1 Antwort auf Christoph Jäger Vielen Dank für diesen sehr klaren

Antwort auf Christoph Jäger
Vielen Dank für diesen sehr klaren, pointierten und spannenden Vortrag. Wenn man
die These von Herrn Jäger in einem Satz zusammenfassen möchte, könnte man
vielleicht das Folgende sagen: Fundamentale religiöse Glaubenssätze sind
nicht argumentativ begründungsbedürftig, aber nicht etwa deshalb, weil
sie unmittelbar gerechtfertigt wären, sondern weil sie eine konstitutive
Rolle in der Lebensform des Gläubigen spielen. Solche Glaubenssätze sind
basal, aber eben nicht epistemisch basal. Unter fundamentalen religiösen
Glaubenssätzen im christlichen Kontext werde ich Sätze wie „Es gibt einen
christlichen Gott“, „Es gibt eine Auferstehung von den Toten“, „Es gibt das jüngste
Gericht“, „Gott vergibt uns unsere Sünden“ oder „Gott ist dreifaltig“ verstehen.
In seinem Vortrag hat Herr Jäger zunächst die Idee epistemisch basaler
Glaubenssätze einer Kritik unterzogen. Wie wir gehört haben, vertritt die sogenannte
Reformierte Erkenntnistheorie die Auffassung, dass wir religiöse Überzeugungen
nicht durch diskursive Gottesbeweise rechtfertigen, sondern dass sie unmittelbar
durch religiöse Erfahrung bzw. Offenbarung gerechtfertigt sind. Sie hätten dann
einen ähnlichen erkenntnistheoretischen Status wie Beobachtungsmeinungen, die
nicht durch Argumente, sondern direkt durch die Wahrnehmung gerechtfertigt
werden. Wenn der religiöse Sinn so zuverlässig ist wie die Wahrnehmung, dann kann
er religiöse Überzeugungen eben unmittelbar rechtfertigen. Herr Jäger hat drei
Einwände gegen dieses Modell religiöser Erkenntnis, von denen ich zwei genauer
unter die Lupe nehmen möchte.
Er wendet zunächst ein, dass die religiöse Erfahrung viel zu unspezifisch und
unartikuliert sei, um alleine spezifische Überzeugungen konkreter Religionen
rechtfertigen zu können. Für eine solche Rechtfertigung bedürfe es einer Artikulation
und
Interpretation
der
religiösen
Erfahrung
im
Lichte
kulturspezifischer
Hintergrundsüberzeugungen. Deshalb können religiöse Erfahrungen niemals allein
die Rechtfertigungslast tragen. Eine zusätzliche argumentative Stützung ist
unvermeidlich. Aber sind die religiösen Erfahrungen tatsächlich so unspezifisch?
Christoph
Jäger
spricht
von
„mystischen
Erlebnissen“,
„quasi-ästhetischen
Empfindungen“ und „Gefühlen kosmischer Geborgenheit“. Aber daneben kennen
Offenbarungsreligionen, wie die christliche, auch ganz konkrete Offenbarungen der
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göttlichen Stimme oder Erscheinungen der Jungfrau Maria etc. Davon ist in
zentralen Passagen der Bibel die Rede. Es ist sicherlich richtig, dass nicht jeder
Gläubige solche Erfahrungen macht. Aber er bekommt sie durch das schriftliche
Zeugnis (etwa der Bibel) oder mündliche Zeugnisse mitgeteilt. Und auf diesem Wege
könnten konkrete religiöse Erfahrungen spezifisch genug sein, um konkrete religiöse
Überzeugungen zu rechtfertigen. Ich sehe deshalb nicht, warum religiöse Erfahrung
religiöse Überzeugungssysteme prinzipiell unterbestimmt lässt.
Nun zum zweiten Einwand Jägers gegen Erkenntnis durch Offenbarung: Demnach
stimmt es gar nicht, dass die religiöse Erfahrung allein die religiösen Überzeugungen
des aufgeklärten westlichen Gläubigen rechtfertigt. Warum nicht? Nun, der
aufgeklärte Gläubige weiß um verschiedene Ansätze der Religionskritik, die seine
anfängliche Rechtfertigung durch religiöse Erfahrung neutralisieren. Will der
aufgeklärte Gläubige an seinen Überzeugungen gerechtfertigter Weise festhalten,
dann muss er die Religionskritik durch eine Metakritik ausräumen. Dann jedoch
trägt nicht mehr die religiöse Erfahrung, sondern die diskursive Metakritik die
Rechtfertigungslast seiner religiösen Überzeugungen. Diese sind also in keinem Fall
mehr unmittelbar durch religiöse Erfahrung gerechtfertigt, so Jäger.
Doch ist diese Argumentation plausibel? Ich habe gewisse Zweifel. Die Gründe, die
die Religionskritik neutralisieren, müssen mit der positiven Rechtfertigung der
religiösen Überzeugungen des Gläubigen nämlich nichts zu tun haben. Erlauben Sie
mir eine Analogie. Nehmen wir an, eine wissenschaftliche Theorie sei empirisch
bestätigt. Nun tritt ein Opponent mit einem entscheidenden Gegenargument auf.
Dieses Gegenargument ließe sich nun z. B. durch den Nachweis seiner Inkonsistenz
ausräumen. Doch der Nachweis der Inkonsistenz des Gegenarguments räumt nur den
Einwand beiseite, die Rechtfertigung der empirischen Theorie kann er nicht leisten.
Sie wird allein durch die Erfahrung zustande gebracht. Hier noch ein zweites
Beispiel: Wir alle gehen mehrheitlich davon aus, dass mathematische Aufgaben durch
reines Nachdenken erfahrungsunabhängig gelöst werden. John Steward Mill war
anderer Ansicht. Er glaubte, dass wir zu den Ergebnissen durch induktive
Verallgemeinerung empirischen Abzählens gelangen. Nehmen wir nun einmal an,
seine Hypothese würde empirisch dadurch widerlegt, dass man Leute nach dem
Rechnen dazu befragt, wie sie zu ihrem Ergebnis gelangt sind. Mills empiristische
Kritik am mathematischen Apriorismus wird also empirisch widerlegt. Bedeutet das,
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dass damit unsere Theorie apriorischen Wissens in der Mathematik nicht mehr
richtig sein kann? Es ist also eher so, dass die kritische Zurückweisung der
Anfechtungsgründe diese Gründe ausräumt, aber selber die positive Rechtfertigung
nicht zu Wege bringt. Die Metakritik stellt also gewissermaßen den Stand der
Unschuld wieder her. Deshalb kann meines Erachtens die Rechtfertigung religiöser
Überzeugung
sehr
wohl
unmittelbar
bleiben,
auch
nachdem
sie
gegen
Anfechtungsgründe verteidigt worden ist.
Wenn ich mich den Einwänden Christoph Jägers gegen das Offenbarungsmodell
religiöser Erkenntnis also nicht in Gänze anschließe, ist dieses Modell dann
plausibel? Ich bin aus mindestens zwei Gründen skeptisch: Erstens, und das deutet
Herr Jäger selbst bereits an, sind religiöse Erfahrungen relativ zu religiösen
Traditionen. Doch wenn sie stark relativ sind und einander widerstreiten, dann
können sie nicht alle korrekt sein. Die Relativität untergräbt die Zuverlässigkeit des
religiösen Sinns. Außerdem kann man Offenbarung nur so verstehen, dass Gott auf
den menschlichen Geist direkt (kausal) einwirkt. Diese Auffassung steht jedoch im
Konflikt zu der durch die Wissenschaften nahe gelegten Überzeugung, dass die
natürliche Welt (einschließlich der psychischen Zustände) in sich kausal geschlossen
ist. Ohne Wunder funktioniert die Offenbarung nicht und Wunder stehen im Konflikt
mit dem wissenschaftlichen Bild der Welt. Dieses Problem wird umso prekärer, je
mehr Menschen man religiöse Erfahrungen zuschreibt. Dann ereignen sich nicht nur
gelegentlich, sondern fortlaufend Wunder.
Sehen wir uns jetzt das alternative Verständnis der Basalität von religiösen
Überzeugungen an, das Herr Jäger im Anschluss an den späten Wittgenstein
skizziert. Nach Jägers Sicht auf Wittgenstein sind religiöse Überzeugungen nicht
deshalb basal (und begründungsunbedürftig), weil sie eine fundamentale Form des
Wissens darstellen, sondern weil sie eine konstitutive Rolle im religiösen Sprachspiel
des
Gläubigen
spielen.
Deshalb
sind
diese
Überzeugungen
weder
begründungsbedürftig noch bezweifelbar. Bevor ich mich der Frage zuwende, was es
heißt, eine konstitutive Rolle in einem Sprachspiel zu spielen und welche
Konsequenzen sich daraus ergeben, gestatten Sie mir noch eine wichtige
Vorbemerkung: Viele Interpreten verstehen Wittgenstein als Non-Kognitivisten
hinsichtlich
religiöser
Überzeugungen.
Demnach
beinhalten
sie
keine
Wahrheitsansprüche und sind auch nicht wahrheitsfähig, sondern bringen bestimmte
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praktische Haltungen zum Ausdruck. Ich halte den Non-Kognitivismus in der
Religionsphilosophie für keine besonders attraktive Position. Das kann ich hier leider
nicht ausführen. Aber Christoph Jäger sieht es ebenso. Er spricht den religiösen
Überzeugungen explizit einen propositionalen Gehalt zu, so dass sie wahrheitsfähig
sind. Und er schreibt auch Wittgenstein diese Auffassung zu. Nehmen wir also im
Folgenden mit Jäger an, dass Wittgenstein Kognitivist ist. Wie lässt sich dann die
konstitutive Rolle fundamentaler religiöser Überzeugungen im religiösen Sprachspiel
verstehen? Hier kommen meines Erachtens drei Auffassungen in Frage: Entweder
die fundamentalen Überzeugungen sind konstitutive Sinnbedingungen des religiösen
Sprachspiels oder sie sind konstitutive Präsuppositionen (Voraussetzungen) oder sie
haben den Status von Spielregeln. Gehen wir die Alternativen einzeln durch.
1.)
Wenn
die
fundamentalen
religiösen
Überzeugungen
konstitutive
Sinnbedingungen des religiösen Diskurses sind, dann muss jeder, der über religiöse
Dinge sinnvoll redet, diese Überzeugungen als wahr akzeptieren. In seiner späten
Schrift Über Gewissheit wendet Wittgenstein diese Art von Überlegungen auf das
Problem der Skepsis an. Seiner Auffassung nach kann man nur sinnvoll über die
Außenwelt reden, wenn man Sätze wie „Dies ist eine Hand“, „Die Welt existiert nicht
erst seit 5 Minuten“ oder „Es existiert die Außenwelt“ bereits akzeptiert. Der
Außenweltsskeptizismus
würde
demnach
seinen
eigenen
Sinnbedingungen
widersprechen. Ähnliches müsste nun auch für den religiösen Diskurs gelten. Jeder,
der über die Inhalte der christlichen Religion spricht oder sie versteht, müsste
gewissermaßen bereits die Wahrheit fundamentaler christlicher Glaubensinhalte
akzeptieren. So eine Lesart von Wittgenstein. Doch ist das plausibel? Ich denke, es ist
genauso unplausibel, die Außenweltskepsis generell für sinnlos zu halten (wir
verstehen sie ja recht gut), wie es unplausibel ist, die Wahrheit z.B. fundamentaler
christlicher Glaubensinhalte für eine Sinnbedingung des Diskurses über Inhalte der
christlichen Religion zu machen. Ansonsten würden sich zwei sehr kontraintuitive
Konsequenzen ergeben. Der Atheismus (also die Leugnung der Existenz Gottes) wäre
sinnlos und inkonsistent. Das wäre so, weil auch der Atheist sich in seiner Leugnung
des christlichen Gottes am religiösen Diskurs beteiligt. Ferner wäre der
Missionsgedanke, wonach die christliche Botschaft auch den Nicht-Gläubigen
verkündet werden soll, inkonsistent. Die Nicht-Gläubigen, die ja gerade noch nicht
die fundamentalen christlichen Überzeugungen teilen, könnten die christliche
Botschaft dann nämlich gar nicht verstehen. Deshalb sollte man die Akzeptanz der
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fundamentalen
christlichen
Überzeugungen
nicht
als
eine
konstitutive
Sinnbedingung des christlichen Diskurses verstehen.
2) Vielleicht sollten wir sie besser als Präsupposition oder Voraussetzung der
christlichen Lebensform verstehen. Diese Art Voraussetzungen gibt es auch in
anderen Formen der Praxis. Historiker teilen generell die Annahme, dass die Welt
länger als 5 Minuten existiert. Erst unter dieser Voraussetzung macht historische
Forschung überhaupt Sinn. Innerhalb der Geschichtswissenschaft ist diese
Voraussetzung nicht mehr begründungsbedürftig oder bezweifelbar. Wenn wir, wie
Russell, bezweifeln, dass die Welt länger als 5 Minuten existiert, dann tun wir das
nicht mehr im Rahmen der Geschichtswissenschaft, sondern stellen uns auf einen
externen, erkenntnistheoretischen Standpunkt. Ähnlich ist es in der Astrologie. Wenn
wir an dieser Praxis teilnehmen, dann setzen wir voraus, dass der Lauf der Sterne das
menschliche Leben bestimmt. Das kann man zwar anzweifeln, aber eben nicht mehr
innerhalb der Astrologie. So könnte es auch mit den fundamentalen religiösen
Überzeugungen sein. Man muss sie teilen, um an der religiösen Praxis überhaupt
teilnehmen zu können. Doch wenn man ihren Status so versteht, dann sind die
religiösen Überzeugungen eben nur im Kontext der Religion basal. Da aber jeder
Gläubige auch ein rationaler und mündiger Bürger ist, stellt sich die Frage nach der
Wahrheit der Voraussetzungen der religiösen Lebensform dennoch – nicht für ihn als
Gläubigen, aber für ihn als mündiger Bürger. Die Begründungsfrage lässt sich also
nicht generell suspendieren.
3) Wie sieht es aus, wenn wir die fundamentalen religiösen Auffassungen wie
Spielregeln verstehen. Spielregeln sind doch offenbar gar nicht begründungsbedürftig
oder bezweifelbar. Wenn man am Spiel teilnimmt, dann muss man sie akzeptieren.
Ja und nein! Um klarer zu sehen, ist vielleicht die folgende Analogie hilfreich: Die
Verfassung eines modernen Rechtsstaates kodifiziert die rechtlichen Spielregeln
dieses Staates. Aber die Grundsätze der Verfassung haben natürlich auch einen
kognitiven Gehalt (wie etwa der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“). Als
Bürger des Rechtsstaates können wir die Verfassung nicht anzweifeln oder
hinterfragen, aber als kritische Denker können wir natürlich immer noch fragen, ob
seine Grundsätze richtig und legitim sind. Auch wenn wir also fundamentale religiöse
Überzeugungen als Spielregeln der religiösen Lebensform begreifen, sind sie nicht
immun gegenüber kritischer Infragestellung und Begründungspflichten.
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Ich fasse noch einmal kurz die Ergebnisse meiner Überlegungen zusammen. Das
Offenbarungsmodell religiöser Erkenntnis lässt sich meines Erachtens ganz gut gegen
die Einwände von Herrn Jäger verteidigen, krankt aber an anderen Problemen,
insbesondere dem Relativismusproblem und der unerklärlichen Einwirkung Gottes
in die natürliche Welt. Die wittgensteinisch inspirierte alternative Interpretation der
Basalität religiöser Überzeugungen sieht sich mit dem folgenden Dilemma
konfrontiert: Entweder wir verstehen fundamentale religiöse Überzeugungen als
unhintergehbare Sinnbedingungen des Diskurses über religiöse Dinge. Dann hat das,
wie gezeigt, extrem unplausible Konsequenzen. Oder wir verstehen sie als
konstitutive Voraussetzungen oder Spielregeln der religiösen Lebensform. Dann
mögen diese Überzeugungen zwar im Kontext der religiösen Lebensform
begründungsunbedürftig und unangreifbar sein. Aber dadurch kann die allgemeine,
kontextunabhängige Forderung nach einer rationalen Begründung nicht abgewiesen
werden, sondern nur vorübergehend (im Kontext der religiösen Praxis) suspendiert
werden. Wenigstens dann, wenn die religiösen Sätze und Überzeugungen
wahrheitsfähig sind.
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