Jahrgang 39 Ausgabe 4 Dezember 2015, erscheint vierteljährlich Inhalt Seite 3 Editorial des Präsidenten, Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren Seite 5 Einladung zur Generalversammlung 2016 Seite 6/7 Kurzmeldung; Vorschau auf die Feckerchilbi 2016 Seite 8/9 Dokumentationszentrum; Der Nachlass von Fanny Berglas Seite 10/11 Zwischenbericht zur Petition, wir sammeln weiter Seite 12/13 Presserundschau: Jenische, Sinti und Roma wollen anerkannt sein Seite 15 Die schönste Weihnachtsdekoration ________________________________________________________________________ Weihnachtsapéro Alle sind willkommen! Plaudern, Trinken, Snack, Plaudern, Trinken, Snack, Plaudern Dienstag, 22. Dezember 2015, 16.00-18.00 Uhr im Büro der Radgenossenschaft an der Hermetschloostrasse 73, 8048 Zürich mit Bus 31 bis Micafil, 3 Gehminuten Richtung Bahngleise ________________________________________________________________________ Unterstützen Sie unseren Scharotl mit Ihrem Beitrag - die einzige jenische Zeitung in Europa. Postkonto 30-15313-1 Diskussionsbeiträge und andere Texte von Jenischen, Sinti und Roma sind willkommen. Sie werden redigiert, allenfalls gekürzt und abgedruckt, sofern sie keine Personen und Organisationen angreifen. Haben Sie schon einmal daran gedacht? Inserieren Sie im Scharotl! Sie unterstützen damit auch gleich die Radgenossenschaft. Einführungspreis: Eine halbe Seite kostet Fr. 100. -. Ihre Mitgliederbeiträge für die Radgenossenschaft fürs Jahr 2016 werden fällig! Ein Einzahlungsschein liegt bei. Er kann auch für Spenden verwendet werden. Wir danken herzlich. 2 Editorial Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren sind. Oft handelt es sich aber um RomaGruppen aus dem Ausland. Solche RomaGruppen sollen in der Schweiz Haltemöglichkeiten finden. Da der Lebensraum für die schweizerischen Jenischen und Sinti schon knapp bemessen ist und die bestehenden Plätze durch Jenische und Sinti meist belegt sind, braucht es zusätzliche Plätze für die aus dem Ausland kommenden Roma, die oft in grösseren Gruppen reisen. Wir sagen nicht gern „Transitplätze“ oder „Transitreisende“. Es sind Menschen wie du und ich, die Lebensraum brauchen. Selbstverständlich müssen sie sich im Gegenzug wie alle anderen an die schweizerischen Gesetze und Anordnungen halten. Die Radgenossenschaft ist 40 Jahre alt. Erinnern wir uns daran, dass sie sich von Anfang an als ein Teil der internationalen „ZigeunerBewegung“ verstand. Manche sagten, die Jenischen seien ein Stamm der Roma, andere sagten, die Völker gehörten einfach zusammen. Der Berner Arzt Jan Cibula war Gründungsmitglied, ein Rom, der aus der Tschechoslowakei gekommen war. Er sorgte dafür, dass die Radgenossenschaft in die Internationale Romani-Union aufgenommen wurde. Die Radgenossenschaft nahm an Kongressen und Aktivitäten der internationalen Romani-Union teil. Manche glauben, die Roma hätten nichts mit der Schweiz zu tun. Sie seien sozusagen einfach „Ausländer“. Das ist nicht richtig. Halten wir zusammen, auch im kommenden Jahr. Ich wünsche allen frohe Festtage. Seit Jahrhunderten sind Roma-Gruppen in der Schweiz aufgetreten. Die historischen Dokumente zeigen, dass sie von den Behörden immer wieder weggewiesen wurden. Doch heute, im 21. Jahrhundert, sind Roma ein fester Teil der Schweizer Bevölkerung. Viele sind mit den Migrationsströmen seit dem Zweiten Weltkrieg hergekommen. Zehntausende haben inzwischen einen schweizerischen Pass. Sie sind oft seit Jahrzehnten im Land, manchmal seit mehr als einer Generation. Daniel Huber, Präsident Radgenossenschaft Ne nous laissons pas diviser La Radgenossenschaft a 40 ans. Rappelonsnous que dès ses débuts, elle s'est considérée comme une partie du „mouvement tsigane“ international; certains disaient que les Yéniches étaient une tribu des Roms, d'autres estimaient que les peuples faisaient simplement partie de la même famille. Le médecin bernois Jan Cibula, un Rom venu de Tchécoslovaquie, fut membre fondateur. Il fit le nécessaire pour que la Radgenossenschaft soit admise comme membre de l'Union romani internationale. La Radgenossenschaft participait aux congrès et aux activités de l'Union romani internationale. Die meisten Roma in der Schweiz sind sesshaft, arbeiten in vielen Berufen wie andere auch und zeigen sich nicht. Ihr Coming-out kann ihnen schaden, denn es gibt starke Vorurteile gegen sie, auch in den Medien. Wir teilen die Bemühungen, rassistische Vorurteile zu bekämpfen. Wir unterstützen auch die Bestrebungen der in der Schweiz ansässigen Roma, als nationale Minderheit anerkannt zu werden. Il y a des gens qui pensent que les Roms n'ont rien à faire avec la Suisse. En quelque sorte, ils seraient simplement des étrangers. C’est faux. Depuis des siècles, les groupes de Roms ont Daneben gibt es auch eine kleinere Zahl fahrender Roma, sie gehören ohnehin zu uns. Es gibt reisende Roma, die mit Jenischen verwandt 3 l été présents en Suisse; les documents historiques montrent, qu'ils ont été régulièrement chassés par les autorités. Mais aujourd'hui, au XXIème siècle, les Roms font partie intégrante de la population suisse. Nombreux parmi eux sont arrivés ici avec les flux migratoires après la Deuxième Guerre mondiale. Entretemps, des milliers d'eux détiennent un passeport suisse. Souvent, ils sont dans le pays depuis des décennies, parfois depuis plus d'une génération. La plupart des Roms en Suisse sont sédentaires, ils travaillent dans différents métiers, tout comme d'autres, et ils ne se manifestent pas; se déclarer Roms pourrait leur porter préjudice, car les préjugés à leur égard sont forts, également dans les médias. Nous partageons les efforts de lutte contre les préjugés racistes. Nous soutenons également le souhait des Roms vivant en Suisse d'être reconnus en tant que minorité nationale. En dehors des Roms sédentaires, il existe également un nombre plus restreint de Roms du voyage qui font de toute façon partie de nous; certains Roms du voyage ont des liens de parenté avec des Yéniches. Mais souvent, il s'agit de groupes de Roms de l'étranger. De tels groupes de Roms doivent trouver des aires d'arrêt en Suisse. Etant donné que l'espace vital des Yéniches et des Sinti suisses est déjà limité et que les aires existantes sont souvent occupées par des Yéniches et des Sinti, il faut créer des aires supplémentaires pour les Roms venant de l'étranger qui voyagent souvent en groupes relativement nombreux. Nous n'aimons pas dire „aires de transit“ ou „voyageurs en transit“. Les groupes de Roms de l'étranger sont des êtres humains comme toi et moi qui ont besoin d'un espace vital. Il va de soi qu'en contrepartie, ils doivent respecter les lois et les dispositions suisses comme tout le monde. Restons unis et solidaires, également dans l'année à venir. Je vous souhaite à toutes et à tous de bonnes fêtes. Daniel Huber, Président Daniel Huber Foto Urs Walder 4 Generalversammlung 2016 Einladung zur Generalversammlung der Radgenossenschaft Liebe Mitglieder und Freunde Sehr geehrte Damen und Herren Die Generalversammlung 2016 findet im Restaurant „Farbhof“ statt (Badenerstrasse 753, 8048 Zürich) Samstag, 5. März 2016, Beginn um 10.00 Uhr Wir freuen uns auf zahlreiches Erscheinen Traktanden 1) Begrüssung 2) Wahl der Stimmenzähler 3) Protokoll der ordentlichen Generalversammlung 2015 4) Jahresbericht 5) Kassabericht, Bericht der Revisionsstelle, Entlastung der Verwaltung 6) Jahresprogramm und Strategie Sprachschulung für Jenische Feckerchilbi 2016 7) Budget und Subventionen BAK 8) Statutenänderung (Zweckartikel, Beirat, Abläufe) 9) Stand- und Durchgangsplätze, Lebensraum 10) Wahl der Verwaltungsräte und der Kontrollstelle 11) Kurzberichte und Diverses Stimmrecht haben gemäss Gesetz die von der Verwaltung bestätigten Genossenschaftsmitglieder, sofern sie ihre Beiträge bezahlt haben. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Unterlagen zu den Traktanden können von Mitgliedern ab 1. Februar 2016 im Büro der Radgenossenschaft eingesehen werden. Anschliessend: Mittagessen, offeriert von der Radgenossenschaft (Getränke bitte selber bezahlen) Wir sind ein Volk - Jenische, Sinti und Roma 5 Kurzmeldungen Rückblick auf 2015: Die übertriebenen Proteste haben dem fahrenden Volk geschadet Die übertriebenen Proteste im Jahr 2015 gegen den Mangel von Stand- und Durchgangsplätzen haben bei den Behörden und der Öffentlichkeit den Eindruck verstärkt, dass von Seiten der Jenischen nur mit Schwierigkeiten zu rechnen sei. Allmählich gehen die Türen zu. Die Ablehnung von Plätzen für Fahrende häuft sich (Thal SG, Gossau SG). Der Bauernverband schafft Reglemente für den Halt von Fahrenden. So wird der Lebensraum immer enger. Wir müssen den Goodwill mühsam wieder aufbauen. Fahrende können sich nicht darauf beschränken zu fordern, sie müssen einen Dialog aufbauen. Nur so kann man Vorurteile abbauen. Verzicht auf den Standplatz Thayngen Standplatz Thayngen: Wir haben das Projekt für die Realisierung eines Standplatzes in Thayngen Schaffhausen abgeblasen. Auf unsere Umfragen via Facebook und Homepage sowie mündlich haben sich zuwenige gemeldet, die dahin wollten. Damit wurde das Risiko für die Radgenossenschaft, die den Platz gemietet hätte, untragbar. Wir finden dies selber erstaunlich in einem Moment, wo der Mangel an Plätzen beklagt wird. Es hat keinen Sinn, einen Platz zu schaffen, wo kein Bedarf ist. ________________________________________________________________________________ Radgenossenschaft: Abonnemente und Mitgliedschaft Weil immer wieder Missverständnisse auftreten, geben wir einmal mehr bekannt, wie wir die Zahlungen für Abonnemente und Mitgliedschaft handhaben, wenn auf den Einzahlungsscheinen nichts weiteres angegeben wird: Beitragshöhe Beträge von Fr. 25.- gelten als Abonnemente für den Scharotl; Beträge zwischen Fr. 25.- bis Fr. 100.- werden als Spende verbucht. Beträge von Fr. 100.- und höher gelten als Mitgliederbeiträge plus evtl. zusätzlicher Spende Eingangsdatum Achtung: Zahlungen bis 1. Oktober gelten als Abonnemente und Mitgliederbeiträge fürs laufende Jahr. Achtung: Zahlungen ab 1. Oktober gelten fürs künftige Jahr. Bitte geben Sie auf dem Einzahlungsschein an oder teilen Sie uns per Mail mit, wenn Ihre Zahlung anders verbucht werden soll. 6 Kurzmeldungen Feckerchilbi in Bern 2016 Wir möchten – zusammen mit Schäft qwant – wieder eine Feckerchilbi abhalten. Sie soll im Herbst 2016 in Bern stattfinden, und zwar vom 15. bis 18. September auf der Schützenmatt. Das ist das Gelände von Busbahnhof und Chilbi, unterhalb des Bahnhofs. Da am Sonntag Buss- und Bettag ist, wäre es schön, wenn wir den Anlass mit einem evangelischen und einem katholischen Gottesdienst ausklingen lassen könnten. Stimmungsbilder einer Feckerchilbi in Brienz 7 Dokumentationszentrum Die alzheimerkranke Jenische Wunderbarer Besuch im Dokumentationszentrum. Ein Angehöriger der traditionell jenischen Familie Berglas meldet sich an, ob wir an Fotos und Objekten interessiert seien. Solche Nachlässe übernimmt das Dokumentationszentrum gern. Da fand sich das Foto einer Kesselschmiedfamilie. Oder eine gutgekleidete Frau mit Handörgeli auf dem Dach eines Hauses im Zürcher Kreis 4, eine jener Stadtjenischen, die angesichts des heute vorherrschenden romantischen Bildes der Fahrenden vergessen gehen. Es sei seine Grossmutter, sagt der Besucher. Und dann berichtet er, dass man in seiner Familie das Jenischsein versteckt habe. Aber jenische Worte hat er aufgeschnappt, wie eine Liste zeigt, die er angefertigt hat. Nie habe ihm ein Onkel oder eine Tante erklärt, dass er ein Jenischer sei. Und dann erzählt er die Geschichte einer Tante, die zu ihm ebenfalls nie über das Tabuthema gesprochen habe. Sie wurde alt, erkrankte aber an Alzheimer und kam ins Pflegeheim. Und dort begann sie in ihrer Verwirrung seltsam zu sprechen. Es war die jenische Sprache! Man stelle sich vor: In ihrer Verwirrung beginnt sie, die jenische Muttersprache zu reden. Das Pflegepersonal habe Angehörige gefragt, was das sei: Ach das sei ein italienischer Dialekt, hätten die Gefragten verschämt gesagt. (ww.) Oben: Die junge Fanny Berglas beim Örgeli-Spiel auf dem Dach in der Anwandstrasse Zürich. Rechts: Fanny Berglas im Alter. Das Handörgelispiel versetzte sie in die vergangenen Zeiten. 8 Aus dem Nachlass von Fanny Berglas Oben: Korber und Kessler, eine unbekannte alte Foto Mitte links: Portrait um 1930, als eine modische Jenische aus der Stadt. Rechts: Die Lieblingsschatulle aus Blei und Zinn. Wir vermuten, dass das Stück nicht aus einer offiziellen Fabrik stammt, sondern von einem Jenischen gefertigt worden ist. 9 Petition — 760 Persönlichkeiten haben unterzeichnet Die Petition zuhanden des Bundesrates für die Anerkennung der Jenischen und Sinti geht weiter. 760 Personen haben signiert. Es geht uns um die Qualität, nicht um die Menge. Jede unterstützende Stimme ist eine Solidaritätserklärung. Dabei braucht es heute Mut, öffentlich zu den Jenischen, Sinti und Roma zu stehen. Wir danken für jede weitere Unterstützungszusage, die uns per Mail oder anderswie erreicht. 1000 Unterstützende wären eine runde Zahl. Im Frühling 2016 werden wir die Petition einreichen. Initianten Radgenossenschaft der Landstrasse Cooperation Jenische Kultur Organisation Jenisch-manisch-Sinti JMS Verein schäft qwant Komitee Sinti Bern Albert Barras, Daniel Huber, Robert Huber (Ehrenpräsident der Radgenossenschaft), Venanz Nobel, Fino Winter (Sinto), Willi Wottreng Unterstützende Organisationen Zigeunermission / Gesellschaft für bedrohte Völker, Schweiz, GfbV / Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz, GMS / Caritas Zürich / Rroma Foundation / Verein Romano Dialog / Association Mesemrom, Genève Ausland: Jenischer Kulturverband Österreich / Kochemer Loschen—Der Verein der Jenischen in Luxemburg Auswahl aus den Zustimmungserklärungen Melinda Nadj Abonji, Schriftstellerin / MC Anliker, Kulturunternehmer, Thun / Gabrielle Baur, Filmemacherin / Madlaina Bundi, Verlegerin „Hier und jetzt“ / Marius Cottier, alt Staatsrat Kanton Freiburg / Max Elmiger, Direktor Caritas Zürich / Sara Galle, Historikerin / Balthasar Glättli, Nationalrat / Antoine F. Goetschel, Rechtsanwalt / Giuseppina Greco, Adjunktin Fachstelle für Integration und Rassismusprävention Freiburg / Barbara Gysi, Nationalrätin SP Schweiz /Thomas Huonker, Historiker / Bernhard Jurmann, Sozialarbeiter / Lilo König, augenauf Zürich / Hannes Lindenmeyer, Präsident ref. Kirchgemeinde Aussersihl / Ueli Mäder, Professor für Soziologie Uni Basel / Dide Marfurt, Musiker / Angela Mattli, Kampagnenleiterin GfbV / Thomas Meier, Historiker / Michèle Minelli, Schriftstellerin / Heidi Mück, Grossrätin BastA! - Baslers starke Alternative / Giusep Nay, alt Bundesgerichtspräsident / Ernst Ostertag und Röbi Rapp, Aktivisten für rechtliche Gleichstellung von Gleichgeschlechtlichen / Jaques Picard, Historiker / Marianne Pletscher, Dokumentarfilmerin / Ulrike Pook, Bibliothekarin / Katharina Prelicz-Huber, Gemeinderätin Stadt Zürich / Kathrin Rieder, Historikerin und Kulturvermittlerin / Martina Rieder, Filmemacherin / Erich Schmid, Filmemacher / Barbara Saladin, Autorin / Nadine Schneider, Museumsleiterin / Bea Schwager, Leiterin der Sans-Papier Anlaufstelle Zürich SPAZ / Martin Schwager, Architekt / Silva Semadeni, Nationalrätin / Silvia Tschui, Schriftstellerin / Ruth Gaby Vermot-Mangold, alt Nationalrätin und Präsidentin Gesellschaft für bedrohte Völker / Christoph Wiedmer, Geschäftsleiter GfbV / David Winizki, Hausarzt / Pia Zanetti Fotografin / Bernd 10 Zocher, Verleger „Elster“ und „Rio“ Anerkennung der Jenischen und Sinti als nationale Minderheiten und ihre Benennung gemäss der Selbstbezeichnung der Minderheiten Petition an den zuständigen Bundesrat, Herrn Alain Berset, für die Anerkennung der Jenischen und Sinti als nationale Minderheiten und die richtige Benennung unserer Volksgruppen Entschuldigung reicht nicht - Es braucht die Anerkennung Ein Volk ohne Namen ist kein Volk: Wir verlangen jetzt die Anerkennung der Jenischen und Sinti als nationale Minderheiten und ihre Benennung gemäss der Selbstbezeichnung der Minderheiten und ihrer Angehörigen. Sehr geehrter Herr Bundesrat 2016 wird es dreissig Jahre her sein, seit Bundesrat Alphons Egli sich im Nationalrat dafür entschuldigt hat, dass die Pro Juventute mit der Aktion „Kinder der Landstrasse“ Hunderte Kinder ihren Familien entrissen hat. Es handelte sich grossmehrheitlich um Kinder von Jenischen wie von Sinti-Familien, von Fahrenden wie von Sesshaften. Die Lebensweise der „Zigeuner“ sollte vernichtet werden, die Volksgruppen sollten nicht weiter existieren. Seither ist vieles geschehen, aber zu wenig. Zwar ist die jenische Sprache mittlerweile geschützt und die "fahrende Lebensweise" als Minderheitenrecht anerkannt, es fehlt aber die umfassende Anerkennung der Volksgruppen der Jenischen und der Sinti, die mit der Aktion Kinder der Landstrasse verfolgt wurden, als nationale Minderheiten der Schweiz. Es fehlt damit ein wirksamer Schutz ihrer Kultur – Sprache, Geschichte, Bräuche, Selbstorganisationen. Insbesondere sieht sich die grosse Mehrheit der sesshaft lebenden Jenischen und Sinti ohne Minderheitenschutz. Ihnen droht weiterhin die kulturelle Anonymität. Es genügt vielen Menschen nicht, dass sie als „Fahrende“ anerkannt sind oder dass die „jenische Sprache“ geschützt ist. Es genügt ihnen nicht, dass nur ein Teil ihrer Lebensweise und Kultur geschützt ist. Wir wollen in diesem Land als Volksgruppe geachtet, anerkannt und genannt sein, vergleichbar den Rätoromanen, die ebenfalls nicht nur wegen eines Teilaspekts ihrer Lebensweise, etwa als „Jägervolk“, anerkannt sind. Ein Volk ohne Namen ist kein Volk. Um die sogenannte Wiedergutmachung zu vollenden, braucht es auch den Schritt zur Anerkennung und zur korrekten Benennung dieser Volksgruppen. Gemäss Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten, das von der Schweiz unterzeichnet wurde und 1998 in Kraft trat, steht den Angehörigen der Volksgruppen das Recht auf Selbstdeklaration zu. (Dies folgt namentlich aus dem Artikel 3 was auch im neuen „Handkommentar“ zum Rahmenübereinkommen von den Experten mit Nachdruck betont wird – siehe Seiten 164 ff.). Die unterzeichnenden Organisationen lancieren diese Petition und fordern den zuständigen Bundesrat auf, zum 30-Jahr-Jubiläum der Entschuldigung der Landesregierung in einer eindeutigen Erklärung festzustellen, dass die Jenischen und Sinti in der Schweiz nationale Minderheiten darstellen. Die unterzeichnenden Organisationen unterstützen auch das Recht der Roma, als Minderheiten zu gelten. Ein Volk ohne Namen ist kein Volk: Wir verlangen jetzt die Anerkennung der Jenischen und Sinti als nationale Minderheiten und ihre Benennung gemäss der Selbstbezeichnung der Minderheiten und ihrer Angehörigen. Radgenossenschaft der Landstrasse / Cooperation Jenische Kultur / Organisation Jenisch-Manisch-Sinti JMS Verein schäft qwant Petition unterstützen: Online unter: http://tiny.cc/PetitionJenische oder eine Mailbestätigung mit Name und Ad11 resse an [email protected] Aus der Presse Jenische , Sinti und Roma wollen als nationale Minderheiten anerkannt werden Standpunkt der GMS, Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz, 29. Mai 2015 Es bewegt sich etwas bei den Volksgruppen der Jenischen, Sinti und Roma. Gemeint ist weniger das, was sich vor den Augen der Fernsehkameras abspielt. Sondern das,was hinter den Kulissen geschieht. Auf einen Nenner gebracht, treten alle drei Volksgruppen selbstbewusster auf, und alle drei verlangen die Anerkennung als Volk – oder als „nationale Minderheit“, wie die völkerrechtliche Terminologie dafür heisst. Sinti etwa, die sich in der Schweiz jahrzehntelang still verhielten, engagieren sich neu in Komitees und beginnen zu reden. Allerdings ist die Situation anders bei den Jenischen / Sinti als bei den Roma. Darum gehen beide Strömungen auch anders vor und verlaufen die Diskussionen jeweils etwas verschieden. Doch stehen die verantwortlichen Organisationen in Kontakt untereinander und unterstützen sich gegenseitig. Die Jenischen und Sinti, die in der Schweiz durch vielfältige verwandtschaftliche Bande Anwesenheit mancher Familie geht weit hinter die Gründung des Bundesstaates zurück. Als die Schweiz 1998 die europäische Konvention über Minderheiten unterzeichnete, wurden zwar die „Fahrenden“ als nationale Minderheit anerkannt, offensichtlich unter dem Eindruck der Wohnwagen, die sie sichtbar von anderen Volksgruppen zu unterscheiden schien. Nur blieb, was mit den „Fahrenden“ gemeint war, stets unklar, zweideutig und wurde von Fall zu Fall gehandhabt. Heute erklären die Bundesbehörden, dass damit die Schweizer Jenischen und Sinti gemeint seien. Das stellt die Angehörigen dieser Volksgruppen aber nicht mehr zufrieden. Viele sesshafte Minderheitenangehörige empfinden sich nicht als „Fahrende“. Die Situation gleicht der Diskussion über die Frauengleichberechtigung. Irgendwann gaben sich die Frauen nicht mehr damit zufrieden, dass sie als Schweizerinnen „mitgemeint“ waren, wenn etwa von„Schweizern“ die Rede war. Organisationen der Jenischen und Sinti sagen heute: „Ein Volk, das keinen Namen hat, ist kein Volk“. Sie wollen eben Jenische sein oder Sinti, und auch so genannt werden. Die Völkerrechtsbestimmungen sprechen den Volksgruppen denn auch ausdrücklich das Recht auf Selbstbezeichnung zu. Darum haben Organisationen der Jenischen und Sinti – Radgenossenschaft, Verein Schäft qwant und weitere – Ende April 2015 eine Petition lanciert, worin sie vom Bundesrat verlangen: „Anerkennung der Jenischen und Sinti als nationale Minderheiten und ihre Benennung gemäss der Selbstbezeichnung der Minderheiten“. Sie lehnen den Begriff „Fahrende“ als Volksnamen ab und erklären: „Wir wollen in diesem Land als Volksgruppe geachtet, anerkannt und genannt sein, vergleichbar den Rätoromanen, die eben12 Aus der Presse falls nicht nur wegen eines Teilaspekts ihrer Lebensweise, etwa als „Jägervolk“,anerkannt sind.“ Die GMS unterstützt diese Petition. Die Roma sind ebenfalls an den Bundesrat gelangt. Zwar sind die ersten Roma schon seit Jahrhunderten in der Schweiz aktenkundig. 1471 erliess die Tagsatzung, die oberste Behörde der Eidgenossenschaft, diskriminierende Beschlüsse gegen sie. Doch die Mehrheit der Roma kam erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in unser Land, oft unter dem Nationalitätentitel von Albanern, Serben, Bosniern und von Angehörigen anderer Länder Osteuropas. Kenner schätzen die Anzahl von Roma in unserem Land auf jedenfalls 50 000 bis gegen 100 000. Diese Roma geniessen heute zwar international einen gewissen Schutz, aber keinen Minderheitenstatus in unserem Land, obwohl sie an Zahl die Rätoromanen übertreffen. RomaOrganisationen haben darum zum International Romani Day am 8. April 2015 einen offenen Brief an die Bundespräsidentin gerichtet, worin sie generell mehr Respekt gegenüber den Roma und Sinti, den Kampf gegen Rassismus und die kulturelle Anerkennung verlangen. Im Schreiben heisst es unter anderem, dass die Roma – und die Sinti, die mit den übrigen Roma sprachlich und kulturell verwandt sind – „durch ihre kontinuierliche Anwesenheit“ in der Schweiz über „eine solide Bindung zum Land“ verfügten, was gemäss internationalen Vereinbarungen eine Voraussetzung für die Anerkennung als nationale Minderheit ist. Die GMS begrüsst auch diesen Vorstoss. Nach Jahrzehnten relativer Ruhe ist Wind in eine Minderheitendebatte gelangt, die spannungsvoll zu werden verspricht. ……………………………………………………………………………………….. Die dümmste Pressemeldung Thurgauer Zeitung; 20.11.2015; Armee gegen Platz für Fahrende Bis im Frühjahr 2016 sollen im Kanton St. Gallen erste provisorische Plätze für Fahrende geschaffen werden. Damit soll unter anderem gezeigt werden, dass solche Plätze funktionieren Auch das Breitfeld wurde als ein möglicher Standort dafür ins Auge gefasst. (…) Nebst den diversen Veranstaltungen nutzen auch viele Privatpersonen, darunter viele Spaziergänger mit Hunden, die grosse Allmend. (…) Hinzu kommt, dass das Gelände dem Militär als Waffenplatz dient. Auf Seiten des Militärs ist man nicht begeistert von einem Provisorium auf dem Breitfeld. «Das Breitfeld wird die ganze Zeit über vom Militär benutzt. Für uns ist ein Platz für Fahrende kein Thema, und wir werden ein solches Gesuch entschieden bekämpfen», sagt Adjutant Adrian Purtschert, der verantwortliche Berufsunteroffizier des Waffenplatzes Herisau-Gossau. Er ergänzt: «Das Breitfeld wurde von Fahrenden schon mehrere Male ohne Genehmigung benützt. Wir haben dabei nicht nur gute Erfahrungen gemacht.» Weiter bestehe ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko. Im nahen Umfeld des Platzes liegen alle Schiessplätze des Waffenplatzes. Purtschert: «Man stelle sich vor, ein spielendes Kind wird von einem Radschützenpanzer angefahren.» Unser Kommentar: Das Bild zeigt einen Jungen, der auf dem Platz mit dem Drachen spielt – hier besteht offenbar keine Gefahr durch Radschützenpanzer. 13 Bücher, CDs und DVDs Auswahl „Kleine Freiheit“ Jenische in der Schweiz Ein Fotobuch über die Jenischen, Text Michèle Minelli, Fotos Anne Bürgisser, mit vielen Farbfotos Sonderpreis Fr. 35(statt Fr. 49.-) „Zigeunerhäuptling“ Vom Kind der Landstrasse zum Sprecher der JenischenDas Schicksal des Robert Huber Biografie des einstigen Präsidenten der Radgenossenschaft von Willi Wottreng Fr. 20- „Versorgt und Vergessen“ Ehemalige Verdingkinder erzählen Buch von Marco Leuenberger, Loretta Seglias Fr. 30.- „Kinder zwischen Rädern“ Historische Studie von „Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“/Kurzfassung Herausgegeben im Auftrag des Bundesamtes f. Kultur Fr. 10.- „Steinzeit“ Der Roman der Schriftstellerin Mariella Mehr über ihre Lebensgeschichte Fr. 20.- „Puur und Kessler“ Sesshafte und Fahrende in Graubünden Buch von Sara Galle, Thomas Meier, Guadench Dazzi und Andréa Kaufmann Fr. 30.- „Nomaden in der Schweiz“ Fotobuch von Urs walder, mit vielen Schwarz-Weiss-Fotos Texte von Venanz Nobel, Mariella Mehr, Willi Wottreng Fr. 35.- „Kinder der Landstrasse – In gesundes Erdreich verpflanzt“ Schicksal der Familie Waser-Schwarz Historisch-Sozialwissenschaftliche Studie von Désirée Corinne Hagmann Fr. 30.- „Entrissen und Entwurzelt“ Ein Jenischer berichtet über sein Leben in Romanform Die Biografie von Peter Paul Moser, Band 1 Fr. 20.- „Die Ewigkeit beginnt im September“ Ein Jenischer berichtet über sein Leben in Romanform Die Biografie von Peter Paul Moser, Band 2 Fr. 20.- Liebe Leserin Lieber Leser Alle hier aufgelisteten Bücher, CDs und DVDs haben wir im Verkauf und können jederzeit in unserem Sekretariat bestellt werden: Tel.: 044 432 54 44 Email: [email protected] Postkonto: 30-15313-1 14 Kleber aus Les Saintes-Maries de la Mer Frohe Weihnachten Die schönste Weihnachtsdekoration Wer ist die schönste im ganzen Land? Gemeint: die schönste Weihnachtsdekoration. Wir finden, es ist die Dekoration der Familie Graf auf dem Standplatz Eichrain. Iris Graf erzählt: Wir machen das seit etwa zehn Jahren regelmässig. Und jetzt es es Tradition geworden, dass die Jenischen im Eichrain ihre Weihnachtsdekoration machen. Dieses Jahr habe ich mit zwei Christbäumen begonnen, die ich mit LEDLämpchen beleuchtet habe. Dann kamen die traditionelle Krippe, die Rentiere und der Samichlaus. Warum machst Du das? Schon meine Mutter hat jeweils mit viel Aufwand dekoriert. Wenn ich am Dekorieren bin, läuft die Jugend vor mir ab. Und ich schmecke, wie meine Mutter Birnbrot macht. Liebst Du Kitsch? Oh ja. Ich liebe alles, was kitschig ist. Es geht ans Herz. Kann ein Nichtjenischer das KunstDekoration 2015 werk besichtigen? Der Standplatz Eichrain an der Glattalstrasse ist öffentlich zugänglich. Es kommen Kindergärten und Schulklassen. Ab 5 Uhr ist die Dekoration bis in die Nacht hinein beleuchtet. Die Bilder auf der Titelseite stammen von Weihnachten des letzten Jahres und wurden gemacht von der Fotografin Anne Bürgisser. Standplatz Eichrain Bus 742 , Haltestelle Im Ebnet Achtung: Wohnbereich von Familien, Wir bitten um diskretes Verhalten 15 Neue Öffnungszeiten Büro und Dokuzentrum Ab 4. Januar 2016 gilt: Montag: 9.00-15.00 Dienstag: 10.00-16.00 Mittwoch: 10.00-16.00 Führungen nach Vereinbarung Weihnachten/Neujahr Das Büro ist ab 23. Dezember 2015 bis 3. Januar 2016 geschlossen. Impressum Herausgegeben : Radgenossenschaft der Landstrasse / Verein „Scharotl“ PC: 30-15313-1 Präsidium Daniel Huber Geschäftsleitung Willi Wottreng Administration Denise Merz Büro Hermetschloostrasse 73 8048 Zürich Tel: 044 432 54 44 Mail: [email protected] Druck LP Copycenter 8157 Dielsdorf Redaktion / Inserate Radgenossenschaft der Landstrasse Hermetschloostrasse 73 8048 Zürich Tel: 044 432 54 44 Mail: [email protected] Jahresabonnement Fr. 25.00 Erscheint vierteljährlich 16
© Copyright 2024 ExpyDoc