- Journal für die Apotheke

BERATUNG
Daoismus und Medizin
Daoismus ist eine Jahrtausende alte, ganzheitliche Philosophie aus China. Das Wort „Daoismus“ leitet sich von dem Wort „Dao“ ab, was in der altchinesischen Sprache so viel bedeutet wie „Weg“, „Methode“ und „Prinzip“. In der heutigen Interpretation würde man es eher
mit Wissenschaft übersetzen. Die daoistische Wissenschaft ist aber nicht direkt mit der
westlichen Wissenschaft vergleichbar. Daoismus ist eine Art religiöse Wissenschaft – oder
anders gesagt: Eine wissenschaftliche Religion, die die Theorie und die dazu gehörige Praxis in
einem eigenen System miteinander verbindet und danach strebt, ihre Theorie beweisen zu können.
Das „Dao“ an sich ist eine Einheit zwischen der wissenschaftlichen Theorie,
der Natur und dem Menschen. Daoismus sucht die Harmonie unter diesen
drei Komponenten und achtet darauf,
dass keiner der drei Bestandteile für
sich gestört wird. Der Daoismus glaubt
an das gegenwärtige Leben und versucht, durch das Erlangen von Gesundheit und Weisheit, die Ewigkeit bzw. ein
ewiges Leben zu erreichen. Daoisten
sehen daher alle Dinge auf lange Sicht.
Es geht nicht darum, schnell etwas zu
erreichen, sondern durch Übung die
Dinge langfristig zu erhalten und zu entwickeln. Daoismus zeigt die dafür richtige Entwicklungsrichtung, einen richtigen Weg, den man durch das Verstehen
dieser Philosophie auf viele Zusammenhänge im Leben anwenden kann.
Daoismus kann man als den Kern der
chinesischen Kultur betrachten. Aus diesem oder um diesen Kern herum haben
sich viele Richtungen entwickelt: Traditionelle Chinesische Medizin, Feng Shui,
Kampfkünste, Qigong und Taijiquan, um
nur ein paar zu nennen. In unserer westlichen Welt ist wohl die Traditionelle Chi22
nesische Medizin die populärste dieser
daoistischen Richtungen.
Gesundheit - Weisheit - Ewigkeit sind
die drei Grundsäulen des Daoismus. Um
diese Stufen zu erreichen, haben die
Daoisten verschiedene Methoden entwickelt. Gesundheit ist die erste Stufe und
die Basis für alles Weitere. Deswegen ist
Daoisten immer daran gelegen, gesund
zu bleiben. Aus diesem Grund hat die
chinesische Medizin immer einen großen Einfluss in der Gesellschaft gehabt.
Gesundheit bedeutet für Daoisten, gar
nicht erst krank zu werden. Sie haben
den Körper lange Zeit beobachtet, um die
einzelnen Funktionen und Zusammenhänge der verschiedenen Körperteile
und Organe zu verstehen und Disharmonien durch bestimmte Techniken schon
frühzeitig ausgleichen zu können. Das
einzige Manko aus heutiger Sicht daran
war, dass die damaligen Ärzte noch nicht
die technischen Möglichkeiten besaßen,
die Funktionen im Körper bildgebend zu
erfassen und auswerten zu können. So
war es eine in der Regel gut funktionierende Theorie ohne dokumentierbare
Beweise.
Als grundlegende Theorie ist aus dem
Daoismus die Fünf-Elemente-Theorie
sowie das Yin-Yang-Prinzip (Prinzip der
Polaritäten) entstanden und weiterentwickelt worden. Eines der bekanntesten daoistischen Bücher ist das „I Ging“,
das Buch der Wandlungen. Auf seiner
Grundlage hat Gottfried Wilhelm Leibniz das binäre System, die Computersprache, entwickelt.
Hat man die grundlegende Theorie
dieser ganzheitlichen Wissenschaft verstanden, kann man sie auf alle Bereiche
des Lebens anwenden. Um den Daoismus und die Zusammenhänge innerhalb des Systems aber wirklich verstehen und auf andere Bereiche anwenden zu können, bedarf es jahrelanger
Übung unter der Anleitung eines daoistischen Lehrers. Man kann auch sagen,
dass das Lernen eigentlich nie aufhört.
Aktualisierte Traditionelle
Chinesische Medizin
Die Aktualisierte Traditionelle Chinesische Medizin (ATCM) verbindet das
alte Denken und das Verständnis von
Harmonielehre und Gesundheit des
Journal für die Apotheke
3 · 2012
BERATUNG
Daoismus mit der modernen westlichen
Denkweise der Schulmedizin zu einem
ganzheitlichen System. Bildlich gesehen sind die beiden Medizinsysteme wie
je ein Auge. Mit einem Auge kann man
sehen und auch überleben. Mit beiden
Augen hat man aber ein wesentlich größeres Blickfeld und sieht deutlich mehr
und wesentlich genauer. Somit bietet
die Zusammenführung dieser beiden
Medizinsysteme in Form der ATCM die
Möglichkeit, die Stärken beider zu nutzen und dementsprechend individuell
einzusetzen.
Ein großer Vorteil, der sich daraus
ergibt, ist die Technik für die Frühdiagnostik. Die Frühdiagnostik ist die
Methode, funktionelle Schwächen
und Störungen von Organsystemen zu
erkennen, ohne dass diese sich bereits
symptomatisch und im Alltag beeinträchtigend bemerkbar gemacht haben.
Durch die Unterteilung aller Körperteile in je eines der fünf Elemente und
Zuordnung der Polaritäten kann man
auf Grundlage der fraktalen Dimension
Rückschlüsse auf die verschiedenen
Organebenen, Zellen und Gewebe ziehen. So ist eine relativ genaue Behandlung einer Beeinträchtigung schon möglich, bevor sich diese im Körper bemerkbar machen und manifestieren kann.
Die ATCM beobachtet vor allem die
Funktionen der Organe und ihr Zusammenspiel untereinander. Da eine Funktionsänderung oder -beeinträchtigung in
der Regel schneller als eine Zellveränderung entsteht, verschafft dies im Kampf
gegen schwere Krankheiten zumindest
zeitlich einen großen Vorteil. Aber nicht
nur im Kampf gegen Krankheiten ist
diese Methode wertvoll. Durch die individuelle Anwendbarkeit und frühzeitige
Reaktionsfähigkeit der Frühdiagnostik kann man jeden Typ Mensch und
seinen Organismus einschätzen. Auch
wenn sich jeder Mensch von anderen
unterscheidet, so kann durch die Analyse der Verhältnisse und Anordnung
der Elemente und der Polaritäten eine
Zum Thema Frühdiagnostik gibt es in China eine ansehnliche Geschichte, die schon
seit Generationen den Kindern in der Schule beigebracht wird, um ihnen die Wichtigkeit der Gesundheitsvorsorge zu demonstrieren.
Die Geschichte lautet wie folgt:
Bian Que war zum Grafen Huan im State Qi zu Besuch gekommen. Nachdem er ihn
gesehen und kurze Zeit beobachtet hatte, machte er ihn darauf aufmerksam, dass
er am Beginn einer Erkrankung stünde, die jedoch noch oberflächlich und einfach zu
behandeln sei.
Der Graf jedoch verspottete ihn und sagte: „Schaue diesen Arzt an! Er möchte gesunde
Leute behandeln, um die eigenen Fähigkeiten zu zeigen, und mit der Angst Geld zu
verdienen!“
Nach fünf Tagen traf Bian Que den Grafen erneut und teilte ihm respektvoll, aber mit
allem gebotenen Ernst mit, dass die Erkrankung fortschreite und nun rasch einer
Behandlung bedürfe. Der Graf jedoch lehnte dies erneut ab.
Weitere fünf Tage später sah er den Grafen wieder und sagte ihm, dass die Erkrankung sich mittlerweile im Körper ausgebreitet habe und sie gefährlich werde, wenn
er immer noch eine Behandlung verweigere. Der Graf ignorierte seinen Rat abermals
und sagte zu seinem Gefolge: „Dieser Arzt möchte mir Angst machen und mir mein
Geld nehmen!“
Wieder verging eine gute Woche, bis Bian Que den Grafen sah. Diesmal drehte sich
Bian Que beim Anblick des Grafen um und ging weg, ohne ein Wort zu verlieren.
Der Graf fand dieses Verhalten befremdlich und schickte einen Boten zu ihm. Als der
Bote Bian Que erreichte, antwortete dieser dem Boten:
„Solange eine Krankheit noch oberflächlich ist, kann man sie durch warme Anwendungen heilen. Sitzt sie bereits tiefer, kann man sie mit Nadeln (Akupunktur) behandeln. Wenn sie noch tiefer geht, gibt es noch eine reelle Chance, mit Kräutern zu helfen. Hat die Krankheit jedoch einmal das Mark erreicht, so ist sie unheilbar. Der Graf
ist nun bereits in seinem Mark erkrankt und ich kann nichts mehr für ihn tun.“
Es vergingen weitere fünf Tage und der Graf erkrankte so, dass er nicht mehr aus dem
Bett aufstehen konnte. Er sandte nach Bian Que. Dieser war nicht mehr aufzufinden,
denn er hatte die Grafschaft verlassen. Bald darauf verstarb der Graf.
3 · 2012
Journal für die Apotheke
Hungdi - Gelber Kaiser (ca. 2696–2598 v. Chr.)
Sagengestalt des Daoismus – Die Daoisten
sagten ihm nach, das Buch „Die Medizin des
Gelben Kaisers“ geschrieben zu haben.
Laozi (ca. 600–470 v. Chr.) gilt als Begründer
des Daoismus und Verfasser der einflussreichsten daoistischen Schriften.
Aussage über die individuelle Arbeitsmethode des Körpers getroffen werden.
ATCM in der Forschung
Ein weiteres Ziel der Zusammenführung dieser beiden Systeme ist eine
exaktere und schnellere Forschung, insbesondere im Bereich der Medizin. Die
daoistische Theorie zeigt den Weg und
die Richtung des Forschungsprojektes
an, wohingegen die Wissenschaft mit
ihren zuverlässigen Techniken ergänzend eine schnelle und präzise Umsetzung fördert. Meng Si Zhen, der Begründer der ATCM und Gelehrter des Daoismus, möchte mit diesem einheitlichen
und ganzheitlichen System die noch
nicht wissenschaftlich erklärten Theorien der TCM beweisen und das Wissen der Medizin so vereinigen und weiterentwickeln.
Tobias Duven
Internationale Gesellschaft für Daoismus e. V.
www.international-daoismus.de
23