Folien Woche 11 - Rechtswissenschaftliches Institut

Rechtswissenschaftliches Institut
Allgemeines Verwaltungsrecht
(Gruppe 1)
Bachelorstudium Rechtswissenschaft, FS 2016
17. März 2016
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Rechtswissenschaftliches Institut
Zur Person: MLaw Michael E. Meier
•
Abschluss Studium an der Universität Zürich 2014
•
Seit Oktober 2014 Assistent am LS Prof. Th. Gächter
•
Schwerpunkt: Sozialversicherungsrecht & Verwaltungsrecht
•
[email protected]
•
LS Tel.: 044 634 31 04
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Rechtswissenschaftliches Institut
Übersicht (Lektion vom 17. März 2016)
Teil 1: Rechtsgleichheit
I. Rechtsgrundlage und Systematik
II. Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 8 I BV)
Teil 2: Willkürverbot
III. Begriff und Funktion
IV. Abgrenzung zur Rechtsgleichheit
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Rechtswissenschaftliches Institut
I. Rechtsgrundlage und Systematik
Einordnung im Verwaltungsrecht
Rechtsgrundlage
Systematik
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Rechtswissenschaftliches Institut
Grundprinzipien des Verwaltungsrechts
Gesetzmässigkeit
(Legalitätsprinzip)
Rechtsgleichheit
Willkürverbot
Öffentliches
Interesse
Verhältnismässigkeit
Treu und Glauben
Art. 5 Abs. 1 BV
Art. 8 BV
Art. 9 BV
Art. 5 Abs. 2 BV
Art. 5 Abs. 2 BV
Art. 5 Abs. 3 BV
Art. 127 Abs. 1 BV
Art. 9 BV
Rechtssicherheit
Rückwirkungsverbot
Verbot
widersprüchlichen
Verhaltens/
Rechtsmissbrauchsverbot
Vertrauensschutz
Zugleich verfassungsmässige Rechte
Weitere einschlägige verfassungsmässige Rechte (keine Grundprinzipien):
Eigentumsgarantie, Wirtschaftsfreiheit, Verbot der Doppelbesteuerung (Art. 127
Abs. 3 BV), gebührenfreie Benutzung öffentlicher Strassen (Art. 82 Abs. 3 BV) etc.
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Grundrechtslehre
Art. 8 BV
Verwaltungsrecht
Allgemeines
Gleichheitsgebot
Diskriminierungsverbot
Gleiche
Rechte für
Mann und
Frau
Beseitigung
von Benachteiligungen
Behinderter
Abs. 1
Abs. 2
Abs. 3
Abs. 4
Direkt einklagbare Individualrechte !!
(Ausnahme: Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4)
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Systematik des Rechtsgleichheitsgebots
Jede Staatstätigkeit wird
erfasst (vgl. Art. 35 II BV)
Grundsatz der
Rechtsgleichheit
(Art. 8 BV)
Anspruch auf
Gleichbehandlung
(Art. 8 Abs. 1 BV)
Bei der
Rechtsetzung
Diskriminierungsverbot
(Art. 8 Abs. 2 BV)
Gleiche Rechte für
Mann und Frau
(Art. 8 Abs. 3 BV)
Bei der
Rechtsanwendung
Sonderfälle
Beschränkter
Anspruch auf
Gleichbehandlung
im Unrecht
Beschränkter
Schutz vor
Praxisänderungen
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
II. Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV)
(Gleichbehandlungsgebot oder kurz «Rechtsgleichheit»)
Begriff und Funktion
Gleichbehandlung in der Rechtsetzung
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Rechtswissenschaftliches Institut
Begriff und Funktion: Relativer Gleichheitssatz
Gleichbehandlungsgebot
«Gleiches ist nach Massgabe seiner Gleichheit gleich,
wertende Elemente
Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu
behandeln.»
Differenzierungsgebot
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Rechtswissenschaftliches Institut
Rechtsgleichheit: in der Rechtsetzung (1)
Die Rechtsgleichheit in der Rechtsetzung ist verletzt, wenn ein Erlass:
Rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in
den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist;
oder (Gegenteil)
Rechtliche Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der zu
regelnden Verhältnisse aufdrängen.
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Rechtsgleichheit: in der Rechtsetzung (2)
Vergleichbarkeit der Sachverhalte (der zu regelnden Verhältnisse):
Sachverhalte müssen in «(entscheid-)wesentlichen» Punkten gleich
sein (wertendes Element), d.h. es bestehen keine ernsthaften
sachlichen Unterscheidungsmerkmale (z.B. BGE 136 I 17)
Sachverhalte müssen aber nicht in sämtlichen Elementen identisch
sein.
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Beispielfall 8 (Passivrauchen)
Der Kanton B plant eine Verschärfung seines Gesetzes zum Schutz vor
Passivrauchen. Neu soll das Rauchen auch in kleinen Gastbetriebe mit
einer Nutzungsfläche von weniger als 50m2 verboten sein. Dadurch sollen
Angestellte sowie andere Gäste vor dem Passivrauchen geschützt werden.
Vom Gesetz erfasst werden ausdrücklich auch Pfeifen, Wasserpfeifen und
Zigarren. Der Betreiber einer Shishabar sieht darin das Rechtsgleichheitsgebot verletzt. Eine Shisha sei nicht mit herkömmlichen Tabakwaren zu
vergleichen.
Welchen Teil der Rechtsgleichheit ruft der Betreiber der Shishabar an?
Was ist der entscheidwesentliche Punkt?
Liegen gleiche oder ungleiche Sachverhalte vor?
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Rechtswissenschaftliches Institut
Beispielfall 26 (Rauchverbot)
Der Kanton B plant eine Verschärfung seines Gesetzes zum Schutz vor
Passivrauchen. Neu soll das Rauchen auch in kleinen Gastbetriebe mit
einer Nutzungsfläche von weniger als 50m2 verboten sein. Dadurch sollen
Angestellte sowie andere Gäste vor dem Passivrauchen geschützt werden.
Der Kanton C. kennt keine solche Verschärfung.
Der Betreiber einer Shishabar im Kanton B. sieht darin das Rechtsgleichheitsgebot verletzt. Während er keine Shishas mehr anbieten dürfe, habe
sein Schwager im Kanton C. das Angebot sogar ausbauen können
Kann der Betreiber das Rechtsgleichheitsgebot anrufen?
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Rechtsgleichheit: in der Rechtsetzung (3)
Die Rechtsgleichheit ist nur verletzt, wenn ein Erlass:
Rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund
in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist
Eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte verletzt das
Rechtsgleichheitsgebot somit nicht, wenn:
ein vernünftiger, d.h. sachlich haltbarer Grund vorliegt, der die
Ungleichbehandlung rechtfertigt
Dem Gesetzgeber kommt ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
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Beispielfall 27 (Radio Tafel)
Auf der Autobahn A 1 Zürich–Bern hat es am Strassenrand Signaltafeln, die
auf den Radiosender «DRS 1» (heute: srf 1) und die entsprechende
Sendefrequenz aufmerksam machen.
Der regionale Radiosender «Radio Argovia» (AG) wollte in seinem
Sendegebiet (Kt. ZH/AG/BE) ebenfalls solche Signaltafeln entlang der
Autobahn aufgestellen.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) verbot Radio Argovia das Aufstellen
der eigenen Schilder. Radio Argovia sieht die Rechtsgleichheit verletzt
Wie könnte das ASTRA argumentiert haben?
Hält die Argumentation vor dem Rechtsgleichheitsgebot stand?
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Beispielfall 28 (Schwarzfahrer)
A. fuhr im Zug in der 1. Klasse. Bei der Fahrscheinkontrolle konnte er nur
ein Billett der 2. Klasse vorweisen (sogenannter Graufahrer). Die SBB
büsste A. mit einem Zuschlag von CHF 80.
A. war damit nicht einverstanden. Er argumentierte, dass seine Busse gleich
hoch ausgefallen sei, wie wenn er gar kein Billett gelöst hätte (sogenannter
Schwarzfahrer).
Mit dieser Regelung verstosse die SBB gegen die Rechtsgleichheit.
Liegt eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots vor?
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II. Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV)
(Gleichbehandlungsgebot oder kurz «Rechtsgleichheit»)
Gleichbehandlung in der Rechtsanwendung
-
Praxisänderungen
-
Gleichbehandlung im Unrecht
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Rechtsgleichheit: in der Rechtsanwendung (1)
Die Rechtanwendung verletzt die Rechtsgleichheit, wenn sie:
gleiche sachliche Verhältnisse ohne sachlichen Grund
unterschiedlich;
oder (Gegenteil)
unterschiedliche Verhältnisse ohne sachlichen Grund gleich
beurteilt.
Im Vordergrund steht die Rechtsanwendung bei der:
Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen
Ausübung von Ermessen
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Rechtsgleichheit: in der Rechtsanwendung (2)
Voraussetzungen einer Praxisänderung
1. Ernsthafte und sachliche Gründe für die neue Praxis
2. Änderung muss grundsätzlich erfolgen
3. Interesse an richtiger Rechtsanwendung überwiegt
Interesse an Rechtssicherheit
4. Kein Verstoss gegen Treu und Glauben
(“Übergangsrecht“)
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
Rechtsgleichheit: in der Rechtsanwendung (3)
Grundsatz
Kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht!
Grundsätzlicher Vorrang des Legalitätsprinzips.
Ausnahme
Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht, wenn
– eine gesetzwidrige Praxis besteht,
– diese Praxis fortgeführt werden soll und
– keine überwiegenden öffentlichen oder privaten
Interessen dagegen sprechen.
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Rechtswissenschaftliches Institut
Beispielfall 29 (Falsche Prüfungsantwort)
Der Student B. ist mit der Benotung im Fach Steuerrecht nicht
einverstanden. Insbesondere stört er sich daran, dass sein Kommilitone X.
bei div. Fragen für eine sinngemäss gleichlautende Antwort mehr Punkte
erhalten hat.
Der zuständige Examinator räumt im Rekursverfahren ein, dass der Student
X. für die fraglichen Antworten tatsächlich Punkte erhalten habe. Seine
Antworten seien aber inhaltlich genauso falsch wie die des B.
Die Punkte an X. seien klar zu Unrecht erfolgt.
Hat der Student B. einen Anspruch darauf, für seine Antwort die
gleiche Punktezahl wie der Student X. zu erhalten?
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III. Willkürverbot:
Begriff und Funktion
Abgrenzung zur Rechtsgleichheit
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Rechtswissenschaftliches Institut
Begriff und Funktion
„Ein Entscheid ist willkürlich, wenn er offensichtlich unhaltbar ist,
mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft.“
Jede Staatstätigkeit wird
erfasst (vgl. Art. 35 II BV)
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Rechtswissenschaftliches Institut
Abgrenzung zur Rechtsgleichheit
Im Gegensatz zum Gebot der rechtsgleichen Behandlung werden
beim Willkürverbot nicht verschiedene Rechtsanwendungsakte
miteinander verglichen, sondern es wir nur das Verhältnis
zwischen dem angewandten Rechtssatz und dem
betreffenden Anwendungsakt untersucht.
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