Neues Deutschland

Forderungen statt Dialog
Pharmafirmen setzen Wunschzettel
bei Bundesregierung durch. Seite 16
LAGeSo außer Kontrolle
Schlaglicht auf Geschäfte mit
Berliner Asylunterkünften. Seite 9
Foto: 123rf/ginasanders
Abbas
in Panama
Palästinensische
Politiker halten
über ein Netz von
Briefkastenfirmen
Beteiligungen an
vielen wichtigen
Unternehmen.
Seite 5
Grafik: 123rf/images
Mittwoch, 13. April 2016
STANDPUNKT
Nach rechts
ziemlich offen
71. Jahrgang/Nr. 86
Beauftragter statt Beauftragter
Kommission schlägt vor: Stasi-Akten sollen bis 2021 ins Bundesarchiv kommen
Landtag in Magdeburg winkt AfDKandidaten durch, verweigert aber
Linkspolitiker zunächst die Mehrheit
Wer noch nicht recht glauben
wollte, dass die rechtspopulistische AfD die Parteienlandschaft
drastisch verändert – am Dienstag
war ein ganz praktischer Beweis
zu erleben. In der ersten Sitzung
des Magdeburger Landtags wählte eine Mehrheit der Abgeordneten zwar auf Anhieb den Parlaments-Vizepräsidenten von der
AfD, ließ den LINKE-Kandidaten
Wulf Gallert aber durchfallen. Es
war eine geheime Wahl, doch
nach Lage der Dinge kann der
größte Teil der Stimmen gegen
Gallert nur von CDU und AfD gekommen sein.
Die Abgeordneten hatten dem
Vernehmen nach freie Hand und
keine Fraktionsvorgabe. Das
heißt: Eine ziemlich kritische
Masse der CDU-Fraktion winkte
offenbar den AfD-Mann durch,
blockierte aber den Linken. Für
Ministerpräsident Haseloff (CDU)
heißt das zweierlei. Erstens: Seine eigenen Leute kokettieren
ganz unverhohlen mit der
Rechtspartei, die in diesem Bundesland durch stramm völkische
Anklänge aufgefallen ist. Und
das, obwohl der Regierungschef
im Wahlkampf versucht hatte,
sich nach rechts abzugrenzen.
Und zweitens könnten der von
Haseloff angestrebten Koalition
mit SPD und Grünen schwere
Zeiten bevorstehen – wenn sie
überhaupt zustande kommt.
Auch wenn Gallerts Wahl im
zweiten Versuch noch gelang,
nachdem die Fraktionschefs
deutlich interveniert hatten: Seit
diesem Dienstag ist die ganze
Magdeburger CDU-Fraktion ein
Risikofaktor. Wehe, wenn sie losgelassen.
UNTEN LINKS
ISSN 0323-3375
www.neues-deutschland.de
Gallert im zweiten
Anlauf gewählt
Wolfgang Hübner über die kritische
Masse der CDU Sachsen-Anhalts
Bei der Beleidigung von Organen
und Vertretern ausländischer
Staaten, darauf sieht sich die Bundesregierung verpflichtet hinzuweisen, ist auf die korrekte Nennung der offiziellen Titel zu achten. Invektiven gegen Schurken,
Diktatoren und andere Regierende
werden automatisch ungültig, sind
die Betreffenden nicht ordentlich
als Allerdurchlauchtigste Kaiserliche und Königliche Hochwohlgeborene, Präsidenten, Oberste oder
überhaupt Führer, Fürstliche Gnaden, Attachés, Botschaftsräte oder
Nuntiae gekennzeichnet. Werden
die Organe und Vertreter ausländischer Staaten durch Vergleiche
mit Nutztieren beleidigt, sollte besondere Obacht walten. Gegebenenfalls sind Satirewarnungen des
Außenministeriums zu beachten.
Kommentatoren des politischen
Regimes in Ungarn sollten danach
aktuell nur Gutes über den Köztársasági elnök äußern. Und generell gilt, dass der türkische
Cumhurbaşkanı der Allertollste
von den Ayatollahs ist. Wer sich
das nicht merken kann, muss lebenslang in »Die Anstalt«. tos
Bundesausgabe 1,80 €
Foto: dpa/Peter Förster
Berlin. Die 1991 gegründete Behörde für
die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit (BStU) könnte in einigen Jahren
aufgelöst werden – und irgendwie
auch nicht. Gleiches gilt für das Amt
des Bundesbeauftragten. So jedenfalls lässt sich die 23 Seiten umfassende Empfehlung einer Kommission
zusammenfassen, die am Dienstag ihre Ergebnisse präsentierte. Die bisherige BStU soll demnach bis 2021
ihre Eigenständigkeit verlieren, die
Akten sollen ins Bundesarchiv überführt, dort aber »vollständig mit eigenem Namen und mit sichtbarer Eigenständigkeit« und überdies an eigenem Standort untergebracht
werden. Empfohlen hat die vom
früheren CDU-Ministerpräsidenten
Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer, geleitete Kommission zudem, den alten »Bundesbeauftragten« durch einen neuen zu
ersetzen – der sich künftig für »die
Auseinandersetzung mit der SEDDiktatur und ihren Folgen« zuständig fühlen und als Berater des
Bundestags wirken soll.
Die frühere DDR-Oppositionelle Hildigund Neubert lehnte
die Vorschläge ab und gab ein
Minderheitenvotum zu den
Empfehlungen der Kommission ab. Von der Linksfraktion im
Bundestag wurden diese als
»ein Schritt in die richtige
Richtung« bewertet; der Abgeordnete Stefan Liebich
sagte jedoch, einige Fragen, etwa zur Forschungsarbeit, seien »noch nicht
überzeugend beantwortet«. Der bisherige Bundesbeauftragte
Roland
Jahn sagte, der Bericht belege, »dass das Stasi-Unterlagen-Archiv aus der
Erinnerungskultur nicht
mehr wegzudenken ist«. Er
freue sich nun auf die Debatte über die Empfehlungen. »Was daraus wird«, sagte
Böhmer zu dem Bericht, »das muss der Bundestag entscheiden«. tos
Seiten 4 und 6
Kiewer Personalschach als Hängepartie
Streit um Ministerposten und Wahlprozedur bei den Verhandlungen über neue ukrainische Regierung
Premier Arseni Jazenjuk sollte
gehen, Wolodimir Groisman seine Nachfolge antreten. Doch bis
Dienstagabend war die Schachpartie um die ukrainische Regierung nicht entschieden.
Von Klaus Joachim Herrmann
Ganz auf seine provokante Art
nutzte der Chef der Radikalen
Partei, Oleh Ljaschko, den Dienstag in der ukrainischen Werchowna Rada. Während in den
Hinterzimmern der Koalition um
Präsident Petro Poroschenko und
Noch-Premier Arseni Jazenjuk
gestritten wurde, sammelte der
Rechtspopulist Stimmen für eine
Amtsenthebung des Präsidenten.
In kurzer Zeit hatte er 40 davon
beisammen, und die präsentierte
er gern – wenn auch ohne gesetzliche Grundlage.
Kein Problem gab es bei der
völligen Entfristung einer offiziell
Moratorium genannten Verweigerung der Rückzahlung russischer Kredite. Dafür stimmten 246
Abgeordnete. Bisher war die Zah-
lung von drei Milliarden US-Dollar, die 2015 fällig waren, nur bis
1. Juli 2017 ausgesetzt. Den von
Kiew geforderten Schuldenerlass
hatte Moskau abgelehnt.
Als Hauptereignisse standen
offiziell jedoch der Rücktritt des
alten Premiers und die Bestätigung von Wolodimir Groisman,
bisher Parlamentspräsident, und
seines Kabinetts auf dem politischen Programm – ebenso wie die
Bildung eines neues Parlamentspräsidiums. Doch die Zeit verstrich folgenlos. Der Abgeordnete
Sergej Lewotschkin vom Oppositionsblock sprach von einem
»Schachspiel der Ernennungen«,
positive Veränderungen seien von
der neuen alten Koalition ohnehin nicht zu erwarten.
Deren Formierung geriet zunehmend zur Hängepartie. »Wir
finden im Moment keine gemeinsame Sprache mit dem Kandidaten«, klagte am Abend ein
Sprecher der Poroschenko-Fraktion. Deren Fraktionschef, Juri
Luzenko, drohte bei einem Scheitern der Gespräche mit Neuwah-
len. Groisman selbst hatte Montagnachmittag noch verkündet,
dass er das Amt annehmen wolle
und kurz nach Mitternacht bestätigt, dass die Mannschaft stehe. Dann ging der Streit um Personal und Abstimmungsprozeduren weiter. Die auf zwei Prozentpunkte Zustimmung gestürzte
Volksfront des scheidenden Ministerpräsidenten wollte eine Abstimmung im Paket durchsetzen:
Abwahl, Neuwahl und Installierung des Kabinetts mit mehreren
eigenen Ministern.
Die notwendige Stärke von 226
Stimmen hatte die neue Koalition
gegen Mittag beisammen. Um die
Mehrheit zusammenzubringen,
verstärkte sich die Präsidentenfraktion Blok Petro Poroschenko
mit vier Abgeordneten und bediente sich dazu bei mehreren
Parteien. So wurde auch ein früherer Abgeordneter der Rechtsaußenpartei Swoboda geholt.
Die Fraktion Oppositionsblock
erklärte sich laut örtlichen Medien bereit, Premier Jazenjuk das
Misstrauen auszusprechen. An der
Wahl der neuen Regierung werde
sie sich jedoch nicht beteiligen.
Die Rücktrittserklärung Arseni
Jazenjuks wurde am 10. April unterschrieben. Eine Kopie des
handschriftlichen Papiers kam
mit einem Satz aus: »In Übereinstimmung mit Artikel 115 der
Verfassung der Ukraine erkläre
ich mit dem Ziel der Überwindung der politischen Krise und
der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Koalition meinen Rücktritt vom Amt des Premierministers der Ukraine.«
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BGH-Grundsatzurteil
zum Widerrufsrecht
Magdeburg. Mehr als vier Wochen nach der
Wahl in Sachsen-Anhalt hat sich am Dienstag der neue Landtag mit einem Eklat konstituiert: Der Kandidat der Linkspartei für den
Posten des Landtagsvizepräsidenten, Wulf
Gallert (LINKE), fiel im ersten Wahlgang
durch. Dagegen wurde der AfD-Abgeordnete Daniel Rausch gleich im ersten Anlauf
in das Amt des Vizepräsidenten gewählt. Erst
im zweiten Versuch kam Gallert auf die erforderliche Mehrheit. Zuvor wählten die
Parlamentarier den CDU-Abgeordneten
Hardy Peter Güssau zum neuen Landtagspräsidenten.
Die LINKE hatte vor der Abstimmung angekündigt, gegen Rausch stimmen zu wollen. CDU, SPD und Grüne hatten es ihren Abgeordneten überlassen, wie sie sich bei dem
Urnengang verhalten.
Derzeit laufen in Sachsen-Anhalt Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer sogenannten Kenia-Koalition aus CDU, SPD und
Grünen. Agenturen/nd
Seite 6
Bundesanwalt
ermittelt gegen
Nazi-Bürgerwehr
Terroristische Vereinigung im
sächsischen Freital vermutet
Karlsruhe. Die Bundesanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Mitglieder einer extrem
rechten Bürgerwehr aus dem sächsischen
Freital übernommen. Es gehe um den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung, erklärte eine Sprecherin am Dienstag in Karlsruhe. Einzelheiten wollte sie mit
Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht
nennen. Die bislang von der sächsischen Generalstaatsanwaltschaft geführten Verfahren
richten sich gegen fünf Männer und eine Frau
im Alter von 18 bis 40 Jahren. Unter anderem werden ihnen Angriffe auf Asylunterkünfte und Flüchtlingsunterstützer vorgeworfen. Drei Männer sitzen in Untersuchungshaft.
Anfang November und zuletzt im März
waren bei zahlreichen Razzien in Wohnungen in Freital und Dresden Sprengmittel und
Nazi-Devotionalien gefunden worden. Auch
Computer wurden sichergestellt. dpa/nd
Vielen wird die
Rente nicht reichen
Bericht: Fast die Hälfte der künftigen
Rentner von Armut bedroht
Berlin. Laut einem Bericht des WDR droht fast
jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in
Rente geht, eine gesetzliche Altersversorgung
unterhalb der Armutsgrenze. Beinahe die
Hälfte der Rentner wären dann möglicherweise abhängig von staatlichen Grundsicherungsleistungen, berichtete der WDR. Wichtigste Gründe dafür seien das sinkende Rentenniveau und zu niedrige Löhne.
Der Chef der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann, sagte, derzeit sei Altersarmut noch kein Massenphänomen. Die
Politik müsse aber jetzt die Weichen stellen,
damit das so bleibe. Die Rentenversicherung
brauche Klarheit über mögliche neue Zielgrößen bei Beitragssatz und Rentenniveau.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte angekündigt, mit einer Reform der Alterssicherung ein
weiteres Absinken des Rentenniveaus zu verhindern. Es müsse auf dem jetzigen Niveau
stabilisiert werden, sagte Gabriel den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte ein umfassendes Konzept an. Agenturen/nd Seite 6