Bericht über die Petition in der Zeitung "Der Bund"

Jenischer Alltag jenseits der
Wohnwagenromantik
Jenische und Sinti verlangen die korrekte Bezeichnung ihrer Volksgruppe.
Marc Lettau
Und was sind Fecker?
Was aber sind Fecker? Das fragten sich
Leserinnen und Leser des «Bund», als sie von
ihrem Leibblatt erfuhren, die Feckerchilbi
werde heuer erstmals in Bern stattfinden.
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Die jenischen Organisationen der Schweiz reichen eine Petition zur
Einforderung von Minderheitenrechten ein. Bild: Adrian Moser (15 Bilder)
- .
Auf die Ankündigung der Jenischen, ihre Feckerchilbi heuer nach Bern zu verlegen
und politisch aufzuladen, folgte am Mittwoch subito eine erste konkrete, politische
Intervention: Mehrere Organisationen, die Jenische und Sinti vertreten,
überreichten in Bern eine an Innenminister Alain Berset (SP) gerichtete Petition. In
der von gut 1000 Persönlichkeiten mitgetragenen Bittschrift wird der Bundesrat
ersucht, die Jenischen und die Sinti umfassend als nationale Minderheit
anzuerkennen.
Sesshafte in der Anonymität
Bundesbern hat zwar 1998 das Rahmenabkommen des Europarats zum Schutz
nationaler Minderheiten ratifiziert und betonte in der Folge, somit gälten die
«schweizerischen Fahrenden» als anerkannte Minderheit. Die Jenischen und die
Sinti sind nicht zuletzt dank ihres erstarkten Selbstbewusstseins darob aber nicht
glücklich, wie sie am Mittwoch klarmachten: Die Fremdbezeichnung «Fahrende»
dränge die Mehrzahl der sesshaften Jenischen und Sinti in die kulturelle Anonymität.
Die 35'000 Menschen umfassende Volksgruppe wolle als Ganzes und nicht nur
«romantisierend als Wohnwagenbewohner» wahrgenommen werden. Kurz: Auch
der Bund möge doch die Volksgruppe künftig als Jenische und Sinti anerkennen und
auch so bezeichnen. Denn: «Ein Volk ohne Namen ist kein Volk», sagte Daniel
Huber, der Präsident der Radgenossenschaft, der Dachorganisation der Jenischen
und Sinti.
Fecker war letztlich die in der Kleinstrepublik
Gersau gängige und abschätzige
Fremdbezeichnung für Jenische. Der Name ist
abgeleitet von dem in der Inner- und
Nordwestschweiz gebräuchlichen «fecken»,
das für unstetig und müssig herumstreifen
steht. Gersau ist auch die Geburtsstätte der
Feckerchilbi. Das fahrende Volk wurde zwar
auch dort stets konsequent weggewiesen. Weil
für aber fürs jährliche Kirchweihfest der Zuzug
von Schaustellern sinnvoll schien, wurden die
Fahrenden an den Kirchweihtagen in der
Gemeinde nicht nur toleriert sondern auch
bewirtet.
Der «Waldstätter Bote» vom 22. Juni 1830
umreisst in die damalige Realität: «Am
Samstag, Sonntag und Montag nach der
hiesigen Kirchweih dürfen die Gauner - in
Gersau Fecker genannt - von der Polizey nicht
weggewiesen werden; sie halten dann ihren
Landtag, der sehr zahlreich besucht wird.
Während diesen drei Tagen führen sich diese
Leute untadelhaft auf; Streit, Zänkereien,
Diebstähle sind etwas Unerhörtes.» Heute
halten die Jenischen und die Sinti trotz ihrer
Forderung nach einer korrekten Bezeichnung
ihrer Volksgruppe für ihren wiederkehrenden
Kulturanlass am Begriff Feckerchilbi (oder
Fekkerchilbi) fest. (mul)
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Willi Wottreng, der Geschäftsführer der Radgenossenschaft, ergänzte, die Forderung
sei simpel und wichtig zugleich: «Jenische wollen Jenische genannt werden» – und
Die Feckerchilbi ist der wichtigste kulturelle
Anlass der Jenischen in der Schweiz. Dass
zwar am besten mit einem gedehnten «ä» in der ersten Silbe statt des spitzen «e».
Das Resümee seiner an die Mehrheitsgesellschaft gerichteten Weiterbildung:
«Jänisch – so klingt die Selbstbezeichnung der Jenischen.»
Die korrekte Bezeichnung der Minderheit der Jenischen und Sinti sei letztlich auch
ein wesentlicher Teil der immer noch anstehenden Wiedergutmachung für das Leid,
das der Volksgruppe durch die Aktion «Kinder der Landstrasse» widerfahren sei,
argumentieren die Jenischen und die Sinti.
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Berset besucht die Feckerchilbi
Wie Bundesrat Alain Berset auf die an ihn adressierte Bittschrift reagieren wird, ist
noch offen. Die Mutmassung ist aber erlaubt, dass er das Anliegen wohlwollend
aufnehmen wird. Ein Indiz dafür ist, dass Berset am Mittwoch bestätigen liess, er
werde im Herbst an der erstmals in Bern stattfindenden Feckerchilbi teilnehmen.
Mit seiner Teilnahme am wichtigsten jenischen Kulturanlass der Schweiz wolle er die
Bedeutung der Minderheiten für das Zusammenleben in der Schweiz unterstreichen.
Die Absicht der Jenischen, die Feckerchilbi heuer in Bern durchzuführen, wird
übrigens vom Bundesamt für Kultur (BAK) sehr wohlwollend aufgenommen. Fiona
Wigger von der Sektion Kultur und Gesellschaft des BAK sagt: «Wir erachten es als
sehr begrüssenswert, wenn eine oft am Rand stehende Gruppe mitten in der Stadt
sichtbar wird und die verschiedenen Facetten ihrer Kultur erlebbar werden.»
Der Anlass könne auch dazu dienen, dass die Jenischen von der
Mehrheitsgesellschaft stärker als Volksgruppe wahrgenommen werden – ohne die
Reduktion auf das Attribut Wohnwagen. Damit spielt Wigger ebenfalls auf den
Umstand an, dass die meisten Jenischen heute sesshaft sind, aber nicht weniger um
Anerkennung ringen als die fahrenden Jenischen. Fiona Wigger bestätigte ferner,
dass die Organisatoren der Feckerchilbi das BAK um finanzielle Unterstützung ihres
Anlasses nachgesucht haben. Ihr Gesuch werde nun geprüft. Die Vermutung liegt
nahe: Auch das dürfte wohlwollend erfolgen.
Tschäppät spricht von Respekt
Eine Zusage gibt es bereits seitens der Stadt Bern. Sie unterstützt den Anlass mit
70'000 Franken. Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP): «Mit der Unterstützung
für die Feckerchilbi bringt die Stadt zum Ausdruck, dass wir die Lebensweise, die
Eigenart und die Kultur der Jenischen und Sinti respektieren und schätzen. Sie sind
Teil unserer Gesellschaft und der Schweizer Identität.» Das sei auch der Grund,
weshalb die Stadt nach der Besetzung der Kleinen Allmend im Jahr 2014 die
Initiative ergriffen und sich für die Schaffung von neuen Standplätzen eingesetzt
habe. (Der Bund)
(Erstellt: 06.04.2016, 21:45 Uhr)
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