Freitag, 01.04.2016 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Dagmar Munck Wunderbar sinnlich Leo WEINER Csongor und Tünde – Ballet (1959 Version) Ballad for Viola and Orchestra Máté Szűcs, Viola • Jubilate Girls Choir Budapest Symphony Orchestra MÁV Valéria Csányi NAXOS 8.573491 Klangsinnig und farbenreich WALTER BRAUNFELS LIEDER SONGS MARLIS PETERSEN KONRAD JARNOT ERIC SCHNEIDER CAPRICCIO C5251 Betörende Sanglichkeit Sergei Bortkiewicz Violin Concerto in D minor Symphonic poem: Othello Royal Scottish National Orchestra Martin Yates conductor Sergey Levitin violin DUTTON CDLX 7323 Neckisch und energiegeladen Nicolas Dautricourt Dana Ciocarlie Benjamin Godard Sonates pour violon et piano APARTE AP 124 Ausbalancierter Klang und erlesene Stimmen Jan Dismas Zelenka Missa Divi Xaverii ZWV 12 Litaniae de Cancto Xaverio ZWV 156 Collegium vocale 1704 Ɛt Collegium 1704 Václav Luks ACCENT ACC 24301 Signet „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ … … dazu begrüßt Sie heute Dagmar Munck. – Die Aufnahmen, die ich Ihnen in den nächsten 90 Minuten vorstellen möchte, haben alle eins gemeinsam: Es ist Musik von Komponisten, die es in ihrer Zeit nicht leicht hatten, entweder weil Wichtigere im Scheinwerferlicht standen, weil ihre Musiksprache nicht mehr gefragt war, weil sie sich nicht gut verkaufen konnten oder schlicht weil sie zur falschen Zeit am falschen Fleck waren. Spannend, dass man ihre Musik jetzt wiederentdeckt und auch Manches aufführt, was allerdings keiner der Komponisten mehr erleben kann: Jan Dismas Zelenka nicht, der 1745 in Dresden starb, Benjamin Godard 1 1895 in Paris, Sergei Bortkiewicz 1952 in Wien und Walter Braunfels 1954 in Köln und auch nicht Leo Weiner, der erst 1960, 75-jährig in seiner Heimatstadt Budapest verstorben ist. Erstmals wurde jetzt seine Ballettmusik zu Csongor und Tünde aufgenommen, ein märchenhaftes Ballett um die Liebe des Prinzen Csongor und der Fee Tünde, für das der Dichter Vörösmarty nach Shakespeares „Sommernachtstraum“ geschielt hatte. Leo Weiner: „Endlose Liebe“ aus Csongor und Tünde 2‘15 Mit der Beschwörung der endlosen Liebe klingt das Ballett aus. 1913 hatte Leo Weiner den Auftrag, für den Klassiker der ungarischen Literatur, für Vörösmartys 1830 verfasstes dramatisches Gedicht „Csongor und Tünde“, eine neue Schauspielmusik zu schreiben. Noch im gleichen Jahr hatte er 22 Sätze für großes Orchester komponiert. Aufgeführt, wurde es nie, weil das große Projekt die Mittel des Orchesters sprengte. Weiner fasste einzelne Sätze zu Suiten und einem Ballett zusammen und 45 Jahre später nochmal 14 davon zu diesem Ballett, das 1959 erstmals aufgeführt wurde und jetzt auch zum ersten Mal aufgenommen worden ist. In seinen frühen Jahren war Weiner erfolgsverwöhnt. Er wurde während seiner Studienzeit mit Preisen für seine Kompositionen überhäuft. Die Budapester Musikakademie hat 1909 ihren gerade mal 23-jährigen Eleven zum Professor für Komposition und Kammermusik ernannt, und als solcher war und blieb Weiner eine inspirierende Institution für Generationen von Studenten, von Géza Anda, über Andor Foldes und Georg Solti bis zu György Kurtág. Um den in 1920er Jahren als „Ungarns Mendelssohn“ Gepriesenen wurde es bald still, denn die Leichtigkeit und Eleganz eines Mendelssohn war nicht mehr gefragt. Während die drei, vier Jahre älteren Kollegen Bartók und Kodaly neu tönten, schlug Weiners Herz weiter unermüdlich für die großen Klassiker und Romantiker und für die Musik seiner ungarischen Heimat. Was damals out war, darf uns heute wieder interessieren, denn es bleibt wunderbare Musik, voll origineller, fließender Melodien und süffiger Harmonien. Erstmals auf dieser CD ist auch Leo Weiners 1908 komponierte Ballade für Klarinette und Orchester op. 28 in der Fassung für Bratsche zu hören. Der Solobratscher der Berliner Philharmoniker, der Ungar Máté Szűcs, spielt sie seelenvoll. Leo Weiner: Ballade für Viola und Orchester 12‘35 Neues Altes von Leo Weiner, eine CD der Firma NAXOS mit Ersteinspielungen seines Balletts „Csongor und Tünde“ und dieser Ballade, eigentlich für Klarinette, hier für Bratsche und Orchester. Wunderbar sinnlich, farbig und lebendig gespielt von Máté Szűczs, Viola, und dem Budapester Sinfonieorchester unter Leitung der ungarischen Dirigentin Valéria Csányi. Hart getroffen hat es den Komponisten Walter Braunfels. Zwischen den Weltkriegen wurden Braunfels Opern hinter Richard Strauss noch am zweitmeisten aufgeführt, aber schon 1933 wurde er als sogenannter „Halbjude“ aller Ämter enthoben. Seine Musik durfte nicht mehr aufgeführt werden. Und nach 1945 ernannte man ihn zwar wieder zum Direktor der Kölner Musikhochschule, aber die braunen Seilschaften haben ihm das Leben und die Aufführungen seiner Werke erschwert, und zudem war seine tonale Musik out. Eine späte Erstaufführung seiner Oper „Jeanne d'arc“ war gerade in Köln zu erleben, und immer mehr tauchen seine Werke auch auf Konzertprogrammen auf. Marlis Petersen und Konrad Jarnot haben mit dem Pianisten Eric Schneider jetzt Lieder von Walter Braunfels aufgenommen: faszinierende Kleinode, durchsichtige, kostbare, wunderschöne Klänge und Entwicklungen mit großem, spätromantischen Gestus, irgendwo zwischen Strauss und 2 Korngolds süffiger Harmonik stehend, und doch ist es ganz eigene, unverkennbare Musik! Und das schon ab dem Opus 1, den 1902 komponierten Lieder des 20-jährigen Braunfels. Walter Braunfels: „An den Nachtwind“ und „Blondel“ 5‘10 Was für eine zarter, strömender Klangkosmos, den Konrad Jarnot, Bariton, und Eric Schneider, Klavier, hier hörbar selbst verzaubert, bei den ersten beiden Liedern aus Walter Braunfels Opus 1 entfalten! Und auch wenn die Lieder sehr verschieden sind, hört man seine einzigartige Tonsprache, wie bei Strauss oder Hugo Wolf, der bei der nächsten Vertonung des Liedes über die 70 Schneider aus dem Knaben Wunderhorn gelegentlich durchblitzt. Walter Braunfels: „Flussübergang“ op. 4 Nr. 6 2‘10 Heiter, spielerisch, verschmitzt und hochdramatisch – der „Flussübergang“ aus dem Knaben Wunderhorn, 1905 von Walter Braunfels komponiert und hier von Konrad Jarnot und Eric Schneider vorgetragen. Marlis Petersen ist auf dieser CD mit Vogelminiaturen vertreten, deren Texte auch auf dem Knaben Wunderhorn beruhen. In Braunfels „Federspielen“ zwitschert und schwirrt die ganze Vogelschar. Hier sind Fink, Gimpel und Kohlmeise. Walter Braunfels: „Neues Federspiel“, „Fink“, „Gimpel“ und „Kohlmeise“ 3‘00 Zu entdecken hier in „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ und beim Label CAPRICCIO – nicht nur die Vogelwelt in den Federspielen: frühe, zwischen 1904 und 1910 komponierte Liedern von Walter Braunfels, nebst zwei Liedern von 1932. Klangsinnig und farbenreich interpretiert von Marlis Petersen und Konrad Jarnot mit Eric Schneider am Klavier. Das Schicksal des nächsten jetzt wiederentdeckten Komponisten war ein gänzlich anderes: Er war unglücklicherweise immer zur falschen Zeit an der falschen Stelle: Sergei Bortkiewicz ist als Sprössling einer adeligen polnischen Familie 1877 in der Ukraine geboren. Er hat an den Konservatorien in St. Petersburg bei Ljadow und Leipzig bei dem Liszt-Schüler Reisenauer studiert und sich dann in Berlin niedergelassen. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde er als Russe ausgewiesen, floh vor der Russischen Revolution auf das elterliche Gut in die Ukraine und von dort aus völlig mittellos nach Istanbul. Über Jugoslawien und Wien – immer finanziell unterstützt von treuen Freunden – gelang ihm 1929 die Rückkehr nach Berlin, gerade als es für Komponisten russischer Herkunft wieder schwierig wurde, Konzerte zu geben und Werke zu veröffentlichen. Er ging also 1933 zurück nach Wien. Der Zweite Weltkrieg brachte ihn vollends an den Rand der Verzweiflung. Im Herbst 1945 wurde Bortkiewicz dann zumindest als Pianist gewürdigt. Man berief ihn als Leiter der Ausbildungsklasse an das Wiener Konservatorium – genau zwei Jahre vor seiner Pensionierung. Als Komponist war nach 1945 seine Zeit als bekennender Romantiker, der Atonales und Kakophones ablehnte, abgelaufen. Bortkiewicz war wirklich kein Neuerer, aber ein wunderbarer Melodiker, dessen Einfälle nur so sprudeln, in einer betörenden Sanglichkeit, mit großen, weiten Spannungsbögen. Er versteht sich auf musikalisches Geschichten Erzählen. Man folgt gespannt und fasziniert allen Handlungssträngen und muss bis zum Ende gebannt lauschen. Zwischendurch wird es auch mal geschwätzig, aber dann fängt er den Hörer wieder mit einer neuen Idee, einem neuen Aspekt ein und spinnt den Handlungsfaden fort. Ich finde, dass ist große Musik, auch wenn sie, wie die von Leo Weiner, etwas zu spät entstanden ist. Das Royal Scottish National Orchestra hat vor über 10 Jahren schon als Pioniertat die beiden Sinfonien von Bortkiewicz aufgenommen, jetzt legt es als Weltersteinspielung das sinfonische Gedicht nach Shakespeares Othello von 1914 3 und das große, 50 minütige d-Moll-Violinkonzert op. 22 vor, das Bortkiewicz auf der Suche nach einem sicheren Wohnort irgendwo zwischen Belgrad, Sofia und Wien komponiert hat. Ohne Vorspiel, nimmt die Violine den Hörer gleich mit ins Geschehen und gibt dem Orchester ausdruckskräftig und zuversichtlich das Thema vor. Sergey Levitin ist der Solist. Sergei Bortkiewicz: Violinkonzert d-Moll op. 22, 1. Satz 20‘25 Zuviel versprochen? Wohltuend in all dem romantischen Schmelz ist auch das immer wieder auftauchende clowneske Thema. Das war jetzt nur der erste Satz des Violinkonzertes in d-Moll von Sergei Bortkiewicz. Wenn Sie wissen möchten, wie die Geschichte ausgeht, dann müssen Sie diese CD des Labels DUTTON wohl selbst erwerben. Einer, der die Weite der russischen Seele kennt, und der das Geschichten Erzählen sehr offensichtlich liebt, spielt hier den Solopart: der aus Petersburg stammende Geiger Sergey Levitin. Und auch das Royal Scottish National Orchestra scheint die Farbigkeit der Musik zu genießen. Martin Yates ist der Dirigent dieser Aufnahme. Sie hören „SWR2 Treffpunkt Klassik – heute mit neuen CDs“. Etwas merkwürdig, aber eigentlich unverdächtig kommt eine neue CD mit Hits von Richard Wagner daher. Auf dem Cover ein Foto von Frida Leider, der großen Brünnhilde, aus den 20er Jahren: im Kettenhemd, mit geflügeltem Helm, Schild und Speer in der Hand. Der Blick schweift siegesbewusst in die Ferne. Aber das ist keine historische Aufnahme, niemand singt hier. Auf dieser „Best of Wagner CD“ ist vom Walkürenritt über den holden Abendstern bis zu Siegfrieds Trauermarsch alles zu finden, was man kennt und liebt, gespielt von der Blechbläserelite der deutschen Orchester, von den Wagner-Besessenen, die alljährlich ihren Sommerurlaub gegen den Orchestergraben auf dem Grünen Hügel eintauschen. Dass sich mit dieser CD auch unsere Bundeskanzlerin einen Traum verwirklicht, kann man erst – kleingedruckt – auf der vorletzten Booklet-Seite lesen. Da steht: Angela Merkel, Wagnertuba und Becken! Jetzt wissen wir ja, dass unsere Bundeskanzlerin, schon sechs Jahre bevor sie es wurde, seit 1999 eine der treuesten Besucherinnen der Bayreuther Festspiele ist. Im Interview gibt die Pfarrerstochter an, dass sie als Kind ganz bescheiden Klavier und Flöte gespielt habe. Von ihrer Begeisterung für die Wagnertuba, für das Instrument mit dem samtenen Klang, mit der aparten Klangmischung aus Waldhorn und Posaune, das sich Richard Wagner eigens für seinen Ring ausgedacht hat, verrät sie nichts, auch nicht von ihrem Traum, einmal den Walkürenritt auf der Wagnertuba mitspielen zu dürfen. Das sollte wohl auch geheim bleiben. Aber es sickerte natürlich doch durch, dass Angela Merkel vor fünf Jahren dann die Angebote der Wagnertubisten aus Bayreuth angenommen hat, sie in die Anfänge des Instruments einzuweihen. Während die Welt sich darüber zerfetzte, ob die Kanzlerin das gleiche Kleid wie vor vier Jahren trage oder ihr Ausschnitt zu viel Einblick gäbe, übte sie also Wagnertuba – den Zeitvorgaben einer Kanzlerin entsprechend, was natürlich keine schnellen Fortschritte erwarten lässt. Im vergangenen Jahr war sie dann aber schon so weit, dass sie eine Stimme mit den Profis mitspielen konnte, und die überredeten sie, gleich, während alle in Bayreuth sind, ins Studio zu gehen. Den Rest werden Sie verfolgt haben: Die Kanzlerin brach letztes Jahr mit ihrem Stuhl im Cafe zusammen. Das war am ersten Aufnahmetag dieser CD. Und es lag nicht nur am morschen Stuhl, wie berichtet wurde, sondern daran, dass Angela Merkel dieses CD-Projekt wohl doch kräftemäßig unterschätzt hatte. Das Spiel der Wagnertuba ist anstrengend, da sind trainierter Ansatz und Stütze gefragt! Trotz anerkennendem Zuspruch der Blechbläserkollegen des Festspielorchesters zog sie sich nach dem Zwischenfall wieder aus der Aufnahme zurück. Man hört also auf dieser CD Angela Merkel nur auf dem ersten 4 Track, beim Walkürenritt – etwa bis zur Mitte – danach hat sie dann den einfacheren Beckenpart übernommen – mit Schlag jeweils auf der eins. Richard Wagner / Arthur Roland Frackenpohl: Walküre, Hojotoho! Walkürenritt, bearbeitet für Blechbläser Canadian Brass Mitglieder der Berliner Philharmoniker Mitglieder des Orchesters der Bayreuther Festspiele Leitung: Edo de Waart Philips 434 109 3’15 Wagners Walkürenritt beeindruckend virtuos gespielt auf dieser CD des Labels U vom Bläserensemble der Bayreuther Festspiele, darunter – bei Track eins – auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie spielte zu Beginn Wagnertuba, dann im Finale des Walkürenritts das Becken. Großspurigkeit ist nicht die Sache unserer Kanzlerin. Während ihr Amtsvorvorvorgänger Helmut Schmidt sich damals gemeinsam mit Christoph Eschbach und Justus Franz auf dem Cover ablichten ließ bei der Aufnahme des Mozartschen Konzertes für drei Klaviere, versteckt Angela Merkel sich im Kleingedruckten. Das kann sich ja noch ändern, wenn es einen zweiten Versuch gibt, der besser klappt. Dann ist sie vielleicht im Walkürenlook mit geflügeltem Helm auf dem Cover zu sehen, die Wagnertuba an den Lippen. Nach diesem Erfolgskomponisten, dessen Werbemaschine bis heute in Bayreuth perfekt läuft, wieder zurück in die zweite Reihe – zu Benjamin Godard. Erstmals gibt es jetzt eine Aufnahme aller seiner vier Violinsonaten. Vom Geige spielen verstand Godard was. Als Geigenwunderkind und Schüler des großen Henri Vieuxtemps hätte er alle Chancen für eine steile Karriere gehabt, aber ihn hat das Komponieren mehr gelockt. Und davon ließ er sich auch nicht abbringen, als er das zweite Mal beim begehrten Rompreis leer ausgegangen ist. Aber irgendwie schaffte der als vielversprechender junger Komponist gehandelte Godard nie richtig den Durchbruch. Etwas streng kann man im allwissenden Standartwerk „Musik in Geschichte und Gegenwart“ lesen, dass er, gedrängt durch finanzielle Nöte, der Versuchung erlegen sei, ein Werk nach dem anderen zu produzieren. Sein Ideenreichtum und die Leichtigkeit, mit der er Anregungen aufgegriffen und ausgeführt habe, hätten ihn zu Werken verführt, denen es an Homogenität, Solidität und Reflexion fehle. Das kann man schon nachvollziehen, wenn man diese Violinsonaten hört. Aber es hat auch was Frisches und Nettes, sich von den wechselnden Einfällen mitnehmen zu lassen, bei denen immer wieder die Musikgeschichte der 100 Jahre zu Besuch ist. Im Internet hat die Aufnahme von Nicolas Dautricourt und Dana Ciocarlie nur eine Beurteilung bekommen, mit einem einsamen, unbegründeten Stern. Das finde ich ungerecht. Die beiden Musiker fühlen sich gut in die wechselnden Godard-Welten ein, zwischen zart, verträumt, verspielt, neckisch und energiegeladen. Benjamin Godard: Violinsonate Nr. 3 g-moll op. 9, Scherzo, Andante, Intermezzo und Allegro 17’10 Nicolas Dautricour, Violine, und Dana Ciocarlie, Klavier, mit vier Sätzen aus der dritten Violinsonate g-Moll op. 9 von Benjamin Godard. Da ist eine Menge Musik drin, vielleicht wirklich nicht ganz so stringend geordnet, wie es große Werke erfordern, eher wie sprühende Improvisationen, und ich mag es, dass hier ein paar Takte Dvořák, dort ein bisschen Schumann rauslugen und Beethoven omnipräsent ist. Auch das eine Weltersteinspielung: die vier Violinsonaten von Benjamin erschienen beim Label APARTE. 5 Unter Weltersteinspielungen machen wir es auch bei der nächsten neuen CD hier in SWR2 Treffpunkt Klassik nicht. Bei so vielen verkannten und vergessenen Komponisten ist das auch nicht so schwer. Vielleicht ist der Sättigungsrad des CD-Marktes mit bekannten Stücken inzwischen so groß, dass auch Musiker anfangen, mehr nach verborgenen Schätzen zu suchen – wobei die sich dann natürlich trotzdem kaum verkaufen. Auch auf Jan Dismas Zelenka fiel ein großer Schatten: posthum bis heute der des gleichaltrigen Johann Sebastian Bach, der ja wiederum auch erst wiederentdeckt werden musste, was aber Mendelssohn schon gelungen ist, und dann der Johann Adolf Hasses. Der Böhme Zelenka hatte den Dresdener Hofkapellmeister Heinichen während seiner Krankheit vertreten und darauf spekuliert, sein Nachfolger zu werden, aber dazu ernannte Kurfürst Friedrich August II Hasse. Der Katholik Zelenka hatte sich mit der weniger attraktiven Stellung als Hofkomponist zu bescheiden und als „Kirchen-Compositeur“. Und da war auch einiges zu tun, denn der Kurfürst war – inmitten einer protestantischen Umgebung – katholisch, um auch die Krone des König von Polen tragen zu können. Und natürlich sollte in seiner katholischen Hofkirche auch adäquate Musik gespielt werden. Glück für uns, denn uns wären sonst seine wunderbaren Kirchenmusikwerke entgangen, darunter alleine 21 Messen. In den 80er Jahren hat Frieder Bernius erstmals Messen von Zelenka wieder aufgeführt. Seit einigen Jahren hat ihn auch sein böhmischer Landsmann Václav Luks für sich und sein Collegium 1704 wiederentdeckt und faszinierend musikantische Aufnahmen vorgelegt. Seine neue CD ist bereits seine vierte CD mit geistlicher Musik von Zelenka, eine Missa und eine Litanei zu Ehren des heiligen Franz Xaver, den die Gattin des Kurfürsten zum persönlichen Schutzheiligen erklärt hatte. Zelenka hat diese großbesetzte, festliche und freudige Messe 1729 komponiert, als er noch guter Hoffnung auf das Kapellmeisteramt war. Jan Dismas Zelenka: Missa Divi Xaverii, Kyrie eleison aus 9‘35 Das Kyrie aus der Missa Divi Xaverii von Jan Dismas Zelenka. – Vier Trompeten, zwei Flöten, zwei Oboen, Fagott, Violinen und Alt- und Tenorviola wurden anno 1729 aufgeboten nebst Basso continuo. Die Aufführung mit den Dresdener Sängerstars und Instrumentalvirtuosen muss ein Ereignis gewesen sein. Schade, dass man sich das nur vorstellen und nicht klanglich mit dieser Aufnahme vergleichen kann. Für mich ist diese Aufführung von Václav Luks mit seinem Ensembles 1704 nicht zu überbieten in ihrer Strahlkraft, Vitalität und Reinheit, im ausbalancierten Klang und mit den erlesenen Stimmen, allen voran die Sopranistin Hana Blazikova. Mehr als bei anderen Messen, erlaubt sich Zelenka hier ausgedehnte Orchestereinleitungen, kostet alle Sätze würdig aus. Das alles zu Ehren des heiligen Franz Xaver, der sich allerdings bei der Kürfürstengattin bedankt zu haben scheint: Neun Monate nach der Aufführung dieser prächtigen Messe brachte sie den erflehten gesunden Stammhalter zu Welt. Hier zum Schluss von SWR2 Treffpunkt Klassik noch ein jubelndes Hosanna in der Höhe. Jan Dismas Zelenka: Missa Divi Xaverii, Hosanna 1‘40 Eine erlesene Aufnahme der Messe und der Litanei für den heiligen Franz Xaver von Jan Dismas Zelenka mit dem Collegium vocale 1704 und dem Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks, gerade erschienen bei dem Label Accent. Das war Treffpunkt Klassik heute mit neuen CDs. Am Mikrophon verabschiedet sich Dagmar Munck. 6
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