§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 § 1a jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann AsylbLG Anspruchseinschränkung (Fassung vom 20.10.2015, gültig ab 24.10.2015) (1) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. 1 (2) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie 2 nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung 3 und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von 4 § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden. 1 (3) Absatz 2 gilt entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht 2 vollzogen werden können. Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschie3 bungsanordnung folgenden Tag. Für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in Satz 1 genannten Personen handelt, gilt Absatz 1 entsprechend. (4) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Absatz 2. Dokument wurde zuletzt aktualisiert am: 16.03.2016 Gliederung A. Basisinformationen Rn. 1 I. Textgeschichte/Gesetzgebungsmaterialien Rn. 1 II. Vorgängervorschriften Rn. 5 III. Parallelvorschriften Rn. 6 IV. Systematische Zusammenhänge Rn. 7 © 2014 juris GmbH 1 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann V. Ausgewählte Literaturhinweise Rn. 10 B. Auslegung der Norm Rn. 11 I. Regelungsgehalt und Bedeutung der Norm Rn. 11 II. Normzweck Rn. 12 III. Tatbestandsmerkmale Rn. 13 1. Persönlicher Anwendungsbereich Rn. 13 a. Leistungsberechtigte im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§ 1 Abs. Nr. 1 Rn. 14 AsylbLG) b. Leistungsberechtigte im Besitz einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) Rn. 15 c. Vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) Rn. 17 d. Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) Rn. 19 2. Vom persönlichen Anwendungsbereich ausgenommen Rn. 20 a. Enumerative Aufzählung Rn. 20 b. Analog-Berechtigte Rn. 21 c. Arbeitsuchende Ausländer Rn. 22 3. Die Sanktionstatbestände Rn. 24 a. Verschiedene Tatbestände Rn. 24 b. Kein Ermessen Rn. 26 4. Einreise, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen (Absatz 1) Rn. 27 a. Motive der Einreise Rn. 28 b. Aufklärungspflicht der Behörde Rn. 40 c. Darlegungs- und Beweislast Rn. 42 d. Keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rn. 43 e. Minderjährige Kinder und Familienangehörige Rn. 44 5. Zu vertretende Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen Rn. 46 (Absatz 2) a. Vollziehbar Ausreisepflichtige Rn. 47 b. Familienangehörige Rn. 48 c. Feststehender Ausreisetermin und -möglichkeit Rn. 49 d. Nicht zu vertretendes Ausreisehindernis Rn. 50 6. Kein Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 3) Rn. 52 a. Beginn der Leistungseinschränkung Rn. 53 b. Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige Rn. 54 c. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen Rn. 56 d. Keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Rn. 60 e. Nichtvollziehbarkeit der Maßnahmen Rn. 62 f. Gründe der Nichtvollziehbarkeit Rn. 63 g. Selbst zu vertretende Gründe Rn. 64 h. Konkrete Monokausalität Rn. 68 i. Kongruenz von Fehlverhalten und Anspruchseinschränkung Rn. 69 j. Umfassende Einzelfallprüfung Rn. 70 k. Konkrete Beispiele Rn. 71 l. Minderjährige Kinder und Familienangehörige Rn. 87 m. Darlegungs- und Beweislast Rn. 90 7. Relokationsbeschlüsse und Verteilmechanismus in der EU (Absatz 4) © 2014 juris GmbH 2 Rn. 91 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann a. Personenkreis Rn. 92 b. Abweichung von der Dublin III-VO Rn. 93 c. Umsiedelungen Rn. 94 d. Regelzuständigkeit nach der Dublin III-VO Rn. 96 e. Fehlverhalten Rn. 97 IV. Rechtsfolgen, insbesondere zu Absatz 1 Rn. 98 1. Unterschiedliche Rechtsfolgen Rn. 98 2. Kein Ermessen Rn. 99 3. Das unabweisbar Gebotene Rn. 100 4. Kein Anspruchsausschluss Rn. 101 5. Umstände des konkreten Einzelfalls Rn. 102 6. Grenzen der Anspruchseinschränkung Rn. 104 a. Verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum Rn. 104 b. Zur Ausstrahlungswirkung von BVerfG vom 18.07.2012 Rn. 106 c. Spielraum für Bedarfskürzungen nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Rn. 124 AsylbLG d. (Keine) Möglichkeiten der Leistungseinschränkung Rn. 126 e. Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 a.F. bzw. Abs. 1 Sätze 5, 8 AsylbLG Rn. 136 f. Leistungen des sog. Bildungspakets Rn. 141 g. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG) Rn. 142 h. Sonstige Leistungen (§ 6 AsylbLG) Rn. 145 i. Dauer der Leistungseinschränkung Rn. 148 V. Rechtsfolge des reduzierten physischen Existenzminimums nach den Absätzen Rn. 149 2 bis 4 1. Neues Rechtsfolgenkonzept Rn. 149 2. Kein Anspruch mehr Rn. 150 3. Leistungsabsenkung auf das reduzierte physische Existenzminimum Rn. 151 4. Besondere Umstände Rn. 152 5. Sachleistungen Rn. 153 6. Stellungnahme Rn. 154 a. Verwaltungsverfahren Rn. 157 VI. Rechtstatsachen Rn. 158 C. Praxishinweise Rn. 159 I. Gerichtlicher Rechtsschutz Rn. 159 II. Vorläufiger Rechtsschutz Rn. 160 III. Beiladung Rn. 166 D. Reformbestrebungen © 2014 juris GmbH Rn. 167 3 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann A. Basisinformationen I. Textgeschichte/Gesetzgebungsmaterialien 1 1 Das AsylbLG trat am 01.11.1993 in Kraft. Das Gesetz entstand im Rahmen der Verhandlungen 2 zum sog. Asylkompromiss, wonach ein Gesetz zur Regelung des Mindestunterhalts für Asylsuchende geschaffen werden sollte (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 1 ff. m.w.N.). 2 Die Vorschrift des § 1a AsylbLG trat am 01.09.1998 als Kernstück des Zweiten Änderungsgeset3 zes zum AsylbLG neu in Kraft. Sie war seinerzeit eine Reaktion auf die tatsächliche Entwicklung des vermehrten Zustroms von Ausländern in die Bundesrepublik mit Hilfe von Schleusern, ohne dass die Eingereisten Asylanträge stellten. Gleichwohl hatten diese Personen Ansprüche auf Leistungen nach dem AsylbLG. Oftmals machten die eingereisten Ausländer aus der Intention ihrer Zuwanderung in die Sozialleistungssysteme kein Hehl. Seinerzeit bestand keine rechtliche Möglichkeit für Leistungseinschränkungen bei gezielter Zuwanderung in die Sozialleistungssysteme. Die Gesetzesinitiative zu § 1a AsylbLG geht auf das Land Berlin zurück, wo sich die aufgezeigte Entwicklung seit etwa 1997 eingestellt hatte. In den Ausschussberatungen sind wesentliche Änderungen der Länder aufgenommen worden. 4 5 3 Die zum 01.03.2015 in Kraft getretene Fassung von § 1a AsylbLG geht auf den von der Bundesregierung vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsge6 setzes und des Sozialgerichtsgesetzes“ zurück. Obwohl das BVerfG die Vorgängernorm von § 1a AsylbLG nicht beanstandet hat, steht die Änderung im Zusammenhang mit der mehr als 7 zwei Jahre zuvor ergangenen Entscheidung des BVerfG. Die Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass das BVerfG in dieser Entscheidung die bedarfsgerechte Verwirklichung des individuellen Leistungsanspruchs nach dem AsylbLG in den Mittelpunkt gestellt hat. Demnach hat die bis zum 28.02.2015 gültige Fassung von § 1a AsylbLG dem vom BVerfG hervorgehobenen Grundsatz der individuellen Anspruchsberechtigung nicht hinreichend Rechnung getragen. Im Ergebnis wurde deshalb die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im 8 Rahmen des § 1a AsylbLG aufgegeben. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat weitere gesetzliche Konkretisierungen zur Anspruchseinschränkung angemahnt, wie die Höhe und die 9 Dauer der Leistungskürzungen, die aber in der Neuregelung nicht aufgenommen worden sind. 4 Zur Bewältigung der Flüchtlingswelle in Deutschland ist am 24.10.2015 das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 in Kraft getreten. 10 Anders als der Titel des Gesetzes vermuten lässt, geht es nicht nur um Korrekturen des Asylverfahrensgesetzes, das zugleich in 1 BGBl I 1993, 1074. 2 Vgl. Haberland, ZAR 1994, 3 ff., 51 ff. 3 BGBl I 1998, 2505. 4 Vgl. BR-Drs. 691/1/97; BT-Drs. 13/10155; BT-Drs. 13/11172. 5 Vgl. Art 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187. 6 Vgl. BT-Drs. 18/2592 vom 22.09.2014; vgl. auch BR-Drs. 392/14 vom 29.08.2014; Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/3073 vom 05.11.2014. 7 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 8 Vgl. BT-Drs. 18/2592 vom 22.09.2014, S. 14, 18. 9 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Drs. 392/1/14 vom 29.09.2014, S. 14 f .;vgl. auch Stellungnahme des Bundesrates, BRDrs. 392/14 (Beschluss) vom 10.10.2014, S. 5. 10 AsylVfBeschlG, BGBl I 2015, 1722. © 2014 juris GmbH 4 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann „Asylgesetz“ umbenannt wurde. Vielmehr handelt es sich um ein erstes Gesetzespaket (sog. Asylpaket I), das umfangreiche Änderungen materieller Vorschriften enthält, die viele Bereiche des öffentlichen Lebens betreffen. Als ein wesentlicher Bestandteil des neuen Gesetzespakets wurde neben dem Asyl- und Ausländerrecht auch das Sozialrecht für Flüchtlinge bzw. Asylbewerber verschärft; Regelungen in der Gesundheitsversorgung im SGB V und in der Arbeitsförderung im SGB III wurden angepasst. Der reduzierte Anspruch von Leistungen nach § 1a AsylbLG ist zu einem tragenden Steuerungsinstrument im Asylpaket I geworden, das sozialmotivierten Fehlanreizen entgegenwirken soll. Gesetzestechnisch wurde dies durch neue Möglichkeiten der Anspruchseinschränkung und durch die Stärkung des Sachleistungsprinzips umgesetzt. II. Vorgängervorschriften 5 § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist die Vorgängervorschrift zu § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG, die den Missbrauchstatbestand nahezu wortgleich übernommen hat. III. Parallelvorschriften 6 Die zum 01.01.2005 an die Stelle von § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG getretene und mit Wirkung vom 11 07.12.2006 geänderte Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII enthält in ihrem Halbsatz 1 für Ausländer und ihre Familienangehörigen die zu § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. allgemeine Vorschrift. Für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG ist § 1a Abs. 1 bzw. § 1a Nr. 1 a.F. AsylbLG die spezielle Vorschrift. Ein Sanktionskonzept bei Pflichtverstößen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende enthält §§ 31 ff. SGB II. Die pauschale Übertragung des Sanktionskonzepts des SGB II auf Leistungsabsenkungen nach § 1a AsylbLG ist nicht möglich. IV. Systematische Zusammenhänge 7 Systematische Zusammenhänge bestehen zu dem rechtsvernichtenden Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG. Auch dort ist ein Missbrauchstatbestand formuliert, der Bezüge zu § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 2 und Abs. 3 AsylbLG aufweist, ohne allerdings deckungsgleich zu sein. Hingegen enthält der Missbrauchstatbestand des § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1 Abs. 1 AsylbLG kein Pendant in § 2 Abs. 1 AsylbLG. 12 8 § 11 Abs. 2 a AsylbLG sieht eine Anspruchseinschränkung – entsprechend § 1a Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AsylbLG – in der frühen Phase des Aufenthalts bis zur vollständigen Registrierung, zur Aufnahme in der zuständigen Aufnahmeeinrichtung und zur Ausstellung des Auskunftsnachweises für Asylsuchende, Zweit- und Folgeantragsteller und über einen sicheren Drittstaat eingereiste Leistungsberechtigte vor. 9 Die Abgrenzung der Missbrauchstatbestände in § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 2 und Abs. 3 AsylbLG zu § 2 Abs. 1 AsylbLG ist rechtsdogmatisch schwierig und insb. in den Sanktionen auch höchstrichterlich nicht vollends geklärt. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Verwirklichung der Rechtsmissbräuchlichkeit in § 2 Abs. 1 AsylbLG eine dauerhafte Sanktion (Leistungsabsenkung auf Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG) zur Folge haben soll, insb. auch dann, wenn der Ausländer das sanktionierte Verhalten abgestellt oder korrigiert hat (sog. abstrakte Kausalität, vgl. 11 Vgl. das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 02.12.2006, BGBl I 2006, 2670. 12 I.d.F. von Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (sog. Asylpaket II), BGBl I 2016, 390, 392, vgl. BTDrs. 18/7538 vom 16.02.2016, S. 24 f.; BT-Drs. 18/7645 vom 23.02.2016, S. 3. © 2014 juris GmbH 5 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 93). Die Rechtsfolge wirkt also ungleich schwerer als die nach § 1a AsylbLG, denn im Unterschied zu § 2 AsylbLG darf die Sanktion der Anspruchskürzung gem. § 1a AsylbLG nur solange andauern, wie das rechtsmissbräuchliche Verhalten anhält (sog. konkrete Kausalität). Bei rechtskonformem Verhalten besteht also wieder der Anspruch auf Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Anspruchskürzung gem. § 1a AsylbLG liegt damit regelmäßig unterhalb des Leistungsniveaus von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Anspruchseinschränkung gem. § 1a AsylbLG setzt im subjektiven Bereich lediglich ein Vertretenmüssen des Ausländers voraus, also insb. kein persönliches Verschulden. Anders hingegen § 2 Abs. 1 AsylbLG, der einen sog. doppelten Vorsatz zur Verwirklichung des objektiven Missbrauchstatbestandes voraussetzt; ein persönliches, unentschuldbares Verhalten (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 102 ff.). V. Ausgewählte Literaturhinweise 10 Baer, Wie viel Vielfalt garantiert/erträgt der Rechtsstaat?, Recht und Politik 2013, 96; Berlit, Sanktionen im SGB II – nur problematisch oder verfassungswidrig?, info also 2013, 195; Deibel, Leistungsausschluss und Leistungseinschränkung im Asylbewerberleistungsrecht, ZfSH/SGB 1998, 707; ders., Leistungseinschränkungen im Asylbewerberleistungsrecht, ZFSH/SGB 2013, 241; ders., Die Menschenwürde im Asylbewerberleistungsrecht – Anmerkungen zum Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - ZFSH/SGB 2012, 450; ders., Asylbewerberleistungsrecht aktuell – Zwischen Bundesverfassungsgericht und gesetzlicher Neuregelung, Sozialrecht aktuell 2013, 103; ders., Das Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Prüfstand – Anmerkungen zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ZFSH/SGB 2015, 475; ders., Das neue Asylbewerberleistungsgesetz, ZFSH/SGB 2015, 117; Eichenhofer, Menschenwürde durch den Sozialstaat – für alle Menschen, SGb 2012, 565; Hohm, Zweites Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, NVwZ 1998, 1045; Horrer, Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum, Berlin 2001; Judith/Brehme, Plädoyer für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes – Verfassungsrechtliche Gründe und Vorschläge zur Umsetzung, KJ 2014, 330; Janda, Quo vadis, AsylbLG? Möglichkeiten der Neugestaltung der existenzsichernden Leistungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach dem Urteil des BVerfG, ZAR 2013, 175; Kempny/Krüger, Menschenwürde jenseits des Abwehrrechts, SGb 2013, 384; Mangold/Pattar, Ausschluss von Leistungen für arbeitsuchende Ausländer: Notwendigkeit einer europa-, völker- und grundrechtskonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, VSSR 2008, 243; Müller-Serten, Einsparpotentiale bei den sozialen Leistungen für Asylbewerber? Eine Analyse des deutschen Asylbewerberleistungsgesetzes, InfAuslR 2007, 167; Neskovic, Sanktionen im SGB II – nur problematisch oder verfassungswidrig? – Thesen zu einem Streitgespräch, info also 2013, 205; Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, SGb 2012, 134; Öndül, Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes und Rechtsfolgen bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, jurisPR-SozR 17/2012, Anm. 1; Petersen, Das unabweisbar Gebotene im Sinne des § 1a AsylbLG – neu justiert, ZFSH SGB 2014, 669; von Pollern, Die Entwicklung der Asylbewerberzahlen in den Jahren 2007 und 2008, ZAR 2009, 93; Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins zum Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, NDV 2013, 97; Rixen, Zwischen Hilfe, Abschreckung und Pragmatismus: Gesundheitsrecht der Flüchtlingskrise – Zu den Änderungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015, NVwZ 2015, 1640; Riecken, Die Duldung als Verfassungsproblem, Berlin 2006; Rothkegel, Das Bundesverfassungsgericht als Ersatzgesetzgeber © 2014 juris GmbH 6 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann – die Übergangsregelungen des Hartz-IV- und des AsylbLG-Urteils, ZFSH/SGB 2012, 519; ders., Das Gericht wird‘s richten – das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen, ZAR 2012, 357; Tiedemann, Anmerkung zu BVerfG v. 18.07.2012 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - NVwZ 2012, 1031; Thym, Schnellere und strengere Asylverfahren, NVwZ 2015, 1626; Wahrendorf, Leistungseinschränkungen nach dem AsylbLG, Anmerkung zu LSG München 8. Senat, Beschluss vom 24.01.2013, L 8 AY 2/12 B ER, jurisPR-SozR 15/2013, Anm. 2; Wenner, Bundesverfassungsgericht hält Sätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für zu niedrig, SozSich 2012, 277. B. Auslegung der Norm I. Regelungsgehalt und Bedeutung der Norm 11 Die Vorschrift ermöglicht die Anspruchseinschränkung von Leistungen des AsylbLG auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene. Die Norm enthält keine Anspruchskürzung, sondern vielmehr eine Anspruchseinschränkung; eine sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Möglichkeit zur Einschränkung des Leistungsanspruchs. Hierzu berechtigten vormals zwei voneinander unabhängige Konstellationen: im Fall der Zuwanderung zum Zweck der Inanspruchnahme von Sozialleistungen (§ 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. = § 1a Abs. 1 AsylbLG) und im Fall der rechtsmissbräuchlich vereitelten Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet (§ 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. = § 1a Abs. 3 AsylbLG). Die seit 24.10.2015 gültige Fassung hat die Sanktionstatbestände erweitert auf die versäumte Ausreisemöglichkeit (§ 1a Abs. 2 AsylbLG) und auf den Personenkreis der von den Verteilbeschlüssen der EU betroffenen Personen (sog. relocated people, § 1a Abs. 4 AsylbLG). II. Normzweck 12 Die Norm bezweckt unterschiedliche Zielsetzungen, die insb. aus den zitierten Gesetzesmaterialien (vgl. Rn. 1) herauszulesen sind. Zum einen sollen die nach dem AsylbLG berechtigten Leistungsempfänger nicht bessergestellt werden im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und auch nicht im Vergleich zu Ausländern mit legalem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik. Die Vorschrift hat den Charakter einer leistungsrechtlichen Sanktionsnorm. Zum anderen soll sie die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG verhindern. Mit den Änderungen durch das Asylpaket I zum 24.10.2015 kehrt der Gesetzgeber wieder zur engen Verknüpfung des Leistungs- mit dem Ausländerrecht zurück, weil er die deutliche Verschärfung und Verfahrensbeschleunigung im Asyl- und Ausländerrecht leistungsrechtlich fortsetzt. Hierbei konzentriert er sich auf spürbare befristete Leistungseinschränkungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, die vereinfacht und schnell in ihr Heimatland zurückgeführt werden sollen; während für solche Ausländer, die eine gute Bleibeperspektive haben, die soziale Integration ge13 setzlich verbessert werden soll. 13 Vgl. BT-Drs. 18/6185, A. I. S. 25. © 2014 juris GmbH 7 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann III. Tatbestandsmerkmale 1. Persönlicher Anwendungsbereich 13 Die Vorschrift erfasst nicht alle Leistungsberechtigten im Sinne von § 1 Abs. 1 AsylbLG, sondern hiervon lediglich vier Gruppen der Leistungsberechtigten. Hierbei handelt es sich um Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG), die im Besitz einer Duldung gem. § 60a AufenthG sind (§ 1 Abs. Nr. 4 AsylbLG); Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (§ 1 Nr. 5 AsylbLG); Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in § 1 Nr. 1-5 AsylbLG genannten Personen, ohne dass sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen (§ 1 Nr. 6 AsylbLG). Die Neuregelung von § 1a AsylbLG in der ab 24.10.2015 gültigen Fassung hat den persönlichen Anwendungsbereich der Norm um den Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG erweitert. a. Leistungsberechtigte im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§ 1 Abs. Nr. 1 AsylbLG) 14 Zur Durchführung eines Asylverfahrens ist dem Ausländer der Aufenthalt in Deutschland gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG gestattet. Über die Aufenthaltsgestattung erhält er gem. § 63 Abs. 1 AsylG eine Bescheinigung. Während des laufenden Asylverfahrens ist er leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG. b. Leistungsberechtigte im Besitz einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) 15 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht für den Personenkreis der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, die im Besitz einer Duldung gem. § 60a AufenthG (vormals § 55 AuslG) sind. Im Einzelnen wird hierzu auf die Kommentierung zu § 1 AsylbLG Rn. 124 verwiesen. 16 Der aufenthaltsrechtliche Status (§ 60a AufenthG) muss korrespondieren mit dem Leistungszeitraum, für die die Anspruchseinschränkung verfügt wird. Fällt der Leistungsberechtigte durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus aus dem Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG, so ist eine Anspruchseinschränkung für diesen Zeitraum nicht mehr möglich. Aus welchen Gründen die Duldung erteilt wurde, ist unerheblich; die Duldung muss aber wirksam erteilt sein und der Berechtigte 14 muss auch im Besitz der Duldungsbescheinigung sein. c. Vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) 17 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht für den Personenkreis, der sich vollziehbar ausreisepflichtig in der Bundesrepublik aufhält, und zwar auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den Vorschriften des AufenthG i.V.m. den Vorschriften des AsylG. 18 Ausreisepflichtig sind nach § 50 Abs. 1 AufenthG Ausländer, die einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzen und sich nicht oder nicht mehr auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei berufen können. Ein rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland endet mit Erlöschen des Aufenthaltstitels unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AufenthG, insbesondere mit Ablauf der Geltungsdauer (Nr. 1), Eintritt einer auflösenden Bedingung (Nr. 2), der Rücknahme oder dem Widerruf des Titels (Nr. 3 und 4) oder mit Ausweisung des Ausländers (Nr. 5). Vollziehbar ist die Ausreisepflicht unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 AufenthG, z.B. bei unerlaubter Einreise (Satz 1), sowie mit vollziehbarer Entscheidung nach § 50 Abs. 1 AufenthG, mit der die Ausreisepflicht des Ausländers einhergeht (Satz 2). Die Vollziehbarkeit 14 Vgl. zur rechtlichen Qualität der Duldung insb. BVerwG v. 03.06.1987 - 1 B 58/87 - juris. © 2014 juris GmbH 8 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann einer Abschiebungsandrohung gem. § 59 AufenthG ist nicht erforderlich. Von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG können Ausländer erfasst sein, die keinen Asylantrag gestellt, ihren Asylantrag zurückgenommen haben oder die nach Ablehnung ihres Asylantrags noch nicht ausgereist oder abgeschoben worden sind. Personen in Abschiebehaft und illegal in Deutschland lebende Ausländer zählen auch zu diesem Personenkreis d. Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) 19 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht auch für den Personenkreis der Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG. Hierbei handelt es sich um die Familienangehörigen der Leistungsberechtigten i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylbLG. Als Familienangehörige gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG unterfallen dem Wortlaut der Norm nach: Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder und zwar, ohne dass sie selbst die in § 1 AsylbLG genannten Voraussetzungen erfüllen müssen. Nach der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Fassung von § 1a AsylbLG (vgl. Rn. 3) müssen die Familienangehörigen aber die Voraussetzungen des anspruchseinschränkenden Verhaltens i.S.v. § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. „selbst“, d.h. in eigener Person, erfüllen (vgl. dazu Rn. 44 f., Rn. 87 ff.). Die Familienangehörigen können auch Adressaten eigenständiger Leistungsansprüche sein. Dann müssen sie die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG in eigener Person erfüllen. Im Einzelnen wird hierzu auf die Kommentierung zu § 1 AsylbLG verwiesen. 2. Vom persönlichen Anwendungsbereich ausgenommen a. Enumerative Aufzählung 20 Aus der enumerativen Aufzählung des Personenkreises, für den § 1a AsylbLG Anwendung findet, folgt im Umkehrschluss, dass diese Norm keine Anwendung findet auf die übrigen in § 1 AsylbLG genannten Leistungsberechtigten. Dies sind folgende Gruppen: die sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer, die über einen Flughaffen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG); die wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 AufenthG oder die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzen, sofern die Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG); die einen Folgeantrag nach § 71 AsylG oder einen Zweitantrag nach § 71a AsylG stellen (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG). Bei Asylfolgeantragstellern, die unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG fallen, kommt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung eine Leistungseinschrän15 kung nach § 1a AsylbLG nicht in Betracht . Dies gilt selbst dann, wenn einem Asylfolgeantragsteller von der Ausländerbehörde während des beim BAMF anhängigen Asylfolgeverfahrens Duldungen 16 17 erteilt bzw. fortlaufend verlängert werden. Die zum 01.03.2015 durch das Gesetz vom 10.12.2014 erfolgten Änderungen von § 1a AsylbLG haben keine Auswirkungen auf den persönlichen Anwendungsbereich dieser Norm, weil die in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG genannte Personengruppe auch nach der Vorgängerregelung von § 1a AsylbLG nicht von der Anspruchseinschränkung erfasst war. Die Inhaber eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind seit 01.03.2015 aus dem personalen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden, sofern bei dieser Personengruppe die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung 15 Vgl. LSG Baden-Württemberg v. 04.02.2014 - L 7 AY 288/14 ER-B - juris Rn. 8. 16 Vgl. SG Hildesheim v. 27.12.2012 - S 42 AY 9/12 ER - juris. 17 Vgl. Art 1 Nr.1 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187. © 2014 juris GmbH 9 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 18 Monate zurückliegt. Die Inhaber eines Titels nach § 25 Abs. 4a und 4b AufenthG sind seit diesem Zeitpunkt vollständig aus dem AsylbLG herausgenommen worden; hierbei handelt es sich um Personen, die Opfer bestimmter Straftaten geworden sind und deren Aufenthalt der Durchführung von Strafverfahren dient. Diese Personengruppen erhalten seit 01.03.2015 Leistungen nach 18 dem SGB II oder dem SGB XII. b. Analog-Berechtigte 21 Ausgenommen vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG sind auch die sog. Analog-Leistungsberechtigten gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG, die in entsprechender Anwendung Leistungen nach dem SGB XII beziehen. In den Genuss von Analog-Leistungen kommen Leistungsberechtigte nur, wenn ihnen u.a. nicht der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu machen ist. § 1a AsylbLG enthält Missbrauchstatbestände, sodass bereits deshalb AnalogBerechtigte nicht von § 1a AsylbLG erfasst sind. Im Übrigen sperrt § 2 Abs. 1 AsylbLG die Anwendbarkeit durch den Verweis auf die entsprechende Anwendung des SGB XII. c. Arbeitsuchende Ausländer 22 § 1a AsylbLG ist auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf arbeitsuchende Ausländer analog anzuwenden, denen ein Aufenthaltsrecht, wie z.B. aus der Unionsbürgerschaft, 19 zusteht. Ein verfassungsrechtliches Erfordernis (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich nicht etwa, weil arbeitsuchende Ausländer von Leistungen des SGB II (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II) und des SGB XII (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) ausgeschlossen sind, während Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG zumindest noch unabweisbar gebotene Leistungen gem. § 1a AsylbLG zuste20 hen. Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke ist nicht erkennbar. Denn das AsylbLG ist ein eigenes, spezielles Leistungssystem zur Sicherung des Lebensbedarfs, das primär an den ungesicherten Aufenthaltsstatus anknüpft. 21 So hat das BVerwG die Verfassungsgemäßheit des Ausschlusses der Leistungsberechtigten des AsylbLG vom Leistungssystem der Sozialhilfe (vormals BSHG, jetzt SGB XII) mit dem unsicheren Aufenthaltsstatus (§ 1 Abs. 1 AsylbLG) und dem fehlenden sozialen Integrationsbedarf der Leistungsberechtigten als ein sachgerechtes, gruppenbezogenes Differenzierungskriterium begründet. Mit dieser Argumentation ist auch der Ausschluss von Leistungsberechtigten nach der bis zum 28.02.2015 gültigen Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG 22 sind, vom Leistungssystem des SGB II (Hartz IV) für verfassungsgemäß erachtet worden. Für diesen Personenkreis kommen seit der zum 01.03.2015 gültigen Gesetzeslage sowohl Leistungen nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen in Frage. Sofern sie dort ausdrücklich ausgeschlossen sind (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII), müsste ihnen das lebensnotwendige Existenzminimum während des Aufenthalts im Bundesgebiet gewährt werden. Dies hat das BVerfG in seiner neuen Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs.1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und zur Verfassungs- 18 Vgl. dazu BT-Drs. 18/2592, S. 18 und ausführlich dazu die Kommentierung zu § 1 AsylbLG Rn. 84. 19 So aber LSG Nordrhein-Westfalen v. 27.06.2007 - L 9 B 80/07 AS ER, L 9 B 81/07 AS ER - juris; so auch Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 267. 20 Vgl. LSG Nordrhein- Westfalen v. 27.06.2007 - L 9 B 80/07 AS ER, L 9 B 81/07 AS ER - juris; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 266 ff. 21 Vgl. BVerfG v. 11.07.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 232. 22 Vgl. BSG v. 13.11. 2008 - B 14 AS 24/07 R - juris Rn. 25, 31 - BSGE 102, 60-68 und BSG v. 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris Rn. 25 - info also 2009, 133-134; zustimmend LSG Nordrhein-Westfalen v. 27.02.2012 - L 20 AY 48/08 - juris Rn. 61, das aber Zweifel an der Unionskonformität äußert, Rn. 68, anhängig unter BSG, Az: B 7 AY 4/12 R. © 2014 juris GmbH 10 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 23 widrigkeit der abgesenkten Grundleistungen von § 3 AsylbLG deutlich herausgestellt (vgl. zur Problematik auch die Kommentierung zu § 23 SGB XII Rn. 69 ff.). In diesem Sinne hat das BSG Ausländern, die europarechtskonform von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ausgeschlossen sind, Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege nach § 23 Abs. 1 Satz 3 24 SGB XII bei einem in Deutschland verfestigten Aufenthalt von 6 Monaten zugesprochen. 23 Es bestehen keine europarechtlichen Bedenken gegen die fehlende Erforderlichkeit einer analogen Anwendung von § 1a AsylbLG auf arbeitsuchende Ausländer. Der EuGH hat entschieden, dass Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten von Sozialhilfeleistungen ausschließt, die Drittstaatenangehörigen (z.B. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG) gewährt werden. Denn Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) verbietet eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit; die Norm findet aber keine Anwendung im Fall einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der 25 Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen. 3. Die Sanktionstatbestände a. Verschiedene Tatbestände 24 Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Nrn. 1 und 2 AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 gültigen Fassung enthielt nur zwei Anwendungsfälle: die sozialleistungsmotivierte Einreise in das Bundesgebiet (Nr. 1 a.F.) und die selbst zu vertretende Unmöglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Nr. 2 a.F.). Beide Alternativen führten zu nicht näher bestimmten Leistungsabsenkungen hinsichtlich Umfang und Dauer, als Ausnahme vom Regelfall des Bezugs von Grund- bzw. Analogleistungen nach §§ 2, 3 AsylbLG. Seit 24.10.2015 enthält § 1a AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG) verschiedene Tatbestände für – auf 6 Monate befristete (vgl. § 14 AsylbLG) – Leistungseinschränkungen, die sich hinsichtlich des Personenkreises, des sanktionierten Pflichtverhaltens und der Rechtsfolge unterscheiden. Im Ergebnis stellen sich ungelöste einfach- und verfassungsrechtliche Fragen. Mit diesen Änderungen will der Gesetzgeber die deutliche Verschärfung und Beschleunigung im Asyl- und Ausländerrecht im Leistungsrecht nachvollziehen und konzentriert sich auf spürbare Leistungseinschränkungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, die vereinfacht und schnell 26 in ihr Heimatland zurückgeführt werden sollen. 25 § 1a Abs. 1-4 AsylbLG normiert unabhängig voneinander vorliegende Sanktionstatbestände, die sich hinsichtlich des Personenkreises teilweise überschneiden, aber unterschiedliches Fehlverhalten sanktionieren. Ausreisepflichtige Personen sind von jeder Variante in § 1a AsylbLG erfasst. b. Kein Ermessen 26 Die Vorschrift gibt den Behörden kein Ermessen zur Anspruchseinschränkung bei Vorliegen des sanktionierten Tatbestandes. Dem Wortlaut der Norm nach ergibt sich kein Anhaltspunkt für ein Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Anspruchseinschränkung. Hierfür spricht der Wortlaut der Norm „erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur“ bzw. „haben keinen Anspruch auf“. Die Prüfung des Anspruchs beschränkt sich dann auf die Frage, welche Leistungen dem Ausländer überhaupt noch und ggf. über welchen Zeitraum noch zustehen. Hinsichtlich der Entscheidung, 23 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 24 Vgl zu den Ansprüchen von Ausländern nach dem SGB II und dem SGB XII: BSG v. 03.12.2014 - B 4 AS 59/13 R und B 4 AS 44/15 R; zuvor EuGH v. 15.09.2015 - RS C-67/14 - Celex-Nr. 62014CA0067 - Alimanovic. 25 Vgl. EuGH v. 04.06.2009 - C-22/08, C-23/08 - juris Rn. 48 ff. - InfAuslR 209, 265 = DVBl 2009, 972. 26 Vgl BT- Drs 18/6185, A. I. S. 25. © 2014 juris GmbH 11 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann was im Einzelfall das unabweisbar Gebotene nach § 1a Abs.1 AsylbLG gebietet, muss die Behörde eine Entscheidung treffen, die im vollen Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Einer vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt auch das neu definierte Leistungsminimum nach § 1a Abs. 2-4 AsylbLG. Beim Begriff des unabweisbar Gebotenen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Nicht überprüfbare Entscheidungsfreiräume der Behörde liegen hinsichtlich der Rechtsfolgen in § 1a AsylbLG nicht vor. 4. Einreise, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen (Absatz 1) 27 Eine Anspruchseinschränkung kommt im Absatz 1 nur in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte zum Zwecke des Erlangens von Leistungen des AsylbLG in die Bundesrepublik eingereist ist. Der bisherige § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. entspricht § 1a Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG). Inhaltlich wurde die Vorschrift nicht geändert. 27 Es ist dabei unerheblich, zu welchem Zeitpunkt die Ausländer in die Bundesrepublik eingereist sind, auch wenn sie bereits vor dem In28 krafttreten der zum 01.09.1998 eingefügten Vorschrift des § 1a AsylbLG eingereist sind. Die Anspruchseinschränkung durfte aber frühestens ab Inkrafttreten der Norm verhängt werden. Der Entschluss, zum Zwecke des Bezugs von Sozialleistungen in die Bundesrepublik einzureisen, muss bei der Einreise bestehen; sodass die Leistungsbehörde die Motivation retrospektiv auf dieses Datum prüfen muss. Die Antragstellung oder die Kenntnis der Behörde vom Anspruch auf Leistungen erfolgt regelmäßig erst später. a. Motive der Einreise 29 28 Schon vor Inkrafttreten des § 1a AsylbLG hatte das BVerwG das prägende Motiv der Einreise, Sozialhilfe zu erlangen, als den Anspruch ausschließend erachtet. Dieser Rspr. kann auch bei der Auslegung von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG gefolgt werden. 30 Ist der Erhalt von Sozialleistungen der einzige Grund der Einreise, so ist die missbräuchliche Einreiseabsicht verwirklicht. Hierbei genügt allerdings nicht, dass der Leistungsbezug nur beiläufig verfolgt oder nur billigend in Kauf genommen wird. 29 Problematisch ist es, wenn Ausländer verschiedene Zwecke der Einreise verfolgen. Dann kommt es darauf an, welcher Zweck für die Einreiseabsicht von prägender Natur war. Diese Notwendigkeit 31 folgt aus der Zweck-Mittel-Relation der Vorschrift (um zu). Der Bezug von Sozialleistungen aus anderen Motiven von untergeordneter Bedeutung, als beiläufiger Effekt wie auch als billigende Inkaufnahme des Zweckes reicht hingegen nicht aus. 32 30 Ein ernst gemeintes Asylbegehren mit der Furcht vor politischer Verfolgung unter billigender Inkaufnahme des Sozialleistungsbezugs wird daher regelmäßig nicht ausreichend sein, um eine Anspruchseinschränkung zu rechtfertigen. Dieser Personenkreis unterfällt von vornherein nicht dem Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG. 31 Gleiches dürfte gelten bei Flucht vor den Auswirkungen eines Krieges im Heimatland, z.B. in den Fällen der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina oder bei Flucht vor Repressalien 33 der serbischen staatlichen Kräfte. 27 Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2 zu lit. a, S. 13. 28 Vgl. Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2010, § 1a Rn. 42 ff m.w.N. 29 Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212 zu der nahezu wortgleichen Regelung des § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG; vgl. BSG v. 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, Rn. 25. 30 So auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris - SAR 2009, 34-36 zu § 1a Nr.1 AsylbLG a.F. 31 Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - juris Rn. 11 - BVerwGE 90, 212. 32 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris - SAR 2009, 34-36. 33 Vgl. VG Berlin v. 18.10.1999 - 37 A 279/99. © 2014 juris GmbH 12 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 32 Die ernste Furcht vor ethnischen Diskriminierungen durch staatliche Gewalt oder durch Dritte im Heimatland dürfte ebenfalls nicht den Missbrauchstatbestand verwirklichen. 33 Allein aus einer bindenden Ablehnung des Asylantrags kann nicht ohne weiteres auf die Absicht 34 geschlossen werden, dass die Einreise nur zum Zwecke des Leistungsbezugs erfolgte. Anhaltspunkte für den Missbrauchstatbestand können allerdings die Ablehnung als offensichtlich unbegründet, insb. auch die Vielzahl solcher ablehnender Entscheidungen sein, wenn die Begründung der Entscheidungen deutliche Anzeichen für den Missbrauch enthalten. 34 Ausreichend kann allerdings ein vorgeschobenes, nicht ernst gemeintes Asylbegehren sein, um den Leistungsbezug als prägendes Einreisemotiv zu verwirklichen. 35 Wird kein Asylbegehren gestellt, verfügen die Ausländer über fehlende Sprachkenntnisse, über fehlende finanzielle Mittel und über eine geringe Schul- und Ausbildung, so dass ihnen von vornherein die Aussicht auf eine soziale und berufliche Integration verwehrt ist, so liegen hinreichende Indizien vor, die den Schluss auf eine rechtsmissbräuchliche Einreiseabsicht erlauben. Denn in solchen Fällen sind die Ausländer auf staatliche Hilfe zum Bestreiten des Lebensunterhaltes 35 in der Bundesrepublik angewiesen. 36 Die auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat erfolgte Einreise in die Bundesrepublik rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, dass der Ausländer zum Zwecke der Inanspruch36 nahme von Sozialleistungen eingereist ist. (vgl. dazu § 1a Abs. 4 AsylbLG). Es müssen weitere Indizien hinzutreten, die einen sicheren Schluss auf die prägende Einreisemotivation des Bezugs von Leistungen nach dem AsylbLG bei Einreise über einen sicheren Drittstaat erlauben. Dies sind vorzugsweise Tatsachen, die sich aus der Einreise selbst (lange Verweildauer im sicheren Drittstaat). oder aus der Person des Ausländers (keine Eigenmittel) ergeben können. 37 Eine Einreise, die primär zum Zwecke der Familienzusammenführung erfolgt, erfüllt nicht den Sanktionstatbestand von Absatz 1. Dies widerspräche ansonsten dem Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG. Ausländer, die ernsthaft eine eheliche Lebensgemeinschaft mit dem bereits in der Bundesrepublik lebenden Ehepartner leben möchten, sind nicht rechtsmissbräuchlich eingereist. Ein primäres Zusammenleben mit Familienangehörigen in der Bundesrepublik dürfte entsprechend 37 zu beurteilen sein. Für das Eingehen von Scheinehen dürfte hingegen anderes gelten. 38 Anderes kann auch gelten, wenn der Entschluss, eine Familie zu gründen, erst unmittelbar nach 38 der Einreise in die Bundesrepublik gefasst wird und kein Asylbegehren formuliert wird. Miss- bräuchlich kann es auch sein, wenn die in der Bundesrepublik lebenden Familienangehörigen ihrerseits hilfebedürftig sind und selbst nur von Leistungen nach dem AsylbLG leben. Denn dann erfolgt die Einreise mit der hinreichenden Sicherheit, selbst von öffentlichen Leistungen leben zu 39 müssen. 39 Im Fall der grundlosen Wiedereinreise eines ausreisepflichtigen Ausländers wird die rechtmissbräuchliche Einreiseabsicht regelmäßig erfüllt sein. Allerdings werden in Fällen der wiederholten Einreise die näheren Umstände des Einzelfalls, die zur Wiedereinreise geführt haben, aufzuklären sein, bevor der Schluss der Rechtsmissbräuchlichkeit der Einreise gezogen werden darf. 34 Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212. 35 Vgl. auch Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 712; in diese Richtung auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY SAR 2009, 34-36. 36 Vgl. OVG Berlin v. 04.02.1999 - 6 SN 230.98, 6 SN 11.99 - NDV-RD 1999, 77; a.A. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 713. 37 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 20.12.2012 - L 15 AY 4/09 - juris Rn. 35 beim Zusammenleben mit Kindern. 38 Vgl. z.B. LSG Niedersachsen-Bremen v. 15.12.2008 - L 11 AY 92/08 ER - juris. 39 Vgl. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 712. © 2014 juris GmbH 13 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann b. Aufklärungspflicht der Behörde 40 Die Behörden haben das Einreisemotiv von Amts wegen umfassend aufzuklären. Hierzu gehören alle konkreten Umstände des Einzelfalls, die unter Heranziehung und Auswertung der Asylund Ausländerakten zu erforschen sind. Allein aus einer bindenden Ablehnung des Asylantrags kann nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden, dass die Einreise nur zum Zwecke des Leistungsbezugs erfolgte. Für jedes einzelne erwachsene Familienmitglied ist die Motivationslage zu erforschen. 41 Allerdings wird es angezeigt sein, bei unklarer Sachlage die Ausländer persönlich nach ihrem 40 Einreiseentschluss zu befragen. Denn das Motiv der Einreise ist ausschließlich in das Wissen der Ausländer gestellt. Die Einreisegründe müssen daher schon dargelegt und benannt werden, 41 um der Behörde eine Überprüfungsmöglichkeit zu geben. Die Behörde kann ansonsten nur Indizien aufklären, die für oder gegen das Motiv einer Einreise sprechen. c. Darlegungs- und Beweislast 42 Die Darlegungs- und Beweislast für anspruchseinschränkende Tatsachen liegt grundsätzlich bei der Behörde. Die Feststellungslast geht zulasten der Behörde, wenn anspruchseinschränkende 42 Tatsachen unerweislich bleiben oder im Fall des sog. non liquet. Für diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast spricht, dass derjenige, der eine nachteilige Rechtsfolge aus der Anwendung einer Norm ziehen will, auch die Feststellungslast für die nachteiligen Tatsachen trägt. Bei einer Einschränkung von Leistungen auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene bzw. auf das gesetzlich benannte Leistungsminimum als Folge eines Normverstoßes liegt eine solche Konstellation grundsätzlich vor. Die Sanktionsnorm von § 1a AsylbLG bezweckt im Übrigen die Verhinderung der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Der Nachweis des Rechtsmissbrauchs trifft die Behörde und nicht den Ausländer (vgl. auch die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 108). Für welche Tatbestandsvoraussetzungen in den Varianten von § 1a Abs. 1 bis 4 AsylbLG der Ausländer die Darlegungslast trägt, ergibt sich aus dem jeweiligen Tatbestand. Im Zuge der Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht durch die Asylpakete I und II sind z.B. erhebliche Anforderungen an die Darlegung von Reiseunfähigkeit aufgestellt worden, die den Ausländer treffen (vgl. Rn. 51). d. Keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast 43 Gibt der Ausländer keine oder unglaubhafte Erklärungen zu den Gründen seiner Einreise ab, muss unter Würdigung der unzureichenden Mitwirkung geprüft werden, ob die objektiven Indizien ausreichend sind, um den Leistungsanspruch einzuschränken. Gelingt dies nicht, dann bleibt es 43 bei der Feststellungslast der Behörde. Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ist nicht 44 anzunehmen, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich anderes regelt. Zwar verpflichtet § 7 Abs. 4 AsylbLG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I die Ausländer zur Angabe aller entscheidungsrelevanten Tatsachen. Kommen die Ausländer diesen Mitwirkungspflichten nicht nach, so sieht das AsylbLG 40 So auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - SAR 2009, 34-36. 41 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 21.08.2007 - L 23 B 10/07 AY ER - juris - FEVS 59, 233-235. 42 Vgl. auch Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 15; a.A. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 712 ff.; in diese Richtung auch Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630. 43 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 20.12.2012 - L 15 AY 4/09 - juris Rn. 37 f. 44 Vgl. a.A. wohl Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 17, Stand März 2009; vgl. auch Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 21. © 2014 juris GmbH 14 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann keine anderen Sanktionsmöglichkeit vor als die Anspruchseinschränkung. Die unzureichende Angabe von Tatsachen durch den Antragsteller ist daher im Rahmen der Subsumtion der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1a Abs. 1 bis 4 AsylbLG zu prüfen (vgl. auch Rn. 51). e. Minderjährige Kinder und Familienangehörige 45 44 Bis zum Inkrafttreten der seit 01.03.2015 gültigen Fassung von § 1a AsylbLG mussten sich minderjährige Leistungsberechtigte das zur Anspruchseinschränkung führende Verhalten ihrer 46 Eltern grundsätzlich zurechnen lassen. Dasselbe galt (meistens) für Ehefrauen, die für Fehlverhalten ihrer Ehegatten oft einzustehen hatten. Dadurch mussten Familienangehörige die Folgen des Fehlverhaltens des „Familien- oder Haushaltsvorstandes“ tragen, auch wenn sie keinen eigenen Beitrag hierzu geleistet hatten. Die Zurechnung fremden Fehlverhaltens ist nach der zum 01.03.2015 47 in Kraft getretenen Änderung von § 1a AsylbLG für Familienangehörige i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG ausgeschlossen. Die Neuregelung hat das Ziel, die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im Rahmen des § 1a AsylbLG aufzugeben (vgl. Rn. 3). Daher können Familienangehörige i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG von Leistungsberechtigten nur noch dann Adressaten einer Anspruchseinschränkung sein, wenn sie selbst die Voraussetzungen der anspruchseinschränkenden Tatbestandsmerkmale erfüllen. Obwohl sich dies dem Wortlaut nach nur für die Variante von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. („selbst“) ergibt, sollte diese Auslegung auch 48 für die Variante in § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. (Einreiseabsicht zum Sozialhilfebezug) gelten. 49 45 Das BSG hat am 28.05.2015 darauf hingewiesen , dass eine Absenkung des sog. Taschengelds (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.) bei verfassungskonformer Auslegung von § 1a AsylbLG a.F. nicht mehr auf ein Fehlverhalten der Eltern gestützt werden darf. Das BSG hat damit die bis zum 28.02.2015 geltende Fassung von § 1a AsylbLG im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG v. 50 18.07.2012 verfassungskonform interpretiert und diese Auslegung auf „Altfälle“ angewandt. Dasselbe gilt für die nicht mehr zulässige Zurechnung des Fehlverhaltens unter Eheleuten (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG). 5. Zu vertretende Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 2) 46 § 1a Abs. 2 AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG) enthält seit 24.10.2015 eine Neuregelung. Sie sanktioniert vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte, die einen feststehenden Ausreisetermin und bestehende Ausreisemöglichkeit nicht wahrnehmen. Die versäumte Pflicht zur freiwilligen Ausreise hat eine gravierende Leistungseinschränkung (vgl. dazu Rn. 149 ff.) zur Folge, auch wenn eine Abschiebung möglich wäre. 45 Vgl. Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187. 46 Vgl. LSG Bayern v. 19.06.2006 - L 11 B 94/06 AY PKH - juris - FEVS 58, 189-191 m.w.N. für die obergerichtliche Rspr.; Bayerischer VGH v. 06.12.2004 - 12 CE 04.3015 - juris. 47 Vgl. Art. 1 Nr.2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187. 48 Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 14 und S. 18 f.; vgl. dazu auch Deibel, ZFSH/SGB 2014, 475, 481. 49 Im unstreitig erledigten Revisionsverfahren B 7 AY 1/14 R - nach Terminbericht Nr. 22/15. 50 BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. © 2014 juris GmbH 15 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann a. Vollziehbar Ausreisepflichtige 47 Die Norm sieht Leistungseinschränkungen für vollziehbar Ausreisepflichtige vor, die unter keinen Umständen für ein Bleiberecht in Betracht kommen und deren Ausreisedatum und Reisemöglichkeit 51 feststehen. Die Norm zieht in ihren Anwendungsbereich nur Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG ein. Dies sind die sich im Bundesgebiet tatsächlich aufhaltenden Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Die Frage, ob vollziehbare Ausreisepflicht besteht, beantwortet sich allein nach dem Aufenthaltsrecht (§§ 50 ff., 57 ff. AufenthG, vgl. Rn. 18). Jedoch wird die Frage der vollziehbaren Ausreispflicht als Vorfrage für das Sozialleistungsrecht nicht ohne Beiziehung der Ausländerakten resp. einer Stellungnahme der Ausländerbehörde im Sozialgerichtsprozess zu beurteilen sein. Dies war auch schon nach alter Rechtslage üblich. Einer normativen Integration 52 von § 1a Abs. 2 AsylbLG in das Aufenthaltsrecht bedarf es wegen der Inzidentprüfung aber nicht. b. Familienangehörige 48 § 1a Abs. 2 AsylbLG enthält – anders als § 1a Abs. 1 und Abs. 3 AsylbLG – keine Regelung zu den Familienangehörigen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) von Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Jedes Familienmitglied muss aber die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG i.V.m. § 1a Abs. 2 AsylbLG selbst in eigener Person erfüllen; eine „Familienhaftung“ für Leistungseinschränkungen besteht nicht (vgl. Rn. 3, Rn. 44 f.). c. Feststehender Ausreisetermin und -möglichkeit 49 Die Leistungseinschränkung gilt für vollziehbar Ausreisepflichtige, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen (§ 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG). Diese Terminierung war bisher nicht im AsylbLG normiert. Neu im Aufenthaltsrecht ist insbesondere die Regelung, dass nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht mehr angekündigt werden darf (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG i.d.F. von Art. 3 Nr. 9 AsylVfBe53 schlG), um die Gefahr des Untertauchens zu verringern. Die versäumte Pflicht zur rechtlich und tatsächlich möglichen, freiwilligen Ausreise wird sanktioniert, auch wenn eine Abschiebung möglich wäre. Ab dem auf den versäumten Ausreistermin folgenden Tag greift die Leistungsabsenkung (vgl. dazu Rn. 149 ff.). d. Nicht zu vertretendes Ausreisehindernis 50 Die Anspruchseinschränkung greift dann nicht (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 1 HS. 2 AsylbLG), wenn die Ausreise aus Gründen, die die Leistungsberechtigten von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden konnte. Die Gesetzesmaterialien begründen den Ausschluss von der Leistungsbeschränkung für die Fälle, dass aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine Ausreise bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausgeschlossen sind, z.B. im 54 Fall der Reiseunfähigkeit oder wenn faktisch keine Reisemöglichkeit besteht. Der ursprüngliche Gesetzentwurf von September 2015 knüpfte die Ausnahme noch an ein „unverschuldetes“ Ausrei55 sehindernis. Ein subjektiv vorwerfbares Verhalten setzt der aktuelle Gesetzestext nicht voraus, der lediglich von einem „Nicht-Vertretenmüssen“ spricht. 51 So BT-Drs. 18/6386, B. zu Nr. 2, zu lit. a, S. 14. 52 So Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630. 53 Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 2. 54 Vgl. BT-Drs. 18/6185, zu Art. 2, zu Nr. 2, zu lit. b, S. 44. 55 Vgl. BT-Drs. 18/6185, zu Art. 2, zu Nr. 2, zu lit. b, S. 44. © 2014 juris GmbH 16 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 56 51 Im Rahmen des sog AsylPakets II wurden die Anforderungen im Aufenthaltsrecht an die Darlegung und den Nachweis gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, erheblich verschärft. Nach § 60 Abs. 2c und 2d AufenthG muss der Ausländer zum Nachweis von Reiseunfähigkeit bei Abschiebungen diese durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft machen und diese unverzüglich vorlegen, da andernfalls sein Vortrag zur Erkrankung präkludiert sein kann. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt eine konkrete Gefahr, die einer Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen entgegensteht, nur noch bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor – nicht aber bei der im Herkunftsland erworbenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) –, die sich infolge der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung im Bundesgebiet gleichwertig ist, Behandlungsmöglichkeiten in einem Teil des Rückkehrstaats sind 57 ausreichend. Diese Gesetzeslage wird bei der Beurteilung des Vertretenmüssens von Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sein. 6. Kein Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 3) 52 Der Vorläufer dieser Norm ist der bis zum 23.10.2015 gültige § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F., auch wenn er durch § 1a Abs. 3 AsylbLG modifiziert worden ist. Die Norm enthält eine konkrete Bestimmung des Beginns der reduzierten Leistungen. Der Beginn der Absenkung war nach alter Rechtslage unbestimmt. a. Beginn der Leistungseinschränkung 53 Anders als die Vorgängerregelung von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. ist der Beginn der Leistungseinschränkung auf einen festen Zeitpunkt bestimmt. Dies ist der auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung folgende Tag, § 1a Abs. 3 Satz 2 AsylbLG. Die Norm reduziert den Leistungsumfang nicht mehr wie die Vorgängerregelung auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene, sondern verweist auf das konkretisierte abgesenkte physische Minimum von § 1a Abs. 2 AsylbLG (vgl. dazu Rn. 149 ff.). b. Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige 58 54 Abweichend vom ursprünglichen Gesetzentwurf von September 2015 sind in § 1a Abs. 3 AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG) nur wenige Tage vor seinem Inkrafttreten auch Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG einbezogen worden. Dies sind Ausländer, die eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen. § 1a Abs. 3 AsylbLG erstreckt damit die in § 1a Abs. 2 AsylbLG vorgesehene Leistungsreduzierung auf den Personenkreis der Geduldeten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG und der vollziehbar Ausreisepflichtigen, § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. 55 Die Duldung, die eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist, ohne dass die Pflicht 59 zur Ausreise entfällt (§ 60a Abs. 3 AufenthG) , ist in § 60a Abs. 6 AufenthG verschärft und an das AsylbLG angeglichen worden. Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen (§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können 56 Vgl. dazu Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016, BGBl I 2016, 390, 392; BT-Drs. 18/7538 und BTDrs. 18/7645 vom 23.02.2016. 57 Vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18 f. 58 Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 10. 59 Vgl auch Bruns in: HK-AuslR, 2008, § 60a Rn. 29. © 2014 juris GmbH 17 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann (§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) oder er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a AsylG ist und sein nach dem 31.08.2015 gestellter Asylantrag abgelehnt worden ist (§ 60a Satz 1 Nr. 3 AufenthG). c. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 56 Der Begriff der Beendigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist im AsylbLG nicht näher definiert. Er nimmt Bezug auf die ausländerrechtlichen Kompetenzen zur Entfernung eines Ausländers aus der Bundesrepublik, die sich im 5. Kapitel des AufenthG, das die Beendigung des Aufenthalts regelt (§§ 50-65 AufenthG), befinden. Zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zählen: aa. Ausweisung 57 Bei der Ausweisung gem. § 53 AufenthG handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der zum Erlöschen des Aufenthaltstitels (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) führt und die Ausreisepflicht gem. § 50 Abs. 1 AufenthG begründet. Dem Ausländer ist es verwehrt, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). bb. Abschiebung 58 Bei der Abschiebung gem. § 58 AufenthG handelt es sich um eine spezialgesetzliche Sonderregelung der Verwaltungsvollstreckung der nicht vertretbaren Handlungspflicht eines ausreisepflich60 tigen Ausländers; mithin um die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Entfernung des Ausländers aus dem Bundesgebiet. cc. Zurückschiebung 59 Bei der Zurückschiebung gem. § 57 AufenthG handelt es sich um eine Spezialmaßnahme der Aufenthaltsbeendigung, die vorrangig vor der Abschiebung vollstreckt werden soll. Danach soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von 6 Monaten nach Grenzübertritt abgeschoben werden. Auf Asylsuchende ist dies nur in den engen Grenzen von § 18 Abs. 3 AsylG und § 19 Abs. 3 AsylG möglich. d. Keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aa. Freiwillige Ausreise 60 Bei der möglichen und zumutbaren freiwilligen Ausreise eines Ausländers aus dem Bundesgebiet handelt es sich nicht um eine Maßnahme i.S.v. § 1a Abs. 3 AsylbLG. Der freiwilligen Ausreise fehlt der Vollstreckungscharakter. bb. Zurückweisung, Einreiseverweigerung 61 Die an der Grenze erfolgte Zurückweisung gem. § 15 AufenthG und die Einreiseverweigerung gem. §§ 18, 18a AsylG zählen nicht zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, weil eine vollständige Einreise des Ausländers nicht erfolgt ist. e. Nichtvollziehbarkeit der Maßnahmen 62 Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dürfen nicht vollzogen werden können. Dies bedeutet, dass die von der Ausländerbehörde in Betracht gezogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht durchgesetzt werden können; sei es, dass sie von vornherein nicht vollstreckt werden können oder dass die bereits eingeleitete Vollstreckung nicht beendet werden kann. Den beabsichtigten oder eingeleiteten behördlichen Maßnahmen müssen Gründe entgegenstehen, die kausal dafür sind, dass die Ausländerbehörde die bestehende Ausreisepflicht der Ausländer nicht 60 Vgl. Oberhäuser in: HK-AuslR, 1. Aufl., § 58 Rn. 3. © 2014 juris GmbH 18 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann beenden kann, so dass der unerlaubte Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik faktisch fortgesetzt wird. Für die Ausländerbehörde muss eine Unmöglichkeit der tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung vorliegen. f. Gründe der Nichtvollziehbarkeit 63 Die Gründe der Unmöglichkeit der Vollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen können tatsächlicher (z. B. Vernichtung von Pässen) oder rechtlicher Art (Erlasslage) sein. Eine konkrete Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non für den Nichtvollzug muss vorliegen. g. Selbst zu vertretende Gründe 64 § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft für Geduldete und Ausreisepflichtige die Leistungsabsenkung an ein selbst zu vertretendes Verhalten, das dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegensteht. Die Gründe der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen müssen von den Leistungsberechtigten zu vertreten sein. Damit enthält der Sanktionstatbestand von § 1a Abs. 3 AsylbLG wie zuvor § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. eine subjektive Komponente, ohne deren Feststellung eine Anspruchseinschränkung nicht möglich ist. Das Merkmal des Vertretenmüssens, auf das zuvor § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG in der bis zum 31.05.1997 geltenden Fassung hinsichtlich der Ausreise und Abschiebung hindernden Gründe (insoweit in Anlehnung an § 30 Abs. 4 AuslG) abgestellt hatte, bestimmt allerdings nicht mehr die Abgrenzung zwischen dem Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und den privilegierten Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG, sondern nur noch die Abgrenzung zwischen den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und der An61 spruchseinschränkung. 65 Objektive Gründe, die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen unmöglich machen und die nicht in der Verantwortungssphäre der Ausländer liegen, wie z.B. ein Abschiebungsstopp, ein Luftembargo, nicht zu vertretender Nichtbesitz von Ausweispapieren, fehlende politische Abkommen zur Rücknahme der Ausländer oder eine entsprechende Erlasslage können damit von vornherein keine Anspruchseinschränkung rechtfertigen. aa. Kein Verschulden 66 Das Vertretenmüssen im Sinne von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. ist auch nicht gleichzusetzen mit einem 62 Verschulden i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG. Es geht daher nicht um die Feststellung eines Verschuldens im Sinne eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns oder Unterlassens der Leistungsberechtigten. Jedenfalls sind die an die subjektive Komponente zu stellenden Anforderungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG deutlich schärfer. 63 bb. Zurechnung zum Verantwortungsbereich 67 Das Vertretenmüssen i.S.v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft vielmehr an das eigene Verhalten des Leistungsberechtigten in dem Sinne an, dass das Verhalten allgemein 64 geeignet sein muss, sich seiner Ausreisepflicht zu entziehen. Es ist danach erforderlich, aber auch ausreichend, dass das Ergebnis der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzu- 61 Vgl. BVerwG v. 03.06.2003 - 5 C 32/02 - DVBl 2004, 56. 62 Vgl. unklar insofern BSG v. 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 46 einerseits und juris Rn. 34, 39 andererseits - BSGE 101, 4970; deutlich hingegen LSG Thüringen v. 23.03.2009 - L 8 B 131/08 AY - juris - SAR 2009, 70-72. 63 Sog. doppelter Vorsatz, BSG v. 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 31, 39 - BSGE 101, 49-70. 64 Vgl. schon OVG Niedersachsen v. 30.01.1995 - 12 M 5688/94 - Nds MBl 1995, 872 und OVG Niedersachsen v. 27.01.1997 - 12 M 264/97 zu der Vorläufervorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG i.d.F. 1993 - juris. © 2014 juris GmbH 19 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 65 rechnen sind. Auf das Vertretenmüssen im zivil- oder auf die Vorwerfbarkeit im strafrechtlichen Sinne kommt es hingegen nicht an. Der Ausländer muss bei entsprechendem Willen in der Lage und aus Rechtsgründen verpflichtet oder es muss ihm zuzumuten sein, ein Verhalten zu unterlassen bzw. ein Handeln vorzunehmen. Eine solche Situation liegt aber dann gerade nicht vor, wenn die 66 Rechtsordnung dem Leistungsberechtigten nicht auferlegt, sich in bestimmter Weise zu verhalten. h. Konkrete Monokausalität 68 Problematisch ist es, wenn nicht eine einzige Ursache im Sinne einer conditio sine qua non für die Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Betracht kommt, sondern mehrere Ursachen hierfür vorliegen. Dann ist zunächst zu prüfen, in wessen Verantwortungsbereich diese Ursachen fallen. Liegen mehrere Ursachen für die Unmöglichkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor, so dürfen den Leistungsberechtigten lediglich die Gründe zugerechnet werden, die sie nur selbst zu vertreten haben. Ursachen, die im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörden, des Heimatlandes oder im politischen Raum anzusiedeln sind und die die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung ebenfalls kausal beeinflussen, scheiden für eine Anspruchseinschränkung aus. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Leistungsberechtigten gesetzte Ursache die einzige und ausschließliche sein muss, die die Anspruchseinschränkung rechtfertigt. Die Leistungsberechtigten müssen sich hingegen keine außerhalb ihres Verantwortungsbereiches liegenden Risiken zurechnen lassen. Seit der ab 01.03.2015 gültigen Neuregelung von § 1a AsylbLG müssen sie sich auch nicht mehr das persönliche Fehlverhalten von leistungsberechtigten Familienange67 hörigen zurechnen lassen (vgl. Rn. 3). i. Kongruenz von Fehlverhalten und Anspruchseinschränkung 69 Die Anspruchseinschränkung nach Absatz 3 kommt nur so lange in Betracht, wie das rechtsmissbräuchliche Verhalten anhält. Daher wird eine Deckungsgleichheit (Kongruenz) von rechtsmissbräuchlichem Verhalten und Leistungszeitraum vorausgesetzt. Anders als es das BSG für den Missbrauchstatbestand i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG annimmt (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 86 ff.), rechtfertigt das rechtsmissbräuchliche Verhalten i.S.v. § 1a AsylbLG keine dauernde, bis zur Erteilung des Aufenthaltstitels, unter Umständen lebenslängliche Anspruchseinschränkung. Der Leistungsberechtigte muss das inkriminierte Verhalten jederzeit abstellen oder korrigieren können. Die Anspruchseinschränkung findet daher bei rechtskonformem Verhalten 68 des Ausländers keine Rechtsgrundlage mehr. Dies erfordert eine Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen durch die Sozialbehörde in kurzen Abständen. Dem trägt jetzt auch der seit 24.10.2015 gültige § 14 AsylbLG Rechnung, der für alle Anspruchseinschränkungen nach dem AsylbLG gilt (vgl. die Kommentierung zu § 14 AsylbLG). j. Umfassende Einzelfallprüfung 70 Letztendlich lässt sich das Vorliegen des Missbrauchstatbestandes nur anhand einer umfassenden und konkreten Prüfung des Einzelfalls bewerten. 65 Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen v. 13.01.2009 - L 11 AY 45/07 ER; ähnlich LSG Baden-Württemberg v. 24.11.2008 - L 7 AY 5149/08 ER- B. 66 Vgl. OVG Niedersachsen v. 30.01.1995 - 12 M 5688/94 - Nds MBl 1995, 872 und OVG Niedersachsen v. 27.01.1997 - 12 M 264/97 zu der Vorläufervorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG i.d.F. 1993 - juris. 67 Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 19. 68 So OVG Niedersachsen v. 30.07.1999 - 12 M 2997/99 - juris. © 2014 juris GmbH 20 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann k. Konkrete Beispiele aa. Gesetzesmaterialien 71 Anwendungsfälle für sanktioniertes Verhalten nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a. F. finden sich in den 69 Gesetzesmaterialien. Hierunter sollten Tatbestände fallen, wonach der Aufenthalt aus von Ausländern zu vertretenden Gründen nicht beendet werden kann. Dies sollte beispielsweise gelten, wenn sie nicht bei der Passbeschaffung mitwirken, Ausweisdokumente vernichtet haben oder ihre Abschiebung durch Widerstandshandlungen oder auf andere von ihnen zu vertretende Weise vereitelt haben. bb. Vernichtung bzw. Verlust von Ausweispapieren 72 Die Vernichtung von Ausweispapieren ist ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien als Verhalten genannt, das zur Anspruchseinschränkung berechtigt. Das Vernichten oder auch der Verlust von Ausweispapieren und die darauf beruhende Unmöglichkeit der Durchsetzung der Ausreisepflicht sind in dem Verantwortungsbereich der Leistungsberechtigten liegende und von ihnen zu 70 vertretende tatsächliche Abschiebungshindernisse. Durch den Verlust von Ausweispapieren wird die Vollziehung der Ausreisepflicht langfristig unmöglich gemacht, jedenfalls aber im Hinblick auf die häufigen Schwierigkeiten bei der Neubeschaffung der Ausweispapiere verzögert. Oft wird auch das Nichtvorhandensein von Ausweispapieren behauptet, um den wahren Reiseweg zu verschleiern, über die Identität zu täuschen oder um die zu erwartende Ausreiseaufforderung und Abschiebung zu umgehen. Daher sind der Nichtbesitz von Ausweispapieren und die darauf beruhende Unmöglichkeit der Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich als ein im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten liegendes und von diesem zu vertretendes Abschiebungshindernis anzuse71 hen. 73 Allerdings wird bei der Variante des Verlusts genau zu überprüfen sein, aus welchen Gründen der Verlust erfolgte, insb. ob die Leistungsberechtigten den Verlust allein zu verantworten haben. Anders wird die Situation zu beurteilen sein, wenn der Verlust nicht ohne weiteres dem Ausländer allein zuzurechnen ist, wenn z.B. der Heimatstaat die Papiere eingezogen hat oder Schleuser die Ausweispapiere bei Einreise abgenommen haben. Allein der Nichtbesitz von Ausweispapieren rechtfertigt hingegen nicht die Anspruchseinschränkung, wenn der Nichtbesitz objektiv nicht im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten liegt. cc. Täuschung oder Verschleierung der Identität bzw. Staatsangehörigkeit 74 Die Täuschung über die Identität eines Leistungsberechtigten, etwa durch falsche Angaben zur Person (Name, Geburtsort oder -jahr, Staatsangehörigkeit) erfüllen den Missbrauchstatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. Ein Verschleiern der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit liegt vor, wenn der Leistungsberechtigte z.B. unklare oder widersprüchliche Angaben macht oder die Angaben keine Feststellung der Identität oder Nationalität, die für eine Aufenthaltsbeendigung unabdingbar sind, zulassen. 75 Eine Angleichung zum AsylbLG findet sich in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG. Danach hat der geduldete Ausländer die Gründe, weshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, insbesondere dann zu vertreten, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. 69 Vgl. BT-Drs. 13/10155, S. 5. 70 Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 14.09.1994 - 6 S 2074/94 - FEVS 46, 27 zum Verlust von Papieren. 71 Vgl. Bayerischer VGH v. 27.02.2002 - 12 CE 01.2945 - juris. © 2014 juris GmbH 21 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann dd. Fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Dokumenten 76 Diese in der Praxis sehr häufig vorliegende Konstellation setzt voraus, dass die den Leistungsberechtigten abverlangte Mitwirkung rechtmäßig, verhältnismäßig und zumutbar ist (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 76 ff.) und hinter dieser Mitwirkung das ernsthafte Bestreben der Behörde steht, die Leistungsberechtigten in ihr Heimatland zurückzuführen und dies auch objektiv von Erfolg sein wird bei entsprechender Mitwirkung. 77 Die Rspr. hat die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Pässen oder Ersatzdokumenten für die Heimreise als ausreichend anerkannt, wenn z.B. jegliche Mitwirkung verweigert wurde. Oftmals haben die Leistungsberechtigten dies schriftlich gegenüber der Behörde erklärt. Anerkannt ist aber auch eine über Jahre hinweg unterbliebene bzw. nur unzureichende Mitwirkung bei 72 der Beschaffung von Heimreisepapieren. 78 Zumutbar sind sämtliche Handlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätsdokuments 73 (Pass, Passersatz, Visum) oder zur Beschaffung von Heimreisepapieren notwendig sind und nur persönlich erbracht werden können. Hierzu zählen z.B. das Ausstellen von Passfotos, das Ausfüllen von Antragsformularen, Angaben zu im Ausland lebenden Angehörigen. Zumutbar ist es insb. auch, nach abgeschlossenem negativem Asylverfahren (nicht während des laufenden Asylverfahrens) zur Beschaffung von Identitätspapieren die diplomatischen Vertretungen des Heimatstaates im Bundesgebiet aufzusuchen, insb. wenn die Leistungsberechtigten vollziehbar 74 ausreisepflichtig sind. 79 Im Einzelfall ist dabei das jeweilige Heimatland in den Blick zu nehmen und zu prüfen, welche Anforderungen dieses Land an eine Rückkehr stellt. Daran sind die zumutbaren Mitwirkungshandlungen auszurichten. 80 Für den Libanon und Syrien ist es als zumutbar erachtet worden, Geburtsurkunden, Personenstandsauszüge oder andere Registerauszüge aus den im Heimatland geführten Registern unter 75 Einschaltung von im Ausland lebenden Verwandten oder über Vertrauensanwälte zu beschaffen. 81 Für die Rückkehr in den Iran ist es als zumutbar erachtet worden, die sog. Freiwilligkeitserklärung der von der Auslandsvertretung des Heimatstaates geforderten Erklärung, freiwillig dorthin zurück76 zukehren, abzugeben. Die Verweigerung der Abgabe dieser Erklärung zur freiwilligen Ausreise gegenüber der ausländischen Vertretung des Irans ist selbst dann als zumutbar erachtet worden, wenn die Ausländer nicht ausreisen wollen. Denn der Iran hat die Ausstellung von Heimreisepapieren (Passersatzpapieren) von der Abgabe der Ausreiseerklärung der in Deutschland lebenden Iraner abhängig gemacht. Solange diese Erklärung nicht vorliegt, liegt ein tatsächliches Abschie77 behindernis vor, das die Ausländer regelmäßig zu vertreten haben. Anders hingegen hat das 72 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 22.08.2007 - 16 A 1158/05 - juris - NDV-RD 2007, 125-127; LSG Nordrhein-Westfalen v. 02.02.2007 - L 20 B 65/06 AY ER - juris - SAR 2007, 34-36. 73 Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 15.04.2009 - 1 L 229/04 - juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 19.08.2009 - L 9 B 371/08 - juris. 74 Vgl. OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58. 75 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 08.05.2000 - 16 B 2033/99 - juris. 76 Vgl. OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58; vgl. zur Zumutbarkeit der von der iranischen Vertretung geforderten Freiwilligkeitserklärung: BVerwG v. 10.11.2009 - 1 C 19/08; OVG NRW v. 29.06.2010 - 18 A 1425/09; LSG Baden-Württemberg v. 24.11.2008 - L 7 AY 5149/08 ER-B; LSG Sachsen-Anhalt v. 28.07.2007 - L 8 B 11/06 AY ER; LSG Sachsen v. 30.06.2011 - L 7 AY 8/10 B ER - alle zitiert nach juris. 77 Vgl. dazu OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58 und LSG Niedersachsen-Bremen v. 19.06.2007 - L 11 AY 57/06 und LSG Niedersachsen-Bremen v. 19.08.2008 - L 11 AY 33/08 ER, ebenso LSG Baden-Württemberg v. 24.11.2008 L 7 AY 5149/08 ER B - juris und m.w.N. zur verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung: OVG Nordrhein-Westfalen v. 18.06.2008 - 17 A 2250/07 - AuAS 2008, 208-211. © 2014 juris GmbH 22 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann BSG entschieden im Fall der verweigerten Abgabe einer sog. Ehrenerklärung mit dem Inhalt, dass eine Staatsangehörige aus Mali erklären sollte, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren. Dieses Verhalten erfüllt nicht den Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. (und auch nicht den des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 2 AsylbLG, vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 68). Nach dieser Entscheidung kann niemand gezwungen werden, eine in der Sache falsche 78 Erklärung abzugeben, selbst wenn er zur Ausreise verpflichtet ist. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 2 AsylbLG, wenn ein wegen der Nichtableistung des Militärdienstes ausgebürgerter ehemals türkischer Staatsangehöriger sich weigert, gegenüber dem türkischen Staat eine verbindliche Erklärung darüber abzugeben, dass er den Wehrdienst ab79 leisten wolle, um die Ausreise bzw. Abschiebung zu ermöglichen. 82 Ob allein die Nichtvorlage von Passfotos, die für die Ausstellung von Heimreisepapieren notwendig sind, ausreichend für eine Anspruchseinschränkung ist, ist unter Gesichtspunkten der Verhältnis80 mäßigkeit zweifelhaft. ee. Widerstandhandlungen 81 83 Ausweislich der Gesetzesmaterialien unterfallen auch Widerstandshandlungen zur Vereitelung der Abschiebung dem Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. In Betracht kommen solche Aktivitäten des Leistungsberechtigten, die auch nur zeitweilig die Flugreise in das Heimatland verhindern, oder aktive Widerstandshandlungen gegen Vollzugsbeamte. ff. Dauernde Reiseunfähigkeit 84 Eine dauernde Reiseunfähigkeit des Leistungsberechtigten, die eine Rückkehr in das Heimatland unmöglich bzw. unzumutbar macht, begründet nicht den Missbrauchstatbestand des § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. Gesundheitliche Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, erkennt das Gesetz nur noch bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen an (zur Ausreisevariante und zur Reiseunfähigkeit vgl. § 1a Abs. 2 AsylbLG und Rn. 50 f.). Zwar liegt der Umstand einer ernsthaften Erkrankung allein im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten. Doch wird in einem solchen Fall die Missbräuchlichkeit als Korrektiv dienen können. Bei anlagebedingter oder degenerativer Erkrankung wird ein Missbrauchsvorwurf nicht zu erheben sein. Anders wird eine vorsätzlich herbeigeführte Erkrankung zu beurteilen sein, die lediglich dem Ziel der Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen dient (z.B. vorgetäuschte Suizidabsicht oder Selbstverletzung). gg. Wahrnehmung von Rechtsbehelfen 85 Der weitere Verbleib der Leistungsberechtigten im Bundesgebiet infolge der Wahrnehmung von Rechtsbehelfen wie Petitionen (Art. 17 GG) oder aufenthaltsrelevanten gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten wird nicht von vornherein den Missbrauchstatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. begründen können. Es müssen schon weitere gravierende Umstände hinzutreten, die auf ein Vertretenmüssen des Leistungsberechtigten schließen lassen. Solche Umstände können in der querulatorischen oder missbräuchlichen Inanspruchnahme solcher Rechtsbehelfe liegen. Hierfür müssen allerdings konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Asylfolgeantragsteller (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG) sind von vornherein nicht vom Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG erfasst (vgl. Rn. 20). 78 Vgl. BSG v. 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - nach Terminbericht Nr. 30/13. 79 SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris. 80 Bejahend SG Stade v. 21.04.2006 - S 19 AY 13/06 ER. 81 Vgl. BT-Drs. 13/10155, S. 5. © 2014 juris GmbH 23 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann hh. Kirchenasyl 86 Ob das durch eine Kirchengemeinde nach abgeschlossenem Asylverfahren gewährte Kirchenasyl den Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. erfüllt, mit der Folge, dass oftmals überhaupt keine Sozialleistungen mehr gewährt werden, so dass die Ausländer von kirchlichen Spenden ihren 82 Lebensunterhalt bestreiten müssen, ist problematisch. Dagegen spricht, dass die Leistungsberechtigten den Umstand der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter Umständen nicht allein und ausschließlich zu vertreten haben. Das Kirchenasyl setzt eine kirchliche Entscheidung voraus und oftmals steht dahinter eine politische Vereinbarung der Landeskirche mit der jeweiligen Landesregierung. Dann fehlt es zumindest für die Zeit des Kirchasyls über das ernsthafte und zielgerichtete Bestreben der Ausländerbehörde, den Leistungsberechtigten zurückzuführen. Allerdings sind in solchen Fällen die Umstände des Einzelfalls sehr sorgfältig aufzuklären und zu bewerten. l. Minderjährige Kinder und Familienangehörige 87 Minderjährige Leistungsberechtigte und Familienangehörige mussten sich das zur Anspruchseinschränkung führende Verhalten ihrer Eltern bzw. des Ehegatten seit der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1a AsylbLG a.F. – in beiden Varianten – nicht mehr zurechnen lassen (vgl. Rn. 3, Rn. 44). In § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. wurde daher das Wort „selbst“ neu eingefügt. Bis dahin ist die Rechtsprechung von einer akzessorischen Anspruchseinschränkung bei leistungsberechtigten Familienangehörigen ausgegangen. 83 88 Im Hinblick auf den Einbezug der Familienangehörigen (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) von Geduldeten und Ausreisepflichtigen bleibt es auch ab 24.10.2015 bei der Vorgängerregelung von § 1a 84 Nr. 2 AsylbLG a.F. Hiervon gehen die Gesetzesmaterialien aus. Allerdings entspricht diese Begründung nicht dem Gesetzestext von § 1a Abs. 3 Satz 3 AsylbLG, der für Familienangehörige nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG von ausreisepflichtigen oder geduldeten Personen – redaktionell fehlerhaft – auf Absatz 1 verweist und nicht – wie es zutreffend lauten müsste – auf Satz 1 entsprechend. Der Verweis auf § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG in § 1a Abs. 3 Satz 3 AsylbLG gewährleistet, dass bei Familienangehörigen Leistungsabsenkungen nur dann möglich sind, wenn aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen 85 werden können. Die Formulierung „selbst“ ist in § 1a AsylbLG a.F. erst mit Wirkung vom 01.03.2015 in die Norm aufgenommen worden, um deutlich zu machen, dass eine akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen nicht mehr zulässig ist, insbesondere nicht bei Kindern und Minderjährigen, aber auch unter Eheleuten nicht. Hintergrund dieser Regelung war, dass § 1a AsylbLG in der bis 28.02.2015 gültigen Fassung den vom BVerfG am 18.07.2012 86 hervorgehobenen Grundsatz der individuellen Anspruchsberechtigung im AsylbLG nicht hinreichend Rechnung getragen hat und daher die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im Rahmen des § 1a AsylbLG aufgegeben worden ist. 87 82 Bejahend: OLG Hamm v. 24.11.1997 - 15 W 431/97 - NJW 1998, 463; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 28. 83 Vgl. zur alten Rechtslage, die minderjährige Kinder in die „Familienhaftung“ nahm: LSG Sachsen-Anhalt v. 19.06.2014 - L 8 AY 15/13 B ER - juris; Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris; LSG Bayern v. 19.06.2006 - L 11 B 94/06 AY PKH - juris - FEVS 58, 189-191 m.w.N. für die obergerichtliche Rspr.; Bayerischer VGH v. 06.12.2004 - 12 CE 04.3015 - juris. 84 Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2, zu lit. a, S. 14. 85 Dies übersieht Rixen, NVwZ 2015, 1640, 1642. 86 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1BVL 2/111 - BVerfGE 132, 134. 87 Vgl. BSG v. 28.5.2015 - B 7 AY 1/14 R - unstreitig erledigt, zitiert nach Terminbericht Nr. 22/14 unter bsg.bund.de. © 2014 juris GmbH 24 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 89 Der wortgetreue – aber redaktionell fehlerhafte – Verweis auf § 1a Abs. 1 AsylbLG würde als Verweis auf dessen Tatbestand bedeuten, dass die Leistungsabsenkung für Familienangehörige von Geduldeten bzw. Ausreisepflichtigen nur in dem Fall gilt, wenn sie sich in das Bundesgebiet begeben haben, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Das aber ist ein völlig anderes Fehlverhalten als das in § 1a Abs. 3 AsylbLG sanktionierte Fehlverhalten der Eltern. Wäre der Verweis auf § 1a Abs. 1 AsylbLG ein Rechtsfolgenverweis, erhielten Familienangehörige von Geduldeten bzw. Ausreisepflichtigen unterschiedliche Leistungen: das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene und nicht die in § 1a Abs. 2 AsylbLG konkretisierten Leistungen. All das ist nicht plausibel. m. Darlegungs- und Beweislast 90 Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchseinschränkenden Tatsachen liegt bei der Behörde. Die Feststellungslast geht zulasten der Behörde, wenn anspruchseinschränkende Tatsachen unerweislich bleiben oder im Fall des sog. non liquet (vgl. Rn. 42 f.). 7. Relokationsbeschlüsse und Verteilmechanismus in der EU (Absatz 4) 91 § 1a Abs. 4 AsylbLG normiert Leistungseinschränkungen für die von den sog. Relokationsbeschlüssen des Rats der Europäischen Union aus September 2015 betroffenen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen. Der Gesetzestext ist abweichend vom ursprünglichem Gesetzentwurf 88 vom 29.09.2015 kurzfristig im Gesetzgebungsverfahren drittstaatsoffen mit Rücksicht auf Belange 89 der Schweiz geändert worden. Gleichwohl bleibt fraglich, an welches Fehlverhalten des Ausländers die Norm anknüpft, um über einen Verweis auf § 1a Abs. 2 AsylbLG die Leistungen auf das Minimum der physischen Existenz abzusenken (vgl. dazu Rn. 149 ff.). Die Gesetzesmaterialien deuten darauf hin, dass die Norm die bloße Zugehörigkeit zum Personenkreis der „relocated people“ sanktioniert. a. Personenkreis 92 § 1a Abs. 4 AsylbLG zieht in den Anwendungsbereich der Norm Leistungsberechtigte nach § 1 Nr. 1 AsylbLG ein; dies sind die sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen oder Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG; dies sind die vollziehbar Ausreisepflichtigen, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. b. Abweichung von der Dublin III-VO 93 § 1a Abs. 4 AsylbLG setzt eine andere Zuständigkeit als die Deutschlands für die o.g. Leistungsberechtigten voraus, zunächst in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der sog. Dublin III-Verordnung. Hierbei handelt es sich um die zum 01.01.2014 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (VO (EU) 604/2013) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten 90 Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Die dort begründete Regelzuständigkeit bedeutet, dass die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder 88 Vgl. § 1 Abs. 3 i.d.F. von Art. 2 Nr. 2b), BT-Drs. 18/6185, S. 10, S. 44. 89 Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2, zu lit. a S 14. 90 Vgl. Abl. EU L 180 vom 29.06.2013, 31; zur Dublin III-VO vgl. BVerwG vom 17.09.2015 - 1 C 26.14 - InfAuslR 2016, 21. © 2014 juris GmbH 25 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann Staatenlosen im Hoheitsgebiet durch den einen EU-Mitgliedstaat geprüft wird, wo der Antrag auf internationalen Schutz erstmals gestellt wurde. Dies gilt auch, wenn der Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens gestellt wurde (vgl Art. 1, 7, 15 VO (EU) Nr. 604/2013). c. Umsiedelungen 94 Überdies muss die von der Regelzuständigkeit abweichende Zuständigkeit für diese Antragsteller nach einer Verteilung durch die Europäische Union bestehen für einen anderen Mitgliedstaat oder für einen am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat, z.B. die Schweiz sowie Island, Norwegen und Liechtenstein, die über Assoziierungsabkommen am Verteilmechanismus teilnehmen. Solchen Umsiedelungen (relocations) hat die EU durch den Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates der EU vom 14.09.2015 sowie Beschluss (EU) 2015/0209 (NLE) vom 22.09.2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von 91 Italien und Griechenland zugestimmt. Sie enthalten vorläufige Maßnahmen, um diese Mitgliedstaaten durch den plötzlichen Zustrom von schutzbedürftigen Drittstaatsangehörigen bzw. Staatenlosen entstandene Notlage besser zu bewältigen. D.h. eine Umsiedelung nach Maßgabe der Beschlüsse erfolgt nur bei Antragstellern, die einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien oder Griechenland gestellt haben und für die diese Mitgliedstaaten nach der Dublin III-VO ansonsten zuständig gewesen wären. Die Beschlüsse der EU entfalten Verbindlichkeit (vgl. Art 288 AEUV). 95 Unter diese sog Quotenregelung fallen 160.000 Personen, die von Italien und Griechenland vorläufig und vorübergehend in andere Mitgliedstaaten bzw. in – am Verteilmechanismus beteiligte – Drittstaaten umgesiedelt werden (vgl. Art. 4 der Beschlüsse). Hiervon betroffene Personen, die sich in Deutschland tatsächlich aufhalten und leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 AsylbLG sind, erhalten dann nur das auf das unter das physische Existenzminimum reduzierte Minimum nach § 1a Abs. 2 AsylbLG, wenn sie von der EU an einen anderen Ort als das Bundesgebiet verteilt worden sind. d. Regelzuständigkeit nach der Dublin III-VO 96 Die minimalen Leistungen (§ 1a Abs. 2 AsylbLG) sollen auch für Leistungsberechtigte in Anwendung der sog. Dublin III-VO (EU) 604/2013 gelten (sog. Dublin-Fälle), also für die ein Drittstaat 92 zuständig ist. Aus § 1a Abs. 4 AsylbLG ergibt sich dies nicht. Möglich ist aber, dass dieser Personenkreis bei vollziehbarer Ausreisepflicht (vgl. § 34a AsylG) und Vorliegen der Voraussetzungen von § 1a Abs. 1-3 AsylbLG den dortigen Anspruchseinschränkungen unterliegt. Leistungsabsenkungen bei vollziehbar Ausreisepflichtigen nach der Dublin III-VO auf das nach § 1a Abs. 2 AsylbLG reduzierte Minimum dürften keinesfalls so lange rechtens sein, bis die Rücküberstellung – die staatlich überwachte Ausreise in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mit93 gliedstaat – als gescheitert gelten muss. Dies steht der Befristungsregelung nach § 14 AsylbLG entgegen. Die über einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) eingereisten Leistungsberechtigten werden jetzt auch durch den im AsylPaket II eingefügten § 11 Abs. 2a AsylblG berücksichtigt, für die eine Leistungsabsenkung entsprechend § 1a Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AsylbLG während der frühen Phase ihres Aufenthalts im Bundesgebiet vorgesehen ist. 94 91 Vgl. Abl. EU L 239 vom 15.09.2015, 146 und Abl. EU L 248 vom 24.09.2015, 80. 92 So Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630. 93 So aber Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630. 94 Vgl. BT-Drs. 18/7538 v. 16.02.2016, S. 24; BT-Drs. 18/7645 v. 23.02.2016; Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016, BGBl I 2016, 390, 392. © 2014 juris GmbH 26 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann e. Fehlverhalten 97 Kann allein die Festlegung von Zuständigkeits- und Verteilungsfragen zwischen EU- Mitgliedstaaten für Schutzbedürftige die Leistungsabsenkung auf das physische Existenzminimum legitimieren? Der Wortlaut von § 1a Abs. 4 AsylbLG lässt ein konkretes ausländerrechtliches Fehlverhalten vermissen. Ebenso sprechen die Gesetzesmaterialien dafür, dass der Gesetzgeber allein an die Zugehörigkeit zum Personenkreis der sog. „relocated people“ anknüpft, um die Leistungen zur Vermeidung einer Sekundärmigration EU-weit abzusenken. Dies allerdings steht im Widerspruch dazu, dass Leistungsabsenkungen nicht mit migrationspolitischen Erwägungen zu rechtfertigen sind, um Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich hohes Leistungsniveau 95 zu vermeiden. Zweifelhaft ist auch, ob die Norm dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gerecht wird. Denn den von Anspruchseinschränkungen Betroffenen, insb. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs.1 Nr. 5 AsylbLG, wird in § 1a Abs. 1 bis 3 AsylbLG ein konkretes, selbst zu vertretendes ausländerrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen, als Folge dessen eine Leistungseinschränkung greift. Das aber regelt § 1a Abs. 4 AsylbLG dem Wortlaut nach nicht. Die sozialleistungsmotivierte (Sekundär-)Migration wird vielmehr in § 1a Abs. 1 AsylbLG sanktioniert. IV. Rechtsfolgen, insbesondere zu Absatz 1 1. Unterschiedliche Rechtsfolgen 98 Als Rechtsfolge normierte § 1a AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 gültigen Fassung für beide Sanktionstatbestände von § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. die Anspruchseinschränkung auf das „im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene“. Diese Rechtsfolge der Anspruchseinschränkung gilt seit 24.10.2015 nur noch für die sozialleistungsmotivierte Einreise in das Bundesgebiet nach § 1a Abs. 1 AsylbLG. Die Regelungen in § 1a Abs. 2-4 AsylbLG sehen als Rechtsfolge ein neues gesetzlich normiertes reduziertes physisches Existenzminimum vor (vgl. dazu Rn. 149 ff.). Neu ist, dass die reduzierten Leistungen in § 1a Abs. 2 AsylbLG konkret benannt sind, während § 1a Abs. 3 und Abs. 4 AsylbLG hierauf entsprechend verweisen bzw. auf die Rechtsfolge Bezug nehmen. Dem von der Rechtsfolge des § 1a Abs. 2 AsylbLG betroffenen Personenkreis werden zeitlich befristet (vgl. § 14 AsylbLG) nur noch Leistungen zur Deckung seines notwendigen Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (§ 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG), ohne Bedarfe an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts. Dies ist ein gesetzlich neu festgelegtes Leistungsminimum (vgl. dazu Rn. 149 ff.). 2. Kein Ermessen 99 § 1a Abs. 1 AsylbLG ist keine Ermessensvorschrift. Auch § 1a Abs. 2-4 AsylbLG enthält keine Ermessenermächtigung. Hierauf deutet der Wortlaut hin „erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur“. Die Behörde ist gebunden und verpflichtet, die Leistungen einzuschränken, wenn der Sanktionstatbestand von § 1a Abs. 2-4 AsylbLG erfüllt ist. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung in § 1a Abs. 2 AsylbLG „ihnen werden nur noch Leistungen … gewährt“. 95 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 95. © 2014 juris GmbH 27 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 3. Das unabweisbar Gebotene 100 Die Rechtsfolge von § 1a Abs. 1 AsylbLG der „unabweisbar gebotenen“ Leistung ist rechtstechnisch ein unbestimmter Rechtsbegriff, der uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Ein behördlicher Beurteilungsspielraum besteht nicht, weil es sich um eine grundrechtsintensive Leistungsabsenkung handelt, bei der die Gerichte in jedem Einzelfall die Behördenentscheidung darauf hin zu prüfen haben, ob das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG noch gewahrt ist. Das unabweisbar Gebotene erschließt sich nach dem Wortlaut der Norm nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls. Was im Einzelfall unabweisbar geboten ist, kann daher im Einzelfall höchst unterschiedlich ausfallen. 4. Kein Anspruchsausschluss 96 101 Als Rechtsfolge von § 1a AsylbLG tritt eine Anspruchseinschränkung ein. Ein Anspruchsausschluss lässt sich hingegen auf der Grundlage von § 1a AsylbLG nicht begründen. Hiergegen spricht neben dem Wortlaut der Norm die unterschiedliche Ausgestaltung im Bereich des SGB XII. Dort ist ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruchsausschluss – und eben keine Anspruchseinschränkung – vorliegt (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bzw. vormals § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG). Einen Anspruchsausschluss enthält z.B. § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bei unbegründeter Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit. 5. Umstände des konkreten Einzelfalls 102 Die unabweisbar gebotenen Leistungen sind nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalls festzulegen. Dies setzt voraus, dass die zuständige Leistungsbehörde im konkreten Einzelfall auch entsprechende Sachverhaltsermittlungen durchgeführt hat, die eine solche Einschätzung erlauben. Hierbei bezieht sich die Einzelfallprüfung, ob die gewährte Leistung zu kürzen ist, auf welche Art und Weise (Geld- oder Sachleistung), in welchem Umfang und für welche Dauer. Eine Anspruchseinschränkung anhand von Pauschalen (z.B. prozentuale Abschläge) 97 verbietet sich daher von vornherein. 103 Bei den konkreten Umständen des Einzelfalls ist immer die Aufenthaltsdauer in den Blick zu nehmen. Hierzu zählt der bereits in der Bundesrepublik zurückgelegte Aufenthalt wie die weitere voraussichtliche Verweildauer. Dies gilt auch bei unrechtmäßigem Aufenthalt und bestehender Ausreisepflicht, so dass sich eine pauschale Betrachtung auch hier verbietet. Wenn eine konkrete, kurzfristige Rückkehr in das Heimatland bevorsteht, kann dieser Gesichtspunkt von Relevanz sein für die Frage, welche Leistungen noch im Bundesgebiet unabweisbar geboten sind und welche in Kürze schon im Heimatland erbracht werden können. Ebenso ist bei nicht absehbarer Rückkehr und langjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik unter Umständen keine oder eine geringere Anspruchseinschränkung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in Erwägung zu ziehen mit Rücksicht auf den zweifelsohne dann vorhandenen Integrationsbedarf. 6. Grenzen der Anspruchseinschränkung a. Verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum 104 Die nicht zu unterschreitende untere Grenze einer Anspruchseinschränkung ist das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum gem. Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG zur Führung eines menschenwürdigen Lebens, um dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip Rechnung zu tragen. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch erstreckt sich nur auf jene 96 So die h.M.; vgl. nur Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 33 m.w.N. 97 Dem folgend: LSG Niedersachsen-Bremen v. 08.04.2014 - L 8 AY 57/13 B ER - juris Rn. 20. © 2014 juris GmbH 28 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Lebens unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kultu98 rellen und politischen Leben umfasst. Eine vollständige Versagung oder die komplette Einstellung der Sozialleistungen auf der Grundlage von § 1a AsylbLG ist daher von vornherein unzulässig. Allerdings kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung der notwendigen Bedarfe und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und 99 Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Die Anspruchseinschränkung auf das hier relevante unabweisbar Gebotene darf keinesfalls unter die Sicherung der physischen Existenz eines Menschen gehen. Ob und in welchem Umfang Leistungen im Bereich der soziokulturellen Teilhabe einzuschränken sind, ist umstritten. 105 Unterhalb der Grenze eines verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums dürfte jedenfalls die auf die Reisekosten in das Heimatland (Fahrkarte, Flugticket) und den notwendigen Reiseproviant beschränkte Leistung sein. Eine solche Anspruchseinschränkung dürfte daher von 100 vornherein unzulässig sein. § 1a AsylbLG muss das verfassungsrechtlich garantierte Existenz- minimum auch während des unrechtmäßigen Aufenthaltes bis zur Aufenthaltsbeendigung stets und jederzeit sicherstellen. b. Zur Ausstrahlungswirkung von BVerfG vom 18.07.2012 106 Eine Ausstrahlungswirkung in Bezug auf die Rechtsfolgenseite von § 1a AsylbLG kommt dem 101 Urteil des BVerfG zu, das entschieden hat, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG in der bis zum 28.02.2015 gültigen Fassung (a.F.) evident unzureichend war. Die Regelungen von § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylbLG a.F. und § 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 bzw. 2 AsylbLG a.F. verstießen gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und waren verfassungswidrig, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen nicht angepasst worden sind und ein menschenwürdiges Existenzminimum damit nicht mehr gewährleistet wurde (vgl. die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). Es hatte den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu schaffen und hat bis dahin selbst eine Übergangsregelung angeordnet (vgl. die Kommentierung zu § 3 AsylbLG zur übergangsweise geltenden Höhe der Regelbedarfe nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG a.F. und zur Höhe des Geldbetrags zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.). Diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber erst durch die zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Änderungen 102 des AsylbLG Rechnung getragen. 98 Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. m.w.N. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12. 99 Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. m.w.N. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12. 100 Vgl. Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 25, Stand August 2012; Hohm, AsylbLG, § 1a Rn. 150, Stand Juli 2010 m.w.N. 101 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 102 Vgl. das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014, 2187). © 2014 juris GmbH 29 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 107 Die Frage der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene musste wegen der Entscheidung des BVerfG neu gestellt werden. Maßgeblich hierfür ist die tragende Feststellung des BVerfG: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch 103 nicht zu relativieren.“ Demnach können migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein international vergleichbares hohes Leistungsniveau zu vermeiden, von vornherein ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht 104 rechtfertigen. Damit ist die Grenze dessen beschrieben, die bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG nicht unterschritten werden darf. Auch wenn diese Entscheidung des BVerfG nicht zu § 1a AsylbLG ergangen ist, zeigt sie gleichwohl eine hierauf bezogene Ausstrahlungswirkung. Die Instanzgerichte haben sich mit der Frage, ob § 1a AsylbLG im Lichte der Verfassungswidrigkeit von § 3 AsylbLG a.F. noch verfassungskonform ist, beschäftigt und sie unterschiedlich beantwortet. Die Entscheidungen, die angesichts ihrer Fülle hier nicht umfassend dargestellt werden können, sind im vorläufigen Rechtsschutz und auf der Basis des vom BVerfG angeordneten Übergangsrechts ergangen, weil eine gesetzliche Neuregelung bislang fehlte. 108 Da sich aber aus der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Regelung von § 1a AsylbLG dem Wortlaut nach nichts Näheres zur Lösung der vorgenannten Problematik ergibt, hat die unten stehende Rechtsprechung mindestens solange Relevanz, bis sich auf der Basis der Neuregelung von § 3 AsylbLG – die sich an der Übergangsregelung des BVerfG orientiert – eine neue Rechtsprechung zu § 1a AsylbLG herausgebildet hat. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die Lösung der aus der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 105 im Hinblick auf § 1a AsylbLG hervorgegan- genen Problematik (ob der Leistungsanspruch einzuschränken und welcher Bedarf über welchen Zeitraum zu kürzen ist) vollends der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen. aa. Rechtsprechung im vorläufigen Rechtsschutz vor dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen § 3 AsylbLG 106 109 Das Bayerische LSG hat die Frage, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. (hier: Verweigerung des Barbetrags nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. über mehr als 3 Jahre) nach dem Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 grundsätzlich verwehrt sind, im Rahmen seiner Folgenabwägung bewusst offengelassen: Es sei durchaus möglich, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf das Taschengeld habe nach der Übergangsregelung im Urteil des BVerfG. Es weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass § 1a AsylbLG nach dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG, Bearbeitungsstand 04.12.2012, unverändert bestehen bleiben solle und eine Vielzahl der Erlasse der Bundesländer zur Umsetzung des Urteils des BVerfG v. 12.07.2012 die weitere Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG a.F. bejahten, weil es sich um eine zulässige Vorschrift gegen Sozialleistungsmissbrauch handele. 103 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 104 BVerfG v. v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 105 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 106 Bay. LSG v. 24.01.2013 - L 8 AY 2/12 B ER und L 8 AY 4/12 B ER - juris; mit Anmerkung Wahrendorf, jurisPR-SozR 15/2013, Anm. 2. © 2014 juris GmbH 30 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 110 In Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen, des LSG Rheinland-Pfalz und des LSG Berlin-Brandenburg wurde der Rechtsbegriff der „im Einzelfall unabweisbar gebotenen Leistungen“ auf der Rechtsfolgenseite des § 1a AsylbLG a.F. verfassungskonform so ausgelegt, dass für die Zeit bis zu der vom BVerfG eingeforderten gesetzlichen Neuregelung keine Absenkung der Grundleistungen von § 3 AsylbLG a.F. auf das Niveau von § 1a AsylbLG in Betracht kommt (Verweigerung oder Kürzung des Barbetrags). 107 So wurde argumentiert, dass auch im Rahmen von § 1a AsylbLG der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten dürfe. Insofern könnten sich bei summarischer Prüfung für die nach § 1a AsylbLG unabweisbar zu gewährenden Leistungen wertmäßig keine Unterschiede zu jenen Leistungen ergeben, die nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten als Übergangsleistungen nach § 3 AsylbLG a.F. zur Verfügung zu stellen seien. 108 111 Das LSG Hessen hat eine langjährige, fast sechsjährige Leistungskürzung nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. als nicht mehr verfassungsgemäß unter Beachtung eines restriktiven Auslegungsmaßstabs gesehen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass eine solche Leistungseinschränkung nur im Hinblick auf einen absehbar kurzen Aufenthalt des Ausländers im Inland verfassungskonform sei, weil nur dann von einem besonderen, verminderten Bedarf auszugehen sei. 109 112 Das LSG Hamburg 110 , das LSG Niedersachsen-Bremen 112 Sachsen-Anhalt , auch das LSG Berlin-Brandenburg 111 , das Thüringer LSG 113 , das SG Münster 114 , das LSG haben hingegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert und Leistungsabsenkungen z.B. um den Barbetrag zur Deckung des täglichen Lebens (40,90 € monatlich) wie auch Leistungskürzungen in Höhe von Leistungen des soziokulturellen Existenzminimums (z.B. bei der jeweiligen Regelbedarfsstufe bzw. insgesamt i.H.v. 15%-20%) für rechtens erachtet. Für die Rechtmäßigkeit dieser Leistungsabsenkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. wurde auf vergleichbare Möglichkeiten von Leistungskürzungen im Grundsicherungsrecht, die an Mitwirkungshandlungen anknüpfen (§ 31 SGB II, §§ 26, 41 Abs. 4 SGB XII), Bezug genommen. Demnach hätten die Beteiligten es selbst in der Hand, durch ihr Verhalten Leistungskürzungen zu beenden. 115 113 Das SG Stade hat ausgeführt, dass das aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums gewährleiste, sondern in Fällen pflicht- oder gar sozialwidrigen Verhaltens (nur) verbiete, den Einzelnen ohne jede Alternative in einer Situation zu belassen, in der das physische Existenzminimum 107 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 24.04.2013 - L 20 A Y 153/12 BER - juris, mit beachtlichen Gründen; LSG Rheinland-Pfalz v. 27.03.2013 - L 3 A Y 2/13 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg v. 06.02.2013 - L 15 A Y 2/13 B ER und LSG Berlin-Brandenburg v. 10.12.2013 - L 15 A Y 23/13 BER, L 15 AY 24/13 B PKH; im Ergebnis so auch die erste Instanz: SG Lüneburg v. 13.12.2012 S 26 A Y 26/12 ER; SG Düsseldorf v. 19.11.2012 - S 17 A Y 81/12 ER; SG Altenburg v. 11.10.2012 - S 21 A Y 3362/12 ER; SG Köln v. 25.01.2013 - S 21 A Y 6/13 ER; SG Leipzig v. 20.12.2012 - S 5 A Y 55/12 ER; SG Gelsenkirchen v. 21.01.2013 - S 32 A Y 120/12; SG Magdeburg v. 24.01.2013 - S 22 A Y 25/12 ER;SG Würzburg v. 01.02.2013 - S 18 A Y 1/13 ER;SG Hildesheim v. 27.12.2012 S 42 AY 9/12 ER. 108 Vgl. LSG Hessen v. 09.12.2013 - L 4 AY 17/13 B ER - juris. 109 LSG Hamburg v. 29.08.2013 - L 4 AY 5713 ER, L 4 AY 6/13 PKH - juris. 110 LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.03.2013 - L 8 AY 59/12 B ER - juris; LSG Niedersachsen-Bremen v. 18.02.2014 - L 8 AY 70/13 B ER - juris und LSG Niedersachsen-Bremen v.08.04.2014 - L 8 AY 57/13 B ER - juris. 111 LSG Thüringen v. 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER - juris. 112 LSG Sachsen-Anhalt v. 19.08.2013 - L 8 AY 3/13 B ER - juris; LSG Sachsen-Anhalt v. 02.09.2013 - L 8 AY 5/13 B ER - juris. 113 LSG Berlin-Brandenburg v. 23.07.2013 - L 23 AY 10/13 B ER - juris. 114 SG Münster v. 27.02.2013 - S 12 AY 11/13 R - juris; anders aber SG Münster v. 01.03.2013 - S 12 AY 13/13 R - juris. 115 SG Stade v. 05.03.2013 - S 33 AY 53/12 ER - juris; vgl. auch SG Stade v. 13.06.2013 - S 33 AY 50/12 - juris. © 2014 juris GmbH 31 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann aktuell nicht gewährleistet sei. Wenn Einschränkungen der Leistungen nach SGB II und SGB XII auch angesichts der Rechtsprechung des BVerfG zur Höhe der Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich zulässig seien und zugleich für Leistungsbezieher nach SGB II, SGB XII und AsylbLG hinsichtlich des Anspruchs auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums dieselben Maßstäbe gelten sollten, sei kein Grund erkennbar, warum Leistungen nach dem AsylbLG dem Grunde nach nicht eingeschränkt werden könnten. Dementsprechend lehnt sich das SG bei dem Umfang der Leistungseinschränkung an § 26 SGB XII an. 116 114 Das SG Hildesheim hat die Auffassung vertreten, dass aus dem Urteil des BVerfG 117 zumindest die Verpflichtung zu einer sehr restriktiven Auslegung und Anwendung des § 1a AsylbLG a.F. folge. Die vollständige Streichung des Barbetrages zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums scheide danach ebenso aus wie eine dauerhafte Leistungseinschränkung. bb. Stellungnahme 115 Die volle Tragweite der Entscheidung des BVerfG 118 ergibt sich daraus, dass das überkommene Regelungskonzept des AsylbLG als weder realitätsgerecht noch frei von Diskriminierung 119 verworfen worden ist. Das BVerfG hat aufgezeigt, dass die bis dahin maßgebliche Annahme des Gesetzgebers (quasi die Geschäftsgrundlage), auf dem das AsylbLG beruht, sich in der Realität mangels empirischer Grundlage als nicht fundiert erwiesen hat. Dies lässt sich an den bemerkenswerten Worten des BVerfG nachvollziehen, dass das Regelungskonzept des AsylbLG von einem kurzfristigen und vorübergehenden Aufenthalt ausgeht, während der überwiegende Teil des Personenkreises, der vom AsylbLG erfasst wird, sich bereits mehr als sechs Jahre in Deutschland aufhält. Daher fehlt ein plausibler Beleg, dass der vom AsylbLG erfasste Personenkreis sich typischerweise nur für kurze Zeit in Deutschland aufhält. Auch hat es bezweifelt, ob die dem Gesetz zugrunde liegende Annahme, dass ein kurzer Aufenthalt eine begrenzte Leistungshöhe rechtfertigt, zutrifft. Damit hat das BVerfG den Boden bereitet, um sich von der bis dahin vorherrschenden ausländerrechtlichen Sichtweise zu lösen, dass ein Leistungsanspruch auf Sozialhilfeniveau nur bei einem gesicherten – und nicht bei ungesichertem – Daueraufenthalt besteht. 120 Die bis dahin vorherrschende Interpretation des AsylbLG als ein Annex des Ausländerrechts ist zugunsten einer auf den existenzsichernden Bedarf von Menschen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – gerichteten Auslegung korrigiert worden. Das menschenwürdige Existenzminimum (bestehend aus einem physischen und soziokulturellen Minimum) muss vom Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik realisiert werden. Migrationspolitisch ist die Menschenwürde nicht zu relativieren und daher können migrationspolitische Erwägungen, von vornherein kein Absenken des Leistungs121 standards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Dem Gesetz- geber hat das BVerfG aufgegeben, ein empirisch fundiertes, datenbasiertes Regelungssystem zu schaffen, mit Hilfe dessen sich die konkreten existenzsichernden Bedarfe für den nicht homogenen Personenkreis nach dem AsylbLG nachvollziehen lassen; nur so können evtl. Minderbedarfe realitätsgerecht nachvollzogen werden. Bis dahin aber hat es mangels vorhandener Daten bzw. 116 SG Hildesheim v. 27.12.2012 - S 42 AY 9/12 ER - juris; SG Hildesheim v. 06.12.2012 - S 42 AY 152/12 ER - juris. 117 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 118 BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450; zuvor BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12. 119 Vgl. Baer, Recht und Politik 2013, 90, 96. 120 Vgl. Eichenhofer, SGb 2012, 565. 121 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 95 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012. © 2014 juris GmbH 32 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann anderer Erkenntnisse über Bedarfe solcher Menschen den übergangsweisen Bedarf entsprechend den §§ 5-8 RBEG der Höhe nach selbst festgelegt (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG Rn. 6 ff.). Die Rechtsprechung des BVerfG steht insofern im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der entschieden hat, dass Leistungen für Asylbewerber hoch genug sein müssen, um die Grundbedürfnisse der Asylbewerber zu decken und ihnen ein menschenwürdiges Leben 122 zu ermöglichen, bei dem ihre Gesundheit gewährleistet ist. 116 Angesichts der evident unzureichenden Leistungen nach dem bis zum 28.02.2015 geltenden § 3 AsylbLG a.F. und der ausdrücklichen Rechtsfolgenanordnung des BVerfG war daher bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung kein Raum für Leistungskürzungen, die unterhalb der Höhe der vom BVerfG übergangsweise genannten Beträge lagen. Andernfalls bestand die Gefahr, dass das existenzsichernde Minimum unterschritten würde. Es wäre dann nicht auszuschließen gewesen, dass das auf der Rechtsfolgenseite in § 1a AsylbLG a.F. genannte unabweisbar Gebotene ebenfalls unterschritten wäre. Nach der Gesetzeslage war unklar, ob beide Begriffe dieselbe Untergrenze beschreiben bzw. worin der graduelle Unterschied liegen sollte. 123 Dies festzulegen, wäre an sich Aufgabe des Gesetzgebers gewesen. Dass der Barbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. als Leistung der soziokulturellen Teilhabe zum notwendigen Existenzminimum zählt, stand nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 außer Frage. Solange eine Neuregelung nicht existierte, war ungewiss, welche existenzsichernden Bedarfe zu decken sind und wie sich das nicht zu unterschreitende Existenzminimum für den Personenkreis nach § 1 AsylbLG zusammensetzte. Daher war bis auf weiteres als Rechtsfolge von § 1a AsylbLG a.F. die vom BVerfG in der Übergangsregelung genannte Leistungshöhe im Einzelfall zu gewähren; dies führte aber nicht etwa dazu, dass die Vorschrift tatbestandsmäßig „außer Kraft“ gesetzt wurde. 124 cc. Rechtslage nach dem vom 01.03.2015 bis 23.10.2015 geltenden AsylbLG 117 Aus der bis 23.10.2015 gültigen Regelung von § 1a AsylbLG a.F. ergibt sich nicht, in welchem Umfang und über welche zeitliche Dauer Anspruchseinschränkungen zulässig sind; insofern ist auch keine relevante Änderung im Hinblick auf den seit 24.10.2015 gültigen § 1a Abs. 1 AsylbLG erfolgt. Der Gesetzgeber überlässt insofern weiterhin der Rechtsprechung die Beantwortung der Frage, ob eine Anspruchseinschränkung verfassungskonform ist und ggf. wo genau das zulässige Maß einer Einschränkung des Anspruchs auf das unabweisbar Gebotene liegt. Nach der Neukonzeption von 3 AsylbLG a.F. zum 01.03.2015 (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG) ging der Gesetzgeber stillschweigend davon aus, dass es graduelle Unterschiede gibt zwischen dem in § 3 AsylbLG a.F. gesetzlich festgelegten menschenwürdigen Existenzminimum und dem unabweisbar Gebotenen in § 1 Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bedarf nach wie vor der Auslegung und Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Damit sind Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt geblieben, die weitere Konkretisierungen in der Norm gefordert hatten (vgl. Rn. 3). Wünschenswert wäre gewesen, dass die Neuregelung von § 1a AsylbLG ein transparentes Sanktionskonzept enthalten hätte, ähnlich wie es in §§ 31, 31a, 31b SGB II normiert ist. Dies ist leider nicht erfolgt. 118 Daher wird sich die Rechtsprechung auch weiterhin fragen müssen, wo Spielraum für eine Anspruchseinschränkung besteht, um das vom Gesetzgeber festgelegte Existenzminimum auf das unabweisbar Gebotene beschränken zu dürfen. Anknüpfungspunkt könnte der dem Gesetzgeber 122 Vgl. EuGH v. 27.02.2014 - C-79/13 - juris Rn. 48 - Saciri. 123 Vgl. dazu auch Rothkegel, ZAR 2012, 357, 366. 124 A.A. Deibel, ZFSH/SGB 2013, 252 unter Bezugnahme auf LSG Thüringen v. 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER. © 2014 juris GmbH 33 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann auch vom BVerfG eingeräumte Gestaltungsspielraum sein, im Rahmen dessen er bestimmt hat, in welcher Höhe Bedarfe zur Sicherung der physischen und sozialen Existenz notwendig sind. Weiter ist der Spielraum, wenn es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht, enger hingegen im Bereich des physischen Existenzminimums. Im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums sind Leistungseinschränkungen denkbar, wenn angesichts einer kurzen Aufenthaltsdauer bestimmte konkrete Bedarfe geringer sind oder erst gar nicht entstehen. Von Bedeutung ist aber, dass auch in einem solchen Fall der individuelle (Minder-)Bedarf geprüft und ermittelt wird. Ob das unabweisbar Gebotene mit dem in §1a Abs. 2 AsylbLG neu definierten Leistungsminimum identisch ist, ist fraglich. Dem Gesetzgeber bleibt es jedenfalls auch weiterhin überlassen, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert. 125 119 Allerdings kann der Verweis auf die nach dem SGB II/SGB XII als verfassungsgemäß erachteten 126 Leistungskürzungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in § 1a AsylbLG um andere Kon127 stellationen geht und sich Bedarfszumessungen folglich auch anders darstellen. So betrifft der Tatbestand von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht nur – aber wohl überwiegend – einen generalpräventiven Zweck, der Ausländer davon abhalten soll, überhaupt in das 128 Bundesgebiet einzureisen. Ist dieser Tatbestand verwirklicht, so lässt sich das sanktionierte Verhalten nur dann durch eigenes Handeln abstellen, wenn die Personen wieder freiwillig ausreisen, was regelmäßig nicht der Fall ist, oder durch hoheitliche Maßnahmen der Rückführung in die Heimat, die oftmals jahrelang nicht zielführend sind. Die auf einen nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik zugeschnittene Variante von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG verliert dann aber ihre eigentliche Zweckbestimmung. 120 Einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG wird sich im Grundsatz dann mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in Einklang bringen lassen, wenn die Variante sehr restriktiv gehandhabt wird. Dass das AsylbLG eine Sanktion an ein Verhalten knüpft, welches von der Intention getragen ist, Sozialleistungen durch die Einreise gezielt zu erlangen, ist grundsätzlich nicht „sachfremd“. Denn auch dem AsylbLG liegt der Gedanke zugrunde, dass Notlagen nicht vorsätzlich herbeigeführt werden sollen (vgl. auch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Befinden sich die Personen allerdings auf dem Territorium der Bundesrepublik, steht ihnen die existenzsichernde Mindestsicherung zu, weil die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist. 129 Das unabweisbar Gebotene richtet sich dann im Einzelfall nach der konkreten Lebenssituation, wobei der Aufenthaltsstatus und die Aufenthaltsdauer zu berücksichtigen sind. Hingegen hat die Art und Schwere des Fehlverhaltens bei der Bedarfsprüfung außer Betracht zu bleiben. Halten sich die Personen z.B. gleichwohl längere Zeit in der Bundesrepublik auf und besteht keine Aussicht auf eine absehbare Rückkehr in die Heimat, sind die Bedarfe an der dann bestehenden konkreten Lebenssituation zu bemessen. 125 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012; BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12. 126 Vgl. zur Verfassungskonformität von Leistungskürzungen des SGB II um 30 v.H.: BSG vom 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R - SozR 44200 § 31a Nr. 1; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG v. 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15 - juris; zum vorherigen Diskussionsstand zum SGB II: vgl. Berlit, info also 2013, 195; dagegen Neskovic, info also 2013, 205; Neskovic/Erdem, SGB 2012, 134, 138 f.; differenzierend dazu Kempny/Krüger, SGb 2013, 384, 389 f. 127 Vgl. instruktiv zu diesem Problem auch Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn 44 f. 128 Vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, 384, 389, die diesen Zweck konsequent als sachfremde Erwägung bezeichnen bei der Festlegung des existenznotwendigen Bedarfs. 129 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012. © 2014 juris GmbH 34 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann Die Wirkung des nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a AsylbLG inkriminierten Verhaltens muss sich daher aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei einem nicht lediglich kurzen Aufenthalt in der Bundesrepublik in zeitlicher Hinsicht erschöpfen. Beschränkungen auf einen vierjährigen Zeitraum nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. entbehren jeder tragfähigen Grundlage und sind daher 130 „ins Blaue hinein“ gegriffen. 121 Bei Anspruchskürzungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG geht es um Sanktionen, die auf einer von den Ausländern selbst zu vertretenden Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen beruhen. Diese Personen können folglich die Leistungskürzungen durch eigenes Verhalten abwenden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Zweck der Leistungskürzung überhaupt noch erreicht werden kann. Insofern verbieten sich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jahrelange Leistungskürzungen, wenn es allein durch Zeitablauf völlig aussichtslos geworden ist, dass der Leistungszweck noch erreicht werden könnte, z.B. weil die lange Aufenthaltsdauer das Verlassen des Bundesgebiets in hohem Maße unwahrscheinlich gemacht 131 hat. Auch dann ist die konkrete Lebenssituation in den Blick zu nehmen, anhand derer der indi- viduelle Bedarf zu ermitteln ist. 122 Eine verfassungskonforme Anwendung der Norm müsste daher Folgendes sicherstellen: • 132 Einschränkungen des Leistungsanspruchs sind in jeder Hinsicht restriktiv zu handhaben unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in jedem Einzelfall. • Der Leistungssuchende muss in der Lage sein, d.h. es muss ihm objektiv möglich und subjektiv zumutbar sein, das ihm vorgeworfene Fehlverhalten selbst abzustellen; d.h. besteht eine solche Möglichkeit nicht, dürfen Leistungen auch nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a 133 Abs. 3 AsylbLG nicht eingeschränkt werden. • Leistungseinschränkungen dürfen nur zeitlich begrenzt verhängt werden (z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraumes). Keinesfalls dürfen sie dauerhaft und auch nicht langjährig verhängt werden 134 (vgl. hierzu § 14 AsylbLG). • Die Verhängung von Leistungseinschränkungen setzt ein rechtmäßiges Verwaltungsverfahren (Anhörung und schriftlicher Verwaltungsakt) voraus. 135 123 Allein die Beachtung dieser Vorgaben dürfte schon zu einer erheblichen Änderung der Verwaltungspraxis der Behörden beitragen und den Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG deutlich reduzieren. Eine weitere Reduzierung der Anwendungsfälle kommt hinzu, weil nach neuer Rechtslage die weitreichende sog. „Familienhaftung“ entfallen ist (vgl. Rn. 3). 130 A.A. Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249, 254; ebenso Petersen, ZFSH/SGB 2014, 669, 675, 680, die beide diesen Zeitraum für die Alternativen von § 1a AsylbLG a.F. für noch angemessen halten. 131 A.A. wohl Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249, 254. 132 Dem folgend SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris Rn. 51 m.w.N. 133 Vgl. in diese Richtung auch Rothkegel, ZAR 2012, 357, 361; a.A. Wahrendorf, jurisPR-SozR 15/2013, Anm. 2; Berlit, info also 2013, 195, 198, dort in Fn. 32. 134 So zwar Hessisches LSG v. 06.01.2014 - L 4 AY 19/13 B ER - juris, das andererseits von einem – viel zu langem – maximalen Zeitraum von 4 Jahren für die Anspruchseinschränkung in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. ausgeht, unter Hinweis auf Hessisches LSG v. 09.12.2013 - L 4 AY 17/13 B ER - juris; Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 48 orientiert sich an der Wartefrist von 15 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, die hier ebenfalls kein Maßstab sein kann. 135 So auch Hessisches LSG v. 06.01.2014 - L 4 AY 19/13 B ER - juris; vgl. SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris. © 2014 juris GmbH 35 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann c. Spielraum für Bedarfskürzungen nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen AsylbLG 124 Die Leistungssätze nach der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Fassung von § 3 AsylbLG wurden in Anlehnung an das SGB II und SGB XII auf der Grundlage des Statistikmodells der Einkommens und Verbrauchsstichprobe (EVS) erstmals ermittelt. Die Neuregelung orientierte sich bis auf geringe Abweichungen an der Übergangslösung des BVerfG vom 18.7.2012. Die alten Leistungssätze nach § 3 AsylbLG a.F. wurden deutlich erhöht. Im Vergleich zur Übergangsregelung wurden einzelne Bedarfe herausgenommen, die bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entweder nicht anfallen oder anderweitig gedeckt werden. Die Leistungssätze werden nach den Vorgaben des BVerfG – in Anlehnung an das SGB II und SGB XII – regelmäßig fortgeschrieben (vgl. im Einzelnen ausführlich die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). Ausgangspunkt für Überlegungen zu Kürzungen muss die neue Bedarfszumessung von § 3 AsylbLG sein. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, wo Spielraum für eine Absenkung auf das unabweisbar Gebotene verbleibt. Diese Prüfung trägt – umgekehrt – dem vom BVerfG hervorgehobenen Grundsatz der bedarfsgerechten Verwirklichung des individuellen Leistungsanspruchs Rechnung, der mit dem Änderungs136 gesetz des AsylbLG vom 10.12.2014 realisiert werden soll. 125 Der existenznotwendige Bedarf wird – anders als im SGB II und im SGB XII – durch Sachleistungen und einen Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 AsylbLG sichergestellt, wenn die Leistungsberechtigten in Aufnahmeeinrichtungen i.S.v. § 44 AsylG leben. Bei einer dezentralen Unterbringung außerhalb solcher Einrichtungen sind seit 01.03.2015 vorrangig Geldleistungen zur Deckung 137 des notwendigen Bedarfs nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu gewähren. Die Bedarfsdeckung wird dann vollständig über Geldleistungen erbracht, die sich aus dem Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 AsylbLG a.F. und dem notwendigen Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylbLG a.F. zusammensetzen. Der notwendige Bedarf kann aber auch, soweit es erforderlich ist, in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden, § 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG (vgl. im Einzelnen ausführlich die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). Spielraum für Anspruchskürzungen dürfte am ehesten beim Bargeldbedarf verbleiben. Dies entspricht auch der bis dahin gültigen Rechtslage (vgl. dazu Rn. 136 ff.) d. (Keine) Möglichkeiten der Leistungseinschränkung aa. Medizinische Notversorgung 126 Aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 GG verbietet es sich, Leistungen im medi138 zinischen Notfall (vgl. dazu § 4 AsylbLG) einzustellen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass Leistungen bei akuter Erkrankung und Schmerzzuständen stets zu den unabweisbar gebotenen Hilfen gehören. bb. Form der Leistungen 127 Wenn Anspruchseinschränkungen bei Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG angezeigt waren, wurden die Leistungen – je nach Bundesland – als Sachleistungen, oft in Form von Wertgut139 scheinen erbracht. 136 Eine zulässige Art der Anspruchseinschränkung kommt bei der Gewährung Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 1. 137 Vgl. Art. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014 (BGBl I 2014, 2439), das den zeitgleich zum 01.03.2015 gültigen Art. 1 des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014, 2187) geändert hat. 138 Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7. 139 Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen v. 03.04.2013 - L 8 AY 105/12 B ER - juris. © 2014 juris GmbH 36 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann des notwendigen Bedarfs durch die Umstellung auf Sachleistungen bzw. auf Wertgutscheine grundsätzlich auch weiterhin in Betracht. Das BVerfG geht davon aus, dass es dem Gesetzgeber überlassen ist, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert. 140 cc. Notwendiger Bedarf nach gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG 128 Der in § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG genannte notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verkehrsgüter des Haushalts gewährleistetet das menschenwürdige physische Existenzminimum i.S.v. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Diese grundrechtliche Garantie schützt die physische Existenz des Menschen, wozu nach Auffassung des BVerfG die in Absatz 1 141 Satz 1 genannten Lebensbereiche zählen. Die Höhe der Leistungen für den notwendigen Bedarf ist in § 3 Abs. 2 AsylbLG für jeden Leistungsberechtigten in der Familie bzw. im Haushalt konkret geregelt und auf dieser Basis fortgeschrieben. Die Zusammensetzung und Höhe des notwendigen Bedarfs beruhen auf der Grundlage der in den Abteilungen 1 bis 4 und 6 genannten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS 2008 (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 142 AsylbLG). Überdies garantiert das menschenwürdige Existenzminimum auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dieser Bedarf wird durch den Barbetrag sichergestellt. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kommen Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft hinzu nach § 3 Abs. 3 AsylbLG. 129 Vor Inkrafttreten der Übergangs- und Neuregelung von § 3 AsylbLG zum 01.03.2015 lag die verfassungswidrige Absenkung der Grundleistungen zuletzt bei ca. 30% unterhalb des Sozialhilfe143 satzes, während die Absenkung im Asylkompromiss ursprünglich auf 20% unterhalb des Sozi- alhilfesatzes angedacht war. Die Grundleistungen nach alter Rechtslage konnten daher regelmäßig nicht mehr eingeschränkt werden. Sie konnten weder während des weiteren Verbleibs der Ausländer im Bundesgebiet eingestellt werden, noch konnte der durch sie garantierte Mindestbedarf maßgeblich verändert werden. Doch auch nach Inkrafttreten von § 3 AsylbLG ab 01.03.2015, der sich im Wesentlichen an den Vorgaben des BVerfG hinsichtlich der Bedarfsbemessung orientiert, verbieten sich regelmäßig Anspruchseinschränkungen, die unterhalb des physischen Existenzminimums liegen: dd. Ernährung 130 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Ernährungsbedarf kann gem. § 1a AsylbLG nicht geringer ausfallen, da ansonsten das notwendige Existenzminimum unterschritten 144 würde. Eine denkbare Einschränkung kommt allenfalls in der Form der Leistung in Betracht. Zulässig wäre eine Umstellung auf Sachleistungen, in Form von Wertgutscheinen oder auch Essenspaketen oder eine Vollverpflegung im Rahmen einer Gemeinschaftsunterkunft. Hierbei 140 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 67 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012. 141 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 64 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012. 142 Vgl. auch zu den einzelnen Verbrauchspositionen: BT-Drs. 17/3404, S. 53 ff. 143 Vgl. auch die Berechnungen: BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 82 ff., 87 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012. 144 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 06.06.2001 - 12 B 521/01 - juris - ZFSH/SGB 2001, 743-744. © 2014 juris GmbH 37 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann müsste die Gleichwertigkeit im Sinne von § 3 AsylbLG sichergestellt werden. Unzulässig wäre sicherlich der Verweis auf gemeindliche Tafeln, die von freiwilligen Essensspenden profitieren. Die Leistungen nach § 1a AsylbLG können nicht derartig eingeschränkt werden, dass der Leistungs145 empfänger auf eine „Armentafel“ verwiesen wird. ee. Unterkunft 131 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Bedarf an Unterkunft ist dem Grunde nach nicht einschränkbar, weil eine Unterkunft zur Führung eines menschenwürdigen Lebens gehört. Einem menschenwürdigen Leben kann regelmäßig aber durch eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft Genüge getan werden. Den Gesetzesmaterialien ist sogar zu entnehmen, dass diese Unterbringung der Regelfall sein soll im Fall der Leistungseinschränkung nach § 1a 146 AsylbLG. Im Fall der Unterbringung in einer privat angemieteten Wohnung kommt daher nach Prüfung des Einzelfalles (familiäre Situation, Lebensbedingung, weitere Aufenthaltsdauer) als mögliche Sanktion die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, aber auch der Umzug in eine andere, menschenwürdige Unterkunft in zulässiger Weise in Betracht. ff. Heizung 132 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Bedarf an Heizung ist regelmäßig nicht einschränkbar, weil der Bedarf an ausreichend beheizten Räumen dem notwendigen Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens dient. Gemeinschaftsunterkünfte werden ohnehin zentral beheizt. In privaten Unterkünften muss der notwendige Heizbedarf rechtzeitig sichergestellt werden. gg. Kleidung 133 Leistungseinschränkungen im Bereich des notwendigen Bedarfs an Kleidung, der ebenfalls zum Bereich des physischen Existenzminimums gehört, sind allenfalls denkbar bei der Dauer der Tragezeit der Kleidung. Ohne Zweifel müssen sich Leistungsberechtigte nach § 1a AsylbLG auch auf das Tragen gebrauchter Kleidung verweisen lassen, wenn diese in einem akzeptablen Zustand ist. Die Umstellung auf Sachleistungen oder Wertgutscheine ist in diesem Bereich auch zulässig (§ 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG). Ein aktueller Kleiderbedarf ist allerdings im angemessenen Umfang auch dann zu decken, wenn die Ausreise unmittelbar bevorsteht. hh. Gesundheitspflege 134 Leistungseinschränkungen im Bereich der notwendigen Gesundheitspflege sind kaum möglich; auch diese Leistungen zählen zum Bereich des physischen Existenzminimums und zur Führung eines menschenwürdigen Lebens. Ein aktueller Bedarf ist daher zu erfüllen, auch wenn die Beendigung des Aufenthalts unmittelbar bevorsteht. Die Gesundheitspflege ist ein elementares tägliches Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Allerdings wird es zulässig sein, den Bedarf auf Sachleistungen oder Wertgutscheine umzustellen. Abzugrenzen hiervon sind allerdings das Grundbedürfnis übersteigende kosmetische Pflegen. ii. Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts 135 Eine Einschränkung bei den Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts kommt ohnehin dann nicht in Betracht, wenn die Leistungsberechtigten nach § 1a AsylbLG in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, weil diese Güter dort regelmäßig vorhanden sind. Bei einer Unterbringung in einer privaten Unterkunft werden Leistungseinschränkungen mit Blick auf die weitere 145 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 07.11.2007 - L 20 B 74/07 AY - juris - info also 2008, 181-183. 146 Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7. © 2014 juris GmbH 38 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik nach Prüfung des Einzelfalls noch am ehesten möglich sen. Die Umstellung von Geld- auf Dachleistungen in Form von Gutscheinen oder die Bereitstellung von gebrauchten Gütern, auch leihweise, wird ohne weiteres zulässig sein. Ein aktueller Bedarf, der zur Führung eines menschenwürdigen Lebens gehört (z.B. Grundausstattung zur Reinigung der Unterkunft, Kühlschrank im Sommer o.Ä.) wird aber auch bei kurzfristiger Aufenthaltsbeendigung in angemessenem Umfang zu decken sein. e. Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 a.F. bzw. Abs. 1 Sätze 5, 8 AsylbLG 136 Nach der vom 01.03.2015 gültigen Regelung von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. bzw. Satz 5 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte monatlich einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (Bargeldbedarf), dessen konkrete Höhe in § 3 Abs. 1 Satz 5 AsylblG bzw. Satz 8 AsylbLG für jeden Leistungsberechtigten in der Familie bzw. im Haushalt geregelt ist und fortgeschrieben wird. Dieser Bargeldbetrag tritt zusätzlich neben den notwendigen Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Er wird von der einheitlichen Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums umfasst, die neben dem physischen Existenzminimum auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben schützt; jener Bereich, in dem der Gesetzgeber einen größeren Gestaltungsspielraum hat. In der Praxis war die Anspruchseinschränkung des sog. „Taschengelds“ nach alter Rechtslage der häufigste Fall. Dies dürfte sich nach der ab 01.03.2015 gültigen Regelung von § 3 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylbLG a.F. kaum geändert haben. Nach der Übergangsregelung des BVerfG war der – wenn auch verfassungswidrig zu niedrig bemessene – Barbetrag als Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenz147 minimums eingeordnet. 137 Nach alter Rechtslage hatte die Rspr. das sog. Taschengeld (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.) nicht als unabweisbar gebotene Leistung erachtet; sie hielt selbst die komplette Streichung des 148 Betrags für zulässig. Bis dahin ging man davon aus, dass dieser Geldbetrag für die Deckung 149 der persönlichen Bedürfnisse nicht vom verfassungsrechtlichen Existenzminimum erfasst war. 150 Hierfür ergaben sich Hinweise in den Gesetzesmaterialien. 151 des BVerfG Nach der neuen Rechtsprechung ist diese Ansicht nicht mehr haltbar, weil selbst bei einer kurzen Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive sich das menschenwürdige Existenzminimum nicht auf die Sicherung des physischen Existenzminimums beschränken darf, sondern auch die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums gewährleistet sein muss, zu dem der Barbetrag (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.) zählt. Solange keine gesetzliche Neuregelung existierte und ungewiss war, wie der Gesetzgeber das menschenwürdige Existenzminimum neu festlegt, waren die Barbeträge jedenfalls in Höhe der vom BVerfG getroffenen Übergangsregelung zu zahlen. 147 Vgl. zur Übergangsregelung: BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 103 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. 148 Vgl. OVG Niedersachsen v. 30.07.1999 - 12 M 2997/99; OVG Nordrhein-Westfalen v. 22.06.1999 - 24 B 1088/99; LSG Thüringen v. 23.03.2009 - L 8 B 131/08 AY - juris - SAR 2009, 70-72; m.w.N. vgl. Hohm, AsylbLG, § 1a Rn. 193, der dieser Rspr. zustimmt, Rn. 196 ff., Stand Juli 2010. 149 Vgl. Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 25, Stand März 2009, m.w.N. für die ältere Rspr; so auch Hohm, AsylbLG, § 1a Rn. 197, Stand Juli 2010; ders. in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 43 ff. 150 Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7. 151 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450. © 2014 juris GmbH 39 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 138 Die zum 01.03.2015 in Kraft getretene Regelung von § 3 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylbLG a.F. bemisst den konkreten Bedarf für den Barbetrag nach der im Rahmen der Sonderauswertung der EVS ermittelten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (§§ 5, 6 RBEG). Der Barbedarf setzt sich aus folgenden Positionen zusammen: Abteilung 7 Verkehr, Abteilung 8 Nachrichtenübermittlung, Abteilung 9 Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Abteilung 10 Bildung, Abteilung 11 Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen, Abteilung 12 Andere Waren und Dienstleistungen (vgl. 152 im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). 139 Nach dem vom 01.03.2015 bis 23.10.2015 gültigen Recht wurde es als unzulässig beurteilt, diesen Betrag durch Sachleistungen oder Wertgutscheine bereitzustellen bzw. den Geldbetrag 153 komplett zu streichen. Da dem Gesetzgeber bei der Festlegung des soziokulturellen Existenz- minimums ein größerer Gestaltungsspielraum bei der Regelung zusteht, von dem er offenbar Gebrauch gemacht hat, dürften moderate, kurzfristige, am konkreten Bedarf des Leistungsberechtigen orientierte Anspruchseinschränkungen zulässig sein. Sobald allerdings die begründete Gefahr besteht, dass die Existenzsicherung im soziokulturellen Bereich unterdeckt ist, sind die Einschränkungen sofort einzustellen. Der – gekürzte – Bedarf ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bemessen (§ 1a Abs. 1 letzter HS. AsylbLG). Daher verbietet sich auch die pauschale Übertragung des Sanktionskonzepts von SGB II bzw. SGB XII bei der Bedarfsbemessung auf § 1a AsylbLG. 154 Nicht unproblematisch erscheint auch die entsprechende 155 Anwendung von § 39a SGB XII auf § 1a AsylbLG. Das Gesetz enthält hierzu keine Anhaltspunkte. Hätte der Gesetzgeber die Übertragung gewollt, hätte er hinreichend Gelegenheit gehabt, dies in der Neufassung des AsylbLG zu regeln. 140 In den durch die Asylpakte I und II ab 24.20.2015 geänderten § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG wurden die dort geregelten Geldleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf neu festgesetzt und 156 gegenüber den bislang für die Zeit ab 01.01.2016 geltenden Leistungssätzen für die soziale Teilhabe abgesenkt. Die sich daraus ergebende Leistungsabsenkung beträgt für Alleinstehende 10 €, für Leistungsberechtigte in den anderen Bedarfsstufen ist die Absenkung entsprechend geringer (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). f. Leistungen des sog. Bildungspakets 141 Nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen § 3 Abs. 3 AsylbLG sollen alle vom AsylbLG erfassten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Anfang ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen haben (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG Rn. 168). Ziel der Neuregelung ist es, eine Ausgrenzung der Leistungsberechtigten – zum Beispiel vom gemeinsamen Mittagessen in Schulen und Kinderta157 gesstätten – zu vermeiden. Anspruchskürzungen sind in diesem Bereich zu vermeiden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine angemessene Festlegung im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums, in dem Kürzungen in Betracht kommen. Die Praxisrelevanz von An- 152 Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 21. 153 Dem folgend nach altem Recht: Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn. 41. 154 Instruktiv nach altem Recht: Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn. 45. 155 So Petersen, ZFSH/SGB 2014, 669, 678 f. 156 Vgl. die Bekanntmachung vom 26.10. 2015 (BGBl I 2015, 1793). 157 Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 24. © 2014 juris GmbH 40 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann spruchseinschränkungen dürfte bei diesem Personenkreis nach neuer Rechtslage ohnehin gering sein, weil sich Familienangehörige das inkriminierte Verhalten von Anderen nicht mehr zurechnen lassen müssen. Das verschärfte Asyl- bzw. Leistungsrecht hat hieran nichts geändert. g. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG) aa. Akute Erkrankungen und Schmerzzustände 142 Leistungen, die notwendig und erforderlich sind, um akute Erkrankungen und Schmerzzustände zu behandeln (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG), stehen nicht zur Disposition, sie zählen daher stets zu 158 den unabweisbar gebotenen Hilfen, da eine Einschränkung nicht mit dem grundrechtlichen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG zu vereinbaren wäre. Hierzu zählt die notwendige ärztliche bzw. zahnärztliche Akut- bzw. auch Krankenhausbehandlung einschließlich der notwendigen Arznei- und Verbandmittel und sonstiger Leistungen, die zur Behandlung erforderlich sind. Heilkuren, Therapien können im Einzelfall insb. dann unabweisbar geboten sein, wenn die Rückkehr in das Heimatland auf absehbare Zeit nicht möglich ist und sich die Leistungsberechtigten bereits mehrjährig in der Bundesrepublik aufhalten. Zahnersatz ist hingegen regelmäßig keine unabweisbar gebotene Leistung; es sei denn, der Zahnersatz ist unaufschiebbar (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). bb. Chronische Erkrankungen 143 Leistungen für die Behandlung chronischer Erkrankungen sind daher grundsätzlich nicht von § 4 AsylbLG erfasst; ausnahmsweise aber dann, wenn sich aus der chronischen Erkrankung eine akut behandlungsbedürftige Notlage ergibt (z.B. Nierentransplantation bei akutem Nierenversagen bei chronischer Niereninsuffizienz). Im Übrigen sind Leistungen bei chronischen Erkrankungen von der Auffangvorschrift des § 6 AsylbLG erfasst (Leistungen, die zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind). cc. Schwangerschaft und Geburt 144 Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt (§ 4 Abs. 2 AsylbLG) stehen nicht zur Disposition; sie zählen stets zu den unabweisbar gebotenen Hilfen, da eine Einschränkung nicht mit dem grundrechtlichen Schutz für das ungeborene Leben und für die Mutter aus Art. 6 Abs. 4 GG zu vereinbaren wäre. Hierzu zählen ärztliche und pflegerische Hilfe, Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei- und Verbandmittel. h. Sonstige Leistungen (§ 6 AsylbLG) 145 Bei den von § 6 AsylbLG erfassten sonstigen Leistungen, die nicht im Ermessen der Behörde stehen und im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich (Var. 1), zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten (Var. 2) oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sein müssen (Var. 3) wird der Leistungszweck zu beachten sein. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheit unerlässliche Leistungen dürften auch unabweisbar geboten sein. Für den zur Deckung besonderer Bedürfnisse bei Kindern gebotenen Bedarf wird dies auch der Fall sein. Denn das BVerfG 159 hat betont, dass der für Kinder existenziell notwendige Bedarf an kindlichen Entwicklungsphasen auszurichten ist und an dem, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes erforderlich ist. Hierzu gehört vor allem bei schulpflichtigen Kindern der mit dem Schulbesuch verbundene erhöhte Bedarf. Im Einzelfall wird daher insb. der notwendige Schulbedarf oder der sonstige Bedarf, der der Erfüllung der Schulpflicht dient, anzuerkennen sein. Dieser Auffassung trägt der seit 01.03.2015 158 Vgl. schon BT-Drs. 13/11172, S. 8. 159 Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - BVerfG E 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12. © 2014 juris GmbH 41 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 160 gültige § 3 Abs. 3 AsylbLG jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann Rechnung, der den Rechtsanspruch auf zusätzlich Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechend §§ 34, 34a und 34b SGB XII anerkennt, der insofern 161 die speziellere Norm zu § 6 Abs. 1 AsylbLG sein dürfte. Leistungen, die zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkung erforderlich sind, dürften in der Regel auch unabweisbar geboten sein, da ansonsten die Erforderlichkeit der Mitwirkungshandlung in Frage gestellt wäre. Sonstigen Leistungen, die als Auffangtatbestand im pflichtgemäßem Ermessen der Behörde stehen, wird der unabweisbar gebotene Bedarf regelmäßig fehlen; im Einzelfall kann aber eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen, wenn das Existenzminimum nicht anders zu sichern ist als über die Ermessensleistung. 146 § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG stellt mit Blick auf die pauschalierten und abgesenkten Leistungen der §§ 3, 4 AsylbLG eine Auffang- und Öffnungsklausel dar. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass den zuständigen Behörden „sonst kaum Spielraum bleibt, besonderem Bedarf im Einzelfall gerecht zu werden“. 162 Eine restriktive Handhabung der Vorschrift erscheint wegen der gesetzgeberischen Grundentscheidung, in § 3 AsylbLG und § 2 AsylbLG innerhalb der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG unterschiedliche Leistungssysteme vorzugeben, zwar einerseits insofern geboten, als eine Annäherung an die unmittelbar nach oder entsprechend dem SGB XII (§ 2 AsylbLG) zu erbringenden Leistungen nicht in Betracht kommt. Allerdings ist zu beachten, dass § 6 AsylbLG im Leistungssystem des AsylbLG die wichtige Funktion zukommt, trotz der restriktiven Grundausrichtung des AsylbLG in jedem Einzelfall das 163 Existenzminimum zu sichern. 147 Das seit 24.10.2015 gültige Rechtsfolgenkonzept von § 1a Abs. 2-4 AsylbLG schließt die Anwendung von § 6 AsylbLG komplett aus (vgl. Rn. 150). Dies gilt nicht für die Rechtsfolge nach § 1a Abs. 1 AsylbLG. i. Dauer der Leistungseinschränkung 148 Über welche zeitliche Dauer eine Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene aufrechterhalten bleibt, normiert auch die Neuregelung von § 1a AsylbLG nicht. Voraussetzung ist zunächst, dass die Voraussetzungen des Sanktionstatbestandes tatsächlich während der Anspruchskürzung vorliegen. Ist das missbrauchsrelevante Verhalten abgestellt, lässt sich eine Anspruchseinschränkung nicht mehr rechtfertigen; sie ist daher aufzuheben und Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG sind wieder zu bewilligen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sind Anspruchseinschränkungen aber zeitlich zu begrenzen (vgl. dazu Rn. 113). Dies hat der Gesetzgeber seit 24.10.2015 in der neuen Vorschrift von § 14 AsylbLG normiert (vgl. die Kommentierung zu § 14 AsylbLG), die nicht nur für § 1a Abs. 1 AsylbLG, sondern für alle Sanktionstatbestände von Anspruchseinschränkungen gilt. 160 Vgl. Art 1 Nr. 4 c) des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187 161 Vgl. dazu Deibel, ZFSH/SGB 2014, 475, 478, der beide Vorschriften nebeneinander für anwendbar hält. 162 Vgl. BT-Drs. 13/2746. 163 Vgl. Fasselt in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 6 AsylbLG Rn. 1; Herbst in: Mergler/Zink, SGB XII, 4. Lfg., Stand Juli 2005, § 6 AsylbLG Rn. 1; so auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.03.2008 - L 20 AY 16/07 - juris - SAR 2008, 92-96. © 2014 juris GmbH 42 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann V. Rechtsfolge des reduzierten physischen Existenzminimums nach den Absätzen 2 bis 4 1. Neues Rechtsfolgenkonzept 149 § 1a Abs. 2 bis 4 AsylbLG enthält ein anderes Rechtsfolgenkonzept als § 1a Abs. 1 AsylbLG bzw. § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. (vgl. dazu Rn. 98 ff.). § 1a Abs. 2 und 3 AsylbLG enthält konkret bestimmbare Zeitpunkte zum Beginn, zum Ende, zur Dauer und zum Umfang der Einschränkungen (vgl. auch § 14 AsylbLG). Die Leistungen, die die Berechtigten, auch die nach § 1a Abs. 4 AsylbLG, während des abgesenkten Leistungszeitraums beanspruchen bzw. nicht beanspruchen können, werden konkret benannt. Ermessensentscheidungen sieht das Gesetz auch hier nicht vor. Für die Sanktionsvarianten von § 1a Abs. 2 bis Abs. 4 AsylbLG, die zwar unterschiedliche Personenkreise und unterschiedliches Fehlverhalten sanktionieren, gelten einheitliche Rechtsfolgen. 2. Kein Anspruch mehr 150 Greifen die Sanktionstatbestände (Absatz 2: versäumter möglicher Ausreisetermin; Absatz 3: mangelnde Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen; Absatz 4: Zugehörigkeit zum Personenkreis der sog. relocated people), so besteht ab dem jeweiligen Ereignis kein Anspruch mehr auf Leistungen nach § 2 AsylbLG (Analog-Leistungen auf Sozialhilfeniveau), § 3 AsylbLG (Grundleistungen) und § 6 AsylbLG (Sonstige Leistungen). Hiervon sind gesetzliche Ausnahmen nur im Hinblick auf den notwendigen Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz AsylbLG vorgesehen. 3. Leistungsabsenkung auf das reduzierte physische Existenzminimum 151 Dem Personenkreis von § 1a Abs. 2 bis 4 AsylbLG werden – befristet auf 6 Monate (§ 14 AsylbLG) bzw. bis zu ihrer Ausreise bzw. Abschiebung – nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (§ 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG), d.h. Bedarfe an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts werden nicht berücksichtigt. Dies ist ein gesetzlich neu definiertes Leistungsminimum. Anders als § 1a Abs. 1 AsylbLG, der die Leistungen unverändert diffus auf das im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene“ reduziert, konkretisiert § 1a Abs. 2 AsylbLG die Leistungsabsenkung auf ein reduziertes physisches Existenzminimum (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG), das durch Sachleistungen erbracht werden soll (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 4 AsylbLG). 4. Besondere Umstände 152 Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können den Ausländern auch andere Leistungen des notwendigen Bedarfs i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden (§ 1a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG). Hierzu zählt lediglich der Bedarf an Kleidung und an Gebrauchs- und Verkehrsgütern des Haushalts. Diese Regelungen bedeuten, dass für diesen Personenkreis keine Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (notwendiger persönlicher Bedarf) nach § 3 Abs. 1 Satz 5 AsylbLG – nach alter Terminologie: Taschengeld oder andere persönliche Leistungen (Bargeld, Simkarten, Fahrkarten etc.) – mehr gedeckt werden, auch nicht ausnahmsweise. § 6 AsylbLG, der als Auffangvorschrift diente, ist in diesen Fällen ausdrücklich ausgeschlossen. Damit wird dieser Personenkreis vom soziokulturellen Existenzminimum komplett ausgeschlossen. © 2014 juris GmbH 43 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 5. Sachleistungen 153 Die reduzierten Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden (§ 1a Abs. 2 Satz 4 AsylbLG). Weitergehende Ausnahmen oder Spielräume für die Behörden bestehen nicht. 6. Stellungnahme 154 Die verfassungsrechtliche Brisanz dieser neuen Absenkungsregelung liegt auf der Hand. Sie ergibt sich zum einen aus der Höhe der Leistungseinschränkung, z.B. für einen Alleinstehenden nach § 3 AsylbLG im Jahr 2016: ca. 10-15% im Bereich des notwendigen Bedarfs von monatlich 219 € 164 und zusätzlich die komplette Streichung von monatlich 145 € für den persönlichen Bedarf. Zu beachten ist, dass eine weitere Leistungsabsenkung in § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG durch das 165 Asylpaket II dauerhaft im Bereich der sozialen Teilhabe erfolgt ist. Der Geldbetrag für einen al- leinstehenden Leistungsberechtigten beträgt nur noch 135 €; für die Berechtigten anderer Bedarfsstufen entsprechend weniger. Im Bereich der Grundsicherung des SGB II sind bislang Leistungskürzungen um 30 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs aufgrund einer Pflichtverletzung als ver166 fassungskonform erachtet worden. Die Kürzung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG liegt deutlich darüber. Überdies hat das BVerfG betont, dass auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder -perspektive es nicht rechtfertigen, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung des physischen Existenzminimums zu beschränken, selbst wenn der Gestal167 tungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des soziokulturellen Existenzminimum weiter ist. Die einheitliche grundrechtliche Garantie, die das physische und das soziale Existenzminimum umfasst, muss am konkreten Hilfebedarf des Bedürftigen ausgerichtet sein und diesen in der je168 weiligen Lebenssituation decken. Die Ansicht, dass beim soziokulturellen Minimum im Rege- lungsbereich von § 1a AsylbLG keine untere Grenze existiert 169 , wird daher nicht geteilt. 155 Es ist fragwürdig, ob sich der Gesetzgeber seiner sozialen Verantwortung für Menschen, die er weitgehend unkontrolliert in sein Land gelassen hat, dadurch entziehen kann, dass er die komplette Streichung von Sozialleistungen im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums als Steuerungsinstrument nutzt, um Menschen zur Ausreise zu motivieren oder zur Beendigung des Aufenthalts zu bewegen. Dies sollte Aufgabe des Ausländerrechts bleiben, mit dessen Hilfe diese Menschen ausländerrechtlich möglichst zeitnah wieder in ihr Heimatland zurückgeführt werden. Für solche beschleunigten asyl- und aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen sind die Rahmenbedingungen durch einschneidende Verschärfungen im Asylpaket II geschaffen worden. Es liegt zwar auf der Hand, dass die harte Sanktion in § 1a Abs. 2 AsylbLG ein deutliches Signal ist, dass dieser Personenkreis keine Chance auf eine Integration in Deutschland haben soll. Doch selbst bei kurzen Aufenthalten sind bestehende, konkrete leistungsrechtliche Bedarfe zu decken, und zwar auch im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums (vgl. Rn. 152). Dies bedeutet, dass die in § 1a Abs. 2 AsylbLG zugrundeliegende gesetzgeberische generelle Prognose, dass der sanktionierte Personenkreis sehr kurzfristig das Bundesgebiet verlassen wird, sich in tatsächlicher Hinsicht auch realisieren muss. Ansonsten besteht kein Anlass, von einem geminderten Leistungsbedarf 164 Vgl. die Übersicht bei Nakielski, SozSich 2015, 389, 391. 165 I.d.F. des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (sog. Asylpaket II), BGBl I 2016, 390, 392; vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 9, 20 f. 166 Vgl. BSG v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R - SozR 4-4200 § 31a Nr. 1; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG v. 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15. 167 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 94, 67. 168 Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 64 ff. 169 Vgl. Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylblG Rn. 43 f. © 2014 juris GmbH 44 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann auszugehen. Aufenthalte im Bundesgebiet von mehr als sechs Monaten dürften diese Vorgaben bereits nicht mehr erfüllen. Im Einzelfall kann dies auch bei einem kürzeren Zeitraum vorliegen, wenn der individuelle Bedarf konkret besteht. 156 Da § 1a Abs. 2 bis Abs. 4 AsylbLG ohne Übergangsregelung in Kraft getreten ist, stellt sich die Frage, wie „Altfälle“ zu lösen sind, d.h. wie Menschen zu behandeln sind, die nicht im Zuge der Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen sind, sondern sich seit Jahren in Deutschland aufhalten, selbst wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Dass sie nach jahrelangem Aufenthalt das Bundesgebiet kurzfristig verlassen werden und daher einen nur reduzierten Leistungsbedarf haben, ist unrealistisch. Problematisch werden sich auch die Fälle erweisen, in denen Feststellungen zu treffen sind, ob eine Ausreise krankheitsbedingt möglich ist oder nicht – wie schon in der Vergangenheit. Dies kann erhebliche tatsächliche Probleme bereiten und oft können diese Fragen nicht innerhalb des Zeitfensters von 6 Monaten (§ 14 AsylbLG) gelöst werden, selbst wenn durch das Asylpaket II aufenthaltsrechtliche Regelungen (§ 60 Abs. 2c und 2d; Abs. 7 AufenthG) eingefügt worden sind, die die Darlegung und den Nachweis von Reiseunfähigkeit bei einer Abschiebung erheblich erschweren. Nach Ablauf von sechs Monaten wird aber nicht mehr von einer ganz kurzen Aufenthaltsdauer, sondern von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen sein, die höhere soziale Bedarfe nach sich ziehen muss. Auch § 14 AsylbLG lässt keine Dauerleistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG zu (vgl. die Kommentierung zu § 14 AsylbLG). a. Verwaltungsverfahren 157 Die Anordnung von Leistungseinschränkungen sollte in Form eines schriftlichen Verwaltungsakts ergehen. Eine Anhörung hat dem vorauszugehen, wenn zuvor erhöhte Leistungen bewilligt worden waren. Dem Leistungsberechtigten ist sein Fehlverhalten klar und deutlich mitzuteilen und es ist eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer er sein Fehlverhalten abstellt und er über die Folgen seiner unterbliebenen Mitwirkung belehrt wird. 170 Automatische Kürzungen, z.B. aufgrund von Datenaustausch mit der Meldebehörde, sind daher unzulässig. VI. Rechtstatsachen 158 Umfangreiches statistisches Zahlenmaterial über die Entwicklung und den Umfang der Leistungen nach dem AsylbLG im Zeitraum von 1994-2006, gestaffelt nach Bundesländern und nach verschie171 denen Differenzierungsmerkmalen, findet sich in der Antwort der Bundesregierung v. 30.04.2008 auf die Große Anfrage einzelner Bundestagsabgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vom 172 12.11.2007 zur sozialen Existenzsicherung nach dem AsylbLG. 170 Vgl. SG Hildesheim v. 06.12.2012 - S 42 AY 152/12 ER - juris Rn. 12 m.w.N. 171 BT-Drs. 16/9018. 172 BT-Drs. 16/7213. © 2014 juris GmbH 45 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann C. Praxishinweise I. Gerichtlicher Rechtsschutz 159 Seit 01.01.2005 ist die Sozialgerichtsbarkeit – anstelle der vormals zuständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit – für Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylbLG zuständig, vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG 173 i.d.F. des 7. SGG-Änderungsgesetzes vom 09.12.2004. Gerichtlicher Rechtsschutz ist regelmäßig über den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung ungekürzter Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG zu erreichen. Dies setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 ZPO). II. Vorläufiger Rechtsschutz 160 In der Hauptsache ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Aufhebung des die Leistungen einschränkenden Bescheides und auf Gewährung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG zu verfolgen bzw. auf (nur) tatsächliche Auszahlung in Form der Leistungsklage im Fall der konkludenten Bewilligung der höheren Leistungen. Es reicht daher regelmäßig nicht aus, den Rechtsschutz nur über die reine Anfechtungsklage zu verfolgen, da damit zwar die Anspruchseinschränkung beseitigt werden kann, die Leistungsberechtigten aber ex nunc auf eine Leistungsbewilligung angewiesen sind. 161 Dies stellt sich nur dann anders dar, wenn eine Leistungsbewilligung durch einen Dauerverwaltungsakt erfolgt ist, so dass nach Aufhebung des Kürzungsbescheids die dauerhafte Leistungsbewilligung wieder auflebt. Dies dürfte allerdings in der Praxis eher selten sein, weil Leistungen nach dem AsylbLG keine rentenähnlichen Dauerleistungen sind. Im konkreten Einzelfall sind die Bescheide auf ihren Regelungsgehalt hin aus Sicht eines objektiven Empfängers zu interpretieren (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 2 AsylbLG). 162 Einstweiliger Rechtsschutz scheitert regelmäßig dann, wenn die Leistungsempfänger es versäumt haben, sich gegen die durch Bescheid oder per Realakt getroffene Leistungseinschränkung gegenüber der Behörde zur Wehr zu setzen. Haben die Leistungsberechtigten die gekürzten Leistungen hingenommen, so fehlt es schon am erforderlichen Anordnungsgrund für die Bewilligung höherer Leistungen. Dann muss die Leistungseinschränkung – unter Einhaltung der Widerspruchsbzw. Klagefrist – im Klageverfahren überprüft werden. 163 Einstweiliger Rechtsschutz scheitert auch daran, wenn Leistungen für die Vergangenheit beantragt werden. Im Klageverfahren kann dies allerdings anders zu beurteilen sein. Im AsylbLG gilt der 174 sog. „Aktualitätsgrundsatz“. Der frühestmögliche Zeitpunkt, ab dem Leistungen im sozialge- richtlichen Verfahren vorläufig zugesprochen werden, ist – zugunsten des Leistungsberechtigten – der Eingang der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht; anders noch die verwaltungsgerichtliche Rspr. die Leistungen erst ab dem Tag der Entscheidung des Gerichts, u.U. erst des Obergerichts für die Zukunft vorläufig zugesprochen hat. 173 BGBl I 2004, 3302. 174 Vgl. BSG v. 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R - juris - info also 2010, 41. © 2014 juris GmbH 46 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 164 Bei einem Bezug von Leistungen gem. § 1a AsylbLG ergibt sich ein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung auf Erbringung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG regelmäßig bereits aus der völligen Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar Notwendige. 165 Hinsichtlich des Anordnungsanspruches kommt es regelmäßig auf die Erfolgsaussichten des geltend gemachten Anspruches (hier: Aufhebung der Leistungseinschränkung und Anspruch auf höhere Leistungen) oder bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens auf eine Folgenabwägung an (zu prüfen ist: wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge und der Anspruch in der Hauptsache bestünde bzw. wenn die einstweilige Anordnung erginge und der Anspruch in der Hauptsache nicht bestünde; vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG). III. Beiladung 175 166 Seit 19.12.2014 besteht nach § 75 Abs. 2 und Abs. 5 SGG die gesetzliche Möglichkeit, die Träger des AsylbLG im sozialgerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen. Damit wurde klarstellend obergerichtliche Rechtsprechung umgesetzt. 176 D. Reformbestrebungen 167 Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ einzelner 177 Bundestagsabgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war der Versuch unter- nommen worden, das AsylbLG komplett abzuschaffen mit der Begründung, dass das Gesetz zu einem diskriminierenden Ausschluss von Asylsuchenden aus der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende führt. In der Bundestagssitzung vom 12.11.2008 haben sich die Regierungsparteien gegen die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen, weil sich das seit mehr als 178 15 Jahren gültige AsylbLG in der Praxis bewährt habe. In der öffentlichen Anhörung von Sach- verständigen im Frühjahr 2009 vor dem Deutschen Bundestag haben insb. der Bevollmächtigte 179 des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. 182 e.V. 180 das Kommissariat der deutschen Bischöfe, 181 und der Flüchtlingsrat Berlin erhebliche Kritik am Fortbestand des AsylbLG vorgetragen. 168 Im Entschließungsantrag u.a. der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung 183 des AsylbLG vom 28.11.2012 wurde die Ansicht vertreten, dass das AsylbLG aufzuheben sei und der Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII um die bisher nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Personen ergänzt werden sollte. 175 I.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014, 2187). 176 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.12.2011 - L 20 AY 4/11; LSG Baden-Württemberg v. 01.08.2006 - L 7 AY 3106/06 ER-B - beide zitiert nach juris. 177 BT-Drs. 16/10837 v. 11.11.2008. 178 Vgl. Plenarprotokoll 16/186 v. 12.11.2008, S. 19902, 19940 ff. 179 Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1362 vom 04.05.2009, S. 1 ff. 180 Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1357 vom 30.04.2009. 181 Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1346 vom 28.04.2009, S. 11 ff. 182 Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1338 vom 27.04.2009, S. 11 ff. 183 BT-Drs. 17/1428, BT-Drs. 17/10198. © 2014 juris GmbH 47 www.juris.de § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015 jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann 169 Anstelle das AsylbLG zu ändern, ist immer wieder gefordert worden, es gänzlich abzuschaffen und die Leistungsberechtigten nach einem Jahr Inlandsaufenthalt in das Leistungssystem des 184 SGB II bzw. SGB XII zu integrieren. 170 Mit Inkrafttreten des AsylbLG zum 01.03.2015 185 dürften die vorgenannten Reformbestrebungen auf unabsehbare Zeit ihr Ende gefunden haben. 171 Es bleibt abzuwarten, ob über die im Rahmen der Asylpakete I und II in Kraft getretenen Anspruchseinschränkungen und Leistungsabsenkungen hinaus noch weitere folgen werden. 184 Vgl. in diese Richtung auch die Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins, NDV 2013, 97, 100; Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249, 255; vgl. Janda, ZAR 2013, 175. 185 I.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187. © 2014 juris GmbH 48 www.juris.de
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