Miriam Wasserheß im April 2016 Weitere Infos unter: www.miriam-wasserhess.de Mein Schlüssel – mein Paket • • • Tagebuch und Einsamkeit Mein Paket Der erste Schritt Tagebuch und Einsamkeit Habe ich schon erzählt, dass ich gerne Tagebuch schreibe? Als ich das letzte Mal Frau Gerlach traf (siehe Rundbrief -Eine Lärchenallee voller Eichenbäume-), habe ich doch einiges von Ihren Worten in mein tägliches Leben übernommen. Ich habe angefangen mein Leben in die Hand zu nehmen. Naja – mehr oder weniger. Mir hilft es zu schreiben. Am liebsten schreibe ich in der Nähe „meines“ wunderbaren Waldes. Der Wald der direkt an die Lärchenallee angrenzt. Hier finde ich Ruhe, hier finde ich Kraft. Hier ist es einsam. Und genau das ist weiterhin mein Problem. Meine Einsamkeit. So sehr ich auch versuche mich zu verändern, ich verharre weiterhin in meiner Starre. Sobald in meinem Leben Freundschaften über das normale Maß hinausgehen - gehen diese Beziehungen in die Brüche. Als ich letzte Woche an meinem Lieblingsplatz saß und in Gedanken versunken in mein Buch schrieb und die Welt um mich kaum noch wahrnahm, räusperte sich plötzlich jemand. Mir fiel der Kugelschreiber fast aus der Hand und mein ganzer Körper zuckte. Im Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich: „Wer ist hier, was ist los, Hiiilllffeee!“ Denn zu 99% bin ich hier alleine. Und zu 101% lässt mich, sollte doch jemand vorbei kommen, jeder in Ruhe. Frau Gerlach! Sie hatte neben mir auf der von den Jahreszeiten gezeichneten Holzbank Platz genommen. Sie konnte es sich nicht verkneifen mich freudig, mit ihren gealterten doch glasklaren Augen und ihrem Falten verschmitzten Mund anzulächeln. „Gehe ich recht in der Annahme, dass es Ihnen eine Freude bereitet mich so zu erschrecken?“ Wie so oft sah sie mich unverblümt an und Ihre Antwort dauerte nicht lange: „Janine es war mir vor 80 Jahren bereits eine Freude Menschen liebevolle Streiche zu spielen, warum sollte sich das je ändern? Ist es nicht dass, was dem Leben Würze verleiht? Und wenn ich könnte, ich würde es direkt noch einmal versuchen.“ Frau Gerlach hatte (was, wie ich finde mit 84 Jahren wirklich ungewöhnlich ist) einen roten Globetrotterrucksack dabei und packte nun langsam ihre Thermoskanne aus. Nachdem sie sich eingeschenkt hatte, nippte sie ein wenig daran, streckte ihre Beine aus und ließ sich die noch etwas kalte und doch von der Sonne durchtränkte Frühlingsluft um die Nase wehen. „Sie setzen sich hier einfach neben mich, erschrecken mich fast zu Tode und nun trinken Sie in einer Seelenruhe Tee ohne ein Wort zu sagen? Sie wissen genau wie sehr ich Sie schätze. Ich meine sogar in Ihren Dartclub wollte ich eintreten und jetzt sagen Sie einfach NICHTS und machen es mir damit nur noch schwerer. Ich meine, Sie spüren doch, dass ich hier im Gegensatz zu Ihnen nicht einfach nur rumsitze und Däumchen drehe, oder?“ Mein Paket Frau Gerlach drehte ihr Gesicht ganz langsam zu mir, wärmte sich dabei die Hände weiterhin an ihrer Tasse und schaute mich mit ehrlichem Mitgefühl und ganz viel Liebe an. „Janine, wenn Du etwas auf dem Herzen trägst, ja etwas auf Deinen Schultern lastet und Du es Tag für Tag, Woche für Woche mit Dir herumträgst, so ist dies Dein Päckchen. Ein Päckchen was vielleicht mit den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren zu einem Paket geworden ist. Es wird schwerer und schwerer, gefüllt mit Sorgen und Nöten des Lebens. Dieses Paket hat einen Schlüssel. Es ist gut verschlossen und nur Du hast diesen Schlüssel. Versuche ich nun es aufzubekommen, so reiße und zerre ich daran. Miriam Wasserheß im April 2016 Weitere Infos unter: www.miriam-wasserhess.de Vielleicht fällt auch ein wenig heraus, aber ich habe nicht die Kraft und die Lust es zu entsorgen.“ Sie schmunzelt mich an und wendet sich erneut ihrem Tee zu. Bums-aus….mehr sagt sie wieder nicht. Ich weiß auch nicht, Frau Gerlach ist ein Fluch und ein Segen. Ich meine, soll ich ihr, einer Greisin aus anno-dazumal tatsächlich von meinen Bindungsproblemen oder was weiß ich wie ich das nennen soll - erzählen? „Ok, ok“ rief ich sarkastischer als ursprünglich geplant „Sie haben es mal wieder gepackt Frau Gerlach, ich sag es Ihnen. Ich habe ein Problem mit Männern, also mit Beziehungen. Sobald in meinem Leben Freundschaften über das normale Maß hinausgehen, geht die Beziehung in die Brüche. Ich verstehe das einfach nicht. Ich leiste so viel, ich bin immer da, ich lese diesen Personen ihre Wünsche von den Augen ab. Aber vom Gegenüber kommt: nichts. Warum muss Beziehung leben nur so kompliziert sein? Ja, ich bin einsam, ja ich bin bestimmt auch nicht die Hübscheste, Tollste, Beste. Und ja – ich bin genervt. Wenn das weiter so geht, dann traue ich mich bald gar nichts mehr.“ Ich konnte nicht anders, als die Hände vor meiner Brust zu verschränken und sie demonstrativ auffordernd anzuschauen. Frau Gerlach, die sich mir im Laufe meiner aufgeregten Schilderung wieder zuwandte sah mich einfach nur an. Ihre Pupillen wanderten über mein Gesicht, als wolle sie mir damit etwas mitteilen. Aber ich war viel zu aufgeregt, um solche Neandertalerambitionen einordnen zu können. „Sprechen wäre angebracht.“, dachte ich und überlegte, ob ich diese Neandertalerambitionen dazu nutzen konnte, ihr die Worte aus dem Munde zu ziehen? Noch während ich mir eine Strategie überlegte fing sie an zu reden. Der erste Schritt „Du hast gerade den ersten Schritt getan.“ „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, sagte ich noch bevor Frau Gerlach überhaupt anfangen konnte weiterzusprechen. Frau Gerlach lächelte mich an und begann erneut, geduldig und aufrichtig mit mir zu reden. „Janine, Dein Paket von dem ich gerade gesprochen habe lastet auf Deinen Schultern, wahrscheinlich schon viele Jahre. Ist Dir bewusst, dass Du dieses Paket gerade aus eigener Kraft und mit Deinem Schlüssel geöffnet hast? Du hast Dich mir mitgeteilt. Das Paket ist schwer und voll und es platzt langsam aus allen Nähten. Doch in diesem Moment hast Du mir einen wichtigen Teil von Dir selbst gezeigt, nämlich Dich. Genau in diesem Moment wird das Paket ein klein wenig leichter. Die Lösung liegt im „miteinander teilen“. Wenn Du den Menschen mit denen Du eine Beziehung eingehst alle Wünsche von den Augen abliest, wo bleiben dann Deine eigenen? Hast Du Dir je überlegt, diesen Personen Dein eigenes Päckchen mitzuteilen und Dich zuzumuten? Höre auf die Päckchen der anderen öffnen zu wollen! So lange Du dies versuchst geht es nicht um Dich und Du verwehrst den Menschen denen Du Dich näherst, Dich kennen und lieben zu lernen. Beziehung ist möglich, wenn jeder sein Paket öffnet und man die Dinge darin miteinander teilen kann. In dem Moment, in dem Du authentisch wirst und Dich den Menschen anvertraust, Sorgen und Wünsche teilst, in diesen Augenblicken wird Begegnung langfristig möglich sein. Doch und soweit kenne ich Dich schon liebe Janine. Gib Dir Zeit – Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut und wie Du weißt - Paketzusteller brauchen auch oft verschieden lange Wege bis sie Dir die gewünschte Ware zustellen. Manches geht Retour, manches behält man, manches gibt man weiter und andere Dinge wiederrum landen im Müll. Wenn mein doch schon etwas älteres Hirn sich recht entsinnen kann, gibt es 7,35 Mrd. Menschen auf der Erde und genau Du darfst Dir den Lottogewinn wünschen, dass die richtigen Menschen Deinen Weg kreuzen. Und jetzt mein Liebchen, lass mich endlich mal meinen schon fast erkalteten Tee genießen.“ Atme tief ein: ALLES IST MÖGLICH. Ich bin bereit mich genau für diesen Satz zu öffnen. Ich streue Zucker mit Zimt, Schlagsahne mit heißen Himbeeren und Apfelstrudel mit Vanilleeis über mein Leben und koste es aus wann immer mir danach ist. Ich darf authentisch im Leben stehen und diesem Leben das Beste abverlangen. Es darf mir gut gehen.
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