An die Bundestagsabgeordnete Sehr geehrte

Landesgruppe Baden-Württemberg
An die Bundestagsabgeordnete
Freiburg, April.2016
April
Sehr geehrte Bundestagsabgeordneten,
Am 13. Januar 2016 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf des Pflegeberufsgesetzes
beschlossen. Der Bundesrat hingegen hat am 26.02.2016 das Verschieben der Reform um
ein Jahr vorgeschlagen und seine Bedenken geäußert.
Aus NRW liegt ein Rechtsgutachten vor, das erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken
formuliert. Am 18. März hat die erste Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag
stattgefunden. Gesundheitsminister Hermann Gröhe sowie Staatssekretär Lutz Strobbe
haben gegenüber dem Gesundheitsexperten der
der CDU/CSU Bundesfraktion, Erwin Rüddel,
schriftlich versichert, dass das Gesetz nicht im Bundestag verabschiedet werde, ohne dass
die Ausbildungsinhalte nebst Verteilung der Praxiseinsätze und Prüfungsordnung vorliegen.
Die "sogenannten" Ausbildungsinhalte
Ausbildungsinhalte liegen jetzt seit zwei Wochen vor. Das eigentliche
Hauptpapier umfasst ganze 1,5 Seiten und sagt mit 5 Themenbereichen überhaupt nichts
aus. Aus unserer Sicht handelt es sich in keinster Weise um ein fundiertes und inhaltlich klar
ausgestaltetes Curriculum.
um. Die Angaben hier sind genauso dünn wie im Eckpunktepapier
und dem Gesetzesentwurf. Als zentrales Anliegen wird deutlich, dass es primär um die
Anerkennung des Berufes nach der EU Berufsanerkennungsrichtlinie geht. Dieses ist
deutlich hervorgehoben.
Auf
uf dieser Basis kann und darf aus unserer Sicht die Bundestagsabgeordneten dem
Gesetzestext nicht zustimmen:
1.
Wir befürchten eine deutliche Verflachung der Ausbildung. Die qualitativ hochwertige
Ausbildung, die wir als Pflegeeinrichtungen und Altenpflegeschulen
Altenpflegeschulen in den vergangenen
Jahren, vor allem nach in Kraft treten des Altenpflegegesetzes (01.08.2003) in Deutschland
und Baden-Württemberg
Württemberg aufgebaut haben, wird mit dem geplanten Gesetzesvorhaben
deutliche Einbrüche erleiden.
Es sollen die Inhalte von
n drei spezialisierten Pflegeberufen (jeweils 3 Ausbildungsjahre), in
eine generalistische Ausbildung mit ebenfalls 3 Jahren zusammengeführt werden. Es ist
unbestritten, dass es in den Ausbildungen Überschneidungspunkte gibt, jedoch gibt es mehr
Spezifika der einzelnen Bereiche, die nicht alle in drei Jahren erarbeitet werden können. Die
Folge wird demnach eine Verflachung des Wissens sein und ein erhöhter Druck auf die
Auszubildenden. Hier könnte man einen, wenn auch nur bedingt greifenden, Vergleich zur
Umstellung
mstellung vom G9 auf das G8 in den Gymnasien ziehen, heißt Fülle der Ausbildungsinhalte
in verkürzter Zeit = Turboausbildung!
2.
Die Kosten für die Altenpflegeeinrichtungen und auch für die Krankenhäuser sind
noch nicht absehbar, da die Finanzierungssystematik
Finanzierungssystematik noch nicht in Gänze klar ist. Hier sollen
zwei grundlegend verschiedene Systeme zusammengeführt werden. Durch das diskutierte
Umlageverfahren, ist für die Bewohner der Altenpflegeeinrichtungen jedoch wieder einmal
eine weitere Steigerung der Tagessätze
Tagessätze und damit der Eigenanteile zu befürchten. Durch die
erhöhten Anforderungen an das Personal in der Anleitung der Schüler und den
organisatorischen Mehraufwand durch die Rotation der Auszubildenden über viele
Einrichtungen (vermehrten Kurzeinsätzen in unterschiedlichen Fachbereichen) werden die
Kosten deutlich steigen.
Viele, vor allem kleinere ambulante und stationäre Einrichtungen, werden sich diesen
personellen und organisatorischen Mehraufwand nicht leisten können und demzufolge ihre
Ausbildungstätigkeit einstellen. Dies wäre aus unserer Sicht ein fatales Signal, mit Blick auf
die bekannten Bedarfe an Pflegefachkräften in der Zukunft und dem unbestritten bereits jetzt
immer deutlich werdenden Fachkräftemangel in der Branche.
3.
Trotz Verbesserung im Gesetzentwurf gegenüber dem ersten Eckpunktepapier ist
weiterhin ein deutlicher Abbau der Ausbildungszeiten in den Einrichtungen der Altenpflege
geplant, aktuell sind dies rund 2.000 Stunden (bei insgesamt 2.500 Std.), nach der Reform
1.300 Stunden, wohl bemerkt insgesamt bei der Stammeinrichtung in der dreijährigen
Ausbildung. Es sind 433 Stunden oder 11,25 Wochen, also keine drei Monate pro Jahr. Wie
soll die Stammeinrichtung in dieser kurzen Zeit die Praxis vermitteln? Wie sollen in dieser
kurzen Zeit Beziehungen zu den pflegebedürftigen Menschen entstehen? Altenpflege ist
Beziehungspflege!
Der vielfach eingebrachte Einwand, die Einrichtungen würden dafür Auszubildende der
Kranken- und Kinderkrankenhäuser bekommen, lassen wir auch nicht gelten.
Altenhilfeeinrichtungen, die in Gemeinden arbeiten, die keine Krankenhäuser haben oder bei
denen das nächste weiter weg ist, werden kaum Auszubildende aus den anderen
Schwerpunkten haben. Und Einrichtungen, die welche bekommen können, werden sich auf
eine extreme Rotation der Auszubildenden einstellen müssen. Damit sind nicht nur die
Organisationen gemeint, sondern auch deren Bewohner, die Beziehungen im Vertrauen
brauchen.
4.
Wir sehen ein Problem darin, dass die bildungspolitische Kompetenz der Länder
durch diese Reform auf den Bund übertragen wird. Das sehr gute Schulsystem in der
Altenpflegeausbildung in Baden-Württemberg wird hierdurch massiv gefährdet. Gerade
wertvolle kleinere Altenpflegeschulen in den ländlichen Regionen werden verschwinden.
Eine Ausbildung wird nur noch in Ballungsräumen möglich sein, nicht zuletzt dadurch, dass
die Pflichteinsätze in den Kliniken nur dort absolviert werden können.
5.
Einen großen Knackpunkt sehen wir in diesem Zusammenhang auch in dem
pädiatrischen Pflichteinsatz während der Ausbildung. Die Kinderkrankenhäuser haben sich
bereits vehement gegen das Gesetzesvorhaben eingesetzt, denn sie können gar nicht so
viele Auszubildende anleiten! Die Reaktion der Bundesregierung darauf ist die Ermöglichung
des pädiatrischen Pflichteinsatzes in Kinderarztpraxen oder gar in Kindergärten. Es ist
schlichtweg ein Hohn, dass nur als mangelnde Wertschätzung der geleisteten Arbeit in der
Altenhilfe verstanden werden kann!
6.
Die Zielgruppe der Altenpflegeausbildung ist deutlich anders als die der
Krankenpflegeausbildung. Viele unserer aktuellen Auszubildenden werden sich vor allem
durch die Verdichtung der Ausbildung abschrecken lassen. Es ist erwiesen, dass die
Motivation von Menschen, sich für die Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege
zu entscheiden, völlig unterschiedlich ist. Die Beweggründe sind technisch-medizinisch
(Krankenpflege), pädiatrisch-pädagogisch (Kinderkranken-pflege) oder sozial-empathisch
(Altenpflege). Wer die soziale Pflege in seinem beruflichen Fokus stellen will, wird im
technisch-medizinischen Bereich erhebliche Schwierigkeiten haben. Was wir brauchen ist
vielmehr einen Mix verschiedener Berufe in allen Einrichtungen, ob in Krankenhäusern oder
in Altenhilfeeinrichtungen, um die Qualität der Leistungen zu sichern!
Wir möchten noch ausdrücklich auf folgenden Sachverhalt hinweisen. Die vollständigen
Inhalte der Ausbildung nach § 53 Abs. 1 Pflegeberufegesetz sollen durch eine
Fachkommission erarbeitet werden. Diese Fachkommission hat aber keine Gelegenheit, den
Vollzug des Gesetzes zu verhindern. Denn § 53 Abs. 2 bestimmt:
Die Rahmenpläne der Fachkommission haben empfehlende Wirkung und sollen
kontinuierlich, mindestens alle fünf Jahre, durch die Fachkommission auf ihre Aktualität
überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Sie sind dem Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium für Gesundheit zur
Prüfung der Vereinbarkeit mit diesem Gesetz vorzulegen, erstmals bis zum 1. Juli 2017.
Nach § 53 Abs. 5 Satz 2 können das BMFSFJ und das BMG zudem die Ausbildungsinhalte
anpassen, wenn dies aus deren Sicht erforderlich ist, um z.B. der EU -Berufsanerkenntnisrichtlinie zu entsprechen.
Wir fordern die Mitglieder des Bundestages auf darauf zu drängen, dass die
Ausbildungsinhalte vor Verabschiedung des Gesetzes klar sind. Es kann aus unserer Sicht
nicht sein, dass der Bundestag und die Fachkommission nach Verabschiedung des
Gesetzes nach heutigem Stand keinen Einfluss mehr auf die inhaltliche Ausgestaltung
haben. Es ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel, dass diese dann nur noch durch das
BMG und BMFSFJ verändert werden können.
In den vergangen Wochen wurde durch die Befürworter der generalistischen
Pflegeausbildung, allen voran durch Herrn Staatssekretär Laumann, eine Kampagne
"Generalistik jetzt!" gestartet. Wir möchten nochmals betonen, dass wir hier nicht die Basis
der Altenpflege vertreten sehen. Bei unseren Bedenken und dem organisierten Widerstand
gegen diese Reform, handelt es sich nicht, wie oft dargestellt, um eine Minderheitsmeinung
privater Arbeitgeberverbände, die ein Lohndumping in diesem Bereich durchsetzen wollen.
Die Basis der Altenpflege sieht den Fortbestand einer qualitativ hochwertigen Versorgung
der älteren Bevölkerung in Deutschland gefährdet.
Sehr geehrte Bundestagsabgeordneten,
die Unterzeichnerin dieses Schreibens vertritt die Meinung von vielen Leitungskräften der
ambulanten und stationären Altenhilfe. Die Meisten wenden einen Tarifvertrag an, der
deckungsgleich zu den Tarifverträgen in den Krankenhäusern ist.
Das Argument, durch das Pflegeberufegesetz würden die Gehälter der Altenpflegefachkräfte
endlich dem der Krankpflegekräfte angepasst, greift nicht. Selbst diejenigen
Altenhilfeeinrichtungen, die keinen Tarifvertrag haben, können es sich gar nicht leisten, ihre
Altenpflegefachkräfte unter dem Tarif-Niveau der anderen Einrichtungen zu entlohnen. Sie
würden sonst gar keine Pflegefachkräfte bekommen!
Es geht uns um den Fortbestand einer guten Altenpflegeausbildung in Freiburg und
Umgebung sowie um die Versorgungssicherung in unserer Region. Wir bitten Sie nochmals
nachdrücklich unsere Bedenken in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Claire Désenfant