Gesendet: Mittwoch, 13. April 2016 um 10:24 Uhr Von

Gesendet: Mittwoch, 13. April 2016 um 10:24 Uhr
Von: "Dr. Peter Kalinowski" <[email protected]>
An: [email protected]
Cc: [email protected], [email protected],
[email protected], [email protected]
Betreff: - Frau Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer persönlich –
Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,
liebe Frau Bärbel Schäfer,
wir wollten Sie und die Landesregierung heute über den aktuellen Stand unserer Bemühungen um die
Prävention sexualisierter Gewalt im Schul- und Universitätskontext informieren.
Vor gut einem Jahr hielten Sie nach Überreichung des Landespreises für unser Mutige-MädchenProgramm durch die Landesregierung persönlich eine Laudatio im Hörsaal des Instituts für
Psychologie und unterstützten uns im Anschluss sehr bei unseren Bemühungen um die weitere
Implementierung des Präventionsprogramms im Universitäts- und Schulkontext bei den zuständigen
Ministerien und beim Rektor der Universität Freiburg. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar.
Im August vergangenen Jahres konnte ich den Ministerpräsidenten in einem Gespräch nochmals
persönlich über das Anliegen informieren. Danach koordinierte das Staatsministerium eine
Sondierung, in der die Zuständigkeit der betreffenden Ministerien (Wissenschaft, Kultus und Soziales)
über die Möglichkeiten der Einbindung des Präventionsprogramms in das Bildungssystem des Landes
geklärt werden sollte.
Davor haben meine Frau und ich bereits 2013 und 2014 Herrn Kultusminister Stoch und Frau
Sozialministerin Altpeter in persönlichen Gesprächen über den Themenkomplex und das
Präventionsprogramm informiert und 2014 unser Programm den ministerialen Fachkreisen unter
Anwesenheit der leitenden Ministerialbürokratie im Kultusministerium in Stuttgart detailliert
vorgestellt.
Im Juni 2015 konnte ich im Landtag in Stuttgart die Leitung der Baden-Württemberg-Stiftung über
den Stand der Dinge informieren. Danach setzten sich die Verantwortlichen der Stiftung persönlich
dafür ein, andere dem Land verbundene Stiftungen in den Prozess einer nachhaltigen Finanzierung
einzubinden. Dieser Prozess ist noch immer im Gange.
Bis heute konnten an den über 30 Projektschulen im Raum Freiburg viele Tausend Schülerinnen im
regulären Unterricht am Präventionsprogramm teilhaben. Somit ist das Mutige-Mädchen-Programm,
das erste Präventionsprogramm bundesweit, das einen mehrjährigen Testlauf an öffentlichen Schulen
erfolgreich absolviert hat.
Im Rahmen der dreijährigen Durchführung des Präventionsprogramms im Regelunterricht aller
öffentlichen Schulen in den Kreisstädten Emmendingen und Waldkirch konnten wir Anfang des Jahres
die bisher größte wissenschaftliche Wirksamkeitsstudie eines Programms zur Prävention sexualisierter
Gewalt im deutschsprachigen Raum mit über 500 Probandinnen erfolgreich abschließen.
Zugleich konnten die umfangeichen Manuale als Anleitung des psychologischen und pädagogischen
Fachpersonals für Grundschulen (mit dem Schwerpunkt auf Klassenstufe 3/ 14 Kurseinheiten), und
weiterführende Schulen mit Modifikationen für die verschiedenen Schultypen (mit Schwerpunkt auf
Klassenstufe 7/ 17 Kurseinheiten) in der auf der Wirksamkeitsstudie basierenden überarbeiteten
Fassung vorgelegt werden.
Die vorausgehende Theoriebasierung als Grundlage der Programmkonzeption war ebenfalls schon
eine Pionierleistung auf dem Gebiet der Prävention sexualisierter Gewalt, die zwischen 2006 und 2012
im interdisziplinären Austausch und unter der ehrenamtlichen Mitwirkung einer Vielzahl von
Wissenschaftlerinnen bewältigt werden konnte, die so Verantwortung für eine gesellschaftlich
relevante Problemstellung übernommen haben.
-2-
Über die Funktion der Universität als Forschungsstätte hinaus wird das Präventionsprogramm seit
mehr als zwei Jahren inzwischen auch für Studentinnen aller Freiburger Hochschulen in Kooperation
mit dem Gleichstellungsbüro der Universität angeboten (www.gleichstellungsbuero.unifreiburg.de/mutigemaedchen).
In den vergangenen zehn Jahren haben bereits viele hundert Studentinnen der Universität Freiburg an
einer standardisierten Kursleiterinnen-Ausbildung in Seminarform teilgenommen und konnten so
qualifiziert an den Schulen eingesetzt werden; bis 2011 (Ansiedlung am Institut für Soziologie) mit
Schwerpunkt auf Lehramt, Sozialwissenschaften und Psychologie, seit 2011 mit der Anbindung an die
Abteilung Neuropsychologie des Instituts für Psychologie fast durchgängig Studierende dieses Faches.
Bis 2011 fanden diese Seminare im Rahmen des am Institut für Soziologie angesiedelten Lehrmoduls
Gewaltprävention statt und waren in dieser Zeit studienqualifizierend in das Pädagogische
Begleitstudium bzw. in das EPG-Programm (Ethisch-Philosophisches Grundlagenstudium)
eingebunden. Seit 2012 finden diese Seminare als fakultatives Zusatz-Studienangebot am Institut für
Psychologie statt; seither haben zwischen 100 und 150 Studierende der Psychologie daran erfolgreich
teilgenommen und eine noch größere Zahl hat sich ehrenamtlich an den Schulen engagiert, um
Praxiserfahrung auf dem Gebiet der Prävention sexualisierter Gewalt zu sammeln und haben uns so in
die Lage versetzt, die Maßnahmen an den Schulen mit unserem geringen Budget überhaupt zu
ermöglichen.
Darüber hinaus finden seit 2015 auch spezielle, kostenfreie Kurse, die für Studentinnen aller Fächer
offen sind, an der Albert-Ludwigs-Universität basierend auf einer für Studierende modifizierten
Variante des Mutige-Mädchen-Programms zur Prävention sexualisierter Gewalt statt. Diese
Präventionsbemühungen werden von der Ausarbeitung eines Programmmanuals speziell für
Universitäten und Hochschulen begleitet.
Eine in Planung befindliche Wirksamkeitsstudie in Kooperation mit den Freiburger Grundschulen
(Schwerpunkt Klassenstufe 3) konnte bisher aufgrund mangelnder personeller und räumlicher
Kapazitäten und Finanzierungsdefiziten leider noch nicht in Angriff genommen werden.
Die Vielzahl von Kooperationen mit Projektschulen in der Stadt Freiburg und der Region sowie mit
Frauen- und Opferschutzorganisationen aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Schreibens sprengen.
Nun ist es trotz aller herausragenden Erfolge des Mutige-Mädchen-Programms, das unbestritten
landes- und bundesweit die größte Pionierleistung auf dem Gebiet der Prävention sexualisierter
Gewalt erbracht hat und das mit durchgehend positiven Statements aller beteiligten Behörden bedacht
wurde – durch Verzögerungen und Verwerfungen in den ministerialbürokratischen Abläufen – leider
zu einer äußerst betrüblichen Entwicklung gekommen:
Keiner der oben erwähnten Finanzierungsansätze konnte bislang in eine nachhaltige Bestandsicherung
überführt werden, weshalb wir inzwischen nach vollständigem Einsatz unseres Privatvermögens und
dem Auslaufen bisheriger Spenden- und Stiftungsgelder quasi ohne jede weitere Finanzierung
„dastehen“.
In dieser schon äußerst schwierigen Situation kommt nun noch hinzu, dass uns das Institut für
Psychologie der Universität Freiburg aufgefordert hat, den uns seit 2012 im Rahmen der Kooperation
mit der Abteilung Neuropsychologie zur Verfügung gestellten Raum kurzfristig (18.04.) zu räumen,
um öffentlich finanzierten Forschungsprojekten Raum zu geben (s. Folge-Email).
Unsere Räume im der Jacobistraße mussten wir bereits im Oktober 2015 aufgeben, nachdem eine
weitere Finanzierung nicht möglich war. Geblieben war uns der Raum im Institut für Psychologie.
Wenn wir nun auch noch das letzte Domizil am Institut für Psychologie verlieren, kann man sagen,
dass unser Projekt im (noch) laufenden Betrieb „auf die Straße gesetzt“ ist (fünf Schulkurse laufen
zurzeit noch und ein Universitätskurs soll nächste Woche beginnen).
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Leider ist das Ethos einer wirklich humanen Wissenschaft sehr in Vergessenheit geraten und das,
woran unsere Gesellschaft krankt, ist symptomatisch wohl am deutlichsten in der inzwischen
weitgehend technokratisch verfassen Wissenschaft zu sehen. Gerade in Fächern wie der Psychologie
ist dies besonders verhängnisvoll, wenn sie nicht mehr an soziale Fragen zurückgebunden ist und
glaubt sich darüber definieren zu können, „reine Wissenschaft“ im Sinne einer „sauberen Statistik“ zu
sein. Nicht nur der Nutzen für die Gesellschaft, auch der Wirkradius und der Erkenntniswert ist allzu
oft mikroskopisch gering, aber die schädlichen Auswirkungen, die sich vor allem im Umgang der
Menschen miteinander zeigen, können schier unermesslich sein. Erich Fromm, der heute vielen
Psychologen kaum noch ein Begriff und wenn, keine Bezugsgröße mehr ist, hat dies schon früh
erkannt.
Das ist leider nicht zuletzt als Konsequenz einer „Unterstützung“ des Landes anzusehen, das vehement
Engagement im Ehrenamt fordert und fördert, aber in unserem Fall noch nicht einmal eine räumliche
und personelle Minimalausstattung eines bewährten Projekts gewährleistet, das zehn Jahre in engster
Verknüpfung mit staatlichen Einrichtungen (s. u.a. Schreiben des Staatlichen Schulamts Freiburg vom
Januar 2015 im Anhang) erfolgreiche Arbeit für unsere Gesellschaft geleistet hat.
Die Frage, die sich aktuell stellt, ist, ob eine mögliche grün-schwarze Landesregierung die Prävention
sexualisierter Gewalt auf ihre Agenda nimmt und dieses Thema als Teil eines
öffentlichen Bildungsauftrags begreift.
Anderseits stellt sich die Frage, ob das Regierungspräsidium Südbaden mit seinen Einrichtungen die
Möglichkeit hätte, selbst ein Stück weit eine Vorreiterrolle in dieser Frage einzunehmen.
Wir halten es – vorsichtig ausgedrückt – für höchst problematisch seitens der politischen
Verantwortlichen, uns auf einen Weg zu schicken, der Wohlwollen und moralische Integrität seitens
der untergeordneten staatlichen Institutionen voraussetzt, die jedoch von einer
Mittelverwaltungsmentalität – wie besonders ausgeprägt im Universitätsbetrieb – bestimmt sind, die
quasi alle Abläufe durchwirkt, wodurch wir ständig der Rechtfertigung unserer Existenz und der schier
aussichtslosen Behauptung gegenüber Projekten ausgesetzt sind, die ihre Legitimation meist zwar
oftmals keineswegs über anerkannte gesellschaftliche Relevanz dafür aber über die „übergeordnete
Kategorie“ der Mittelzuweisung erhalten.
Wir sehen es als unsere Verantwortung an, diesen Vorgang öffentlich zu machen, damit andere, die
sich für wichtige gesellschaftliche Themen einsetzen, künftig bessere Bedingungen vorfinden werden,
wenn sich zeigt, dass bewährtes Ehrenamt auch einer nachhaltigen Unterstützung bedarf, die über
Lippenbekenntnisse hinausweist.
Ob unsere intensiven Bemühungen um die Prävention sexualisierter Gewalt, die im bundesweit
führenden Präventionsprogramm „Mutige Mädchen“ gemündet sind und damit die zehn Jahre durch
und durch erfolgreiche Pionierarbeit noch die heilsame Wirkung in der Breite unserer Gesellschaft
entfalten kann, liegt jetzt nur noch sehr bedingt in unserer Hand.
Ihnen, Frau Regierungspräsidentin, möchten wir aber ausdrücklich unseren Dank bekunden und
besondere Hochachtung dafür erweisen, dass Sie sich wirklich beherzt für den Fortbestand unseres
Präventionsprogramms eingesetzt und sich damit um die Prävention sexualisierter Gewalt verdient
gemacht haben!
Mit Grüßen der Verbundenheit
Ihr
Peter Kalinowski
mobil 01520 67 16 960
PS
Um der Dringlichkeit dieses wichtigen gesellschaftspolitischen Anliegens Nachdruck zu verleihen,
erlauben wir uns, dieses Schreiben neben anderen Anlagen
http://iifg.de/_media/pressemitteilung:2016-04-07_praeventionsprogramm_2006-2016.pdf
an die Redaktionen der großen Tageszeitungen und Politikmagazine weiterzuleiten: