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Havanna setzt Zeichen
Die Welt in 140 Zeichen
NSU mit Fragezeichen
Nach langer Konfrontation ist der USPräsident auf Versöhnungskurs. Seite 5
Seit zehn Jahren versucht Twitter, seinen
Platz im Web zu finden. Seite 9
Kriminelle Fehler beim BKA und
neue Ermittlungen. Seiten 7, 13
Foto: imago/UPI Photo
Foto: dpa/Uwe Zucchi
Montag, 21. März 2016
71. Jahrgang/Nr. 68
Berlinausgabe 1,70 €
www.neues-deutschland.de
*
STANDPUNKT
Ohne Rückgrat
Stefan Otto über die fehlende
Ausrichtung der AfD
Nun also Drohungen gegen Abtrünnige der AfD – die einmal
mehr eine wüste Radikalität des
fremdenfeindlichen Pegida-AfDDunstkreises untermauern. Wer
die Drahtzieher dieser unflätig
formulierten Schreiben an ausgetretene AfD-Mitglieder sind, die
sich der ALFA-Partei angeschlossen und ihr Mandat im Europäischen Parlament behalten haben,
das ist unklar. Bekannt hat sich
dazu eine »AfD Armee Fraktion« –
ob es eine solche Gruppe wirklich
gibt, ermittelt die Polizei noch.
Diese Drohbriefe rücken aber
wieder ins Bewusstsein, dass es
erst wenige Monate her ist, als
sich die AfD komplett neu aufstellen musste – nachdem nämlich ihr Gründer Bernd Lucke eine Kampfkandidatur gegen
Frauke Petry verloren hatte und
die Partei verließ, um die bislang
bedeutungslose ALFA zu gründen. Aller Wahlerfolge zum Trotz
bleibt die AfD eine junge Partei,
die nach dem Ausscheiden ihres
Denkers Lucke und seiner Anhänger schwächer denn je aufgestellt ist. Ihr scheint seitdem
das Rückgrat zu fehlen. Das zeigen die Überlegungen für eine
neue Parteiausrichtung, über die
der kommende Bundesparteitag
im April entscheiden soll. Bis dahin sei nur noch wenig Zeit für
komplexe Themen wie Rente,
Gesundheit oder Arbeitslosenversicherung, erklärte jüngst der
Vorsitzende der AfD-Programmkommission, Albrecht Glaser. Es
sieht ganz danach aus, als bliebe
die AfD auch nach dem Parteitag
vor allem eines – diffus deutschnational. Ob das ausreicht, um
sich dauerhaft in den Parlamenten zu behaupten, darf bezweifelt werden.
UNTEN LINKS
Zu Wochenbeginn erhebt sich die
Frage nach dem Schicksal der
Mutter – von Daniela Katzenberger. Zieht sie mit ihrer Tochter
nach Mallorca oder bleibt sie? Eine ganze Nation nimmt Anteil an
ihrem Seelenfrieden. Umso deutlicher wird die Niedertracht gegenüber einer anderen Mutter. Zu
Wochenbeginn erhebt sich nämlich die Frage: Wird Angela Merkel vor Gericht in Karlsruhe gezerrt? Horst Seehofer will ihr
beibringen, wo »Mutti« aufhört
und die Kanzlerin anfängt. Ob sie
Gäste, gar Flüchtlinge hereinlassen darf, die der Horst dann versorgen soll. Nach einem kurzen
Blick in die Speisekammer hatte
sie gesagt: »Wir schaffen das.«
Mütter sind so. Doch wenn Horst
Recht bekommt, darf sie das nie
wieder tun. Dann darf sie die
Speisekammer putzen, nicht
plündern. Doch wenn der Horst
Pech hat, gibt es ein Sorgerechtsurteil, und er muss bei Merkels
einziehen, um Umgangsformen
zu lernen. Nach Mallorca zu Katzenbergers darf er sicher nicht
mit, ohne Asylgrund ... uka
ISSN 0323-4940
Am EU-Limit der Menschlichkeit
Drohungen gegen
AfD-Abtrünnige
Flüchtlingsabschiebepakt mit Türkei in Kraft / Linke gegen Rassismus
Sogenannte »AfD Armee Fraktion«
verschickt Briefe an ALFA-Mitglieder
Berlin. Eine bislang unbekannte Gruppierung namens »AfD Armee Fraktion« hat einem Zeitungsbericht zufolge Drohbriefe an
sechs ehemalige Mitglieder der AfD versandt, die sich der Partei »Allianz für Fortschritt und Aufbruch« (ALFA) angeschlossen
haben. Wie die »Welt am Sonntag« berichtet, ging eines der Schreiben an das Ex-Mitglied des AfD-Bundesvorstandes, Hans-Olaf
Henkel. Der 76-jährige Politiker fand demnach im Briefkasten einen Brief, in dem er
aufgefordert wurde, sein Mandat im Europäischen Parlament »an Frauke Petry und ihre Männer« zurückzugeben. »Wie werden uns
für jede Stimme rächen, die Du die AfD kostest! Blutig!!! Tod Dir und Deinen Alfa
Schwachmaten«, zitierte die Zeitung aus dem
anonymen Schreiben.
Ein weiteres Schreiben ging an Bernd Kölmel, einst AfD-Landessprecher von BadenWürttemberg und heutiger ALFA-Vize. Wie
Henkel wird Kölmel darin aufgefordert, sein
Mandat im Europäischen Parlament niederzulegen. AFP/nd
Seiten 10 und 11
Erfolg in Brüssel:
Terrorist gefasst
Ablauf der Pariser Attentate im
November zeichnet sich klarer ab
Öffnet die Grenze – eine Bitte im Lager von Idomeni
Berlin. Nach dem Inkrafttreten des EU-»Flüchtlingspakts« mit der Türkei zu Wochenbeginn
will Pro Asyl Schutzbedürftige in Griechenland bei Klagen gegen ihre zwangsweise Rückführung unterstützen, sagte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation, Günter
Burkhardt, der dpa. Man erwarte aber Schwierigkeiten. Erstens sei es schwer, an Betroffene
heranzukommen und zweitens: »Welcher
Richter hat das Rückgrat, sich gegen das gesamte europäische Establishment zu stellen?«
Auf einem Treffen in Athen kritisierten linke europäische Parteien und Netzwerke die
Flüchtlingsabwehrpolitik der EU. Derweil
Foto: AFP/Louisa Gouliamaki
wächst die Unsicherheit unter den Flüchtlingen, die es nach Griechenland geschafft haben. Bis zum Sonntag waren 48 141 registriert. Wie ihnen in den kommenden Wochen
ein rechtlich einwandfreies Asylverfahren ermöglicht wird, ist unklar. Angeblich sind bereits Fähren für die Rückführung in die Türkei
gebucht. Allein im provisorischen Auffanglager von Idomeni an der mazedonischen Grenze halten sich laut Krisenstab rund 12 000
Menschen auf. Sie kommen nicht weiter, weil
die sogenannte Balkanroute am 9. März für
Migranten ohne gültige Reisepapiere und Visa
faktisch geschlossen wurde.
Zum Internationalen Tag gegen Rassismus
am Montag planen mehr als 70 Organisationen und Einrichtungen Veranstaltungen für
kulturelle Vielfalt und gegen Anschläge auf
Flüchtlingsheime. Monika Lazar von der Grünen-Bundestagsfraktion fordert ein solidarisches Miteinander, in dem auch die Schwächsten, das heißt die Geflüchteten, unterstützt
werden. Unverzichtbar seien zivilgesellschaftliche Strukturen und Projekte, die sich vor Ort
gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit und andere Ideologien
der Ungleichwertigkeit stellen, beraten und
Opfern helfen. hei
Seiten 2 und 3
Terror im Inland, Protest im Ausland
Neuer Anschlag in Istanbul / Kurden kontra Repression / Türkische Regierung immer mehr unter Druck
Ein weiterer Terroranschlag erschüttert die Türkei. Derweil
protestieren Kurden gegen die
Repressionspolitik Ankaras.
Istanbul. Die türkische Regierung
macht einen Attentäter mit Verbindungen zur Terrormiliz IS für
den Anschlag im Zentrum der
Metropole Istanbul mit insgesamt
fünf Toten verantwortlich. Das
zeige der derzeitige Ermittlungsstand, sagte Innenminister Efkan
Ala am Sonntag vor Journalisten
in Ankara.
Der Selbstmordattentäter hatte
am Samstag in der belebten Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal
vier Menschen mit in den Tod gerissen und 39 verletzt. Drei der
Todesopfer sind Israelis. Das Gesundheitsministerium teilte am
Sonntag mit, 15 Verletzte befänden sich noch im Krankenhaus.
Innenminister Ala erklärte, bei
dem Attentäter handele es sich um
den 1992 im südtürkischen Gaziantep geborenen Mehmet Ö. Im
Zusammenhang mit dem Anschlag gebe es zudem fünf Festnahmen. Der IS bekannte sich zunächst nicht zu der Tat.
Die türkische Regierung macht
den IS auch für einen Anschlag auf
eine deutsche Reisegruppe im Januar verantwortlich. Damals riss
ein Selbstmordattentäter in der
Istanbuler Altstadt zwölf Deutsche mit in den Tod. Neben diesem Attentat schreibt die türkische Regierung dem IS auch ein
Selbstmordattentat in Ankara im
Oktober mit mehr als 100 Toten
zu. Die Terrormiliz hatte sich zu
keinem der Anschläge bekannt.
Zwei der drei am Samstag getöteten Israelis hätten auch eine
US-Staatsbürgerschaft, bestätigte
das israelische Außenministerium
in Jerusalem am Sonntag. Nach
türkischen Medienberichten handelt es sich bei dem vierten Todesopfer um eine Frau aus Iran.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, es sei noch
unklar, ob der Anschlag auf isra-
elische Touristen abzielte. Zehn
Israelis waren auch unter den
Verletzten. Israel warnte seine
Bürger eindringlich vor Reisen in
die Türkei. Es bestehe die Sorge
vor weiteren Attentaten sowie ei-
»Terrorismus
sät rund um
die Welt Tod.«
Israels Regierungschef
Benjamin Netanjahu
ne »konkrete Bedrohung« von
Touristen in dem Land, teilte der
Nationale Sicherheitsrat mit.
Unterdessen haben in Deutschland lebende Kurden am Samstag
in Hannover gegen die Politik der
türkischen Regierung protestiert.
An dem Demonstrationszug nahmen nach Polizeiangaben etwa
12 000 Menschen teil, die Veranstalter sprachen von rund 30 000
Teilnehmern aus dem ganzen
Bundesgebiet.
Dem
Aufzug
schloss sich eine Newroz-Feier auf
dem zentralen Waterlooplatz an.
Newroz ist das Neujahrs- oder
Frühlingsfest, das von Kurden sowie vor allem im iranischen Kulturraum gefeiert wird. Nach Polizeiangaben blieb die Veranstaltung sehr friedlich. Es seien lediglich am Rande von einigen
Teilnehmern nicht zugelassene
Symbole gezeigt worden, hieß es
offensichtlich in Anspielung auf
die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die für mehr Autonomie der Kurden in der Türkei
eintritt. Deswegen seien mehrere
Strafverfahren eingeleitet worden. Es gab auch Forderungen
nach Freilassung des in der Türkei inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan.
Türkische
Sicherheitskräfte
gehen seit Monaten gewaltsam
gegen Kurden vor. Damit endete
im Sommer eine Waffenruhe und
eine längere Phase relativer Stabilität. Agenturen/nd
Brüssel. Nach der Vernehmung des in Brüssel festgenommenen Terrorverdächtigen Salah Abdeslam treten neue Details zum mutmaßlichen Ablauf der Pariser November-Anschläge zutage. Ermittlern zufolge war der Islamist als Fahrer und Mitattentäter eines
Selbstmordkommandos am Stade de France,
machte dann aber einen Rückzieher und entledigte sich seines Sprengstoffgürtels. Nach
der Festnahme des 26-jährigen Franzosen
und weiterer Verdächtiger in Brüssel hat
Frankreich die Grenzkontrollen verschärft.
Die Ermittler gehen inzwischen zweifelsfrei davon aus, dass der zehn Tage nach den
Pariser Anschlägen vom 13. November im
Vorort Montrouge in einem Mülleimer gefundene Sprengstoffgürtel von Abdeslam abgelegt wurde. Das sagte der französische
Staatsanwalt François Molins am Samstagabend in Paris. Nahe Montrouge war am
Abend der Anschläge das Mobiltelefon von
Abdeslam geortet worden. »Viele Fragen sind
noch offen«, sagte Staatsanwalt Molins zur
Rolle Abdeslams. dpa/nd
Seite 6
Für Cameron wird
es immer enger
Ministerrücktritt zeigt Widerstand
der Konservativen gegen die EU
London. Tiefschlag für Premier David Cameron: Drei Monate vor dem EU-Referendum ist der britische Arbeits- und Pensionsminister Iain Duncan Smith zurückgetreten.
Der frühere konservative Parteichef und
»Brexit«-Befürworter bekräftigte am Sonntag, er habe aus Protest gegen geplante Sozialkürzungen das Handtuch geworfen. Dagegen meinten Kritiker, in Wirklichkeit gehe
es um das EU-Referendum Ende Juni. »Es
geht um die EU. Er hat einen Grund gesucht
zu gehen«, sagte Baroness Rosalind Miriam
Altmann, eine Mitarbeiterin aus Smiths Ministerium. Der Sender BBC sprach von einem harten Schlag für Cameron, der ohnehin vor dem EU-Referendum gegen Widerstand in den eigenen Reihen zu kämpfen hat.
Die Briten müssen bei der Abstimmung am
23. Juni entscheiden, ob sie in der EU bleiben oder austreten wollen. Nach weitgehenden Reformversprechen aus Brüssel plädiert Cameron für den Verbleib – doch mehrere Minister für den Austritt. Der Ausgang
der Abstimmung gilt als völlig offen. dpa/nd