SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Mit Greifvögeln auf der Jagd Die Geschichte der Falknerei Von Pia Fruth Sendung: Dienstag, 5. April 2016 Redaktion: Udo Zindel Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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Im Laderaum hockt ein Wanderfalken-Weibchen auf einer Stange. OT 01: Niels Meyer-Först (Falkner, Buchenheim) Der Wanderfalke ist ja ein Vogeljäger, und das kann man am Fuß erkennen: Die Mittelzehe ist viel, viel länger als die anderen Zehen. Und das hat zum Beispiel auch der Sperber. Also alle Greifvögel, die Vogeljäger sind, haben diese lange Mittelzehe. Die brauchen sie, um Vögel fangen zu können. AT: Treffpunkt Schützenhaus Zitator: Ein Raubvogel ist ein Thier, das rasch fliegt, aber mittelmäßig laufft, krumme Klauen und Bec hat, und von den lebendigen Thieren sich atzt, und lebt, welche er fängt. Friedrich II, Stauferkaiser. OT 02: Niels Meyer-Först Der Wanderfalke ist der schnellste Vogel überhaupt. Der erreicht bis zu 400 Stundenkilometern im Sturzflug auf seine Beute. Ansage: Mit Greifvögeln auf der Jagd. Die Geschichte der Falknerei. Eine Sendung von Pia Fruth. OT 03: Niels Meyer-Först Man kann mit dem Wanderfalken als Falkner Enten fangen, Fasane, Rebhühner, Krähen, Möwen - also fast alles an Wild, was fliegt und noch ins Beutespektrum des Falken passt. Erzählerin: Die Schwingen des Jagdvogels schimmern grau, die Federn an Bauch und Beinen sind creme-braun gesprenkelt. Eine Art lederner Mütze, die „Falkenhaube“, nimmt dem Vogel die Sicht. Nur sein scharfgekrümmter Schnabel ragt zwischen den Augenklappen heraus. Zitator: Der Bec und die Nasen-Löcher sollen herausstehen, damit er ohne Hinderniß Athem holen könne. Oben auf dem Kopff soll sie ein oder auch mehr Löcher haben, die dazu dienen, daß ihm die Haube nicht zu viel Hitz mache. AT: Allgemein vor der Jagd 2 Erzählerin: Der Freiburger Falkner Niels Meyer-Först hat seinen weiblichen Wanderfalken speziell auf Krähen abgerichtet und ihn „Strawberry“, zu deutsch: „Erdbeere“, genannt. AT: Allgemein zwischen Straße und Wald OT 04: Niels Meyer-Först Der Vogel heißt "Strawberry", weil er vornehmlich auf Erdbeerfeldern Saatkrähen vergrämt. Eigentlich ein Ausdruck, der aus der Jägersprache kommt. Also man vergrämt Wild, damit es bestimmte Orte nicht aufsucht. Also man will in dem Fall eben den Krähen es sehr ungemütlich gestalten, indem man mit dem Fressfeind kommt, Angst verbreitet und hofft, dass die Krähen dann diesen Ort für eine gewisse Zeit einfach meiden. Erzählerin: Rund um Tübingen sind nicht die unter Naturschutz stehenden Saatkrähen eine echte Plage, sondern deren nahe „Verwandte“, die Rabenkrähen – die nicht unter Schutz stehen. Darum hat Gerald Wölz, der hier ein Jagdrevier gepachtet hat, den Falkner und seine „Strawberry“ eingeladen. OT 05: Falkner und Jäger Ich habe eigentlich immer Krähen im Revier ... Ja .... Ich habe zwei Biogasanlagen oben, die haben große Silos. Dort halten sie sich eigentlich meistens auf, weil dort halt das meiste Futter ist ... Hmmm ... Von daher: Auswahl ist genug. Weil ich möchte Ihnen ja auch was bieten ... (Lachen) Musik 02: Rimsky-Korsakow: Scheherazade Erzählerin: Wo und wann die Falknerei entstanden ist, liegt im Dunkeln. Manche Historiker siedeln ihre Ursprünge im Orient an, an den Höfen mächtiger, reicher Herrscher. Andere gehen davon aus, dass Menschen verschiedener Erdteile zu unterschiedlichen Zeiten wilde Greifvögel für die Jagd abgerichtet haben. OT 06: Prof. Dr. Michael Menzel (Mittelalterhistoriker, Uni Berlin) Die Quellenlage ist natürlich sehr dürftig. Aber man weiß, dass man ungefähr um das Jahr zweitausend vor Christus davon ausgehen kann, dass diese Jagdmethode bekannt war. Am frühesten nachweisen lässt sich das nördlich des Kaukasus. Auf historisch sicherem Boden sind wir ungefähr ab dem achten vorchristlichen Jahrhundert. Da lässt sich das eindeutig bei den Skythen und den Persern nachweisen. Erzählerin: Michael Menzel ist Professor für Geschichte des Mittelalters an der Berliner Humboldt-Universität. Er hat sich intensiv mit der Entwicklung der Falknerei beschäftigt. Denn sie erfährt ihre Blütezeit auf europäischem Boden tatsächlich im ausgehenden Mittelalter, zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert nach Christus. Damals steht der Falke im Minnesang als Symbol für die Geliebte, wie im berühmten 3 „Falkenlied“ des Kürenbergers. Der Musiker Knud Seckel leitet ein Ensemble für mittalterliche Musik und hat dieses Minnegedicht vertont. Musik 03: Ich zoch mir eynen falcken Erzählerin: Die Falkner des Mittelalters beginnen auch den bis heute gebräuchlichen Begriff „Beizjagd“ für die Vogeljagd zu verwenden. Als der deutsche Adel das Jagdprivileg für sich allein beansprucht und alle anderen Stände von der Jagd ausschließt. OT 07: Prof. Dr. Michael Menzel Das kommt ganz im Gegensatz zur lateinischen Literatur des Mittelalters eben nicht aus dem Lateinischen, sondern aus dem Althochdeutschen. Und "Beiz" würde man modernsprachlich mit "beißen" übersetzen. Und das natürlich auf die Vögel bezogen: Sie sollen jagen und von ihrem Schnabel Gebrauch machen. Erzählerin: Ein herausragender Liebhaber der Beizjagd ist der Stauferkaiser Friedrich II. Er bringt nicht nur die bis heute verwendete, lederne Falkenhaube von einem seiner Kreuzzüge mit. Er schreibt Mitte des 13. Jahrhunderts auch ein sechsbändiges wissenschaftliches Lehrbuch über Greifvögel: De arte venandi cum avibus – Von der Kunst mit Vögeln zu jagen. OT 08: Prof. Dr. Michael Menzel Er ist ja am normannischen Hof großgeworden in Süditalien. Und Friedrich II. hatte einen sehr sehr starken Impetus seitens der Naturwissenschaft, würde man heute sagen. Das ist eine richtige, veritable Ornithologie, die er da entworfen hat. Nicht nur mit den Greifvögeln, sondern eben auch mit den Beutetieren, deren Gewohnheiten. Die hat er eingeteilt. Und welche Greifvögel welche Beutetiere jagen und so weiter. Also er hat wirklich einen umfassenden Einstieg in das Naturgeschehen gesucht. Also nicht nur die reine Jagdpraxis als adliges Vergnügen. Erzählerin: Auch Karl-Heinz Gersmann in Schwäbisch Gmünd, rund 50 Kilometer östlich von Stuttgart, ist Falkner aus Leidenschaft. Und das schon seit über 50 Jahren. In seinen Bücherregalen reihen sich meterlang in Leder und Leinen gebundene Bücher über die Beizjagd und ihre Geschichte. Für ihn ist und bleibt dabei das wichtigste Buch aller Zeiten das mittelalterliche Werk des Stauferkaisers, das im 18. Jahrhundert erstmals ins Deutsche übersetzt wurde. OT 09: Karl-Heinz Gersmann (Falkner, Schwäbisch Gmünd) Und es ist überhaupt nicht durch die moderne Zeit überholt. Sie können so detailliert nachlesen, wie in keinem anderen Buch, was es zu beachten gilt, wenn man mit einem Falken durch eine Tür geht, zum Beispiel, dass er sich nicht erschreckt und nicht seine Federn, wenn er abspringt, verletzt. Friedrich II. beschreibt das abschnittweise alles ganz detailliert und genau, worauf man achten muss, wenn es regnet, wenn es windig ist, wenn man mit seinem Falken rausgeht. Es gibt kein anderes vergleichbares Buch, wo es jemals wieder so detailliert beschrieben wurde. 4 Zitator: Unsere Absicht aber ist es, in diesem Werk über die Beize die Dinge, die sind, so wie sie sind, darzustellen und dem den Rang einer Kunst zu sichern, wovon keiner bisher Wissen besaß und das noch keiner als Kunst angesehen hat. Erzählerin: Die Beizjagd als Kunst im Sinne der mittelalterlichen „Artes Mechanicae“ als Kunstfertigkeit also zu betrachten, mag für die damalige Zeit neu gewesen sein. Doch als Jagdform ist sie in Indien, China und Babylonien schon lange bekannt. Im 13. Jahrhundert schildert der venezianische Händler Marco Polo zum Beispiel eine eindrucksvolle traditionelle Jagd am Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan. Begleitet wird er dabei von 10.000 Falknern. Sie haben neben Falken auch Sperber dabei und Habichte, um Kleinwild an den Flüssen und in der Luft zu jagen. Und Adler, um Wölfe zu töten. Mag sein, dass Marco Polo, von der eigenen Begeisterung übermannt, bei der Zahl der Falkner und ihrer Vögel ein wenig übertrieben hat. Tatsächlich aber werden Steinadler von Mongolen und Turkvölkern bis heute zur Wolfsjagd eingesetzt. Adler sind geschickte Jäger. Sie können mit ihren Klauen dreieinhalb mal so fest zugreifen wie ein Mensch – und damit mühelos die Schädelknochen eines Wolfes durchbohren. Mit bis zu sieben Kilogramm Gewicht und einer Flügelspannweite von zwei Metern und mehr zählen Steinadler zu den imposantesten und gefährlichsten Greifvögeln der Welt. Musik 01: Harfe Byrd on a brere Zitator: Weil aber die Raubvögel von Natur den Menschen scheuen, dann sie fürchten, sie mögen von ihm gefangen werden, so entfernen sie sich allezeit von den Menschen. Deswegen haben wir Kunst und einen Kunsterfahrenen nöthig, wodurch die Raubvögel dahin gebracht werden, daß sie mit dem Mann gemein werden, und wieder zu ihm kommen, welche Art mit der Zeit und durch beständiges Anhalten zu einer Fertigkeit, Gewohnheit und anderen Natur wird. AT: Allgemein vor der Jagd Erzählerin: Am Ortsrand von Tübingen beginnt Falkner Niels Meyer-Först, die anstehende Krähenjagd vorzubereiten. Außer dem Revierpächter sind noch drei andere Tübinger Falkner erschienen, Neulinge des Ausbildungsjahrgangs 2015, darunter Ulrich Maurer: OT 12: Ulrich Maurer (Falkner) Ich bin hier Förster in der Region und habe jetzt erst vor ein paar Tagen die Falknerprüfung ganz frisch gemacht. Und deshalb sind wir gottfroh, wenn wir von so einem alten Hasen immer wieder lernen können. Weil selbstverständlich ist das heute leider nicht mehr. 5 Erzählerin: Neben Ulrich Maurer und seiner Frau Birgit ist der Tübinger Geografie-Student Wulf Klapproth der dritte im Bunde der neuen Falkner. Den Jagdschein, der Grundvoraussetzung für die Falknerausbildung ist, hat er schon seit ein paar Jahren. OT 13: Wulf Klapproth (Falkner) Die Jägerei ist in meiner Familie sehr stark vertreten. Selbst meine Großmutter ist Jägerin. Es gab aber noch keinen Falkner. Und damit war das für mich natürlich ein Ziel. Das Schwierigste war für mich die Greifvogelkunde. Da gibt es unglaublich viele Arten. Und man kann unglaublich viel lernen. Erzählerin: Die Wanderfalken-Dame „Strawberry“ sitzt noch immer entspannt auf ihrer Stange im Auto. Sie hat an diesem Tag das ideale Jagdgewicht von 950 Gramm. Etwas mehr als ein männlicher Vogel, ein so genannter „Terzel“, auf die Waage bringen würde. Denn wie bei fast allen Greifvögeln sind auch Wanderfalken-Weibchen größer und schwerer als die Männchen. Niels Meyer-Först zieht einen dicken Lederhandschuh über seine Linke und lässt Strawberry auf seine Faust klettern. AT: Allgemein vor der Jagd OT 14: Niels Meyer-Först Also jetzt wird der Vogel vorbereitet für die Jagd, der kriegt jetzt einen kleinen Funksender an den Fuß montiert. Falls er wegfliegen sollte, dass ich ihn mit einer Peilanlage wieder finden kann. (Piepsen) ... Also das ist jetzt der Sender, der da das Geräusch macht. Und so hört sich das an, wenn man den Vogel nachher suchen sollte. Und dann kriegt er noch ein kleines Glöckchen an den Fuß gebunden. Zitator: Die Bell ist von Erz, und soll hell klingen, und soll groß oder klein seyn nach der Grösse des Vogels. Sie wird also angemacht, daß sie den Fuß nicht klemme, noch weit herabhange, sondern nahe bey dem Schienbein. OT 15: Niels Meyer-Först So ein Glöckchen ist immer ganz hilfreich, wenn der Vogel Beute gemacht hat und man findet ihn nicht gleich am Boden. Wenn er rupft und frisst, dann bewegt er sich und dann klingelt es. Erzählerin: Strawberry hackt mit dem Schnabel einmal nach dem Glöckchen an ihrem Fuß. Dann schüttelt sie ihr Gefieder. Die gesprenkelten Federn an den Beinen sträuben sich kurz zu einer Art Pluderhose. Dann liegen sie wieder glatt am Körper an und der Vogel balanciert ruhig auf dem Lederhandschuh des Falkners. Strawberry kennt die Jagdroutine. Sie ist mit sieben Lebensjahren eine erfahrene Jägerin, auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und Ausdauer. Und sie spürt die gespannte Unruhe der Menschen, ihre Vorfreude, das Adrenalin. OT 16: Wulf Klapproth Man steht jetzt halt hier draußen und man sieht wirklich wie der Jagdflug ist. Und das ist eine Jagd mit einem Tier. Das ist nichts, was man befiehlt. Das ist nichts, was 6 man beeinflussen kann in der Hinsicht. Und deswegen ist das für mich Natur pur. Das ist für mich Natur pur!! Musik 04: Mein alter Falke Erzählerin: Die Tradition der Beizjagd gelangt mit der Völkerwanderung, und in einer zweiten Welle im 8. Jahrhundert nach Christus über die Iberische Halbinsel nach WestEuropa, erklärt der Historiker Michael Menzel. OT 17: Prof. Dr. Michael Menzel Festmachen kann man das an den Ostgoten und den Vandalen, die über die Gebiete des heutigen Deutschland, Frankreich, bis nach Spanien hinein die Beizjagd verbreitet haben. Die Vandalen sogar bis nach Nordafrika. Und ein zweiter Rezeptionsweg ist dann etwas später unter der Ausbreitung des Islam passiert. Die kannten eben auch aus dem Nahen Osten die Beizjagd und haben sie mitgebracht. Also auf zwei Wegen: nördlich und südlich des Mittelmeeres. Erzählerin: In Europa trifft die exotische Jagdmethode den Nerv der Zeit. Nicht nur der elegante Jagdflug der Greifvögel hat es dem europäischen Adel angetan. Auch das Prestige, das mit dem Besitz der kostbaren Vögel einhergeht. OT 18: Prof. Dr. Michael Menzel Also diese Tiere waren ja sehr, sehr teuer. Man brauchte eine Ausstattung mit Pferden, mit Jagdknechten und so weiter. Das hatte etwas sehr Repräsentatives. Und darum hat der europäische Adel das sehr gerne aufgegriffen. Erzählerin: Im Heiligen Römischen Reich schließlich steigt der Bedarf an Falken mit dem Bedürfnis, kaiserliche und königliche Macht zur Schau zu stellen. Der Besitz möglichst vieler und möglichst exotischer Tiere ist gleichbedeutend mit Reichtum und politischem Einfluss. Im großen Stil beginnen kommerzielle Falkner darum, frisch geschlüpfte, wilde Greifvögel „auszuhorsten“, also ihren Vogeleltern aus dem Nest zu stehlen. Sie fangen auch erwachsene, wilde Greifvögel, um sie zu zähmen und vor allem zu verkaufen oder zu verschenken. Beizvögel sind als diplomatische und politische Geschenke beliebt. Zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert werden allein auf Befehl des dänischen Königshauses über sechseinhalbtausend Falken in Island und Norwegen gefangen und europaweit an die Herrscherhäuser verschenkt. OT 19: Prof. Dr. Michael Menzel Zum Beispiel der Deutsche Orden im späteren Preußen hat schwunghaft mit Falken gehandelt. Das war durchaus eine Einnahmequelle damals, weil das eben Luxusware war. Und eine einmalige Überlieferung haben wir auch aus der Hansestadt Lübeck, die jährlich dem Kaiser ich weiß nicht vier bis fünf Falken schuldete, irgendwo aus dem skandinavischen Bereich. Erzählerin: Seit Menschengedenken werden wilde Greifvögel gefangen und zur Jagd abgerichtet. Auch in Arabien, wo die Beizjagd schon früher bekannt war als in 7 Europa, erzählt Karl-Heinz Gersmann, der Falkner mit den vielen Büchern. Aber: Anders als die pompösen Falknereien an europäischen Adelshöfen mit bis zu 50 Berufsfalknern, gehen die Beduinen, die traditionellen Falkner Arabiens, umsichtiger mit ihren Jagdgefährten um. OT 20: Karl-Heinz Gersmann Die haben Falken auf dem Zug gefangen, wenn unsere Falken beispielswiese von Europa, Nordeuropa, Sibirien über die Türkei, über den Sinai in die Wüste gekommen sind, die da eben überwintert haben in Afrika. Zitator: In dem Herbst und Winter aber halten sie sich in grösserer Menge in den warmen Ländern auf, weil in denselben die Luft temperirter ist als in den kalten, und auch die andern Vögel, welche sie fangen, in solchen Ländern dann häufiger sind. OT 21: Karl-Heinz Gersmann Dann haben die dort die Falken gefangen und mit diesen Falken dann auf die Beutevögel, die eben dort im Winterquartier waren, gejagt. Das haben die so lange gemacht, bis die Beutevögel wieder gen Norden gezogen sind in ihre Brutgebiete, nämlich zu uns oder eben nördliche Regionen und dann haben die die Falken auch wieder fliegen gelassen. Erzählerin: In Europa werden die Greifvögel dagegen beinahe ausgerottet, bis die Beizjagd aus der Mode kommt und anderen Jagdformen Platz macht. OT 22: Prof. Dr. Michael Menzel Und gänzlich zurückgetreten ist sie dann durch die Feuerwaffen. Und zwar im Wesentlichen Ende des 19. Jahrhunderts durch die streuenden Feuerwaffen - also Schrot. Mit einem einzelnen Kugelschuss kann man ja keinen Vogel vom Himmel holen. Aber streuende Feuerwaffen waren dann die Technik, die die Beizjagd überflüssig machte. Erzählerin: Nur ganz langsam erholen sich die Greifvogelbestände wieder. Wanderfalken etwa galten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als nahezu ausgestorben. Neben den Aushorstungen waren dafür vor allem Umweltgifte verantwortlich. Auch Steinadler, die einst überall in Deutschland heimisch waren, stehen auf der Roten Liste. Nur in den Alpen gilt ihr Bestand mit insgesamt 48 Brutpaaren als stabil. Falknerei- und Naturschutzverbände arbeiten seit den 40er-Jahren deshalb intensiv am Schutz bedrohter Greifvogelarten. AT: Auf der Jagd Erzählerin: Die Jagdgesellschaft um den Falkner Niels Meyer-Först hat einen Krähenschwarm auf einer Streuobstwiese in der Nähe der Biogasanlage entdeckt. Gut 20 Rabenkrähen hocken wie schwarze Flecken im Gras. Rasch streift der Falkner seinem Vogel die Haube ab und „Strawberry“ schießt ohne zu zögern wie ein Pfeil von der Faust. Ein hellgrauer, leise klingelnder Schatten. 8 AT: Rätsche Erzählerin: Die aufgestörten Krähen suchen Schutz in den umliegenden Obstbäumen. Doch der Falkner scheucht sie mit einer Rätsche wieder weg. Gebannt schauen die FalknerNeulinge zu, wie der Falke eine der Rabenkrähen im Flug am Flügel packt. OT 23: Birgit Maurer Aufregend. Einfach aufregend. Oh ja - da spürt man das Adrenalin. AT: Piepsen Peilsender Erzählerin: Wenig später kehrt der Falkner mit seinem Vogel auf der Faust zur Gruppe zurück. Außer Atem, aber ohne Beute. Die Krähen waren diesmal schneller. AT: Trommeln einzeln OT 24: SZENE Bisschen enttäuscht alle durcheinander: ... Schade jetzt, weil jetzt hätte ich gedacht ... er war nah dran ... machsch nochmal, oder? Einmal war er sogar am Boden ... jetzt war das mehr spielerisch ... Er macht das gerne ... Ja, jetzt schaun wir mal ... AT: Mittelalterlicher Markt Musik 03: Ich zoch mir eynen Falcken AT: LKW innen mit Vögeln Erzählerin: Auch die Falknerin Vanessa Müller ist mit ihren Vögeln unterwegs. Ihre mobile Falknerei „Garuda“ aus Weil im Schönbuch hat einen Auftrag auf einem Mittelaltermarkt im nahe gelegenen Horb am Neckar. In der Morgendämmerung hat die junge Falknerin Eulen, Falken und Adler in den Laderaum ihres Autos gepackt. Jetzt trägt sie Vogel um Vogel lederbehandschuht durch leichten Schneeregen nach draußen. Leise spricht sie mit den Tieren, streichelt sie und setzt sie schließlich auf kleinen Podesten ab. Währenddessen haben ihre Helfer ein mittelalterlich anmutendes Zeltlager aus bunten Stoffbahnen, Wimpeln, und Fellen aufgebaut, möbliert mit Holzstühlen und einer schweren Truhe. Ein weißer Schäferhund hat sich quer vor die Füße der jungen Frau ins Trockene gelegt. Vanessa Müller zupft ihr bodenlanges, moosgrünes Gewand in Form. Um die Taille hat sie eine Ledercorsage geschnürt, um den Hals trägt sie ein Fuchsfell. Besorgt schaut sie in den Himmel und auf ihre Vögel. AT: Allgemein Markt OT 25: Vanessa Müller (Falknerin, Weil im Schönbuch) Die sind schon ein bisschen wasserfest. Aber nicht so wie eine Ente. Also wenn sie mal ganz nass sind, dann isses auch nichts mehr. 9 Zitator: Ein Zeichen dessen ist, daß der Falck sich öfters schüttelt, damit das Wasser desto geschwinder herabfalle, und er trocken werde. AT: Trommeln Musik 01: Byrd On A Brere, Harfe Erzählerin: Vanessa Müller ist Anfang dreißig und hat sich 2014 als Berufs-Falknerin selbstständig gemacht. Jeden Tag trainiert sie ihre insgesamt 15 Vögel, fährt mit ihnen zur Jagd. Oder – wenn es gut läuft – zu bezahlten Flugvorführungen. Dann und wann vergrämt sie auch am Stuttgarter Flughafen Krähen und Tauben zur Sicherung des Luftverkehrs. Sie lebt von der Arbeit mit ihren Vögeln. Dabei war das am Anfang gar nicht geplant, erzählt sie, während die Schneeeule „Bijou“ lauthals um Futter bettelt. OT 26: Vanessa Müller Es gab weder Falkner noch Jäger in meiner Familie. Und ich fand es einfach deshalb faszinierend, weil der Greifvogel, wenn der mal in der Luft ist, kann ich ja nicht mehr großartig mit dem diskutieren. Sondern der will das entweder oder er will es eben nicht. Ich hab dann mit 19 einen Jagdschein gemacht und einen Falknerschein. Irgendwann hatte ich dann auch ein, zwei eigene Vögel. Und irgendwann war es dann soweit, dass ich gesagt habe: Ich habe so viele eigene Vorstellungen, wie ich meine Vögel behandeln möchte, wie die gehalten werden sollen, wie das ablaufen soll. Auch wenn einer krank wird, dann kriegt er einen Doktor und wird nicht einfach ersetzt. Und dann habe ich mich selbstständig gemacht. Erzählerin: Draußen hat der Schneeregen inzwischen aufgehört. Die ersten Marktbesucher bleiben bei den Vögeln stehen. Die braune Uhu-Dame „Tweety“ mustert das Treiben aus kreisrunden orangefarbenen Augen. Und die Falknerin streift sich den Lederhandschuh über. Zeit zu arbeiten, sagt sie. OT 27: Vanessa Müller Also ich habe einen ganz engen Bezug zu meinen Vögeln, auch wenn der ganz anders ist, als man es jetzt zu einem Hund oder zu einem Pferd aufbaut, weil es eben kein sozialer Kontakt ist. Ich bezeichne sie jetzt nicht als meine Kinder, sondern eher als meine Mitarbeiter. Wir arbeiten zusammen, versuchen immer möglichst höflich miteinander umzugehen. Wenn man das beim Vogel macht, dann macht er das im Normalfall auch. Wenn er das richtige Gehalt bei mir bekommt, hat er auch keinen Grund, die Arbeitsstelle zu wechseln. Von demher: Bis jetzt habe ich glaube ich einen ganz guten Job gemacht. AT: Anfang Falknershow Erzählerin: Von Vanessa Müllers behandschuhter Faust fliegen die Eulen „Bijou“ und „Tweety“, der Wüstenbussard „Pyro“ und sogar ein Weißkopfseeadler dicht über den Köpfen der Zuschauer, die am Ende der Vorführung beeindruckt klatschen. Sie haben 10 begriffen dass Greifvögel Einzelgänger sind, die sich nicht wie Zirkustiere dressieren lassen. Auch in einer Flugvorführung klappt längst nicht immer alles. Außerdem haben sie gelernt, dass man an der Augenfarbe von Uhus erkennen kann, zu welchen Tageszeiten die Tiere jagen: Je heller die Iris, um so besser kann der Vogel bei Dunkelheit sehen. Sie haben die scharfen Krallen aus nächster Nähe gesehen und den winzigen afrikanischen Milchuhu „Bruce“ auf ihrer Faust halten dürfen. Auch das gehört zur Falknerei, sagt Vanessa Müller, als sie wieder zurück ins Zelt kommt. Aufklärung als Show. Denn die Falknerei als Jagdform hat nicht überall einen guten Ruf, wird von Tierschützern sogar manchmal als blutiges, sinnloses Spektakel verurteilt. Verstehen kann Vanessa Müller diese Vorwürfe gegen Falkner und ihre Beizvögel allerdings nicht. OT 28: Vanessa Müller Die machen nur, was sie normalerweise auch tun. Und dabei ist ihnen eigentlich auch ziemlich egal, was der Falkner will, was er denkt und was er davon hat. Hauptsächlich interessiert sie, was sie davon haben. AT: Allgemein bei B28 OT 29: Wulf Klapproth Jagd ist - auch die Falknerei - immer rausgehen und in der Natur leben, mit der Natur leben, sie kennen und sehen. Und das bedeutet nicht automatisch, dass man Beute macht, sondern es kann auch sein, dass es erfolglos bleibt. Das ist in der Natur nicht anders. Auch die Vögel jagen mehrmals Beute an. Und in der Hinsicht sind wir da sehr naturnah. Erzählerin: Geografie-Student und Jung-Falkner Wulf Klapproth hat an diesem Jagdtag mit Niels Mayer-Först und seinem Wanderfalken „Strawberry“ auch viel gelernt. Selbst wenn sie keine Beute gemacht haben. Zitator: Die ars darf sowenig wie die mit ihr verbundene Mühe verdrießen. Wer sie ausübt, muss sie vielmehr lieben, und zwar so ausdauernd, dass er ihr auch im hohen Alter nicht weniger zugetan ist. Erzählerin: Am Ende darf der Vogel eine tote Krähe rupfen und fressen, die der Falkner mitgebracht hat. Gerade so viel, dass zwar der Jagdwille belohnt, der Vogel aber trotzdem nicht daran gewöhnt wird, nur noch vom Menschen gefüttert zu werden. AT: Falke auf Krähe / Falke rupft und frisst Erzählerin: Nach ein paar Minuten sieht man, wie der Hals des Vogels ein wenig anschwillt. Im verhältnismäßig kleinen Magen fast aller Greifvögel ist zu wenig Platz für üppige Mahlzeiten. Darum speichern sie die Nahrung in einem Kropf, einer Aussackung der Speiseröhre, und fressen sie über einen längeren Zeitraum portionsweise. An Strawberrys blutverschmiertem Schnabel kleben ein paar flaumige Federn. Die 11 großen dunklen Augen beobachten noch immer aufmerksam das Gelände. Aber Krähen sind weit und breit keine mehr zu sehen. Musik 01: Byrd On A Brere Musik 04: Mein alter Falke Erzählerin: Falkner gehen mit ihren Tieren auf vielerlei Weise um. Die einen präsentieren sie stolz bei Greifvogelschauen, andere lassen sie von ihrer Faust herunter jagen. Wieder andere lassen – wie der Literatursammler Karl-Heinz Gersmann – sogenannte Anwärterfalken fliegen. Die Vögel bleiben hoch in der Luft stehen, um sich dann im Sturzflug auf Beute zu stürzen, die der Mensch ihnen mit einem Jagdhund zutreibt. Es gibt aber auch Falkner, die Auffangstationen für verletzte Vögel betreiben, bedrohte Arten nachzüchten und wieder auswildern. Karl-Heinz Gersmann hat darum einen Antrag zur Aufnahme der Falknerei in die Liste des Immateriellen Unesco-Kulturerbes gestellt, mit Erfolg, jedenfalls in Deutschland. Ende 2016 wird über die Aufnahme in die Internationale Liste entschieden. OT 30: Karl-Heinz Gersmann Das ist die Idee dahinter: Dass die Völker zuammenarbeiten, sich begegnen in diesen Kulturzweigen und so weiter. Und das ist natürlich in der Falknerei extrem. Also auch wenn man unterschiedliche Sprachen spricht. Im Grunde genommen sind wir doch auf einer Wellenlänge. Und Falkner sind im Prinzip fast alle gleich. Haben den gleichen Vogel. Nicht nur auf der Faust (lacht) ... Zitator: Die Edlen und Mächtigen dieser Erde, mit den Pflichten der Herrschaft belastet, können durch die Ausübung dieser Kunst wohltuende Ablenkung von ihren Sorgen finden. Die Armen aber und weniger Vornehmen werden ihren Lebensunterhalt finden, und allen wird bei der Ausübung dieser Kunst das Wirken der Natur in den Vögeln offenbar werden. ***** 12
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