Eine kurze Einführung in die Balintarbeit (aus Balint-Journal, 2013; 14: 62–63) Zusammenfassung Diese kurze Einfuhrung dient als Flyer, um in „helfenden Berufen“ Arbeitende (wie Medizin, Psychologie, Padagogik, Sozialarbeit) auf die unterstutzende Moglichkeit der Balint-Arbeit aufmerksam und neugierig zu machen. Am Begriff der Beziehung wird verdeutlicht, dass es im Alltag der angesprochenen Berufsgruppen um mehr geht als die Vermittlung fachlicher Kompetenz. Balint-Arbeit als eine „Supervision der Beziehung“ kann dabei berufsubergreifend eine wesentliche Hilfe sein, um Schwierigkeiten der Kommunikation zu analysieren und kreativ zu uberwinden. Abstract This short introduction is meant as a flyer to arouse the attention of people working in helping professions (like medicine, psychology, education, social work) to the supporting possibility of Balint work. By the term relationship it is illustrated that everyday life of the mentioned professions is about more than just imparting professional competence. Interprofessional Balint work as a “supervision of the relationship” can be an essential assistance in analysing difficulties in communication and in overcoming them creatively. Einleitung Veraltet eigentlich der Begriff„Beziehung“? Mindestens gibt es Tendenzen in unserer Gesellschaft, uns Padagogik und Medizin, Alten-, Krankenpflege und Psychotherapie als eine Dienstleistung wie jede andere auch auffassen zu lassen. Eine konkrete Leistung, diese wird bezahlt. Als solche, die in den angesprochenen Bereichen tatig sind, wunschen wir uns oft, dass es so einfach ware! Fachliche Kompetenz und differenzierter Umgang bis hin zu Abgrenzung sind wichtig, aber nicht alles: Da liegt unerwartet „schwer im Magen“, dass ausgerechnet Herr A. zur Sprechstunde kommt ... runzele ich die Stirn, weil Frau B. immer so unzufrieden wirkt ... werde blass bei dem Gedanken, dass die Eltern von C. um einen Ruckruf bitten ... usw. Bildung und Gesundheit, Krankheit und alt werden sind Grundbereiche unseres Lebens, in denen es nicht einfach nur um Sachverhalte geht, sondern wesentlich um Erwartungen und Angste, Hoffnung und Verzweiflung, Gluck und Not, Leben und Sterben. Die Arbeitsfelder der Menschen, die in diesen Bereichen ihr Geld verdienen wollen/durfen/mussen, beruhren die verletzlichen Seiten menschlicher Existenz. Wer hier Rat und Hilfe sucht, muss etwas von sich preisgeben; wer hier helfen mochte, muss sich beruhren lassen und auch beruhren konnen! Im Begriff der Beziehung wird deutlich, dass es hier also um mehr geht, als um abrufbare, gegebenenfalls austauschbare Leistung. Wenn wir daruber nachdenken, fallen uns wichtige Weichen-Stellungen und Begegnungen in unserem Leben ein, bei denen die Beziehung eine wesentliche Rolle gespielt hat. Dies gilt in der Kindheit; aber auch ob ein alter Mensch in seinem Wohnheim zufrieden ist, hangt nicht nur vom Essen, von der Zimmergroße und der Bequemlichkeit des Bettes ab, sondern ganz wesentlich davon, ob er sich Wert geschatzt fuhlt. Ob eine Patientin ihre wichtigen Tabletten regelmaßig einnimmt, hangt nicht nur vom Beipackzettel ab, sondern wie ihr Arzt ihr die Wichtigkeit erklart hat und wie er sie langfristig dabei begleitet. Ob jemand aus seiner Depression heraus findet, liegt weniger am gewahlten Verfahren als an der Dynamik, die sich auch in therapeutischer Beziehung verbirgt. Ob SchulerInnen in Mathe-matik, in Englisch, oder beim Erlernen eines Musikinstrumentes mit dem Stoff fur ihr Leben etwas anfangen konnen, liegt weniger an den technischen Voraussetzungen und padagogischen Methoden, als an der Beziehung zu den Lehrenden. Jeder von uns kann zahlreiche Beispiele hinzufugen. Ein Problem ist allerdings, dass in der Ausbildung der genannten Berufsfelder nur sehr wenig uber die Wirksamkeit von Beziehungen und damit zusammenhangende Probleme nachgedacht oder gelehrt wird. Dies wird auch nicht besser, wenn wir dann im Berufsalltag stehen. Michael Balint, der Sohn eines Hausarztes, hat Anfang der 50er- Jahre eine Fortbildungsmethode fur Arzte entwickelt, in die Erkenntnisse und Erfahrungen psychoanalytischer Forschung eingingen. Die nach ihm benannte Balintgruppe wurde seither in Medizin, Psychologie und Padagogik sowie in der Sozialarbeit international weiter entwickelt und stellt heute eines der wichtigsten Supervisionsverfahren dar. Wahrend es bei Supervision meistens darum geht, Wissenslucken zu fullen und methodische Fehler zu analysieren und auszugleichen, geht es bei der Balintarbeit um eine „Supervision der Beziehung“. Wir fragen in der Balintarbeit nicht danach, “was wurde falsch gemacht?”, sondern „was bedeutet diese schwierige, merkwurdige, storende oder verstorende Beziehungssituation?“ Wir lassen uns in einer Gruppe von 6–15 Teilnehmerinnen gegenseitig emotional beruhrende Situationen, Begegnungen, Geschichten aus dem beruflichen Alltag erzahlen – die Balint- Gruppe reflektiert die verschiedensten Ebenen und Aspekte, und so wird die geschilderte Beziehung in moglichen neuen Deutungen und Bedeutungen gespiegelt. Durch die Ruckmeldungen der Gruppe erfahren wir, wie wir auf andere, ggf. auch auf die uns anvertrauten Menschen wirken. Wir lernen neue Moglichkeiten im Umgang mit ihnen kennen und sogar neue eigene Ressourcen. Ich erinnere mich nicht an eine Balintsitzung in den letzten 30 Jahren, die nicht wichtige Aspekte gefordert hatte oder notwendiges Verstandnis und Mitgefuhl fur den eine Situation Vortragenden. In der Balintarbeit geschieht damit eine erhellende Reflektion der Beziehung Arzt/Patient – Lehrer/Schuler – Altenpflegerin/ Bewohner – oder der Beziehungen, denen Menschen in anderen Berufen ausgesetzt sind – PfarrerIn oder Diakon, Ergotherapeutin oder Krankengymnast usw. Es ist durchaus meine Erfahrung, dass in ein und derselben Balintgruppe Menschen aus verschiedenen Berufsfeldern zusammenkommen konnen. Gerade dies erweitert unsere Horizonte, erleichtert gute und uberraschende neue Einsichten. Naturlich beruhren uns auch berufsspezifische, aber durchaus daruber hinaus wirkende Entwicklungen und Probleme, sowie allgemeine gesellschaftliche. Schon, sie in einer solchen Runde anhand konkreten Erlebens austauschen zu konnen. Es tut einfach gut, regelmaßig, z. B. alle 4–8 Wochen, an einer Balintgruppe teil zu nehmen – eine echte und professionelle Burn-Out-Prophylaxe! Bei der „Balintarbeit“ arbeitet man zwar nicht, auch wenn es so heißt, und man verdient damit kein Geld. Regelmaßigen TeilnehmerInnen macht aber ihre Arbeit wieder zunehmend mehr Freude! Und ich behaupte: Die investierte Zeit holt man sich vielfach wieder zuruck im verbesserten Umgang mit „nervigen“, schwierigen – oder besser verstandenen Gegenubern! Deshalb unsere herzliche Einladung: kommen Sie gern zu einer Schnupper-Stunde! Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1348247 Balint 2013; 14: 62–63 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 1439-5142 Korrespondenzadresse Dr. med. Wolfgang Baumgärtner Akademie fur Gesundheitsbildung ZELT e. V., Melle Hunenburgweg 64 49328 Melle [email protected] Baumgartner W. Eine kurze Einfuhrung in Balint-Arbeit. Balint 2013; 14: 62–63 Literatur Weiterführende Literatur beim Verfasser Baumgartner W. Eine kurze Einfuhrung in Balint-Arbeit. Balint-Journal 2013; 14: 62–63
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