Call for Abstracts: Ad-hoc-Gruppe auf dem 38. Kongress der DGS in Bamberg Prof. Dr. Thomas Kern & Dr. Insa Pruisken Technische Universität Chemnitz Institut für Soziologie Thüringer Weg 9 09126 Chemnitz [email protected] [email protected] Zwischen Mobilisierung und Säkularisierung: institutionelle und organisatorische Bedingungen des religiösen Wandels In einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft müssen Religionsgemeinschaften ihre Mitglieder fest an sich binden und sich gegenüber säkularen Werten behaupten, wenn sie nicht langfristig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen. Dieser Prozess der organisationalen Bindung kann einerseits als Schließung gedeutet werden. Andererseits müssen sich religiöse Organisationen und Gemeinschaften aber auch öffnen, wenn sie anpassungsfähig bleiben, neue Mitglieder gewinnen und ihren gesellschaftlichen Einfluss erweitern wollen. Dieser Balanceakt zwischen Öffnung und Schließung scheint vielfach mit Herausforderungen verbunden zu sein. Wie neuere Befunde zeigen, geht die individuelle Religiosität (operationalisiert als religiöse Mitgliedschaft, Überzeugung und Praxis) mit zunehmender Modernisierung weltweit im Durchschnitt zurück (Pollack und Rosta 2015; Norris und Inglehart 2004). Parallel gilt aber genauso, dass religiöse Organisationen, Gemeinschaften und Bewegungen gerade auch in modernen Gesellschaften weltweit auf beeindruckende Zuwächse und erfolgreiche Mobilisierungsprozesse verweisen können (Kern und Schimank 2013; Kern 2001). Dies zeigt sich eindrucksvoll an der Ausbreitung neuer Organisationsformen etwa im Christentum, Islam, Hinduismus etc. (Petzke 2013). Wie lässt sich dieser scheinbar widersprüchliche Befund erklären? In der Religionssoziologie werden entsprechende Veränderungsprozesse oft entweder auf der Makroebene als Frage nach dem Verhältnis von Religion und Moderne verhandelt oder auf der Mikroebene als Wandel kultureller Praktiken und Deutungsstrukturen. Obwohl es sich hier durchaus um zentrale Dimensionen des religiösen Wandels handelt, wird in diesen Ansätzen oft versucht, "soziale Veränderungen nur anhand von Kultur oder Werten zu erklären, ohne soziale Organisation einzubeziehen" (Coleman 1995: 12). In diesem Sinne attestieren Tyrell und Petzke speziell der deutschen Religionssoziologie in den letzten Jahrzehnten sogar "eine eigentümliche Organisationsblindheit" (Petzke und Tyrell 2012: 286). Wir schlagen daher vor, die Gründe für religiöses Wachstum oder Säkularisierung stärker "mesosoziologisch" zu untersuchen, unter Rückgriff auf Ansätze etwa aus der neuen Institutionentheorie, Organisations-, Professions- und Wirtschaftssoziologie sowie der sozialen Bewegungsforschung. In diesem Kontext suchen wir theoretisch-konzeptuelle Beiträge oder soziologisch fundierte Studien, die sich mit den folgenden Aspekten des religiösen Wandels auseinandersetzen: 1 – der Rolle von Eliten: Der Zugang zu den organisatorischen Ressourcen einer Gesellschaft wird in der Regel von den Eliten kontrolliert. Die Mobilisierung etwa der evangelikalen Bewegungen wurde durch den sozialen Aufstieg zahlreicher Evangelikaler in den USA stark begünstigt (Lindsay 2008). Ähnliches gilt für den Aufstieg der Protestanten in Südkorea (Kern 2001). Inwiefern lassen sich diese Befunde auch für andere Religionen und Länder nachweisen? – der Rolle von formalen Organisationen: Inwiefern waren die weltweiten religiösen Revitalisierungsbewegungen der letzten Jahrzehnte mit der Entstehung neuer Organisationen und Organisationsformen verbunden? Wie unterscheiden sich etwa die Motivations- oder Sanktionsstrukturen in religiösen und säkularen Organisationen? Mit welchen besonderen Schwierigkeiten sind religiöse Gruppen bei der Organisation ihrer Strukturen konfrontiert? Inwiefern wirft die Berührung von Religion und formaler Organisation besondere "Säkularisierungsprobleme auf" (Petzke und Tyrell 2012: 276)? – der Rolle von Legitimationsstrukturen: Ähnlich wie wissenschaftliche und wirtschaftliche Organisationen müssen sich auch religiöse Organisationen etwa gegenüber ihrem Publikum oder anderen Stakeholdern legitimieren (Boltanski und Chiapello 2005, Petzke 2013). An welchen religiösen oder anderen Leitideen orientieren sie sich dabei? Inwiefern sind diese Leitideen komplementär oder konflikthaft? – der Rolle von Professionalisierungsprozessen: Ähnlich wie in Universitäten, Krankenhäusern und Anwaltskanzleien spielt auch etwa in Kirchen das Selbstverständnis der Kleriker eine entscheidende Rolle. Wie gehen diese mit den konfligierenden Erwartungen ihrer Bezugsgruppen um? An welchen Leitideen orientieren sie sich? Inwiefern finden sich Entsprechungen in anderen Religionen? Welche Rolle spielt das professionelle Selbstverständnis für Mobilisierung oder Schrumpfungsprozesse? – der Rolle von Märkten: Ein wichtiges Argument des in der Religionssoziologie umstrittenen Religious-Economies-Approach ist, dass religiöse Vitalität erst durch Wettbewerb und Konkurrenz zwischen einer Vielzahl von Anbietern entstehen kann. An diesem Punkt bieten sich vielfältige Anschlussmöglichkeiten an die neuere wirtschaftssoziologische Forschung: Wie sind religiöse Märkte strukturiert? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Publikum, Organisationen und religiösen Angeboten? Was ist religiöser "Erfolg"? Bitte senden Sie Beitragsvorschläge von etwa einer Seite bis zum 24. April 2016 an [email protected] und [email protected]. 2
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