Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)

Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM):
Mitte der 1980er Jahre kam es in oppositionellen Kreisen zu politischen Neuausrichtungen.
Die unabhängige Friedensbewegung in der DDR hatte ebenso wie die nichtstaatliche
Friedensbewegung im Westen ihren Zenit überschritten. In der DDR rückten Fragen des
Umweltschutzes und – in Anlehnung an Vorbilder aus Polen, Ungarn und der CSSR – der
Menschenrechte stärker in den Mittelpunkt. Das Zentrum der Opposition war Ost-Berlin. Hier
kam es zu Auseinandersetzungen mit Teilen der Evangelischen Kirche, die einer expliziten
Befassung mit Menschenrechten, die zum Ziel hatte, die prekäre Menschenrechtssituation in
der DDR zur Sprache zu bringen, zu kritisieren und zu überwinden, skeptisch bis ablehnend
gegenüberstand. So wurde ein für November 1985 geplantes Menschenrechtsseminar unter
fadenscheinigen Gründen abgesagt, tatsächlich scheute die Berlin-Brandenburgische
Kirchenleitung eine offene Konfrontation mit dem SED-Staat. Zugleich kam es innerhalb der
Opposition zu Auseinandersetzungen, die um solche Fragen kreisten, inwiefern westliche
Medien als Transporteur der Botschaften einbezogen werden sollten und ob die Kritik an der
DDR-Menschenrechtssituation verbunden werden müsse mit Kritik an westlichen
Verhältnissen. Vor dem Hintergrund solcher politischer Differenzen, die durch persönliche
Spannungen noch verstärkt worden sind, kam es zur faktischen Spaltung der Opposition: eine
stark links argumentierende Gruppe um Thomas Klein, Vera Wollenberger (Lengsfeld), Silvia
Müller oder Reinhard Schult bildete die Gruppe „Gegenstimmen“. Eine stärker an Freiheitsund Demokratievorstellungen, wie sie etwa die Charta 77 vertrat , orientierte Gruppe um
Bärbel Bohley, Gerd Poppe, Peter Grimm, Reinhard Weißhuhn, Ralf Hirsch, Wolfgang
Templin oder Werner Fischer gründete die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM).
Die Bildung der IFM erfolgte von Herbst 1985 bis Januar 1986. Ihr Ziel bestand darin, die
Jalta-Nachkriegsordnung zu überwinden. Inneren und äußeren Frieden sah sie als aufeinander
bezogen an. Politisch war sie heterogen zusammengesetzt. Anders als die meisten anderen
Oppositionsgruppen vertrat sie kein dezidiert linkes Selbstverständnis. Im Zentrum stand das
Engagement für die Durchsetzung der politischen Grund- und Freiheitsrechte, die Herstellung
von Rechtsstaatlichkeit und die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. Sie versuchte,
„nicht zugestandene Rechte so wahrzunehmen, als seien sie bereits zugestanden“.
Vorbild war die Charta 77. Die IFM war inhaltlich ähnlich ausgerichtet, organisierte
Protestaktionen und Informationsveranstaltungen, gab im Samisdat Veröffentlichungen und
die Zeitschrift Grenzfall heraus, verbreitete „unterdrückte Informationen“ und gab öffentliche
Erklärungen ab. Sie nutzte kontinuierlich westliche Medien für die Verbreitung ihrer
Erklärungen und Aktivitäten und unterhielt Kontakte zu Oppositionsgruppen in Polen, der
ČSSR, Ungarn und der Sowjetunion ebenso wie zu politischen Gruppen und Parteien in der
Bundesrepublik und Westeuropa. Anders als die Charta 77 verfügte sie über keine feste
Arbeitsstruktur und keine gewählten Sprecher. Das änderte sich erst im Laufe des Jahres
1989, als sie ab März 1989 ihre landesweite Ausdehnung mit entsprechenden Strukturen
anstrebte, was im Oktober umgesetzt worden ist. Die IFM war von Anfang an
kirchenunabhängig und blockübergreifend orientiert. Aufgrund einer fehlenden Struktur lässt
sich nicht genau bestimmen, wie viele Personen zur IFM zählten. Zum Kern gehörten etwa 15
Personen, die alle vom MfS viele Jahre verfolgt und in eigenständigen OV und OPK
bearbeitet wurden. Einen Gruppenvorgang der Stasi gab es nicht, obwohl die IFM wie keine
andere Oppositionsgruppe in den 1980er Jahren vom MfS verfolgt worden ist. Das MfS hatte
mehrere IM (z.B. Monika Haeger, Ibrahim Böhme, Reiner Dietrich, Mario Wetzky, Lutz
Nagorski, Lothar Pawliczak) an den Führungskern der IFM eingeschleust, die aber die
Tätigkeit der IFM kaum beeinflussen konnten. Die Durchsuchung der Umweltbibliothek im
November 1987 war ebenso von SED und MfS hauptsächlich als Schlag gegen die IFM
gedacht wie die Ereignisse und Folgen der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar
1988. Mit Bärbel Bohley, Werner Fischer (bis 3.8.1988), Ralf Hirsch, Regina und Wolfgang
Templin sind einige der wichtigsten Protagonisten der IFM faktisch ausgebürgert worden.
Gerd und Ulrike Poppe, Reinhard Weißhuhn, Martin Böttger und Peter Grimm u.a. konnten in
Ost-Berlin bleiben. Im Sommer/Herbst 1989 waren einzelne IFM-Mitglieder an einigen
Neugründungen wie dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt oder der Sozialdemokratischen
Partei in der DDR beteiligt. Die IFM blieb daneben selbstständig aktiv und war an allen
Aktionen der Opposition beteiligt. IFM-Vertreter saßen auch am zentralen Runden Tisch und
in der Volkskammer. Die IFM ging im September 1991 in der Partei Bündnis 90 auf, in der
sich neben ihr und Demokratie Jetzt auch Teile des Neuen Forums zusammenschlossen.
Literatur:
Wolfgang Templin, Reinhard Weißhuhn: Die Initiative Frieden und Menschenrechte, in:
Eberhard Kuhrt (Hrsg.): Opposition in der DDR von den 70er Jahren bis zum
Zusammenbruch der SED-Herrschaft. Opladen 1999, S. 171-211;
Gerd Poppe: Begründung und Entwicklung internationaler Verbindungen, in: ebenda, S. 349377; Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. 3., überarb.,
erw. u. korrig. Aufl., München 2015;
Ders., Arno Polzin (Hrsg.): Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der
Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Göttingen 2014
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk