Walliser Bote Mittwoch, 13. April 2016 WALLIS 5 Politik | Wie das Parlament die Bundesverfassung – und die Interessen der Bevölkerung gewichtet Unabhängige Tageszeitung, gegründet 1840 Herausgeber und Verleger: Nicolas Mengis [email protected] Mengis Medien AG Pomonastrasse 12, 3930 Visp Tel. 027 948 30 30, Fax 027 948 30 31 [email protected] Verlagsleiter: Fabian Marbot [email protected] Chefredaktor: Herold Bieler (hbi) Mitglieder der Chefredaktion: Werner Koder (wek), David Biner (dab) Redaktion: Pomonastrasse 12, 3930 Visp Tel. 027 948 30 00, Fax 027 948 30 31 Redaktion: [email protected] Sekretariat: [email protected] Lokal: [email protected] Thomas Rieder (tr), Franz Mayr (fm), Karl Salzmann (sak), Martin Kalbermatten (mk), Melanie Biaggi (meb), Daniel Zumoberhaus (zum), Fabio Pacozzi (pac), Andreas Zurbriggen (azn), Martin Schmidt (mas). 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Gerechtfertigter Notstand Es gehe ihm um die Sache, sagt der emeritierte Rechtsprofessor aus Kirchdorf AG. Er pflegt zum Oberwallis beste Beziehungen, sei es verwandtschaftlich durch seine Gattin (aus Brig) oder freundschaftlich mit gezielten Kontakten. Der begeisterte Berggänger hat im Oberwallis ein Feriendomizil. Er hat sich in der Vergangenheit schon verschiedentlich dezidiert zum Thema Wolf geäussert, stets juristisch fundiert. So brachte Schumacher im Frühjahr 2014 die These ins Spiel, dass gemäss Artikel 17 StGB (Schweizerisches Srafgesetzbuch) ein unbewilligter Wolfsabschuss auch straflos möglich sei. Begründet sei dies mit dem «gerechtfertigten Notstand», der in Art. 17 StGB so umschrieben wird: «Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.» «Nicht die Motion zum Schutz des Wolfs ist verfassungswidrig, sondern der Schutz der Grossraubtiere» Fragliche Debatte. Kennt der Ständerat die Struktur der Bundesverfassung? Rainer Schumacher geht mit den Ständeräten und deren Rechtsverständnis hart ins Gericht. FOTO WB rates versenken half, verstanden auch neutrale Beobachter nicht. Graber stellte die Verfassungskonformität der Motion infrage, was Schumacher zu einer Breitseite nutzt. Graber hätte die Antwort auf seine Zweifel «rasch und leicht selbst beschaffen können, wenn er sich etwas mit der Bundesverfassung auseinandergesetzt hätte». Denn die Grundrechte (Art. 7 – 36 BV) schützen Leib und Leben sowie Hab und Gut der Bewohner der Schweiz. Zudem seien Grundrechte Menschenrechte, die in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen müssten. Sie dürfen nur mit ganz restriktiven Voraussetzungen geritzt werden. Daraus sei unschwer zu erkennen, «dass nicht die besagte Motion verfassungswidrig war, sondern es der Schutz der Grossraubtiere sei». Prof. Dr. Rainer Schumacher Staatspolitische Ignoranz In Schumachers Auslegung ist dies klar gegeben, «wenn ein Wolf sich einer Schafherde nähert oder in der Nähe einer Siedlung herumstreift. Dann darf er sofort ohne Bewilligung abgeschossen werden.» Denn ein Schaf sei ein höherwertiges Rechtsgut. Zweifel am Rechtsverständnis der Ständeräte Die Debatte vom 9. März im Ständerat versenkte die Motion Imoberdorf/Rieder nach einer intensiven Diskussion mit 17:26 Stimmen – und brachte Schumacher auf die Palme. Der Vorstoss hatte den Bundesrat aufgefordert, das Jagdgesetz abzuändern, um den Wolf ganzjährig jagdbar zu machen. Dass ausgerechnet der «ländliche» Luzerner Ständerat Konrad Graber (CVP) mit seiner Intervention die Motion nach dem Willen des Bundes- Der Schutz der Grundrechte, darunter die Garantie der Unversehrtheit des menschlichen Lebens und die Eigentumsgarantie, geniessen den Vorrang vor anderen Verfassungsbestimmungen, zu denen auch der Natur- und Heimatschutzartikel gehört. Dass diese Struktur der Bundesverfassung selbst von Juristen im Parlament nicht erkannt wird, versteht Schumacher nicht. So geht er auch mit seinem Berufskollegen und Zürcher Ständerat Daniel Jositsch, ordentlicher Professor für Strafrecht an der Universität Zürich, hart ins Gericht. Er wirft ihm «staatspolitische Ignoranz» vor, weil der Schutz der Angehörigen von Minderheiten, «in einem demokratischen Rechtsstaat unumgänglich und unverzichtbar», in der Debatte kein Thema war. Stadt und Land würden zusammengehören und dürften nicht gegeneinander aufgewiegelt werden. Belastungen «schlicht nichtig» Wenn der Wolf, von Bundesrätin Doris Leuthard verharmlosend, für den Menschen kaum gefährlich sei, bestreite zumindest niemand, dass er für Nutztiere, Haustiere und herrenlos lebende Tiere eine Gefahr darstelle. Herdenschutzmassnahmen mit finanziellen Einbussen für den Unterlassungsfall könnten den Tierhaltern und den Grundeigentümern nur im Rahmen des Art. 36 der Bundesverfassung mittels eines Gesetzes auferlegt werden. Die Eigentumsgarantie (Art. 26) gehöre zu den Grundrechten (Menschenrechten). Die entsprechenden Belastungen und Einschränkungen in der per 15. Juli 2015 revidierten beziehungsweise ergänzten Jagdverordnung sind deshalb laut Schumacher «schlicht nichtig». Jeder Mensch habe das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit sowie auf Bewegungsfreiheit. Jede Person habe zudem den Rechtsanspruch, «dass der Staat alles in seinen Kräften stehende unternimmt, um sie vor Tod und vor Körperverletzungen zu schützen. Durch den Schutz erfolgt eine Schadenhaftung Dagegen trägt der Bund keine Verantwortung für die Gefahren, die den Menschen auf dem Gebiet der Schweiz seitens der eingewanderten Grossraubtiere drohen. Da jedoch der Bund die Grossraubtiere unter den strengen Schutz des Jagdrechts (und indirekt unter den extremen Schutz der Berner Konvention) gestellt hat, wurde der Wolf in staatlichen Gewahrsam genommen, weshalb auch die volle Verantwortung für ihn zu tragen ist. Daraus folgt, dass der Bund gemäss Verursacherprinzip uneingeschränkt für al- le Schäden haftet, die von Wölfen in der Schweiz verursacht werden. Tarnorganisation KORA Dass Schumacher von der Rolle der KORA (Koordinationsstelle für die Erforschung und den Erhalt von Raubtieren in der Schweiz) nichts hält, ist seit Längerem bekannt. Er bezeichnet sie als «getarnte Geheimorganisation» des BAFU (Bundesamt für Umwelt), die zwar privatrechtlich als Verein organisiert sei, «der jedoch nur Personen beitreten können, die am Sitz der KORA in Muri BE für die KORA und damit das BAFU arbeiten». Das BAFU heble mit diesem Konstrukt raffiniert den von der Bundesversammlung verordneten Personalstopp aus. «Die KORA ist eine getarnte Geheimorganisation des BAFU» Prof. Dr. Rainer Schumacher Am 9. März lehnte der Ständerat nicht nur die Motion Imoberdorf/Rieder ab, sondern folgte mit der Ablehnung der Walliser Standesinitiative «Wolf. Fertig lustig!», die zusätzlich zur Abänderung der Jagdgesetzgebung die Kündigung der Berner Konvention forderte, ein zweites Mal der Empfehlung des Bundesrates. Der Klage von Isidor Baumann, die Bergbevölkerung werde beim Thema Wolf nicht ernst genommen und sie fühle sich allein gelassen, wird vorbehaltlos zugestimmt. Gute Laune durch Frischmilch zum Frühstück Aber das Parlament folge halt anderen Prioritäten. So habe der Nationalrat einen Tag später der Motion «Schweizer Frischmilch für die Schweizer Armee» von Toni Brunner zugestimmt. Und zwar entgegen der Empfehlung des Bundesrates. Die Motion war am 12. Dezember 2014 eingereicht worden. Zu den Unterzeichnenden zählte auch Guy Parmelin, der sie später als Bundesrat bekämpfte… Brunner begründete seinen Vorstoss unter anderem damit, dass Frischmilch statt Pulvermilch zum Frühstück die Moral der Truppe hebe. Damit werde fürs Land etwas Gutes getan. In namentlicher Abstimmung wurde die Motion mit 112:68 (bei zehn Enthaltungen) angenommen. Falls damit die Moral der Truppe erhöht werde, sei sie breiten Kreisen der Bevölkerung mit der Ablehnung der Wolfsmotion verdorben worden, schlussfolgert Schumacher bitterböse. «Ob die gute Laune bei der Armee lange erhalten werden kann, scheint fraglich. Es bestehe die begründete Befürchtung, dass die Frischmilch für das Frühstück der Schweizer Soldaten früher oder später importiert werden müsse. Denn die Milch würde von Kühen und anderen Nutztieren geliefert – am besten von solchen, die den Sommer auf den Alpen verbringen. Öde Entwicklung Leider seien durch den rigorosen Schutz der Grossraubtiere schon einige Alpweiden aufgegeben worden und weitere würden in Zukunft mit Sicherheit nicht mehr bestossen. Schumacher spricht damit vielen aus dem Herzen, die durch diese Entwicklung eine Verödung der Kulturlandschaften befürchten mit den bekannten Folgen – nicht zuletzt für den tr Tourismus.
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