1 Jesus heilt. Jesus vergibt. Predigt über Mk 2, 1

Jesus heilt. Jesus vergibt.
Predigt über Mk 2, 1-12, gehalten am 11. 11. Oktober 2015 in der Petruskirche zu Gerlingen
1 Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er
im Hause war.
2 Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der
Tür; und er sagte ihnen das Wort.
3 Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen.
4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf,
wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.
5 Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden
sind dir vergeben.
6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen:
7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?
8 Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach
zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen?
9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu
sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?
10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf
Erden - sprach er zu dem Gelähmten:
11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!
12 Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich
alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.
Ich habe mit den Konfirmanden meiner Gruppe am vergangenen Mittwoch diesen Predigttext
sehr gründlich angeschaut. Wir haben versucht, herauszufinden, wo der Kern dieses Textes
liegt. Die Konfirmanden haben die Aufgabe bekommen, eine Nacherzählung dieser
Geschichte zu schreiben, die genau 30 Worte umfasst. Nicht mehr, nicht weniger. Solch eine
Vorgabe zwingt einen dazu, sich genau zu überlegen, was unverzichtbar ist an einem Text.
Was kann man weglassen? Was darf man auf keinen Fall weglassen? Was muss unbedingt
erwähnt werden?
Die Konfirmanden haben das wirklich gut gemacht. Ich war beeindruckt.
Und dann gab es noch die Aufgabe, eine Überschrift zu bilden für diesen Textabschnitt.
Viele Vorschläge gingen genau in die Richtung der Überschrift, die auch auf Ihrem Textblatt
abgedruckt ist: „Ein Gelähmter wird geheilt“, oder eben: „Die Heilung eines Gelähmten“.
Ich war dann ein bisschen arg lehrerhaft und habe gesagt: „Ich hätte gerne eine Überschrift,
die die Aussage des Textes besser zusammenfasst.“
Wir haben dann gemeinsam überlegt, dass es gut wäre, wenn die Überschrift die beiden
Punkte aufnimmt, auf die es in der Geschichte ankommt: Dass Jesus nämlich heilt, und dass
er Schuld vergibt.
Das wäre also mein Favorit für eine Überschrift über diesen Text:
„Jesus heilt, und Jesus vergibt Schuld.“
Das wäre eine Überschrift, die nicht nur für den heutigen Predigttext passen würde.
Diese Überschrift würde auch für das ganze Leben von Jesus passen.
Jesus heilt, und Jesus vergibt Schuld.
Furchtbar gerne würde ich da gerne ein Wörtchen hinzufügen, ein kleines Wörtchen…
„Immer“ wäre das Wörtchen, das ich gerne ergänzen würde.
„Jesu heilt immer – und Jesus vergibt Schuld: immer.“
Das wäre doch ein wunderschöner Werbeslogan.
Aber so einfach ist es eben nicht.
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So gerne wir auch davon hören, dass Jesus Menschen heilt, so oft müssen wir es doch auch
erleben, dass er Menschen nicht heilt, trotz aller Gebete, trotz aller Bitten.
Ich erinnere mich genau an einen Freund, der an einem Wirbelsäulentumor litt.
Er setzte große Hoffnungen auf die Heilungsgottesdienste, die von einer sogenannten „freien
Gemeinde“ hier in unserer Gegend angeboten werden.
Die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht.
Und noch bitterer war es für ihn, dass er von dieser Gemeinde dann im Grunde fallen gelassen
wurde, als keine Heilung eintrat.
So bitter es ist.
Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir sagen:
„Jesus heilt nicht immer.“
Jedenfalls nicht in einem äußerlich feststellbaren Sinne.
Menschen bleiben gelähmt.
Krankheiten schreiten fort.
Auch bei tief gläubigen Menschen.
Wir alle wissen das, und wir alle leiden daran.
Und wie ist es mit dem Vergeben der Schuld?
Können wir wenigstens da sagen: „Jesus vergibt Schuld – immer“?
In jedem Gottesdienst beten wir das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, das Vaterunser.
Und jedes Mal bitten wir da:
Vergib uns unsere Schuld.
Worum wir bitten, das können wir uns selber nicht geben.
Und wenn wir um etwas bitten, dann müssen wir immer auch damit rechnen, dass die Bitte
nicht gewährt wird.
Gott ist kein Vergebungsautomat, und Jesus ist nicht unser Angestellter, den wir
herumkommandieren können.
Deshalb wäre es falsch und vermessen und respektlos, wenn wir sagen würden:
„Jesus vergibt Schuld – immer.“
Es wäre ein wunderbarer Werbeslogan – aber es wäre völlig unangemessen, so von Jesus, so
von Gott zu reden.
Was wir freilich sagen können, und nicht oft genug sagen können, ist dies:
Wenn Dich eine Schuld drückt, dann wende Dich an Jesus – immer.
Auch wenn wir da keine frechen Versprechungen machen können:
Wir dürfen jeden darauf hinweisen, dass Jesus derjenige ist, an den wir uns immer wenden
können, wenn uns eine Schuld belastet.
Heilung von Leiden und Vergebung von Schuld:
Das ist es, was wir Menschen brauchen.
Das sind die beiden Lasten, die uns drücken:
Das Leiden und die Schuld.
In der Zeit, in der Jesus gelebt hat, da hat man einen ganz engen Zusammenhang gesehen
zwischen Krankheit und Schuld.
Jesus geht auf diesen Zusammenhang ein – aber er bestätigt ihn nicht wirklich.
Er heilt den Gelähmten, um damit zu zeigen, dass er das Recht hat, Sünden zu vergeben.
Denn so denken ja die Leute:
Dass es schwieriger ist, Krankheiten zu heilen, als Sünden zu vergeben.
Und deshalb hat Jesus, wenn er den Kranken zu heilen vermag, auch das Recht, Sünden zu
vergeben.
Das ist das Beweisziel, das Jesus mit der Heilung im Zusammenhang unserer Geschichte
verfolgt.
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Ansonsten ist er sehr, sehr zurückhaltend, was den Zusammenhang von Schuld und Krankheit
angeht.
Es ist eher so, dass er dem Zusammenhang von Schuld und Krankheit widerspricht
Ich denke, da spricht er sein letztes Wort bei der Heilung des Blindgeborenen, von der uns das
Johannesevangelium berichtet:
Da wird Jesus gefragt: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind
geboren ist?“
Und Jesus antwortet: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die
Werke Gottes offenbar werden an ihm.“
Krankheit ist keine Folge von Sünde – so sagt es Jesus hier ganz eindeutig.
Und wenn wir manches Mal doch darüber nachgrübeln, ob es da nicht Zusammenhänge gibt,
dann sollten wir uns immer wieder dieses Wort vor Augen führen: „Es hat weder dieser
gesündigt noch seine Eltern.“
Jesus heilt und Jesus vergibt Sünden.
Wir können diese Überschrift über unseren Predigttext nicht zu einem schmissigen Slogan
fortbilden, weil die Dinge so einfach eben nicht liegen, dass wir sagen könnten:
„Jesus heilt immer und Jesus vergibt Sünden immer“
Aber wir können etwas anderes machen:
Wir können uns an Jesus orientieren.
Wir können uns an Jesus orientieren, indem wir selber so gut wie möglich versuchen, kranken
Menschen etwas Gutes zu tun.
Das habe ich die Konfirmanden auch gefragt:
Was können wir für kranke Menschen tun?
Da kam eine ganze Menge zusammen:
„Einen Arzt holen, Medikamente geben, ins Krankenhaus bringen.“
Und noch etwas ist den Konfirmanden eingefallen:
Wir können mit den kranken Menschen reden, wir können sie ablenken, wir können sie
trösten, wir können ihnen Gesellschaft leisten.“
Und beten können wir mit den Kranken (wenn sie es wollen), und für sie beten können wir
immer (das müssen sie ja gar nicht erfahren).
All das können wir tun – und sollen es tun.
Und auch für Menschen, die geplagt werden von Schuldgefühlen, können wir etwas tun:
Wir können ihnen zuhören.
Wir können versuchen, ihre Gedanken nach vorne zu lenken.
Und wir dürfen und sollen Schuld auch vergeben: auf jeden Fall die Schuld, die uns angetan
worden ist: „Vergib uns unsere Schuld – wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Wer gemerkt hat, dass er selber darauf angewiesen ist, dass ihm seine Schuld vergeben wird,
der wird auch leichter geneigt sein, dem anderen seine Schuld zu vergeben.
Wer selber weiß, dass er Fehler macht, der wird mit dem Anderen gnädiger umgehen.
Kurzum:
Lasst uns einander helfen, wo wir Hilfe benötigen.
Und lasst uns gnädig miteinander umgehen.
Wir alle leben von gewährter Hilfe und von gewährter Gnade.
Amen.
Dr. Martin Weeber
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