Kenias neue Kleider

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KULTURREPORTAGE 19
Rheinischer Merkur · Nr. 41 / 2010
Kenias neue Kleider
MODE Aufstrebende Designer, oft in Europa ausgebildet, kreieren Ausgefallenes für Nairobis junge Elite. Deren Credo lautet:
„Gut auszusehen ist das Wichtigste in unserem Leben.“ Allzu gewagt dürfen die Entwürfe jedoch nicht sein
so als im Westen“, sagt Waridi Schrobsdorff. Das 48-jährige Ex-Model kennt beist es Sünde, gut auszusehen? Keines- de Welten: Aufgewachsen in Nairobi,
falls, findet Mike Starkey: „Tolle schlug sie sich auf eigene Faust durch bis
Kleidung ist ein Geschenk Gottes!“ nach London, startete von dort eine inUnd so gibt er bereits auf dem Co- ternationale Laufstegkarriere. Inzwischen
ver die Antwort auf die selbstgestellte lebt Waridi in Berlin, fliegt aber diesen
Frage. Sein christlicher Führer durch „Fa- Monat zum „Festival for African Fashion
shion and Style“ liegt, ziemlich abgegrif- and Arts“ (Fafa) in ihre alte Heimat Kenia
fen, auf dem Tisch von Evelyne Akinya – als eine Art Botschafterin für Mode und
Odongo: Sie ist eine junge aufstrebende Kunst.
Denn Fafa ist nicht einfach nur eine
Designerin in Kenia – und treue Baptistin.
Fashionshow; 2008 im Umfeld der poliDas ist scheinbar kein Widerspruch.
„Viel zu kurz. Oh, das ist so kurz!“ tisch-ethnischen Unruhen nach den WahHinter dem Vorhang des Ateliers taucht len in Kenia initiiert, will das Festival mitMueni in einem von Evelyne entworfe- tels Mode und Kunst Einheit, Identität
nen leichten Sommerkleid auf. Knapp und Frieden stiften. Sozusagen Einheit
über Knielänge. Geradezu keusch würde aus Vielfalt schaffen. Neben verschiedees auf den Laufstegen von Paris oder nen Shows gibt es Ende Oktober auch
Mailand wirken. Okay, es betont die Fi- Workshops in Schnitttechnik, Farbwahl
gur, aber sittsam. „Damit kann ich auf oder Textur – mit Bezug auf die afrikanikeinen Fall ins Büro“, findet Evelynes schen Wurzeln natürlich. Nur ein paar
Tage später, am 4. November, startet in
Kundin. „Mein Chef ist so konservativ.“
Die Designerin selbst kann Muenis Be- Daressalam (Tansania) die „Swahili Fadenken nicht verstehen. Aber der Kunde shion Week“.
Langsam, so scheint es, entdeckt man
ist König, und viele davon hat sie noch
nicht. Ihr Atelier im Hinterzimmer einer in Ostafrika wieder die eigene Identität:
Apotheke an der Ngong Road von Nairo- Swahili ist nicht nur die Sprache, sondern
bi ist nicht eben Citylage in der ostafri- die eigentliche Lebenskultur der Länder
kanischen Metropole und dazu winzig: Kenia und Tansania. „Wir haben stets zu
drei mal drei Meter Werkstatt, Büro und den Briten aufgeschaut“, erklärt GlaryShowroom in einem. Musterkleider im sanne Irungu. „Sie waren unsere MentoEthnostil hängen über einer gläsernen ren. Aber jetzt ist es Zeit, wiederzuentdeModellpuppe. Wer in Afrika kann sich cken, wo wir herkommen. Und Mode ist
schon Designerkleidung leisten? Mueni dazu ein guter Weg.“
arbeitet als Beraterin für die internationale Hilfsorganisation Concern. Sie gehört Zu viel Bein wirkt billig
zu der Generation der Erfolgreichen zwischen 25 und 30 in Afrika – Single, eige- Woran lag die konservative Einstellung?
nes Auto, zwei Jahre London-Erfahrung, „Viele behaupten, an der afrikanischen
am Anfang ihrer Karriere. „Gut auszuse- Kultur“, sagt Glarysanne, „aber ich glauhen ist das Wichtigste in unserem Le- be, es ist einfach die Mentalität. Vor allem
ben“, sagt sie. „Weniger um andere zu der Männer. Zu viel Bauch oder Bein finbeeindrucken, als uns selbst zu gefallen.“ den sie billig.“ Glarysanne ist Lehrerin
Aber es gibt Grenzen. Und die werden am „Evelyn College of Design“, Nairobis
noch immer von der ehemaligen Koloni- größter Modeschule. Hier lernen die junalmacht gesetzt – indirekt natürlich, ein gen Frauen (männliche Designer gibt es
Relikt aus alten Zeiten, aber doch wirk- kaum) alles – von Batiken, Stoffdruck,
sam. „Unser Dresscode ist britisch“, sagt Weben bis hin zu natürlich auch Nähen.
Mueni. Und das bedeutet so viel wie bie- Das Wichtigste aber ist die Schnitttechder. Zur Lunchzeit flaniert die Mittel- nik. „Wir ermuntern unsere Schüler, aber
schicht zwischen den aufragenden Hoch- vor allem achten wir ihr individuelles Tahäusern Nairobis mit ihren unzähligen lent“, sagt Glarysanne. „Sie sollen nicht
Bars, Büros und Boutiquen – schick, aber nur kopieren, sondern einen eigenen Stil
seriös. Die Männer tragen Anzug und entwickeln.“
Krawatte, die Frauen Kostüm. Hohe AbVielleicht ist es die Erinnerung an die
sätze sind erlaubt, auf keinen Fall aber zu eigene vergangene Kultur, die das moderviel Bein. Kleidung hilft, sich von anderen ne Kenia so prüde macht. An Zeiten, in
abzugrenzen, aber nicht von einem zum denen viele afrikanische Stämme nahezu
anderen, sondern von oben nach unten. von Kleidung unbedeckt lebten, mit deMan zeigt, was man sich leisten kann.
Von afrikanischen Einflüssen kaum eine
Spur. Weder wallende Gewänder noch
leuchtende Farben. Das gibt es nur in
Westafrika.
Und kurze Kleider trägt man dann im
Schutz der einschlägigen Discos. Da geht
dann plötzlich alles. Im Dämmerlicht der
Nachtklubs greifen die Arme wohlsituierter Sugardaddys um die Taillen junger
Mädchen – bevorzugt „Figure 8“, also
90–60–90. Kenia ist eine leicht bigotte Gesellschaft. Es gab Zeiten, da wurden allzu
kurz geschneiderte Röcke auf den Straßen von Nairobi mit männlicher Spucke
quittiert. Gar nicht zu reden von den Regeln des Dorfes, wo der Rocksaum noch
heute auf dem Weg zum Gottesdienst
über den Lehmboden schleift.
Noch immer gilt, wer sich irgendwie
hervortut, als suspekt. Nur nicht aussche- Weltgewandt: Ex-Model Waridi Schrobsdorff
ren, aus der Rolle fallen. „Ganz anders al- lebt heute in Berlin.
Von Roland Brockmann
FOTOS: SWAHILI FASHION WEEK; ROLAND BROCKMANN
I
CYAN
MAGENTA
nen man nichts mehr zu tun haben will.
Auch heute noch folgen etwa die Turkana ihrer Tradition – die Frauen sind barbusig. Aber das ist weit weg von Nairobi
und für die städtischen Kenianer eher eine Touristenattraktion, genauso wie für
die Weißen.
Bis auf die Flagge verbindet bislang
optisch wenig die über 42 Ethnien des
Landes. Allein die Küstenkultur Swahili
kennt mit dem Kanga, einem bunt bedruckten Stück Stoff, das auf über zweihundert verschiedene Weisen (vom Hüfttuch bis zum Kopfschmuck) um den
weiblichen Körper gebunden werden
kann, einen einheitlichen Stil. Oder dem
ähnlichen Hüfttuch, Kikoi, für Männer.
Und Touristen halten natürlich die so
exotisch anmutenden Massai für das
Sinnbild Ostafrikas – was etwa einem
Kikuyu-Farmer in den Highlands kaum
gerecht wird.
Mode braucht Individualismus und
junge Talente, Menschen wie Evelyne
Akinya Odongo im Hinterzimmer der
Apotheke. „Die Sachen, die es hier damals zu kaufen gab, waren mir einfach zu
langweilig“, sagt sie. „Alle trugen das
Gleiche. Also fing ich an, für mich selbst
Kleidung zu entwerfen und zu nähen.“
Ihre Freunde fragten sie: Hey, woher hast
du das? Und dann begannen sie bei Evelyne zu bestellen, Blusen, Anzüge, Röcke
wurden maßgeschneidert für Freunde.
„Ich besaß Talent, aber war kaum vertraut mit der Technik. Niemand hatte mir
etwas beigebracht.“ Die Schnitte kopierte
sie oft von fertigen Kleidern aus dem
Westen, variierte vor allem die Stoffe und
Farben. Dann schaffte sie es zum „Evelyn
College of Design“. Damals war sie bereits Mutter. Aber ihr Mann unterstützte
sie. „Er ist sehr liberal und fand es gut,
dass ich mir ein eigenes Einkommen aufbaue.“ Inzwischen besitzt sie ein eigenes
Label: „Meta-Creations“. Die meisten Designer halten sich auch nach ihrer Ausbildung vor allem über den erweiterten Bekanntenkreis und das Schneidern von
Brautkleidern über Wasser – für die
Hochzeit gibt man hier eben einfach
mehr aus.
Vor allem an Marketingstrukturen und
Sponsoren für Jungdesigner mangelt es.
Und den Käufern an Geld. Maßgeschneidertes können sich höchstens erfolgreiche Frauen wie Mueni leisten. Eine gebrauchte Jeans aus dem Westen kriegt
man schon für 200 Kenia-Schilling (rund
drei Euro), eine Designerin kann keine
Hose für unter 2000 Schilling anbieten.
Selbst die Fabrikware aus Kenia kann
nicht mit den gebrauchten Importen
standhalten. Und deshalb läuft fast jeder
zweite Kenianer in Klamotten herum, in
denen vorher – ein paar tausend Kilometer weiter – schon mal ein anderer steckte. Denn das, was Europäer oder Nordamerikaner irgendwann in die Altkleidertonne um die Ecke werfen, das landet mit
ziemlicher Sicherheit irgendwann auf einem der ostafrikanischen SecondhandMärkte, genannt: Mitumba. Das geliebte,
nun aber wirklich abgetragene BossJackett, der eingelaufene Angorapulli, das
ausgebleichte T-Shirt mit DKNY-Emblem
und selbst der neugekaufte Büstenhalter,
dessen Farbe nun doch nicht gefällt – das
alles kommt, gepresst in Container, im
Hafen von Mombasa an. Socken, Babykleidung, Schuhe, eben all das, was man
auch in der Ersten Welt trägt, aber ir-
Auch Wiederverkäufer warten hier. Ihre
eigenen Stände sind weiter am Rand des
Marktes. Da steht dann alles sauber sortiert. Man hat sich spezialisiert: Schuhe,
Babywaren oder auch Trendfashion. Viele haben eine feste Klientel und wissen
genau, was diese sucht. „Mein Geschäft
ist kundenorientiert“, erklärt einer von
ihnen. Der 29-Jährige, seit fast zehn Jahren im Mitumba-Business, spricht, als
würde er in einer Edelboutique arbeiten.
„Alles, was ich hier anbiete, habe ich
bereits mit einem speziellen Kunden im
Blick ausgesucht.“
Evelyne kennt den Mann seit langem.
Früher hat die Designerin hier selbst Sachen gekauft und dann mit eigenen Teilen kombiniert oder sie umgenäht. Davon will sie heute nichts mehr wissen.
Und auf keinen Fall solle später im Text
auftauchen, dass sie hier heute etwas ersteht, auch wenn es nur Kinderschuhe für
ihren Neffen sind. Wer hört sich schon
gern an, dass er Boxershorts mit geradezu intimer Vergangenheit trägt? Gebrauchtes aus der Abteilung Unterwäsche
ist in Kenia zwar offiziell verboten, aber
wer will das schon kontrollieren?
Alles ganz diskret
Am liebsten würde die Regierung den
Mitumba ganz verbieten, ruiniert die Importindustrie doch die lokalen Manufakturen. In den letzten zwanzig Jahren
nahm der Marktanteil von Mitumba stetig zu. „Mitumba schafft Einkommen“,
erklärt ein Großhändler. „Fast 35 000
Menschen verdienen direkt am Secondhandhandel.“ Mitumba sei „ein risikoarmes Geschäft mit hohen Profitraten
von bis zu 20 Prozent. Mit 4000 Schilling
(45 Euro) kann jeder ein Geschäft starten“, so der Mann, der seinen Namen
nicht nennen will. Dazu kämen all die anderen Jobs auf den Märkten wie die
Schuhputzer oder Teeverkäufer. Die Zahl
der in der Textilindustrie Beschäftigten
hingegen sinkt beständig.
Mitumba hat aber auch modisch einen
Vorteil. Die Sachen sind – jedenfalls,
wenn sie in Ostafrika ankommen – einmalig. In Europa vielleicht noch von der
Stange erstanden, mutieren sie auf dem
Secondhandweg schließlich zu Einzelstücken. Wer sich also individuell kleiden
will, ist mit Mitumba besser bedient als
mit der Billigneuware aus China.
Bleibt die Frage nach der afrikanischen
Identität auch in Sachen Mode. Evelyne
Akinya Odongo, ethnisch eine Luhya, hat
ihre Tradition studiert. „Männliche Luhya trugen damals nur ein Stück Kuhhaut
– und die Frauen waren barbusig. Wer
soll so heute in der Stadt herumlaufen?“
Sie selbst sucht in der alten Kultur eher
Anregungen, verwendet Elemente wie
Federschmuck, Ringe oder Muster aus
der traditionellen Kleidung und kombiniert sie mit der Moderne.
Meister in dieser Fusion sind aber im
Grunde die Massai. Sie schneiden sich
Edel gewandet: Beim „Festival for African Fashion and Arts“ geht es züchtig zu.
Sandalen aus alten Autoreifen oder basteln Halsketten aus aufgebohrten Battegendwann loswerden will, wird hier zu krempelt seine Hose hoch. Den Lehm an rien. Mode sei eben ein „evolutionärer
Mitumba. Darunter auch jede Menge den Schuhen kann man sich am Ausgang Prozess“, schreibt auch Mike Starkey in
von Jungen mit Schwamm und Eimer ab- „Fashion and Style“. Auch die bunten
schicke Sachen, oftmals wie neu.
Kibera-Market – einer der größten Mi- waschen lassen. Vor einem riesigen Tisch Perlen, westliches Sinnbild für Massaitumba-Märkte der Stadt: Die Wege zwi- inmitten des Gedränges warten Kunden schmuck, wuchsen schließlich nicht auf
schen den aus Brettern und Wellblech ge- darauf, dass die Händlerinnen ihre Säcke den Bäumen der Serengeti.
zimmerten Ständen sind vom Regen der aufschnüren. Frische Ware, noch unsorletzten Tage aufgeweicht. Besser, man tiert. Und deshalb billig.
Internet: www.fafakenya.org
Nummer: 41, Seite: 19
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