff. 6 lit. b) BRAO lautet:
Die Berufungsordnung kann im
Rahmen der Vorschriften dieses
Gesetzes näher regeln: … Die besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden, …
b) Pflichten bei Zustellungen …
§ 14 BORA (Zustellungen) lautet:
Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis
mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Wenn der Rechtsanwalt bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung die Mitwirkung
verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich mitteilen.
Leitsatz des
Anwaltsgerichtshofs:
§ 14 Satz 1 BORA ist keine berufsrechtliche Pflicht des Anwalts zu
entnehmen, an Zustellungen von
Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) mitzuwirken; hierfür fehlt es an einer
hinreichenden Ermächtigungsgrundlage für die Satzungsversammlung in § 59b BRAO.
(Keine) Berufspflicht zur Mitwirkung
an Zustellung von Anwalt zu Anwalt?
I. Sachverhalt
Der angeschuldigte Anwalt A vertrat seinen
Mandanten in einem wettbewerbsrechtlichen
einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem der
Gegner obsiegte. Das Urteil erging am 5. Juni.
Die vollziehbare Ausfertigung des Urteils ging
am 4. Juli beim gegnerischen Anwalt B ein. Zur
Vermeidung der Verfristung musste Anwalt B
gemäß § 929 Abs. 2 ZPO dafür sorgen, dass
die Zustellung an den Anwalt A bis zum 5. Juli
bewirkt wird. Am 5. Juli übermittelte Anwalt B
die Entscheidung um 11.48 Uhr per Telefax und
E-Mail sowie gegen 16 Uhr durch besonderen
Boten, jeweils gegen Empfangsbekenntnis an
Anwalt A. Um in Erfahrung zu bringen, wie er
sich berufsrechtlich verhalten soll, rief Anwalt A
die Rechtsanwaltskammer an, die ihm erklärte,
dass die Rechtslage komplex sei, es jedoch am
sichersten wäre, die Entscheidung seinem
Mandanten zu überlassen, wobei diesem die
Bedeutung der Einhaltung berufsrechtlicher
Pflichten vor Augen zu führen sei. Anwalt A
kontaktierte noch einen befreundeten Richter,
der dazu tendierte, bei Unterzeichnung des
Empfangsbekenntnisses die Begehung eines
Parteiverrates anzunehmen. Anwalt A setzte
sich sodann mit seinem Mandanten in Verbindung, erläuterte die rechtlichen Aspekte und
bat um eine klare Handlungsanweisung und
verweigerte sodann dieser Weisung folgend
die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks
und die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses. Aus diesem Grund konnte der Anwalt B
das Urteil nicht mehr fristgerecht vollziehen.
Anwalt B erhob sodann Beschwerde über den
Anwalt A bei der Anwaltskammer. Im berufsgerichtlichen Verfahren hatte dann das Anwaltsgericht Düsseldorf eine Pflichtverletzung des Anwalt A verneint.
Zustellung im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren erfolgt, ändere daran
nichts. Der Anwaltsgerichtshof hat offen gelassen, ob die Auffassung des Anwaltsgerichts
Düsseldorf, dass Anwalt A bei Mitwirkung an
der Zustellung Parteiverrat begangen hätte, zutrifft, weil es darauf aufgrund des Fehlens der
Ermächtigungsgrundlage nicht ankam.
Der Anwaltsgerichtshof und die Vorinstanz traten damit der bisher einhelligen Auffassung in
Literatur, Rechtsprechung und Praxis entgegen,
nach der § 14 BORA auch in Fällen der Zustellung von Anwalt zu Anwalt Anwendung findet.
Die Revision zum BGH wurde zugelassen.
III. Hinweis für die Praxis
Der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ist
nicht zuzustimmen. In der ZPO sind Zustellungen von Anwalt zu Anwalt als Ersatz für gerichtliche und öffentliche Zustellungen vorgesehen.
Dementsprechend muss § 59b Abs. 2 Nr. 6 b)
BRAO richtigerweise dahingehend erweiternd
ausgelegt werden, dass auch Zustellungen von
Anwalt zu Anwalt erfasst sind. Derzeit hat der
empfangende Anwalt bei Zustellungen von Anwalt zu Anwalt genau zu überlegen, ob er das
Empfangsbekenntnis unterzeichnet. In jedem
Fall ist eine Einholung einer Weisung des Mandanten ratsam. Für denjenigen, der die Zustellung betreibt, ist derzeit der sicherste Weg
diese fristgerecht über den Gerichtsvollzieher
vornehmen zu lassen.
Alexandra Tretter
II. Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs
Der Anwaltsgerichtshof Hamm bestätigte diese
Auffassung. Zwar hat der Rechtsanwalt nach
§ 14 BORA ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis
mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Diese Bestimmung beziehe sich aber nicht
auf Zustellungen von Anwalt zu Anwalt, da
§ 59b Abs. 2 Nr. 6 b) BRAO insofern keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage enthalte, da
die Regelung nur die besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden bei Zustellungen regele. Auch der Umstand, dass die
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