Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Mit Greifvögeln auf der Jagd
Die Geschichte der Falknerei
Von Pia Fruth
Sendung: Dienstag, 5. April 2016
Redaktion: Udo Zindel
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
Service:
SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter
www.swr2.de
Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im
sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende
"App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B.
die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen
Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder
Plugins zum Betrachten von E-Books:
Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR
Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro.
Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Bestellungen per E-Mail: [email protected]
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
AT: Auto hält
Erzählerin:
Es ist ein nasskalter Tag Ende Februar. Am Ortsrand von Tübingen, direkt neben der
stark befahrenen Bundesstraße 28, hält ein schwarzer Geländewagen mit Freiburger
Kennzeichen. Ein großer schlanker Mann steigt aus und öffnet die Heckklappe. Im
Laderaum hockt ein Wanderfalken-Weibchen auf einer Stange.
OT 01: Niels Meyer-Först (Falkner, Buchenheim)
Der Wanderfalke ist ja ein Vogeljäger, und das kann man am Fuß erkennen: Die
Mittelzehe ist viel, viel länger als die anderen Zehen. Und das hat zum Beispiel auch
der Sperber. Also alle Greifvögel, die Vogeljäger sind, haben diese lange Mittelzehe.
Die brauchen sie, um Vögel fangen zu können.
AT: Treffpunkt Schützenhaus
Zitator:
Ein Raubvogel ist ein Thier, das rasch fliegt, aber mittelmäßig laufft,
krumme Klauen und Bec hat, und von den lebendigen Thieren sich
atzt, und lebt, welche er fängt. Friedrich II, Stauferkaiser.
OT 02: Niels Meyer-Först
Der Wanderfalke ist der schnellste Vogel überhaupt. Der erreicht bis
zu 400 Stundenkilometern im Sturzflug auf seine Beute.
Ansage:
Mit Greifvögeln auf der Jagd. Die Geschichte der Falknerei.
Eine Sendung von Pia Fruth.
OT 03: Niels Meyer-Först
Man kann mit dem Wanderfalken als Falkner Enten fangen, Fasane,
Rebhühner, Krähen, Möwen - also fast alles an Wild, was fliegt und noch ins
Beutespektrum des Falken passt.
Erzählerin:
Die Schwingen des Jagdvogels schimmern grau, die Federn an Bauch und Beinen
sind creme-braun gesprenkelt. Eine Art lederner Mütze, die „Falkenhaube“, nimmt
dem Vogel die Sicht. Nur sein scharfgekrümmter Schnabel ragt zwischen den
Augenklappen heraus.
Zitator:
Der Bec und die Nasen-Löcher sollen herausstehen, damit er ohne Hinderniß Athem
holen könne. Oben auf dem Kopff soll sie ein oder auch mehr Löcher haben, die
dazu dienen, daß ihm die Haube nicht zu viel Hitz mache.
AT: Allgemein vor der Jagd
2
Erzählerin:
Der Freiburger Falkner Niels Meyer-Först hat seinen weiblichen Wanderfalken
speziell auf Krähen abgerichtet und ihn „Strawberry“, zu deutsch: „Erdbeere“,
genannt.
AT: Allgemein zwischen Straße und Wald
OT 04: Niels Meyer-Först
Der Vogel heißt "Strawberry", weil er vornehmlich auf Erdbeerfeldern Saatkrähen
vergrämt. Eigentlich ein Ausdruck, der aus der Jägersprache kommt. Also man
vergrämt Wild, damit es bestimmte Orte nicht aufsucht. Also man will in dem Fall
eben den Krähen es sehr ungemütlich gestalten, indem man mit dem Fressfeind
kommt, Angst verbreitet und hofft, dass die Krähen dann diesen Ort für eine gewisse
Zeit einfach meiden.
Erzählerin:
Rund um Tübingen sind nicht die unter Naturschutz stehenden Saatkrähen eine
echte Plage, sondern deren nahe „Verwandte“, die Rabenkrähen – die nicht unter
Schutz stehen. Darum hat Gerald Wölz, der hier ein Jagdrevier gepachtet hat, den
Falkner und seine „Strawberry“ eingeladen.
OT 05: Falkner und Jäger
Ich habe eigentlich immer Krähen im Revier ... Ja .... Ich habe zwei Biogasanlagen
oben, die haben große Silos. Dort halten sie sich eigentlich meistens auf, weil dort
halt das meiste Futter ist ... Hmmm ... Von daher: Auswahl ist genug. Weil ich möchte
Ihnen ja auch was bieten ... (Lachen)
Musik 02: Rimsky-Korsakow: Scheherazade
Erzählerin:
Wo und wann die Falknerei entstanden ist, liegt im Dunkeln. Manche Historiker
siedeln ihre Ursprünge im Orient an, an den Höfen mächtiger, reicher Herrscher.
Andere gehen davon aus, dass Menschen verschiedener Erdteile zu
unterschiedlichen Zeiten wilde Greifvögel für die Jagd abgerichtet haben.
OT 06: Prof. Dr. Michael Menzel (Mittelalterhistoriker, Uni Berlin)
Die Quellenlage ist natürlich sehr dürftig. Aber man weiß, dass man ungefähr um das
Jahr zweitausend vor Christus davon ausgehen kann, dass diese Jagdmethode
bekannt war. Am frühesten nachweisen lässt sich das nördlich des Kaukasus. Auf
historisch sicherem Boden sind wir ungefähr ab dem achten vorchristlichen
Jahrhundert. Da lässt sich das eindeutig bei den Skythen und den Persern
nachweisen.
Erzählerin:
Michael Menzel ist Professor für Geschichte des Mittelalters an der Berliner
Humboldt-Universität. Er hat sich intensiv mit der Entwicklung der Falknerei
beschäftigt. Denn sie erfährt ihre Blütezeit auf europäischem Boden tatsächlich im
ausgehenden Mittelalter, zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert nach Christus.
Damals steht der Falke im Minnesang als Symbol für die Geliebte, wie im berühmten
3
„Falkenlied“ des Kürenbergers. Der Musiker Knud Seckel leitet ein Ensemble für
mittalterliche Musik und hat dieses Minnegedicht vertont.
Musik 03: Ich zoch mir eynen falcken
Erzählerin:
Die Falkner des Mittelalters beginnen auch den bis heute gebräuchlichen Begriff
„Beizjagd“ für die Vogeljagd zu verwenden. Als der deutsche Adel das Jagdprivileg
für sich allein beansprucht und alle anderen Stände von der Jagd ausschließt.
OT 07: Prof. Dr. Michael Menzel
Das kommt ganz im Gegensatz zur lateinischen Literatur des Mittelalters eben nicht
aus dem Lateinischen, sondern aus dem Althochdeutschen. Und "Beiz" würde man
modernsprachlich mit "beißen" übersetzen. Und das natürlich auf die Vögel bezogen:
Sie sollen jagen und von ihrem Schnabel Gebrauch machen.
Erzählerin:
Ein herausragender Liebhaber der Beizjagd ist der Stauferkaiser Friedrich II. Er
bringt nicht nur die bis heute verwendete, lederne Falkenhaube von einem seiner
Kreuzzüge mit. Er schreibt Mitte des 13. Jahrhunderts auch ein sechsbändiges
wissenschaftliches Lehrbuch über Greifvögel: De arte venandi cum avibus – Von der
Kunst mit Vögeln zu jagen.
OT 08: Prof. Dr. Michael Menzel
Er ist ja am normannischen Hof großgeworden in Süditalien. Und Friedrich II. hatte
einen sehr sehr starken Impetus seitens der Naturwissenschaft, würde man heute
sagen. Das ist eine richtige, veritable Ornithologie, die er da entworfen hat. Nicht nur
mit den Greifvögeln, sondern eben auch mit den Beutetieren, deren Gewohnheiten.
Die hat er eingeteilt. Und welche Greifvögel welche Beutetiere jagen und so weiter.
Also er hat wirklich einen umfassenden Einstieg in das Naturgeschehen gesucht.
Also nicht nur die reine Jagdpraxis als adliges Vergnügen.
Erzählerin:
Auch Karl-Heinz Gersmann in Schwäbisch Gmünd, rund 50 Kilometer östlich von
Stuttgart, ist Falkner aus Leidenschaft. Und das schon seit über 50 Jahren. In seinen
Bücherregalen reihen sich meterlang in Leder und Leinen gebundene Bücher über
die Beizjagd und ihre Geschichte. Für ihn ist und bleibt dabei das wichtigste Buch
aller Zeiten das mittelalterliche Werk des Stauferkaisers, das im 18. Jahrhundert
erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.
OT 09: Karl-Heinz Gersmann (Falkner, Schwäbisch Gmünd)
Und es ist überhaupt nicht durch die moderne Zeit überholt. Sie können so detailliert
nachlesen, wie in keinem anderen Buch, was es zu beachten gilt, wenn man mit
einem Falken durch eine Tür geht, zum Beispiel, dass er sich nicht erschreckt und
nicht seine Federn, wenn er abspringt, verletzt. Friedrich II. beschreibt das
abschnittweise alles ganz detailliert und genau, worauf man achten muss, wenn es
regnet, wenn es windig ist, wenn man mit seinem Falken rausgeht. Es gibt kein
anderes vergleichbares Buch, wo es jemals wieder so detailliert beschrieben wurde.
4
Zitator:
Unsere Absicht aber ist es, in diesem Werk über die Beize die Dinge, die sind, so wie
sie sind, darzustellen und dem den Rang einer Kunst zu sichern, wovon keiner bisher
Wissen besaß und das noch keiner als Kunst angesehen hat.
Erzählerin:
Die Beizjagd als Kunst im Sinne der mittelalterlichen „Artes Mechanicae“ als
Kunstfertigkeit also zu betrachten, mag für die damalige Zeit neu gewesen sein.
Doch als Jagdform ist sie in Indien, China und Babylonien schon lange bekannt. Im
13. Jahrhundert schildert der venezianische Händler Marco Polo zum Beispiel eine
eindrucksvolle traditionelle Jagd am Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan.
Begleitet wird er dabei von 10.000 Falknern. Sie haben neben Falken auch Sperber
dabei und Habichte, um Kleinwild an den Flüssen und in der Luft zu jagen. Und
Adler, um Wölfe zu töten.
Mag sein, dass Marco Polo, von der eigenen Begeisterung übermannt, bei der Zahl
der Falkner und ihrer Vögel ein wenig übertrieben hat. Tatsächlich aber werden
Steinadler von Mongolen und Turkvölkern bis heute zur Wolfsjagd eingesetzt. Adler
sind geschickte Jäger. Sie können mit ihren Klauen dreieinhalb mal so fest zugreifen
wie ein Mensch – und damit mühelos die Schädelknochen eines Wolfes
durchbohren. Mit bis zu sieben Kilogramm Gewicht und einer Flügelspannweite von
zwei Metern und mehr zählen Steinadler zu den imposantesten und gefährlichsten
Greifvögeln der Welt.
Musik 01: Harfe Byrd on a brere
Zitator:
Weil aber die Raubvögel von Natur den Menschen scheuen, dann sie fürchten, sie
mögen von ihm gefangen werden, so entfernen sie sich allezeit von den Menschen.
Deswegen haben wir Kunst und einen Kunsterfahrenen nöthig, wodurch die
Raubvögel dahin gebracht werden, daß sie mit dem Mann gemein werden, und
wieder zu ihm kommen, welche Art mit der Zeit und durch beständiges Anhalten zu
einer Fertigkeit, Gewohnheit und anderen Natur wird.
AT: Allgemein vor der Jagd
Erzählerin:
Am Ortsrand von Tübingen beginnt Falkner Niels Meyer-Först, die anstehende
Krähenjagd vorzubereiten. Außer dem Revierpächter sind noch drei andere Tübinger
Falkner erschienen, Neulinge des Ausbildungsjahrgangs 2015, darunter Ulrich
Maurer:
OT 12: Ulrich Maurer (Falkner)
Ich bin hier Förster in der Region und habe jetzt erst vor ein paar Tagen die
Falknerprüfung ganz frisch gemacht. Und deshalb sind wir gottfroh, wenn wir von so
einem alten Hasen immer wieder lernen können. Weil selbstverständlich ist das
heute leider nicht mehr.
5
Erzählerin:
Neben Ulrich Maurer und seiner Frau Birgit ist der Tübinger Geografie-Student Wulf
Klapproth der dritte im Bunde der neuen Falkner. Den Jagdschein, der
Grundvoraussetzung für die Falknerausbildung ist, hat er schon seit ein paar Jahren.
OT 13: Wulf Klapproth (Falkner)
Die Jägerei ist in meiner Familie sehr stark vertreten. Selbst meine Großmutter ist
Jägerin. Es gab aber noch keinen Falkner. Und damit war das für mich natürlich ein
Ziel. Das Schwierigste war für mich die Greifvogelkunde. Da gibt es unglaublich viele
Arten. Und man kann unglaublich viel lernen.
Erzählerin:
Die Wanderfalken-Dame „Strawberry“ sitzt noch immer entspannt auf ihrer Stange im
Auto. Sie hat an diesem Tag das ideale Jagdgewicht von 950 Gramm. Etwas mehr
als ein männlicher Vogel, ein so genannter „Terzel“, auf die Waage bringen würde.
Denn wie bei fast allen Greifvögeln sind auch Wanderfalken-Weibchen größer und
schwerer als die Männchen. Niels Meyer-Först zieht einen dicken Lederhandschuh
über seine Linke und lässt Strawberry auf seine Faust klettern.
AT: Allgemein vor der Jagd
OT 14: Niels Meyer-Först
Also jetzt wird der Vogel vorbereitet für die Jagd, der kriegt jetzt einen kleinen
Funksender an den Fuß montiert. Falls er wegfliegen sollte, dass ich ihn mit einer
Peilanlage wieder finden kann. (Piepsen) ... Also das ist jetzt der Sender, der da das
Geräusch macht. Und so hört sich das an, wenn man den Vogel nachher suchen
sollte. Und dann kriegt er noch ein kleines Glöckchen an den Fuß gebunden.
Zitator:
Die Bell ist von Erz, und soll hell klingen, und soll groß oder klein seyn nach der
Grösse des Vogels. Sie wird also angemacht, daß sie den Fuß nicht klemme, noch
weit herabhange, sondern nahe bey dem Schienbein.
OT 15: Niels Meyer-Först
So ein Glöckchen ist immer ganz hilfreich, wenn der Vogel Beute gemacht hat und
man findet ihn nicht gleich am Boden. Wenn er rupft und frisst, dann bewegt er sich
und dann klingelt es.
Erzählerin:
Strawberry hackt mit dem Schnabel einmal nach dem Glöckchen an ihrem Fuß.
Dann schüttelt sie ihr Gefieder. Die gesprenkelten Federn an den Beinen sträuben
sich kurz zu einer Art Pluderhose. Dann liegen sie wieder glatt am Körper an und der
Vogel balanciert ruhig auf dem Lederhandschuh des Falkners. Strawberry kennt die
Jagdroutine. Sie ist mit sieben Lebensjahren eine erfahrene Jägerin, auf dem
Höhepunkt ihrer Kraft und Ausdauer. Und sie spürt die gespannte Unruhe der
Menschen, ihre Vorfreude, das Adrenalin.
OT 16: Wulf Klapproth
Man steht jetzt halt hier draußen und man sieht wirklich wie der Jagdflug ist. Und das
ist eine Jagd mit einem Tier. Das ist nichts, was man befiehlt. Das ist nichts, was
6
man beeinflussen kann in der Hinsicht. Und deswegen ist das für mich Natur pur.
Das ist für mich Natur pur!!
Musik 04: Mein alter Falke
Erzählerin:
Die Tradition der Beizjagd gelangt mit der Völkerwanderung, und in einer zweiten
Welle im 8. Jahrhundert nach Christus über die Iberische Halbinsel nach WestEuropa, erklärt der Historiker Michael Menzel.
OT 17: Prof. Dr. Michael Menzel
Festmachen kann man das an den Ostgoten und den Vandalen, die über die Gebiete
des heutigen Deutschland, Frankreich, bis nach Spanien hinein die Beizjagd
verbreitet haben. Die Vandalen sogar bis nach Nordafrika. Und ein zweiter
Rezeptionsweg ist dann etwas später unter der Ausbreitung des Islam passiert. Die
kannten eben auch aus dem Nahen Osten die Beizjagd und haben sie mitgebracht.
Also auf zwei Wegen: nördlich und südlich des Mittelmeeres.
Erzählerin:
In Europa trifft die exotische Jagdmethode den Nerv der Zeit. Nicht nur der elegante
Jagdflug der Greifvögel hat es dem europäischen Adel angetan. Auch das Prestige,
das mit dem Besitz der kostbaren Vögel einhergeht.
OT 18: Prof. Dr. Michael Menzel
Also diese Tiere waren ja sehr, sehr teuer. Man brauchte eine Ausstattung mit
Pferden, mit Jagdknechten und so weiter. Das hatte etwas sehr Repräsentatives.
Und darum hat der europäische Adel das sehr gerne aufgegriffen.
Erzählerin:
Im Heiligen Römischen Reich schließlich steigt der Bedarf an Falken mit dem
Bedürfnis, kaiserliche und königliche Macht zur Schau zu stellen. Der Besitz
möglichst vieler und möglichst exotischer Tiere ist gleichbedeutend mit Reichtum und
politischem Einfluss. Im großen Stil beginnen kommerzielle Falkner darum, frisch
geschlüpfte, wilde Greifvögel „auszuhorsten“, also ihren Vogeleltern aus dem Nest zu
stehlen. Sie fangen auch erwachsene, wilde Greifvögel, um sie zu zähmen und vor
allem zu verkaufen oder zu verschenken. Beizvögel sind als diplomatische und
politische Geschenke beliebt. Zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert werden
allein auf Befehl des dänischen Königshauses über sechseinhalbtausend Falken in
Island und Norwegen gefangen und europaweit an die Herrscherhäuser verschenkt.
OT 19: Prof. Dr. Michael Menzel
Zum Beispiel der Deutsche Orden im späteren Preußen hat schwunghaft mit Falken
gehandelt. Das war durchaus eine Einnahmequelle damals, weil das eben
Luxusware war. Und eine einmalige Überlieferung haben wir auch aus der
Hansestadt Lübeck, die jährlich dem Kaiser ich weiß nicht vier bis fünf Falken
schuldete, irgendwo aus dem skandinavischen Bereich.
Erzählerin:
Seit Menschengedenken werden wilde Greifvögel gefangen und zur Jagd
abgerichtet. Auch in Arabien, wo die Beizjagd schon früher bekannt war als in
7
Europa, erzählt Karl-Heinz Gersmann, der Falkner mit den vielen Büchern. Aber:
Anders als die pompösen Falknereien an europäischen Adelshöfen mit bis zu 50
Berufsfalknern, gehen die Beduinen, die traditionellen Falkner Arabiens, umsichtiger
mit ihren Jagdgefährten um.
OT 20: Karl-Heinz Gersmann
Die haben Falken auf dem Zug gefangen, wenn unsere Falken beispielswiese von
Europa, Nordeuropa, Sibirien über die Türkei, über den Sinai in die Wüste
gekommen sind, die da eben überwintert haben in Afrika.
Zitator:
In dem Herbst und Winter aber halten sie sich in grösserer Menge in den warmen
Ländern auf, weil in denselben die Luft temperirter ist als in den kalten, und auch die
andern Vögel, welche sie fangen, in solchen Ländern dann häufiger sind.
OT 21: Karl-Heinz Gersmann
Dann haben die dort die Falken gefangen und mit diesen Falken dann auf die
Beutevögel, die eben dort im Winterquartier waren, gejagt. Das haben die so lange
gemacht, bis die Beutevögel wieder gen Norden gezogen sind in ihre Brutgebiete,
nämlich zu uns oder eben nördliche Regionen und dann haben die die Falken auch
wieder fliegen gelassen.
Erzählerin:
In Europa werden die Greifvögel dagegen beinahe ausgerottet, bis die Beizjagd aus
der Mode kommt und anderen Jagdformen Platz macht.
OT 22: Prof. Dr. Michael Menzel
Und gänzlich zurückgetreten ist sie dann durch die Feuerwaffen. Und zwar im
Wesentlichen Ende des 19. Jahrhunderts durch die streuenden Feuerwaffen - also
Schrot. Mit einem einzelnen Kugelschuss kann man ja keinen Vogel vom Himmel
holen. Aber streuende Feuerwaffen waren dann die Technik, die die Beizjagd
überflüssig machte.
Erzählerin:
Nur ganz langsam erholen sich die Greifvogelbestände wieder. Wanderfalken etwa
galten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als nahezu ausgestorben. Neben den
Aushorstungen waren dafür vor allem Umweltgifte verantwortlich. Auch Steinadler,
die einst überall in Deutschland heimisch waren, stehen auf der Roten Liste. Nur in
den Alpen gilt ihr Bestand mit insgesamt 48 Brutpaaren als stabil. Falknerei- und
Naturschutzverbände arbeiten seit den 40er-Jahren deshalb intensiv am Schutz
bedrohter Greifvogelarten.
AT: Auf der Jagd
Erzählerin:
Die Jagdgesellschaft um den Falkner Niels Meyer-Först hat einen Krähenschwarm
auf einer Streuobstwiese in der Nähe der Biogasanlage entdeckt. Gut 20
Rabenkrähen hocken wie schwarze Flecken im Gras. Rasch streift der Falkner
seinem Vogel die Haube ab und „Strawberry“ schießt ohne zu zögern wie ein Pfeil
von der Faust. Ein hellgrauer, leise klingelnder Schatten.
8
AT: Rätsche
Erzählerin:
Die aufgestörten Krähen suchen Schutz in den umliegenden Obstbäumen. Doch der
Falkner scheucht sie mit einer Rätsche wieder weg. Gebannt schauen die FalknerNeulinge zu, wie der Falke eine der Rabenkrähen im Flug am Flügel packt.
OT 23: Birgit Maurer
Aufregend. Einfach aufregend. Oh ja - da spürt man das Adrenalin.
AT: Piepsen Peilsender
Erzählerin:
Wenig später kehrt der Falkner mit seinem Vogel auf der Faust zur Gruppe zurück.
Außer Atem, aber ohne Beute. Die Krähen waren diesmal schneller.
AT: Trommeln einzeln
OT 24: SZENE Bisschen enttäuscht alle durcheinander:
... Schade jetzt, weil jetzt hätte ich gedacht ... er war nah dran ... machsch nochmal,
oder? Einmal war er sogar am Boden ... jetzt war das mehr spielerisch ... Er macht
das gerne ... Ja, jetzt schaun wir mal ...
AT: Mittelalterlicher Markt
Musik 03: Ich zoch mir eynen Falcken
AT: LKW innen mit Vögeln
Erzählerin:
Auch die Falknerin Vanessa Müller ist mit ihren Vögeln unterwegs. Ihre mobile
Falknerei „Garuda“ aus Weil im Schönbuch hat einen Auftrag auf einem
Mittelaltermarkt im nahe gelegenen Horb am Neckar. In der Morgendämmerung hat
die junge Falknerin Eulen, Falken und Adler in den Laderaum ihres Autos gepackt.
Jetzt trägt sie Vogel um Vogel lederbehandschuht durch leichten Schneeregen nach
draußen. Leise spricht sie mit den Tieren, streichelt sie und setzt sie schließlich auf
kleinen Podesten ab. Währenddessen haben ihre Helfer ein mittelalterlich
anmutendes Zeltlager aus bunten Stoffbahnen, Wimpeln, und Fellen aufgebaut,
möbliert mit Holzstühlen und einer schweren Truhe. Ein weißer Schäferhund hat sich
quer vor die Füße der jungen Frau ins Trockene gelegt. Vanessa Müller zupft ihr
bodenlanges, moosgrünes Gewand in Form. Um die Taille hat sie eine Ledercorsage
geschnürt, um den Hals trägt sie ein Fuchsfell. Besorgt schaut sie in den Himmel und
auf ihre Vögel.
AT: Allgemein Markt
OT 25: Vanessa Müller (Falknerin, Weil im Schönbuch)
Die sind schon ein bisschen wasserfest. Aber nicht so wie eine Ente. Also wenn sie
mal ganz nass sind, dann isses auch nichts mehr.
9
Zitator:
Ein Zeichen dessen ist, daß der Falck sich öfters schüttelt, damit das Wasser desto
geschwinder herabfalle, und er trocken werde.
AT: Trommeln
Musik 01: Byrd On A Brere, Harfe
Erzählerin:
Vanessa Müller ist Anfang dreißig und hat sich 2014 als Berufs-Falknerin
selbstständig gemacht. Jeden Tag trainiert sie ihre insgesamt 15 Vögel, fährt mit
ihnen zur Jagd. Oder – wenn es gut läuft – zu bezahlten Flugvorführungen. Dann
und wann vergrämt sie auch am Stuttgarter Flughafen Krähen und Tauben zur
Sicherung des Luftverkehrs. Sie lebt von der Arbeit mit ihren Vögeln. Dabei war das
am Anfang gar nicht geplant, erzählt sie, während die Schneeeule „Bijou“ lauthals um
Futter bettelt.
OT 26: Vanessa Müller
Es gab weder Falkner noch Jäger in meiner Familie. Und ich fand es einfach deshalb
faszinierend, weil der Greifvogel, wenn der mal in der Luft ist, kann ich ja nicht mehr
großartig mit dem diskutieren. Sondern der will das entweder oder er will es eben
nicht. Ich hab dann mit 19 einen Jagdschein gemacht und einen Falknerschein.
Irgendwann hatte ich dann auch ein, zwei eigene Vögel. Und irgendwann war es
dann soweit, dass ich gesagt habe: Ich habe so viele eigene Vorstellungen, wie ich
meine Vögel behandeln möchte, wie die gehalten werden sollen, wie das ablaufen
soll. Auch wenn einer krank wird, dann kriegt er einen Doktor und wird nicht einfach
ersetzt. Und dann habe ich mich selbstständig gemacht.
Erzählerin:
Draußen hat der Schneeregen inzwischen aufgehört. Die ersten Marktbesucher
bleiben bei den Vögeln stehen. Die braune Uhu-Dame „Tweety“ mustert das Treiben
aus kreisrunden orangefarbenen Augen. Und die Falknerin streift sich den
Lederhandschuh über. Zeit zu arbeiten, sagt sie.
OT 27: Vanessa Müller
Also ich habe einen ganz engen Bezug zu meinen Vögeln, auch wenn der ganz
anders ist, als man es jetzt zu einem Hund oder zu einem Pferd aufbaut, weil es
eben kein sozialer Kontakt ist. Ich bezeichne sie jetzt nicht als meine Kinder, sondern
eher als meine Mitarbeiter. Wir arbeiten zusammen, versuchen immer möglichst
höflich miteinander umzugehen. Wenn man das beim Vogel macht, dann macht er
das im Normalfall auch. Wenn er das richtige Gehalt bei mir bekommt, hat er auch
keinen Grund, die Arbeitsstelle zu wechseln. Von demher: Bis jetzt habe ich glaube
ich einen ganz guten Job gemacht.
AT: Anfang Falknershow
Erzählerin:
Von Vanessa Müllers behandschuhter Faust fliegen die Eulen „Bijou“ und „Tweety“,
der Wüstenbussard „Pyro“ und sogar ein Weißkopfseeadler dicht über den Köpfen
der Zuschauer, die am Ende der Vorführung beeindruckt klatschen. Sie haben
10
begriffen dass Greifvögel Einzelgänger sind, die sich nicht wie Zirkustiere dressieren
lassen. Auch in einer Flugvorführung klappt längst nicht immer alles. Außerdem
haben sie gelernt, dass man an der Augenfarbe von Uhus erkennen kann, zu
welchen Tageszeiten die Tiere jagen: Je heller die Iris, um so besser kann der Vogel
bei Dunkelheit sehen. Sie haben die scharfen Krallen aus nächster Nähe gesehen
und den winzigen afrikanischen Milchuhu „Bruce“ auf ihrer Faust halten dürfen. Auch
das gehört zur Falknerei, sagt Vanessa Müller, als sie wieder zurück ins Zelt kommt.
Aufklärung als Show. Denn die Falknerei als Jagdform hat nicht überall einen guten
Ruf, wird von Tierschützern sogar manchmal als blutiges, sinnloses Spektakel
verurteilt. Verstehen kann Vanessa Müller diese Vorwürfe gegen Falkner und ihre
Beizvögel allerdings nicht.
OT 28: Vanessa Müller
Die machen nur, was sie normalerweise auch tun. Und dabei ist ihnen eigentlich
auch ziemlich egal, was der Falkner will, was er denkt und was er davon hat.
Hauptsächlich interessiert sie, was sie davon haben.
AT: Allgemein bei B28
OT 29: Wulf Klapproth
Jagd ist - auch die Falknerei - immer rausgehen und in der Natur leben, mit der Natur
leben, sie kennen und sehen. Und das bedeutet nicht automatisch, dass man Beute
macht, sondern es kann auch sein, dass es erfolglos bleibt. Das ist in der Natur nicht
anders. Auch die Vögel jagen mehrmals Beute an. Und in der Hinsicht sind wir da
sehr naturnah.
Erzählerin:
Geografie-Student und Jung-Falkner Wulf Klapproth hat an diesem Jagdtag mit Niels
Mayer-Först und seinem Wanderfalken „Strawberry“ auch viel gelernt. Selbst wenn
sie keine Beute gemacht haben.
Zitator:
Die ars darf sowenig wie die mit ihr verbundene Mühe verdrießen. Wer sie ausübt,
muss sie vielmehr lieben, und zwar so ausdauernd, dass er ihr auch im hohen Alter
nicht weniger zugetan ist.
Erzählerin:
Am Ende darf der Vogel eine tote Krähe rupfen und fressen, die der Falkner
mitgebracht hat. Gerade so viel, dass zwar der Jagdwille belohnt, der Vogel aber
trotzdem nicht daran gewöhnt wird, nur noch vom Menschen gefüttert zu werden.
AT: Falke auf Krähe / Falke rupft und frisst
Erzählerin:
Nach ein paar Minuten sieht man, wie der Hals des Vogels ein wenig anschwillt. Im
verhältnismäßig kleinen Magen fast aller Greifvögel ist zu wenig Platz für üppige
Mahlzeiten. Darum speichern sie die Nahrung in einem Kropf, einer Aussackung der
Speiseröhre, und fressen sie über einen längeren Zeitraum portionsweise. An
Strawberrys blutverschmiertem Schnabel kleben ein paar flaumige Federn. Die
11
großen dunklen Augen beobachten noch immer aufmerksam das Gelände. Aber
Krähen sind weit und breit keine mehr zu sehen.
Musik 01: Byrd On A Brere
Musik 04: Mein alter Falke
Erzählerin:
Falkner gehen mit ihren Tieren auf vielerlei Weise um. Die einen präsentieren sie
stolz bei Greifvogelschauen, andere lassen sie von ihrer Faust herunter jagen.
Wieder andere lassen – wie der Literatursammler Karl-Heinz Gersmann –
sogenannte Anwärterfalken fliegen. Die Vögel bleiben hoch in der Luft stehen, um
sich dann im Sturzflug auf Beute zu stürzen, die der Mensch ihnen mit einem
Jagdhund zutreibt. Es gibt aber auch Falkner, die Auffangstationen für verletzte
Vögel betreiben, bedrohte Arten nachzüchten und wieder auswildern. Karl-Heinz
Gersmann hat darum einen Antrag zur Aufnahme der Falknerei in die Liste des
Immateriellen Unesco-Kulturerbes gestellt, mit Erfolg, jedenfalls in Deutschland.
Ende 2016 wird über die Aufnahme in die Internationale Liste entschieden.
OT 30: Karl-Heinz Gersmann
Das ist die Idee dahinter: Dass die Völker zuammenarbeiten, sich begegnen in
diesen Kulturzweigen und so weiter. Und das ist natürlich in der Falknerei extrem.
Also auch wenn man unterschiedliche Sprachen spricht. Im Grunde genommen sind
wir doch auf einer Wellenlänge. Und Falkner sind im Prinzip fast alle gleich. Haben
den gleichen Vogel. Nicht nur auf der Faust (lacht) ...
Zitator:
Die Edlen und Mächtigen dieser Erde, mit den Pflichten der Herrschaft belastet,
können durch die Ausübung dieser Kunst wohltuende Ablenkung von ihren Sorgen
finden. Die Armen aber und weniger Vornehmen werden ihren Lebensunterhalt
finden, und allen wird bei der Ausübung dieser Kunst das Wirken der Natur in den
Vögeln offenbar werden.
*****
12