Helgoland. Episoden. Von Michel Kühn Prolog „Weißt du“, sagt sie. „Manchmal, da frag ich mich ob der Erdboden es spürt, wenn ein Regenwurm seinen Gang durch ihn hindurch wühlt.“ „Ich denke nicht“, sagt die andere. „Wie solle er sich da auch fühlen?“ „Gewurmt“, sagt die Insel. Die See kracht vor Lachen gegen den Fels. Unten Der Kapitän gespannt, legt den Finger auf die Lippen die Gefahr ist wohl bekannt, hier unten nahe den Klippen Alle wirken wie erstarrt, kaum einer wagt zu atmen. Man lauert auf den Feind und der Feind lauert zurück Sarg im stählernen Kleid mit Seelen und Torpedos bestückt In einem Krieg, von dem heute nur noch die Ältesten erzählen können. London und Berlin, stets bereit für die nächste Phase Schweiß und Urin beißen sich fest in jeder Nase Nur das dumpfen Summen der Maschine kämpft an gegen das Schweigen. Und dann schlägt das Echolot Alarm Ein Matrose brüllt die Richtung Der Kapitän bellt ein Manöver Doch zu spät kommt jene Sichtung Wasserbomben fallen und Leben wird Geschichte. In der See wird wieder geschwiegen und die Insel zeigt sich unbeeindruckt. Oben Das Rattern zweier Motoren dröhnt in der schmalen Kabine. Trotzend dem Rumoren kauern Männer in der kahlen Maschine. Steuern, navigieren, überwachen, prüfen die Fracht. Dutzende „Wimpys“ manövrieren Richtung siegreicher Schlacht. Und dann wird ein letztes Mal der Kurs korrigiert, Die Windrichtung geprüft, die Instrumente nachjustiert, Die explosive Fracht in Position gebracht Und mit umgelegtem Schalter öffnet sich der Schacht. Der Alarm treibt die Menschen hinein in den Stein, beinahe alltäglich geübt, doch soll es heute anders sein. Ein fernes Grummeln, das sich dann schließlich nähert, kauerndes Tummeln, Todesangst wird wohlgenährt. Detonation. Beben. Staub füllt die Lungen. Licht erlischt. Wehklagen von Alten, von Jungen. Man gräbt sich wie Würmer ein in den Boden Teils mit Erfolg. Fast 300 sterben. Eine Insel mit Kratzern. Land in Sicht Eine Insel mit vielen Gratern und dem tiefen weiten Meer mit viel Tunnels, Stahl und Eisen und auch stets viel Militär Nun wie mag die Insel heißen, mit viel Kliff und wenig Strand Mit ner Zündschnur in der Mitte, komme wir sprengen Hell-go-land! Scheint eine Macke des Menschen zu sein. Liegt ein Wal am Badestrand sprengen wir ihn in die Luft Will der Feind über ne Brücke sprengen wir sie in die Luft „Da ist sone Insel...mit Militäranlagen drauf...“ - sprengen wir sie in die Luft! 91000 Granaten. 9000 Wasserbomben. 4000 Torpedoköpfe. 6,7 Kilotonnen. Eine Insel detoniert. Und überlebt. So viele Bomben. So viel Zerstörung. Und die Insel überlebt. Denn gegen alle, die ihr schaden wollen, das muss man anerkennen hebt sie auch heute stets den Mittelfinger, den wir als „lange Anna“ kennen. Epilog „Glaubst du, dass der Erdboden sich durch den Regenwurm bedroht fühlt?“, fragt sie. „Nein“, antwortet die See. „Denn er weiß, dass er den Regenwurm stets überdauern wird.“
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