Abstract

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Mag. Dr. Marina Hilber
Wissenschaftliche Integration – zur wechselhaften Forschungskarriere des
Gynäkologen Ludwig Kleinwächter (1839-1906) 1
Der aus Prag stammende Ludwig Kleinwächter zählte in der Habsburgermonarchie der 1860er
Jahre zu einer aufstrebenden Generation junger Mediziner, die sich dem Fachgebiet der
Geburtshilfe und Gynäkologie verschrieben hatten und dieses mit innovativen und
ambitionierten Forschungsansätzen weiterentwickeln wollten. In den Stand eines ordentlichen
Professors an der Universität Innsbruck versetzt, scheiterte Kleinwächter jedoch an seinen
Ambitionen und verlor aufgrund diverser Vorkommnisse im Jahre 1881 seine universitäre
Anstellung. Diese Tatsache bedeutete zwar das Ende seiner universitären Karriere, keineswegs
aber ein Ende seiner wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit. Als Privatarzt in seiner neuen
Heimat Czernowitz nutzte Kleinwächter scheinbar jede ihm sich bietende Gelegenheit um
interessante obstetrische oder gynäkologische Fälle aus seiner Praxis zu analysieren und als
(Einzel-)Fallstudien oder kumulative theoretische Abhandlungen in den einschlägigen
medizinischen Fachzeitschriften des deutschsprachigen Raumes zu publizieren. Die zahlreichen
Nachrufe auf seine Person rühmen seine fachlichen Kenntnisse und heben Kleinwächter als eine
über die Grenzen der Habsburgermonarchie bekannte Koryphäe seines Faches hervor. Sein
wissenschaftliches Werk umfasst etliche Monographien, darunter geburtshilfliche Lehrbücher,
sowie 150 teils sehr umfangreiche wissenschaftliche Aufsätze und Rezensionen zu
unterschiedlichsten Themenbereichen der geburtshilflich-gynäkologischen Forschung.
Der vorliegende Beitrag versucht anhand der beachtlichen wissenschaftlichen
Hinterlassenschaft Kleinwächters Integration in der scientific community nachzuspüren und
seine Stellung im wissenschaftlichen Netzwerk zu evaluieren. Dabei stehen folgende
Fragestellungen im Zentrum des Interesses: Welche Zeitschriften nutzte Kleinwächter zur
Dissemination seiner Arbeiten? Welche (persönlichen/informellen) Netzwerke standen
möglicherweise hinter den Fachjournalen? Zeigen sich dabei Veränderungen analog zur
wechselhaften universitären Karriere des Gynäkologen? Änderte Kleinwächter nach seinem
abrupten Karriereende seine Forschungsfragen, seine Publikationsstrategien bzw. seine
bevorzugten Medien? Inwieweit lassen sich aus den Publikationen Rückschlüsse auf die Art und
Weise seiner empirischen Wissensgenerierung ziehen? In einem zweiten Schritt soll der Versuch
unternommen werden, anhand gezielter Zitationsanalysen die zu Grunde liegenden formellen
Denkkollektive (L. Fleck) zu rekonstruieren. Ziel des Beitrages wird es sein, nicht nur die
Einzelperson im zeitgenössischen, wissenschaftlichen Netzwerk ihrer Profession zu verorten,
sondern die fachliche Vernetzung im Bereich der Gynäkologie zu veranschaulichen. Besonderes
Augenmerk soll dabei auf das Spannungsfeld von institutionellem Scheitern und
wissenschaftlichem Erfolg gelegt werden.
Kurzbiographie: Mag. Dr. Marina Hilber, geb. 1981 in Innsbruck, Studium der Geschichte und
Anglistik/Amerikanistik (Lehramt) sowie der Volkskunde/Europäische Ethnologie an der
Universität Innsbruck, Promotion zur Dr. phil. 2011, seit 2008 Mitarbeit an mehreren medizinund sozialgeschichtlichen Forschungsprojekten an der Universität Innsbruck, derzeit in
Elternkarenz.
Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Geburts(hilfe) im 18. und 19. Jahrhundert,
Gebärhausgeschichte, Geschichte
der Hebammenausbildung,
Sozialgeschichte des
frühneuzeitlichen Bergbaus in Tirol.
1 Der vorliegende Beitrag stellt eine Vorarbeit für ein projektiertes Forschungsvorhaben zur Wissens- und
Wissenschaftsgeschichte der Gynäkologie und ihrer Netzwerke im späten 19. Jahrhundert dar, welches
2016 im Rahmen eines Hertha-Firnberg-Stipendiums beim österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF)
eingereicht werden soll.