WB-Artikel

Walliser Bote
Mittwoch, 13. April 2016
WALLIS
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Politik | Wie das Parlament die Bundesverfassung – und die Interessen der Bevölkerung gewichtet
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Publikationsorgan CVPO
Frischmilch versus Wolf
WALLIS/BERN | Was haben
Schweizer Frischmilch
und der Wolf gemeinsam? Wenig bis nichts.
Ausser: Wer das eine produziert, wird vom andern
gejagt. Satirisches zu den
Alpen und dem politischen Parkett.
Auf diese kuriose Verbindung
macht Rainer Schumacher in einer «bitterbösen Satire» aufmerksam. Er hat sie im Nachgang zur Frühjahrssession der
eidgenössischen Räte verfasst –
und nun ausgewählten Adressaten zur Lektüre überlassen,
«ganz oder auszugsweise» frei
zur Verwendung und Verbreitung, was hiermit versucht sei.
Gerechtfertigter
Notstand
Es gehe ihm um die Sache,
sagt der emeritierte Rechtsprofessor aus Kirchdorf AG. Er
pflegt zum Oberwallis beste Beziehungen, sei es verwandtschaftlich durch seine Gattin
(aus Brig) oder freundschaftlich
mit gezielten Kontakten. Der
begeisterte Berggänger hat im
Oberwallis ein Feriendomizil.
Er hat sich in der Vergangenheit schon verschiedentlich dezidiert zum Thema Wolf geäussert, stets juristisch fundiert. So
brachte Schumacher im Frühjahr 2014 die These ins Spiel,
dass gemäss Artikel 17 StGB
(Schweizerisches
Srafgesetzbuch) ein unbewilligter Wolfsabschuss auch straflos möglich
sei. Begründet sei dies mit dem
«gerechtfertigten Notstand»,
der in Art. 17 StGB so umschrieben wird: «Wer eine mit Strafe
bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer
anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten,
handelt rechtmässig, wenn er
dadurch höherwertige Interessen wahrt.»
«Nicht die Motion zum Schutz
des Wolfs ist verfassungswidrig,
sondern der
Schutz der Grossraubtiere»
Fragliche Debatte. Kennt der Ständerat die Struktur der Bundesverfassung? Rainer Schumacher geht mit den Ständeräten
und deren Rechtsverständnis hart ins Gericht.
FOTO WB
rates versenken half, verstanden auch neutrale Beobachter
nicht. Graber stellte die Verfassungskonformität der Motion
infrage, was Schumacher zu einer Breitseite nutzt. Graber hätte die Antwort auf seine Zweifel
«rasch und leicht selbst beschaffen können, wenn er sich etwas
mit der Bundesverfassung auseinandergesetzt hätte». Denn
die Grundrechte (Art. 7 – 36 BV)
schützen Leib und Leben sowie
Hab und Gut der Bewohner der
Schweiz. Zudem seien Grundrechte Menschenrechte, die in
der ganzen Rechtsordnung zur
Geltung kommen müssten. Sie
dürfen nur mit ganz restriktiven Voraussetzungen geritzt
werden. Daraus sei unschwer
zu erkennen, «dass nicht die besagte Motion verfassungswidrig
war, sondern es der Schutz der
Grossraubtiere sei».
Prof. Dr. Rainer Schumacher
Staatspolitische Ignoranz
In Schumachers Auslegung ist
dies klar gegeben, «wenn ein
Wolf sich einer Schafherde nähert oder in der Nähe einer Siedlung herumstreift. Dann darf
er sofort ohne Bewilligung abgeschossen werden.» Denn ein
Schaf sei ein höherwertiges
Rechtsgut.
Zweifel am Rechtsverständnis der Ständeräte
Die Debatte vom 9. März im
Ständerat versenkte die Motion
Imoberdorf/Rieder nach einer
intensiven Diskussion mit
17:26 Stimmen – und brachte
Schumacher auf die Palme. Der
Vorstoss hatte den Bundesrat
aufgefordert, das Jagdgesetz abzuändern, um den Wolf ganzjährig jagdbar zu machen.
Dass ausgerechnet der
«ländliche» Luzerner Ständerat Konrad Graber (CVP) mit seiner Intervention die Motion
nach dem Willen des Bundes-
Der Schutz der Grundrechte,
darunter die Garantie der Unversehrtheit des menschlichen
Lebens und die Eigentumsgarantie, geniessen den Vorrang
vor anderen Verfassungsbestimmungen, zu denen auch
der Natur- und Heimatschutzartikel gehört. Dass diese
Struktur der Bundesverfassung selbst von Juristen im Parlament nicht erkannt wird, versteht Schumacher nicht. So
geht er auch mit seinem Berufskollegen und Zürcher Ständerat Daniel Jositsch, ordentlicher Professor für Strafrecht
an der Universität Zürich, hart
ins Gericht. Er wirft ihm
«staatspolitische
Ignoranz»
vor, weil der Schutz der Angehörigen von Minderheiten, «in
einem demokratischen Rechtsstaat unumgänglich und unverzichtbar», in der Debatte
kein Thema war. Stadt und
Land würden zusammengehören und dürften nicht gegeneinander aufgewiegelt werden.
Belastungen
«schlicht nichtig»
Wenn der Wolf, von Bundesrätin Doris Leuthard verharmlosend, für den Menschen kaum
gefährlich sei, bestreite zumindest niemand, dass er für Nutztiere, Haustiere und herrenlos
lebende Tiere eine Gefahr darstelle. Herdenschutzmassnahmen mit finanziellen Einbussen für den Unterlassungsfall
könnten den Tierhaltern und
den Grundeigentümern nur im
Rahmen des Art. 36 der Bundesverfassung mittels eines Gesetzes auferlegt werden. Die Eigentumsgarantie (Art. 26) gehöre
zu den Grundrechten (Menschenrechten). Die entsprechenden Belastungen und Einschränkungen in der per 15. Juli
2015 revidierten beziehungsweise ergänzten Jagdverordnung sind deshalb laut Schumacher «schlicht nichtig». Jeder
Mensch habe das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere
auf körperliche und geistige
Unversehrtheit sowie auf Bewegungsfreiheit. Jede Person habe
zudem den Rechtsanspruch,
«dass der Staat alles in seinen
Kräften stehende unternimmt,
um sie vor Tod und vor Körperverletzungen zu schützen.
Durch den Schutz erfolgt
eine Schadenhaftung
Dagegen trägt der Bund keine
Verantwortung für die Gefahren, die den Menschen auf dem
Gebiet der Schweiz seitens der
eingewanderten Grossraubtiere drohen. Da jedoch der Bund
die Grossraubtiere unter den
strengen Schutz des Jagdrechts
(und indirekt unter den extremen Schutz der Berner Konvention) gestellt hat, wurde der
Wolf in staatlichen Gewahrsam
genommen, weshalb auch die
volle Verantwortung für ihn zu
tragen ist. Daraus folgt, dass
der Bund gemäss Verursacherprinzip uneingeschränkt für al-
le Schäden haftet, die von Wölfen in der Schweiz verursacht
werden.
Tarnorganisation KORA
Dass Schumacher von der Rolle
der KORA (Koordinationsstelle
für die Erforschung und den
Erhalt von Raubtieren in der
Schweiz) nichts hält, ist seit Längerem bekannt. Er bezeichnet
sie als «getarnte Geheimorganisation» des BAFU (Bundesamt
für Umwelt), die zwar privatrechtlich als Verein organisiert
sei, «der jedoch nur Personen
beitreten können, die am Sitz
der KORA in Muri BE für die
KORA und damit das BAFU arbeiten». Das BAFU heble mit diesem Konstrukt raffiniert den
von der Bundesversammlung
verordneten Personalstopp aus.
«Die KORA ist
eine getarnte
Geheimorganisation des BAFU»
Prof. Dr. Rainer Schumacher
Am 9. März lehnte der Ständerat
nicht nur die Motion Imoberdorf/Rieder ab, sondern folgte
mit der Ablehnung der Walliser
Standesinitiative «Wolf. Fertig
lustig!», die zusätzlich zur Abänderung der Jagdgesetzgebung
die Kündigung der Berner Konvention forderte, ein zweites
Mal der Empfehlung des Bundesrates. Der Klage von Isidor
Baumann, die Bergbevölkerung
werde beim Thema Wolf nicht
ernst genommen und sie fühle
sich allein gelassen, wird vorbehaltlos zugestimmt.
Gute Laune durch Frischmilch zum Frühstück
Aber das Parlament folge halt
anderen Prioritäten. So habe
der Nationalrat einen Tag später der Motion «Schweizer
Frischmilch für die Schweizer
Armee» von Toni Brunner zugestimmt. Und zwar entgegen
der Empfehlung des Bundesrates. Die Motion war am 12.
Dezember 2014 eingereicht
worden. Zu den Unterzeichnenden zählte auch Guy Parmelin, der sie später als Bundesrat bekämpfte…
Brunner begründete seinen Vorstoss unter anderem damit, dass Frischmilch statt Pulvermilch zum Frühstück die
Moral der Truppe hebe. Damit
werde fürs Land etwas Gutes getan. In namentlicher Abstimmung wurde die Motion mit
112:68 (bei zehn Enthaltungen)
angenommen.
Falls damit die Moral der
Truppe erhöht werde, sei sie
breiten Kreisen der Bevölkerung mit der Ablehnung der
Wolfsmotion verdorben worden, schlussfolgert Schumacher bitterböse. «Ob die gute
Laune bei der Armee lange erhalten werden kann, scheint
fraglich. Es bestehe die begründete Befürchtung, dass die
Frischmilch für das Frühstück
der Schweizer Soldaten früher
oder später importiert werden
müsse. Denn die Milch würde
von Kühen und anderen Nutztieren geliefert – am besten von
solchen, die den Sommer auf
den Alpen verbringen.
Öde Entwicklung
Leider seien durch den rigorosen Schutz der Grossraubtiere
schon einige Alpweiden aufgegeben worden und weitere
würden in Zukunft mit Sicherheit nicht mehr bestossen.
Schumacher spricht damit vielen aus dem Herzen, die durch
diese Entwicklung eine Verödung der Kulturlandschaften
befürchten mit den bekannten
Folgen – nicht zuletzt für den
tr
Tourismus.