als PDF - Finanz und Wirtschaft

FRÜHLING 2016 - 7 FRANKEN
O B S E S S I O N E N
OBSESSIONEN
UHREN
FRÜHLING 2016 - 7 FRANKEN
Die besten Geschäfte 2016
Die extremstem Kreationen
UNTERWEGS
Die Pampa
Argentiniens
JAZZ
Die Pariser
Szene swingt
ARCHITEKTUR
Mario Botta:
gebautes Erinnern
KUNST
Teherans Aufbruch
Die Dada-Bombe
<wm>10CFXLIQ4DMQxE0RM5mhnHcbaG1bJVQbU8ZFXc-6OqZQWfvX8cFQ2_7vvj3J9FsHfzLdxVFLJFDFVu3hIsiFPguNFjSiP5d1jvIwVfX2OQcS66RVpghWZ7X68PgvxgvnQAAAA=</wm>
<wm>10CAsNsjY0MDQx0TW2NDU2NgIAiIBEQw8AAAA=</wm>
<wm>10CFXLIQ4DMQxE0RM5mhnHcbaG1bJVQbU8ZFXc-6OqZQWfvX8cFQ2_7vvj3J9FsHfzLdxVFLJFDFVu3hIsiFPguNFjSiP5d1jvIwVfX2OQcS66RVpghWZ7X68PgvxgvnQAAAA=</wm>
BLACK BAY
BRONZE
SATINIERTES GEHÄUSE IN BRONZE
DURCHMESSER VON 43 MM
WASSERDICHT BIS 200 METER
MANUFAKTURWERK
Gehäuse aus einer AluminiumBronze-Legierung. Dieses
Metall nimmt ästhetischen
Schiffe
Bezug auf historische Schiff
e
und Taucherausrüstungen und
gewährleistet die Entstehung
einer dezenten und einzigartigen
Patina, die die Gewohnheiten des
Trägers der Uhr widerspiegelt.
Manufakturwerk TUDOR
MT5601. Das Uhrwerk verfügt
über eine Gangreserve
von circa 70 Stunden, wird
von einem Oszillator mit
variabler Trägheit mit einer
Siliziumfeder reguliert
und wurde vom Schweizer
Prüfinstitut
Prüfinstitut Contrôle Officiel
Officiel
Suisse des Chronomètres
(COSC) offiziell
offiziell zertifiziert.
zertifiziert.
#TUDORWATCH
TUDORWATCH.COM
<wm>10CAsNsjY0MDQx0TW2NLE0NQIAvcU1oA8AAAA=</wm>
<wm>10CFWLrQ7DMAwGn8jR5784nuEUVhVU5SHT8N4frR0bOOnA3baVN_x4zv2cRzHYjDQtXapDW0SOirwEGAWFCLg_GM6iKfl3kFkPga67IShBFoMsyW358PZ5vb_8vTK4dAAAAA==</wm>
Magazin zur Ausgabe der
«Finanz und Wirtschaft»
vom 16. März 2016.
LUXE ist eine gemeinsame
Publikation von «Bilan» und
«Finanz und Wirtschaft» und
erscheint vier Mal jährlich.
VERLAG Finanz
und Wirtschaft AG
Werdstrasse 21,
Postfach, 8021 Zürich
Telefon 044 248 58 00,
Fax 044 248 58 15
www.fuw.ch, [email protected]
VERLEGER
Pietro Supino
VERLAGSLEITER
Walter Vontobel
CHEFREDAKTOR
Mark Dittli
REDAKTION
Hans Uli von Erlach
ANZEIGENVERKAUF
Tamedia Publications
romandes
Werbemarkt
Werdstrasse 21 - 8021 Zürich
Tel. 044 251 35 75
[email protected]
ART DIRECTOR
Enzed, Mélanie &
Nicolas Zentner,
Mathieu Moret
BILDREDAKTION
David Huc
MITWIRKENDE
Dino Aucielo, Sylvie Bernaudon,
Dominik Büttner, Emilie
Cailleux, Vincent Calmel,
Jean-Cosme Delaloye, Etienne
Dumont, Fabrice Eschmann,
Daniel Eskenazi, Jorge
Guerreiro, Serge Guertchakoff,
David Huc, Sarah JollienFardel, Michael Lang, Olivia
Lee, Michele Limina, Patricia
Lunghi, Quentin Mouron,
Marc Ninghetto, Sylvie Roche,
François Wavre
ÜBERSETZUNG
Béatrice Aklin,
Sabine Dröschel, Gian Pozzy,
BILAN LUXE
VERLEGER
Tamedia Publications SA
CHEFREDAKTOR
Myret Zaki
REDAKTIONELLE LEITUNG
Cristina d’Agostino
MARKETING
Dahlia Al-Khudri,
[email protected]
David Olifson,
[email protected]
FOTOLITHO
Images3 Lausanne
DRUCK
Stämpfli AG
Auflage 57 000
ISSN 1664-0152
EDITORIAL
7
Wir sind
alle smart
s gibt Wörter, die sind plötzlich da. Smart ist
ein solches Wort. Seit ich es zum ersten Mal
wahrgenommen habe, als Nicolas G. Hayek Mitte der Achtzigerjahre das kleine Stadtauto zu
vermarkten begann (das – smart eben! – sogar
quer in eine Parklücke passte), wird die moderne Gesellschaft von einer wahren Smart-Lawine überrollt. Von Smart Drugs und Smart Work
über Smart Grid bis zum Schnäppchenjäger, der
heute Smartshopper heisst, und zur Smartcard, deren Chip Spuren unserer
intimsten Daten hinterlässt. Sogar Zigaretten, Coiffeursalons und Dunstabzüge findet, wer nach „smart“ googelt. Und natürlich das Smartphone, das viel
mehr kann, als wir je begreifen werden, und ohne das sich heute jeder völlig
un-smart vorkäme.
L
Auf Seite 28 dieser Ausgabe berichtet Emilie Cailleux vom rasanten Vormarsch der Smartwatches, die immer ausgeklügelter werden und im letzten
Quartal 2015 mit weltweit 8,1 Mio. verkauften Einheiten erstmals den Absatz
von mechanischen Schweizer Uhren (im selben Zeitraum 7,9 Mio. Stück)
übertroffen haben. Beinahe im Stundentakt bringt der digitale Uhrenmarkt
Neuheiten, die naturgemäss viel mehr bieten als blosse Zeitansage und damit wohl auch ein anderes Publikum ansprechen.
Oder doch nicht? Jedenfalls haben längst einige der namhaftesten Schweizer Uhrenmanufakturen die digitalen Zeichen der Zeit erkannt und verblüffen mit Chips statt mechanischer Komplikation, mit Screen statt Zifferblatt,
mit Datenübertragung statt Tourbillon und Vernetzung statt Gangreserve.
Und es sind womöglich dieselben Sammler und Liebhaber, die jetzt fasziniert und entzückt sind von den unendlichen Möglichkeiten der digitalen
Intelligenz. Es ist das gleiche Staunen wie über die technischen Wunderwerke aus hunderten von Zahnrädchen. Die neue, alte Uhrenindustrie hat erkannt, dass nicht ein bisheriger, erfolgreicher Markt abbricht, sondern dass
ein neuer sich parallel dazu auftut.
Gleichzeitig haben die von Erfinder- und Innovationsgeist besessenen Player der traditionellen Haute Horlogerie das mechanische Uhrwerk nochmals
übertrumpft und ausgereizt, haben es mit immer komplexeren Mechanismen weiterentwickelt, mit Scharfsinn und Handwerkskunst bisher Unvorstellbares möglich gemacht, wie Kollegin Cristina d‘ Agostino ab Seite 25 aufzeigt. Die Obsession: Nur das Gute kann den Durchschnitt überflügeln. Und
nur das Bessere kann selbst das Gute überbieten.
Eigentlich eine typisch schweizerische Philosophie: das Neue vorantreiben
und das Bewährte optimieren. Beides auf höchstem Niveau. Denn stehen
bleiben wäre, besonders bei einer Uhr, fatal. Und gar nicht smart!
Hans Uli von Erlach
Redaktion «Luxe»
8
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Inhalt
Titelbild:
Foto:
Vincent
Calmel
Outfit:
Hackett
London
10 REFLEX Maxime Guyon / 12 AGENDA
14 MUST HAVE / 16 AUSBLICKE Zwischenhalt / 17 GEWUSST Alexander Girard
18 CULTURE CLUB Annabel’s / 20 DIREKT AUS... / 21 TECHNOSOPHIE
14
50 KULTUR
Kunstfrühling in Teheran
78
55 KUNST
22
Dada, die Bombe von Zürich
58 BOUDOIR
Anne Walser
62 ARCHITEKTUR
Labyrinth aus Bambus
22 UHREN
Mario Botta
Die Zeit der Obsessionen
68 MUSIK
Smarte Welt
Unwiderstehlich Jazz
Uhrmacherkunst von morgen
HYT und Greubel Forsey
72 MODE
Detailverliebt
32 INTERVIEWS
Schweizer Sportswear
Ricardo Guadalupe vis-a-vis
Flavio Manzoni
78 REISEN
Im Herzen der Pampa
83 ABENTEUER
Zirkuskünste in der Sonne
Jean-Paul Girardin vis-a-vis
Markus Binkert
84 DUFTNOTIZEN
85 BEAUTY
36 BEST BOUTIQUE AWARD
87 SAVOIR-FAIRE
42 DESIGN
Die neue Nase von Hermès
Obsession der Form
44 SHOOTING
64
88 AUTO
Allräder der Luxusklasse
Uhren-Trends
92 DIGITAL
44
88
62
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
9
10
Reflex
«Luxe» erteilt der
jungen Generation der
frisch diplomierten
ECAL-Fotografen in
jeder Ausgabe Carte
blanche. Sie sollen einen
kreativen Blick auf Luxus
mit Bezug zum Thema
des Magazins werfen.
In Zusammenarbeit
mit der ECAL wird für
jede Ausgabe ein neuer
Künstler ausgewählt.
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
«Ich wollte die Ästhetik der
Uhrenkomplikationen mit den
hochkommerziellen Codes der
Haute Horlogerie kombinieren.
Die hyperrealistischen
Abbildungen haben mir dabei
als Leitmotiv gedient.»
Maxime Guyon
Maxime Guyon (1990 in Frankreich geboren) hat die Fotoklasse der
Lausanner Kunstschule ECAL im Jahr 2015 mit Auszeichnung abgeschlossen.
Seine Arbeit bewegt sich zwischen der ständigen Weiterentwicklung
technischer Funktionen in der heutigen Gesellschaft und der Rolle des
Fotografen in der Post-Internet-Ära.
www.maximeguyon.com/technological_exaptation – www.ecal.ch
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
V O L L E N D E T,
UM DAS BESTE
AUS IHRER ZEIT
ZU MACHEN.
THE FORD MOTOR COMPANY PRESENTS
ford.ch
11
12
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
NEWS
AGENDA
Etienne Dumont
International
«ICH BIN HIER.
VON REMBRANDT
ZUM SELFIE»
Musée des
Beaux-Arts Lyon
Ein Selbstporträt ist eine Selbstwahrnehmung: Jeder Künstler und jeder
Amateurfotograf stellt sich so dar, wie
er gerne gesehen würde. Die in einem
Gemeinschaftsprojekt von drei Museen in
Karlsruhe, Lyon und Edinburgh entstandene Ausstellung aus 130 Werken setzt
sich mit dem Thema auseinander und regt
zum Nachdenken an. Neben einem Robert
Mapplethorpe kann ein Rembrandt einen
ganz anderen Sinn erhalten. Die nächste
Station ist Lyon (25. März bis 26. Juni),
danach folgt Edinburgh. www.bba-lyon.fr
«HENRI ‘LE
DOUANIER’
ROUSSEAU. DIE
ARCHAISCHE
UNSCHULD»
Musée d’Orsay
Paris
Henri Rousseau (1844–1910) wurde von Apollinaire und Picasso
nicht immer ganz frei von schrägen Zwischentönen gefeiert. Retrospektiven seiner Werke sind aufgrund der fragilen Gemälde selten.
Dennoch haben das Musée d’Orsay und die Orangerie die ihren für
eine Ausstellung zusammengelegt. Sie wurde letzten Sommer in Venedig gezeigt und kommt jetzt als erweiterte Werkschau nach Paris
(22. März bis 17. Juli). Darin wird «Le Douanier» in seinen zeitlichen
Kontext gesetzt, sodass die Zusammenhänge mit seinen Vorgängern
und seinen Erben ersichtlich werden. www.musee-orsay.fr
«HIERONYMUS
BOSCH. VISIONEN
EINES GENIES»
Noordbrabants
Museum
‘s-Hertogenbosch
und Prado Madrid.
Der holländische Maler starb 1516. Seine Geburtsstadt ‘s-Hertogenbosch besitzt kein einziges seiner Werke, hat für diese Ausstellung
aber über zwanzig der rund dreissig bekannten Gemälde als Leihgabe erhalten. Zu sehen sind etwa «Das Narrenschiff» aus dem Louvre
und «Der Hausierer» aus Rotterdam. «Der Garten der Lüste» (im Bild)
hingegen fehlt. Dieses Bild bleibt in Spanien, der zweiten Station der
Retrospektive, die so schnell wohl keine Neuauflage erleben wird. In
’s-Hertogenbosch vom 13. Februar bis 8. Mai, www.bosch500.nl, in
Madrid vom 31. Mai bis 11. September, www.museodelprado.es
«BOTTICELLI
REIMAGINED»
Victoria & Albert
Museum London
Der 1510 verstorbene und bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in
Vergessenheit geratene Sandro Botticelli
hat genügend ikonische Gemälde
geschaffen, um nachgeahmt und den
unverfrorenen Ikonoklasten zum Frass
vorgeworfen zu werden. Nach Berlin sind die
Neuinterpretationen seines Schaffens vom
5. März bis 3. Juli auch in London zu sehen.
Neben den Aneignungen durch englische
Prä-Raffaeliten der 1880er-Jahre, durch Andy
Warhol und David LaChappelle umfasst die
Ausstellung echte Botticellis aus Florenz und
anderen Schaffensorten. www.vam.ac.uk
13
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Schweiz
«FRANCIS
PICABIA. EINE
RETROSPEKTIVE»
Kunsthaus Zürich
Erich Lessing
Das Privatmuseum in Riehen hat die
Werke von Alexander Calder bereits
mehrfach ausgestellt. Der Amerikaner
hatte dort eine Zeitlang sogar eine
eigene Galerie. Diesmal verbindet die
Fondation Beyeler Calder mit dem
Künstlerduo Peter Fischli und David
Weiss († 2012), die auch als Regisseure
des Films «Der Lauf der Dinge» in
Erinnerung geblieben sind. Im Fokus
der spielerischen Skulpturenausstellung
vom 29. Mai bis 4. September steht der
Moment des fragilen Gleichgewichts.
www.fondationbeyeler.ch
Der Franzose war bereits 1984/1985 Gast des Museums. Jetzt
kommt er aus Anlass des 100-Jahre-Jubiläums der Dada-Bewegung zurück nach Zürich. Picabia (1879–1953) war das Bindeglied
zwischen der Schweizer Metropole und Paris, wohin die Dadaisten
nach 1918 übersiedelten. Vom 3. Juni bis 25. September werden
über 150 seiner Werke gezeigt – von seinen Anfängen als impressionistischer Maler über seine Dada-Phase bis zu den Kitsch-Gemälden der Vierzigerjahre. Der Provokateur wollte dem guten
Geschmack immer den Garaus machen. www.kunsthaus.ch
NEUES
KUNSTMUSEUM
BASEL
juliansalinas.ch
«ALEXANDER
CALDER/
FISCHLI-WEISS»
Fondation Beyeler
«PIPILOTTI RIST»
Kunsthaus Zürich.
Alex Delfanne
NEWS
AGENDA
Etienne Dumont
Anlässlich der offiziellen Eröffnung des erweiterten Kunstmuseums am 17. und 18. April
startet auch die grosse Sonderausstellung
«Sculpture on the Move». Sie präsentiert
das künstlerische Medium der Skulptur
im Spannungsfeld der Bewegung. Das
Panorama reicht von 1946 bis heute und von
Alexander Calder bis Matthew Barney. Der
ingeniöse Neubau von Christ & Gantenbein
wurde termingerecht und ohne allzu viele
Mehrkosten fertiggestellt. Auch während der
Bauarbeiten waren einige der Kollektionen
zugänglich. Eine durch und durch gelungene
Sache! www.kunstmuseumbasel.ch
Sie war die blauhaarige Fee der «Expo1»,
zu der es nie kam. Seither hat die mittlerweile 54-jährige St. Gallerin mehrere
künstlerische Höhen und Tiefen erlebt.
Für Zürich realisiert sie auf tausend
Quadratmetern eine raumgreifende
Installation. Die Ausstellung ist eine Art
Rückblick auf das bisherige Schaffen der
schillernden Videokünstlerin, bezieht
aber auch neue Werke mit ein, darunter
«Worry Will Vanish Horizon» (im Bild), das
in der Londoner Galerie Hauser & Wirth
seine Premiere feierte. 26. Februar bis
8. Mai, www.kunsthaus.ch
14
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
NEWS
MUST HAVE
Mit den schrillen Farben und den schrägen Formen, den fröhlichen Motiven und Punk-Akzenten feiert das Design der Memphis-Gruppe, 1989 von Ettore Sottsass in Mailand gegründet,
eine Renaissance und inspiriert wie eh und je. Patricia Lunghi
PILASTRO
Kartell ehrt
Memphis und
Sottsass mit der
Neuedition einer
vom Meister
konzipierten
originellen
Kollektion,
darunter den
Hocker Pilastro
in knalligen
Farben.
Memphis
MURMANSK
Diese riesige Fruchtschale aus Silber
(30 cm hoch) war eines der ersten
Stücke, die Sottsass 1982 für Memphis
kreierte. Dreissig Jahre später wird sie
weiterhin aufgelegt. Preis : 4978 €
Preis: 304 Fr.
SHOGUN
Die Leuchte Shogun von Mario Botta reflektiert seine
Architektur und ist ein Symbol für postmodernes Design. Sie
wird weiterhin im Katalog von Artemide aufgeführt.
Preis: 740 Fr.
DRUNKEN
SIDE TABLE
Der talentierte,
junge Designer Lee
Broom aus England
signiert diesen
Beistelltisch aus
Corian. Eine klare
Referenz an die
Postmoderne der
Achtzigerjahre.
Preis: 6825 €
BIG SUR
Asymmetrisches,
farbenfrohes Sofa
aus lackiertem
Holz und Wolle.
Eine Kreation des
amerikanischen
Designers Peter
Shire für Editions
Memphis Milano
aus dem Jahr
1986.
Preis: 12 908 €
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
BOUTIQUES
GENEVE • GSTAAD • LUZERN
ZURICH • ZERMATT
15
Classic Fusion Aeromoon King Gold.
Gehäuse aus der einzigartigen RotgoldLegierung King Gold. Zifferblatt aus Saphir
ermöglicht Einblicke in das Uhrwerk und zeigt
Mondphasen, Kalender, Tag und Monat an.
16
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Von Dinard über Paris, Dubai nach St-Légier – eine
Auswahl attraktiver Adressen, die man diesen Frühling
testen sollte. Cristina d’Agostino
NEWS
AUSBLICKE
M.A.D. GALLERY. DUBAÏ
Nach Genf und Taipeh gibt es nun auch
eine M.A.D. Gallery in Dubai, im Herzen der
AlSerkal Avenue. Im angesagten Quartier
werden seit 2007 diverseste Kunstformen
gepflegt. Zahlreiche renommierte internationale Kunstgalerien haben hier ihre
Zelte aufgeschlagen, einige sind an der Art
Dubai äusserst aktiv. Maximilian Büsser,
schweizerisch-indischer Gründer der
M.A.D. Gallery, sorgte zusammen mit dem
japanischen Künstler Chicara Nagata und
den drei unvergleichlichen «Road Machines» für einen aufsehenerregenden Start.
Zwischenhalt
Gilles Trillard
www.castelbrac.com
Avenue George-V 17
35800 Dinard, France
+33 2 99 80 30 00
Alserkal Avenue
Street 8 Al Quoz 1
Dubai, U. A. E.
+971 04 330 7366
LE ROCH HOTEL & SPA. PARIS
Für Liebhaber des 1. Arrondissement in
Paris und Fans der Innenarchitektin Sarah
Lavoine ist das Le Roch Hôtel eine neue
Anlaufstelle. Pool und Spa, Innengarten
und Sonnenterasse, Carrara-Marmor,
massives Nussholzparkett und von der
Designerin auf Mass kreierte Möbel machen das Hotel zur eleganten Adresse im
Herzen von Paris.
Nach langen Jahren wird am 17. April im Manoir de Ban, Wohnsitz
der Familie, das Musée Chaplin eröffnet. Über 3000 m2 Entdeckungen, Erfahrungen und Emotionen erwarten die Besucher, ein
szenografisches, cinematografisches, multimediales und virtuelles
Gesamtwerk. «Le Studio», ein moderner Betonbau mit Kinosaal und
diversen Rekonstruktionen aus Chaplin-Filmen, präsentiert das
Werk des Künstlers, während im Manoir de Ban das Leben Chaplins
nachgezeichnet wird.
www.moderntimeshotel.ch
Chemin du Genévrier 20
1806 Saint-Légier-La Chiésaz/
Vevey +41 21 925 22 22
Bubbles Incorporated SA
MODERN TIMES HOTEL. ST-LÉGIER
www.chaplinsworld.com
Route de Fenil 2
1804 Corsier-sur-Vevey
In St-Légier oberhalb von Vevey und in der
Nähe des brandneuen Musée Chaplin’s
World by Grévin hat das neue Viersternehaus Modern Times Hotel seine Tore
eröffnet. Die 138 mit modernstem Komfort
ausgestatteten Zimmer und Junior-Suiten
haben einen den Blick auf die Pléiades
oder den mediterranen Park. Im Restaurant
Le Times Grill geniesst man Grilladen mit
provenzalisch inspirierten Beilagen.
www.emo-photo.com
MUSÉE CHAPLIN’S WORLD BY GRÉVIN. CORSIER-SUR-VEVEY
www.leroch-hotel.com
Rue Saint-Roch 28
75001 Paris. France
Pierre André
HÔTEL CASTELBRAC. DINARD
Das Haus aus dem 19. Jahrhundert
beherbergt neu ein Hotel mit 25 Zimmern.
Die Villa Bric à Brac war 1874 Wohnsitz
des berühmten englischen Colonel Robert
Hamilton, 1934 des Meeresbiologen
Professor Gruvel. Auf Anregung des Polarforschers Capitaine Charcot entstand hier
vor dem Zweiten Weltkrieg eine maritime
Forschungsanstalt mit Aquarium. Das
Fünfsternehaus in der Bretagne ist ganz im
Jugendstil gebaut. Besonders sehenswert
ist die im einstigen Aquarium untergebrachte Bar, wo das sanfte Halbdunkel
unterbrochen wird vom durch die originalen Luken einfallenden Licht. Der Blick
auf Atlantik und Smaragdküste ist ebenso
entspannend wie atemberaubend.
17
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
ie Geschichte verhilft Alexander Girard endlich
zur verdienten Ehre. Während sein Name nur
Eingeweihten ein Begriff war, wurden seine Zeitgenossen und Freunde Charles und Ray Eames,
George Nelson und Eero Saarinen zu Weltstars.
Eine flagrante Ungerechtigkeit, denn Girard war ein Pionier des
postindustriellen Designs, der Gegensätzliches miteinander
zu verbinden wusste – Handwerk und Industrie, schlichtes Design und bunte Pop Art. Von 1920 bis 1970 beschäftigte er sich
mit Innenarchitektur, Textildesign, Corporate Identity, Typografie und natürlich mit dem Design von Möbeln.
Drei Jahre nach seinem Tod im Jahr 1993 ging der Privatnachlass des Italo-Amerikaners an das Haus Vitra über, zehn Jahre
später erhält nun das Publikum erstmals Gelegenheit, 5000
Zeichnungen, Fotografien, Motivskizzen für Textilien, Accessoires, Möbel und Folk-Art-Objekte – die wichtigste Inspirationsquelle des Künstlers – zu bewundern. Das Vitra Design
Museum in Weil am Rhein zeigt die spektakuläre Retrospektive vom 12. März 2016 bis 29. Januar 2017 (www.vitra.com).
Charles Eames
D
NEWS
GEWUSST
Jorge S.B. Guerreiro
Alexander Girard
Designer der Farben
Colour Wheel
Ottoman, 1967
Ein Souvenir der besonderen Art ist die Colour-Wheel-Ottomane aus dem Jahr 1967, eine Reedition von Vitra mit 91 cm
Durchmesser, in zwei Versionen und diversen Farben. Das
Möbelstück repräsentiert das einmalige grafische Oeuvre von
Alexander Girard, der endlich im Pantheon des Designs Aufnahme findet (1372 Fr.).
18
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
NEWS
CULTURE CLUB
Cristina d’Agostino
Annabel’s
Intakter
Mythos
ady Diana tanzte hier barfuss, Queen Mum vergnügte sich einen Abend lang, die Beatles waren
die Einzigen, die krawattenlos Zugang hatten. Annabel’s ist wie eh und je angesagter Treffpunkt der
Londoner High Society. Dem Club im Herzen von
Mayfair – zwischen Oxford Street, Piccadilly, Hyde Park und Regent Street – ist es gelungen, den Mythos seiner Soirees zu bewahren. Laptop und Handy gibt man am Eingang ab, denn absolute
Diskretion ist garantiert. Seit 1963 wird hier gefeiert, chic, ausgelassen, zügellos. Schweizer sind willkommen, so sie Mitglied des
sehr exklusiven, privaten Zürcher Club Baur au Lac sind.
www.annabels.co.uk
44 Berkley Square,
London W1J 5QB, UK
Chris Tubbs
L
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Your access to emerging markets
opportunities.
19
20
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
TOKIO
Daniel Eskenazi Journalist
Skandinavisches Design hat in
Japan Hochkonjunktur
NEWS
WELTWEIT
Skandinavien ist in Japan voll im Trend.
Die Zeitschriften im Land der aufgehenden Sonne sind voll von dänischem und
schwedischem Design. Sie berichten Woche für Woche begeistert über Möbel, Geschirr und Deko aus dem europäischen
Norden. In der Megapole Tokio bieten
Dutzende Läden skandinavisches Design an. Und in Meguro, das für seine vie-
len Möbelgeschäfte bekannt ist, fehlen
natürlich auch die prominenten skandinavischen Designer wie Hans J. Wegner,
Arne Jacobsen und Nanna Ditzel nicht.
«In Japan sind skandinavische und vor
allem dänische Designer aus der Mitte
des letzten Jahrhunderts sehr gefragt»,
sagt Rei Noguchi, der als Einkäufer für
die japanische Gruppe Actus arbeitet.
Im Uhrensektor, in dem Schweizer Marken grosse Beliebtheit geniessen, ist der
Trend weniger ausgeprägt. Trotzdem
spielen skandinavische Produkte auch
hier eine zunehmend wichtige Rolle.
Die schwedische Marke Daniel Wellington, die in Japan seit rund zwei Jahren
vertreten ist, soll laut einer Managerin
enorme Erfolge in der Uhrenszene feiern. «Die Verkaufszahlen wachsen um
rund 200% pro Jahr, die Nachfrage nach
schwedischen und dänischen Uhren ist
in Japan generell hoch», betont sie. Eine
Direkt aus...
Illustration: Nicolas Zentner
HONGKONG
Olivia Lee Mitgründerin von The Closeteur
Asiatische Uhrenliebhaber:
Klassik-Knowhow statt Label-Glanz
Das Digitalzeitalter bedeutet schnelle
Informationen und sofortige Erfüllung
von Wünschen. Jetzt betreiben Uhrensammler und -liebhaber in Hongkong
jedoch eine neue Art, kunsthandwerkliches Erbe und Know-how zu begreifen.
Parallel zur Verlangsamung des Konsums von Luxus sind nicht mehr nur
Extravaganz oder das auf Anhieb erkennbare Label Indikatoren für Reichtum und Status. So möchten asiatische
Konsumenten von den Marken, die sie
tragen, mit einbezogen werden und
Markenloyalität bezeugen, weg von
rein ästhetischen Aspekten ihre Vorstellung von kulturellem Erbe mit anderen Menschen teilen. Auch auf dem
Gebiet wertvoller Uhren. Um Beziehungen aufzubauen, reicht exzessive
Produktwerbung nicht, Uhrenmarken
müssen Geschichten erzählen, Story
Telling ist angesagt. Van Cleef & Arpels
weist den Weg: Die Marke lädt Stammund Neukunden zu Ateliers, wo sie andere Aficionados kennenlernen, sich
Kenntnisse in Uhrentechnik aneignen,
Gelegenheit haben zum Austausch mit
Spezialisten. Angesichts steigender Beliebtheit der Ecole Van Cleef & Arpels
(hk.lecolevancleefarpels.com) führt
das Schmuck- und Uhrenhaus an der
PMQ, der Hongkonger Drehscheibe für
Kunst und Design, zum dritten Mal seine Ateliers durch. Das zunehmende Interesse und die Wertschätzung für ein
grosses Vermächtnis sind ein Schritt
zurück zum Wesentlichen: Besonnene Vertiefung statt digitale Unmittelbarkeit.
Erklärung für die Vorliebe der Japaner
für skandinavische Erzeugnisse könnten
die Gemeinsamkeiten mit dem Design
aus dem eigenen Land sein. «Japaner
mögen Einfaches und Minimalistisches»,
erklärt Rei Noguchi.
NEW YORK
Jean-Cosme Delaloye Journalist
Im Schatten von Fitbit und Apple
Die Fitbit-Werbung am diesjährigen Super Bowl, am Finale der American-Football-Profiliga, ist nicht unbemerkt geblieben. Das amerikanische Unternehmen
für Fitness-Uhren hat mehrere Millionen
Dollar in den Launch seiner Smartwatch
Blaze investiert. Mit einem Preis von weniger als 200 $ ist die Fitbit Blaze genauso
wenig ein Luxuserzeugnis wie das Konkurrenzprodukt Apple Watch. Und doch
hat die Apfelmarke 2015 insgesamt 12 Mio.
Uhren verkauft und damit den US-Markt
neu definiert: Sie hat eine technologische
Alternative zur feinen Mechanik der Luxusuhren geschaffen. Laut Milton Pedraza, dem Leiter des Luxury Institute in
New York, sind Luxusuhren in der heutigen Zeit, in der Wallstreet durch Volatilität
glänzt, jedoch noch immer eine beliebte
Anlage. «Die Amerikaner suchen derzeit
nach einzigartigen Erlebnissen und Erfahrungen», erklärt er, «und Luxusuhren
stehen da in Konkurrenz zu den grossen
Reisen.» Der Experte nennt noch einen
weiteren Trend: Amerikanische Konsumenten informieren sich immer genauer
über das begehrte Produkt, und sie sind
den Luxus-Uhrenlabels weniger treu.
Als Folge der besseren Produktkenntnis
wächst das Potenzial des Online-Handels.
Gemäss einer von McKinsey Ende 2015
veröffentlichen Studie werden im Jahr
2025 geschätzte 18% der LuxusuhrenIndustrie online verkauft. «Die Industrie
will diese Wende nicht verpassen», sagt
Milton Pedraza. «Auch wenn der E-Commerce den Verkauf im Laden nicht ersetzen wird, so ist er doch eine unverzichtbare Alternative.»
21
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
NEWS
TECHNOSOPHIE
Eine neue, ausgetüftelte Digitaltechnologie holt die
berühmtesten Pianisten ins traute Heim. Nein, nicht auf
einem üblichen Tonträger – CD war gestern. Sondern
live an Ihren Steinway in der guten Stube. Hans Uli von Erlach
ie haben eine Party und
möchten einen Jazz-Pianisten swingen lassen? Vielleicht Duke Ellington? Und
das in person? Oder vielleicht gönnen Sie sich einen gediegenen
Chopin-Abend? Dann laden Sie doch
gleich einen Starpianisten ein. Etwa Lang
Lang. Oder Arthur Rubinstein. Live, versteht sich. Zwar bleibt der Stuhl vor Ihrem Instrument leer, aber wie von Geisterhand bewegen sich dessen Tasten und
schlagen die Hämmerchen die Saiten an.
Selbst die Pedale sind präzise im Einsatz.
Und Sie hören es: unverkennbar der Maestro. Zwischen zwei Nocturnes können
Sie ihm gerne auch zuprosten: Cin cin, Mr.
Rubinstein.
S
Cin cin, Mr.
Rubinstein
In der Schweiz ist
Musik Hug Partner
von Steinway
& Sons.
www.musikhug.ch
Möglich macht die virtuelle Live-Performance Spirio, ein Meistwerk der Technik,
das im New Yorker Stammhaus des Piano- und Flügelherstellers Steinway & Sons
entwickelt wurde. Dabei gibt ein Modul
Impulse mit fein reguliertem Luftdruck
an die Mechanik des Instruments weiter.
Und das so detailliert, dass Stil, Sensibilität und Ausdruck des Pianisten unverfälscht erklingen: weiche Triller oder donnernde Fortissimi, seine typischen Tempi
und sein nuancenreicher Anschlag. Im
New Yorker Tonstudio haben bereits viele der grössten Steinway-Künstlerinnen
und -Künstler eigens ein Repertoire für
das System Spirio eingespielt. Eine spezielle Software misst die Hammergeschwindigkeit in bis zu 1020 Dynamikstufen bei
bis zu 800 Signalen pro Sekunde und 256
verschiedenen Pedalstellungen. Der Katalog umfasst schon weit über hundert
Stunden Musik aus Jazz und Klassik. Jetzt
ist es sogar gelungen, die Aufnahmen von
längst verstorbenen Tastenstars auf diese
Weise digital zu erfassen und hörbar zu
machen. Auf dem mitgelieferten iPad können sämtliche Aufnahmen angetippt werden, und gleich beginnt der gewünschte Musiker live zu spielen. Über eine App
wird die stetig wachsende Bibliothek laufend automatisch erweitert.
Das revolutionäre Selbstspielsystem wird
absolut unsichtbar in zwei übliche Flügelgrössen von Steinway & Sons eingebaut.
Die Instrumente allein kosten zwischen
87‘000 und 104‘000 Fr. und können natürlich auch ohne Spirio ganz normal gespielt werden. Doch wer will das schon,
wenn man für die «Gage» von rund 21 000
Fr. (Aufpreis für Spirio) Rubinstein, Lang
Lang und Ellington und vier Dutzend weitere Stars live zu Hause haben kann.
22
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
23
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
UHREN
Theorie der Extreme
Während die Smartwatch der Welt auf beiden Seiten
des Atlantiks den Kopf verdreht, sind die Schweizer
Uhrmacher noch immer besessen von mechanischen
Komplikationen. Cristina d’Agostino
24
ls brillante Antwort auf
die unendlichen technischen Möglichkeiten
von Computersoftware
schöpfen die Uhrmacher das mechanische Räderwerk immer weiter aus – man könnte fast meinen, sie hätten mit den Erfindern der
besten Tools aus Cupertino eine Wette
abgeschlossen. Im Laufe der Jahrhunderte, der Entdeckungen und der Siege
des Menschen über das unendlich Kleine hat die mechanische Komplexität immer wieder neuen Schwung erhalten.
Heute ist die Intelligenz des Handwerks
zu einem Aushängeschild geworden. Die
Uhrmacher schreiben sie auf ihre Fahne, in der Hoffnung, Besseres, Schöneres
und Grösseres zustande zu bringen als
die künstliche Intelligenz. Das Handwerk
will seinen Rang behalten.
Der Drang nach mechanischer Perfektion ist intakt. Thierry Stern, Präsident
von Patek Philippe: «Das Streben nach
komplexen Mechanismen geht auf unsere Firmenphilosophie zurück, die
von den Gründern der Marke definiert
wurde und seit 1839 unverändert geblie-
A
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Das Streben nach
mechanischer Perfektion
ist intakt.
ben ist: Wir wollen die besten Uhren der
Welt entwerfen, entwickeln und herstellen. Diese Philosophie prägt unsere tägliche Arbeit und wird bei jeder neuen
Kreation umgesetzt. Unsere Kundschaft
schätzt Uhren mit technischem Mehrwert, Tendenz steigend. Einige unserer
Neukunden leisten sich gleich bei ihrem ersten Kauf eine Uhr mit Komplikationen wie die Quantième Annuel.
Vor zehn Jahren stieg man meist mit
einer klassischen Uhr wie der Calatrava in die Marke ein. Es geht nicht darum, Komplikationen der Komplikation
wegen zu entwickeln. Wichtig ist in unseren Augen, dass die Uhren über nützliche und verlässliche Funktionen verfügen. In der Haute Horlogerie sind die
an schönen Uhren interessierten Kun-
den der neuen Generation fasziniert
von der komplexen Mechanik, deren
Herstellung nur dank kombiniertem
Fachwissen aus traditioneller Handwerkskunst und Spitzentechnologie
möglich ist und die wenig mit der virtuellen Welt zu tun hat.»
Die jüngsten Kollektionen der renommierten Uhrenmarken sind ein deutlicher Beweis für diesen Trend. Eine
Realisation jedoch überragt sie alle: Vacheron Constantin hat Ende 2015 zur
Feier ihres 260-jährigen Bestehens die
komplizierteste Taschenuhr der Welt
herausgebracht. Das schlicht mit Referenz 57260 betitelte Meisterstück mit
doppeltem Zifferblatt schlägt alle Rekorde der hohen Uhrmacherkunst. Es
enthält 57 Komplikationen, darunter
g Die Reverso
Tribute Gyrotourbillon von
Jaeger-LeCoultre
25
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
verschiedene Neuheiten. Ein paar Beispiele: zwei ewige Kalender (ein gregorianischer und ein hebräischer), ein astronomischer Kalender, ein Mond- und
ein Religionskalender, ein zweifach retrograder Schleppzeigerchronograph,
ein Wecker, ein Westminster-Glockenspiel und eine Armillarsphäre. In Zahlen
ergibt das vier Uhrwerkplatten, 2800
Einzelteile, 242 Rubine, 75 Komplikationen, acht Jahre Forschungs- und Entwicklungsarbeit und einen Rekord. Mit
der Referenz 57260 ist es Vacheron Constantin gelungen, die während 26 Jahren unangefochtene Patek Philippe 89
zu entthronen. Die mit 33 Komplikationen bislang komplizierteste Uhr der
Welt ist und bleibt aber ein technisches
Meisterwerk, denn sie wurde ohne jegliche Computerunterstützung gebaut.
CAD gab es damals noch nicht. Dieser
lobenswerte Drang nach Perfektion
bringt das Mantra des Uhrmachers im
Land der Kompromisse bestens auf den
Punkt: keine Kompromisse eingehen,
um Vorzüglichkeit zu erreichen.
Die
komplizierteste
Uhr der Welt
von Vacheron
Constantin
57
Komplikationen,
davon diverse
Neuheiten
4
Uhrwerk-Ebenen
2800
Einzelteile
242
Rubine
8
Jahre Forschung
und Entwicklung
TAG Heuer Carrera
Heuer-02T Tourbillon,
die günstigste unter den
mechanischen Uhren mit
Komplikationen
26
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Die Meister der Komplikationen
inszenieren die Zeit, machen
Funktion zur Allegorie, und
Extreme zu Poesie.
Die Erzfeinde des mechanischen Uhrwerks und der gleichförmigen Schwingungen rauben den Uhrmachern den
Schlaf. Besessen suchen sie nach Lösungen, wie sie die Unruh und die Spiralfeder in ein perfektes Gleichgewicht
bringen und wie sie die Reibung, die
Fliehkraft und die Magnetfelder austricksen können. Um möglichst nahe
an die Taktfrequenz eines Mikroprozessors heranzukommen, die bei einer
Smartwatch 1,3 GHz, bei einer mechanischen Uhr hingegen rund 5 GHz beträgt, übertreffen sich die Uhrmacher
gegenseitig an Erfindungsreichtum.
Ständig werden neue amagnetische
und reibungsfreie Materialien entworfen. Ein Meilenstein, der alle bisherigen
Konventionen über den Haufen wirft,
ist das Uhrwerk Senfine von Parmigiani
Fleurier. Es wurde zur Feier des 20-Jahre-Jubiläums der von Michel Parmigiani gegründeten Marke der Öffentlichkeit präsentiert. Senfine ist ein Schritt in
Richtung des Perpetuum mobile, einer
Uhr, die dank einer Gangreserve, wie
sie auch mit der ausgeklügeltsten Batterie unmöglich erreicht werden kann,
nie stillsteht. Die Forschungsarbeiten
für diese Erfindung wurden 2004 von
Pierre Genequand, einem Genfer Ingenieur und ehemaligen Mitarbeiter
des Schweizer Forschungszentrums
für Elektronik und Mikrotechnologie
(CSEM), aufgenommen. Der Wissenschaftler hatte sich auf reibungslose
elastische Gelenke in der Raumfahrttechnik spezialisiert und war überzeugt,
dass diese Technologie ein grosses Potenzial für die Uhrmacherei birgt. Das
CSEM und die Vaucher Manufacture
Fleurier, das Kompetenzzentrum für
Uhrmacherei von Parmigiani Fleurier,
sorgten anschliessend mit einem Proto-
Eine Neuheit aus
der Manufaktur
Cartier, die
Rotonde Astromystérieux
laziz hamani
______Isochronismus als Obsession
27
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
______Hohe Uhrmachkunst
zu erschwinglichen Preisen?
typ für die praktische Umsetzung. Das
Uhrwerk verfügt über eine herkömmliche Energiequelle, zeichnet sich aber
durch ein Regulierorgan mit einer noch
nie dagewesenen Autonomie aus. Seine Form und seine Materialien spielen
dabei eine wichtige Rolle. Ohne die mit
aller Kraft vorangetriebene technologische Forschung wäre Senfine aber
nicht zustande gekommen. Sie bildet
den Kern der modernen Uhrmacherei.
Mechanische Fortschritte sind heute
nur noch mit Unterstützung bahnbrechender Technologien aus der Raumfahrt, der Luftfahrt und der Automobilindustrie denkbar. Die Haute Horlogerie
hat nicht mehr viel mit der Uhrmacherkunst aus Grossvaters Zeiten gemein.
Dank der monolithischen Bauweise aus
Silizium, dank der Unruh, Spiralfeder
und Anker aus einem einzigen Stück
gefertigt sind, erübrigen sich die Drehzapfen und -achsen eines herkömmlichen Gangreglers. Das Resultat: weniger
Reibung und eine Gangreserve von 45
Tagen. Glaubt man Michel Parmigiani,
ist das Potenzial des Gangreglers aber
noch lange nicht ausgeschöpft. Der Konkurrenzkampf der Smartwatches und
der hochtechnologischen, mechanischen Uhren um die Vormachtstellung auf dem Gebiet der Avantgarde ist
in vollem Gang.
Montblanc 4810
Exotourbillon Slim
______Komplexe Schönheit
Mechanische Komplexität ist es aber
nicht alles. Ebenso wichtig ist die Ästhetik des Uhrwerks. Die Meister der Komplikationen wollen die Zeit inszenieren,
die Funktion zur Allegorie machen und
eine Poesie der Extreme schaffen. Die
schwingende Spiralfeder soll ein Blickfang sein, der Käfig des fliegenden Tourbillons den Betrachter in seinen Bann
ziehen und der regelmässige Glanz auf
der Rückseite des Meisterwerks beeindrucken. Eine Uhr soll mehr sein als
technische Perfektion. Die mechanische Schönheit, eine Obsession jedes
Uhrmachers, soll die Zeit paradoxerweise zum Stillstand bringen.
Ob sie nun geheimnisvoll ist wie die Astromystérieux von Cartier, bei der das
Uhrwerk zu schweben scheint, oder hypnotisierend wie die Reverso Tribute Gyrotourbillon, einem Zweiachs-Tourbillon
mit minimalistisch ausgelegten Käfigen
und unterschiedlicher Drehgeschwindigkeit, der einen faszinierender Einblick in
die Architektur freigibt – die Ästhetik ist
immer Dreh- und Angelpunkt.
Das Werk Senfine
hergestellt in
der Manufaktur
Parmigiani Fleurier
Eine Uhr, die einfach nur die
Zeit angibt, will heute niemand
mehr, das ist spätestens seit der
Smartwatch allen klar. Aber auch die
mechanische Uhrmacherei muss
die passenden Antworten auf die
neuen Anforderungen finden. Schon
seit einigen Jahren werden die
Uhren immer komplexer, ästhetisch
ausgefeilter und vereinen immer mehr
Kunsthandwerk in sich. Seit diesem
Jahr zeichnet sich aber noch ein neuer,
riskanterer Trend ab: Uhrmacherische
Komplikationen sollen bezahlbar
werden. Diese Idee stammt von den
beiden Prestigemarken Montblanc
und Tag Heuer und wurde auch
bereits umgesetzt. Bei Montblanc
mit einem fliegenden Tourbillon,
bei Tag Heuer mit einem fliegenden
Tourbillonchronographen. Ersterer
ist dreimal, Letzterer sogar zehnmal
günstiger als vergleichbare Produkte.
Jean-Claude Biver, Chef des Pôle
Ho rl oge r vo n LV M H u n d Ta g
Heuer: «Wir bringen einen COSCTourbillonchronographen heraus,
weil wir dank unserer integrierten und
vertikalisierten Manufaktur (Zifferblatt,
Gehäuse, Uhrwerk) dazu imstande
sind. Die Fabrikationstechniken
haben sich weiterentwickelt, und die
Herstellungskosten sind dank neuer
Verfahren und Methoden gesunken.
Das Vorhaben ist uns deshalb gelungen,
weil unser Ziel von Anfang an feststand.
Alle mussten mitziehen, wir haben
niemandem die Wahl gelassen. Ich
glaube fest an bezahlbaren Luxus bei
Tag Heuer. Das bedeutet aber auch,
dass die Marke Tag Heuer in allen
Preissegmenten, sowohl bei Uhren
für 1’000 Fr. als auch für 50’000 oder
100’000 Fr., stets einen Wert darstellen
muss, der in der Wahrnehmung der
Kunden drei- bis fünfmal über dem
Verkaufspreis liegt. Erschwinglicher
Luxus ist aber kein neuer Trend, es
gibt ihn schon lange. Ihm verdankt Tag
Heuer sogar den Erfolg der letzten Jahre.
Der Kunde achtet aber heute vermehrt
auf den Preis und wird sich eher für
bezahlbaren Luxus entscheiden als
früher. Dieses Phänomen ist nicht
nur bei den Uhren, sondern bei allen
Produkten zu beobachten.» Die
Theorie der Extreme als Obsession für
Mechanik und Schönheit steht noch
ganz am Anfang.
28
LUXE BILAN
DOSSIER
VERNETZT
Uhren, Wohnungen, Autos - intelligente Objekte spielen
in unserem Alltag eine immer grössere Rolle. Bleibt die
Frage: verbunden oder nicht verbunden. Emilie Cailleux
Smarte Welt
1981 «In tödlicher Mission»
kommt ins Kino. Roger Moore trägt
darin eine Seiko-Uhr, mit der er schriftliche Geheimnachrichten vom MI6
empfangen kann – eine kleine Aufmerksamkeit des erfinderischen Q. Die
Fantastereien der James-Bond-Filme
aus den Achtzigern wurden im letzten
Jahrzehnt von den Telekommunikationsriesen 3.0 wahrgemacht. Und jetzt?
______Immer und überall online
Auch in der Schweizer Uhrenindustrie
wurde dieses technologische Wunder
vollbracht. In La Chaux-de-Fonds hat Tag
Heuer vor ein paar Monaten die in Zusammenarbeit mit Google und Intel entworfene Carrera Connected vorgestellt.
Sie misst nicht nur die körperliche Aktivität des Trägers, sondern zeigt auch Anrufe und Nachrichten an. Das Ganze ist
in das Gehäuse eines echten Chronometers verpackt. «Äusserlich soll die Smartwatch nicht von einer Luxusuhr zu unterscheiden sein», lässt sich Jean-Claude
Biver, der CEO der Marke, seit der Präsentation im vergangenen November
immer wieder zitieren. Dieser Trend ist
auch beim Franzosen Withings festzustellen. Seine Zeigeruhr übernimmt die
Massstäbe der traditionellen Uhrmacherei, wie das extraflache Gehäuse, der Sekundenzeiger und die analoge Anzeige
deutlich machen. Immer und überall online zu sein, ist schon längst nicht mehr
Geeks vorbehalten. Smart-Objekte sind
zum Massenphänomen geworden.
Die Zeit der «Ultrakonnektivität» ist eingeläutet. Obwohl es diese Wortschöpfung noch nicht einmal in die deutschen Wörterbücher geschafft hat, geht
sie uns alle an. Wir alle stecken bereits
mitten drin in der ständigen digitalen
Vernetzung. Der Begriff selbst umfasst
ein buntes Sammelsurium an Objekten
wie Kühlschränken, Brillen und Uhren
– sogenannte Smart-Geräte – und Telefone der jüngsten Generation, ohne die
wir uns ein Leben nicht mehr vorstellen
können. «Es gibt keine eigentliche Definition der Konnektivität», bestätigt Michel Deriaz, Dozent am Centre Universitaire Informatique in Genf. «Wir ordnen
dem Begriff Smartphones, Smarthomes,
Smartcars und Wearables, das heisst mit
Chips ausgestattete, am Körper getragene Gegenstände, zu. Konnektivität
kommt dann zustande, wenn diese Objekte miteinander vernetzt sind.» Im modernen Alltag ist es selbstverständlich
geworden, dass wir sozusagen überall
und jederzeit uneingeschränkten Zugriff auf Kommunikationsplattformen
und unerschöpfliche Informationsquellen haben. Die smarte Welt der Konnektivität verfolgt uns bis in die eigenen
vier Wände. Das zeigt unter anderem
das internationale Forschungsprojekt
SmartHeat, an dem Michel Deriaz zusammen mit dem Labor TaM arbeitet.
Mit dem System soll jedes Zimmer ganz
nach den Gewohnheiten und Vorlieben
der Bewohner einzeln beheizt werden.
Und sie macht nicht einmal vor unseren Tellern halt. Ein Beispiel: Das französische Start-up-Unternehmen DietSensor hat im Januar an der Consumer
Electronics Show (CES) in Las Vegas einen via Bluetooth verbundenen, molekularen Chip vorgestellt, der die chemische Zusammensetzung der Mahlzeit
erkennt. Doch wer glaubt, mehr geht
nicht, täuscht sich. Denn die Konnektivität dringt sogar in unseren Körper ein:
Von der Pentagon-Forschungsagentur
Darpa entwickelte elektronische Chips
wurden in das Gehirn von zwölf Personen implantiert, um ihr Gedächtnis zu
analysieren und zu stimulieren. Heute
geht nichts mehr verloren, alles wird gemessen und ausgewertet. Wir sind zu
Datenträgern geworden. Das Phänomen
des «Quantify self» greift immer weiter
um sich. Sogar die Luxusunternehmen
erliegen dem Trend. Der Kosmetikriese L’Oréal hat an der diesjährigen CES
den ersten elektronischen UV-Sensor,
My UV Patch, präsentiert. Er wird auf die
Haut geklebt und berechnet in Echtzeit
die Sonneneinstrahlung.
______Elektronik, die unter
die Haut geht
«Stark verändert hat sich in den letzten Jahren die Art, wie wir mit dem
Smart-Geräten interagieren. Elektronik wird immer mehr zu einer Erweiterung des Menschen», sagt Michel Deriaz.
29
LUXE BILAN
Elektronik wird immer mehr zu
einer Erweiterung des Menschen
Er hat bei seinen Arbeiten festgestellt,
dass das Smartphone als Verlängerung
des Menschen wahrgenommen wird.
Wir entsperren es noch im Halbschlaf
unter der Bettdecke und verwenden
es bis zum Schlafengehen. Glaubt man
dem Wissenschaftler, wird sich diese
Entwicklung fortsetzen. «Momentan
befinden sich die Smart-Objekte noch
ausserhalb des Körpers, auch wenn sie
immer häufiger direkt auf der Haut getragen werden. In zehn Jahren dürfte
die Forschung so weit sein, Chips unter
die Haut einzupflanzen.» Die Smart-Geräte von morgen werden immer präzisere Informationen über unseren Gesundheitszustand liefern und so die Art, wie
wir mit unserem Körper umgehen und
ihm Sorge tragen, radikal ändern.
«Dank dieser Datenlieferanten lernen
wir unseren eigenen Körper besser kennen», ist sich Christian Lovis, Professor
und Lehrbeauftragter im Genfer Unispital, sicher. In diese Richtung geht auch
der vom Zürcher Start-up-Unternehmen Dacadoo entwickelte Gesundheitsindex. Er zeichnet die via Smartphone, digitale Waage, Blutdruckmessgerät,
Herzfrequenzmessband und Aktivitätentracker übermittelten Daten auf und
berechnet daraus den Health Score, der
uns hilft, gesund und aktiv zu leben. Seit
2015 wird kein neues Smart-Gerät mehr
angeboten, das nicht auch noch die Körperaktivitäten misst. Es ist unmöglich
geworden, dieser serienmässig installierten Komponente zu entkommen.
Versucht man, sie zu umgehen, meldet sich garantiert Siri und mahnt uns,
dass wir uns heute noch nicht genug
bewegt haben. Prävention heisst die
Devise. Mit den Geräten wird eine Laien-Wissenschaft entwickelt, die es uns
allen erlaubt, wissenschaftliche Daten
zu messen. Das wird auch für das Gesundheitswesen nicht ohne Folgen
bleiben. Die Diagnosestellung wird beschleunigt, ambulante Behandlungen
Das Zifferblatt
der TAG Heuer
Carrera Connected
ist ein Screen, der
nicht nur die Zeit
anzeigt.
nehmen zu, und sogar Fernbehandlungen werden möglich. «Trotzdem sind
wir noch weit davon entfernt, zu biologisch vernetzten Menschen zu werden»,
präzisiert der Arzt. In Grossbritannien
bestätigt eine Ausnahme die Regel. Kevin Warwick, ein britischer Professor
für Kybernetik an der Universität Reading, hat sich einen Chip in den Arm einpflanzen lassen, der sein Nervensystem
direkt mit Computern verbindet und es
ihm ermöglicht, seinen Computer und
andere Geräte mit seinen Gedanken
zu steuern. Sein oberstes Ziel ist der
direkte Gedankenaustausch von Hirn
zu Hirn. Was früher noch Science Fiction war, wird immer mehr zur Realität.
Ende Dezember hat das Creative Lab
des koreanischen Konzerns Samsung
eine neue Generation Uhren vorgestellt,
dank denen man lediglich den Finger
ans Ohr halten muss, um ein Gespräch
zu führen. Tip Talk läutet in der Anthropologie der Techniken zweifelsohne
ein Wende ein. Während Smart-Geräte
bislang als Verlängerung unserer Körper dienten, haben wir es immer häufiger mit einer umgekehrten Entwicklung zu tun: Die neuen Projekte machen
unseren Körper zur Verlängerung der
Technik und zeigen, dass die programmierten Smart-Geräte von heute bereits
veraltet sind. Doch keine Angst: Das Zeitalter der Cyborgs und der Aufstand der
Maschinen gegen die Menschen sind
noch immer Science Fiction.
30
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Für die junge Marke HYT, berühmt geworden als Erfinderin
der flüssigen Stundenanzeige im mechanischen Uhrwerk,
ist die Haute Horlogerie eine Plattform, um die Umsetzung
ihrer Technologie auf günstigere Uhrensegmente und
diverse andere Bereiche wie Schmuckkreation oder
Medizintechnik zu prüfen. Cristina d’Agostino
UHREN
DOSSIER
Die Uhrmacherkunst von morgen?
Technologisches
Sprungbrett
Auf der H4 Metropolis
von HYT wird die Zeit
durch Flüssigkeit in
einem Glasröhrchen
angezeigt.
s war kein Zufall, dass wir
für die Anwendung unserer Systeme für Flüssigkeitsinjektion und Energieproduktion die Haute Horlogerie
gewählt haben.» Für Unternehmer Patrick Berdoz, mit Lucien Vouillamoz und
Emmanuel Savioz Gründer der jungen,
von Vincent Parriard (CEO und Partner)
geführten Haute-Horlogerie-Marke HYT,
war die Wahl eine taktische. Auf dem Zifferblatt des jüngsten, 2015 lancierten Modells H4 wird die intuitive Zeit durch eine in ein Glasröhrchen gepumpte Flüssigkeit
angezeigt, das dank Energiezufuhr (via Dynamo) farbig leuchtet.
Die Erfindung basiert auf dreissig vom Mutterhaus deponierten
Patenten und ist die Entwicklungsplattform des Unternehmens
Preciflex. Patrick Berdoz, der acht vorwiegend im Bereich neue
Technologien, Medizinaltechnik und Biotechnologie aktive Unternehmen führt, sagt, dass die Möglichkeiten für die Anwendungen zwar riesig, aber komplex und zeitlich aufwendig sind.
«Hätten wir das Konzept für den Medizinbereich entwickelt,
hätte dies wegen der strengen Reglementierungen fünf Jahre
länger gedauert und 50 Mio. Fr. mehr gekostet.»
E
____________Vier Jahre nach der Gründung des Unternehmens für technologische Entwicklungen und zweieinhalb
Jahre nach der Kommerzialisierung der Marke HYT ist die
Bilanz positiv. «Unsere Zahlen sind ausgeglichen, der Umsatz
liegt bei 16 Mio. Fr., das Wachstum ist im zweistelligen Bereich,
der Ebitda positiv. Wir stecken sämtliche Mittel in Forschung
und Entwicklung. Seit Beginn haben wir rund 30 Mio. Fr. investiert, jetzt planen wir weitere 20 Mio. für künftige Entwicklungen. Aus diesem Grund haben wir den Anlegerkreis vergrössert. Mit den Modellen H haben wir ein mechanisches
Haute-Horlogerie-Werk entwickelt, einen Rolls-Royce, der Energie und Licht
produziert und ab 50‘000 Fr. auf den
Markt kommt. Dieses winzige Nischensegment ermöglicht, die Technologie in
einem überschaubaren Universum und
ohne zu grosses industrielles Risiko zu
testen. Wir wollen in unserem eigenen
Marktsegment relevant sein, gleichzeitig
aber die Technologie in günstigeren Segmenten anwenden.» So können dank
Rationalisierung bei der Produktion eines eigenen Werks kleinere Modelle kreiert und demnächst eine Kollektion in der
Preislage von 25’000 bis 30’000 Fr. lanciert werden. Das ultimative Ziel von Patrick Berdoz und seinen Partnern aber ist
eine Modellreihe im tiefpreisigen Bereich. «Wir werden günstigere Uhren offerieren und so die Basis unserer Produktpyramide mit Uhren besetzen, die für das breite Publikum interessant sind. Allerdings werden wir sie nicht unter dem Label
HYT kommerzialisieren, denn das wäre der Tod der Marke.»
Das Unternehmen Preciflex wird eine einfachere Technologie
für den geschlossenen Flüssigkeitskreislauf und die quarzfreie
Energieproduktion entwickeln. Patrick Berdoz: «Wir haben
etwas völlig Neues kreiert, ein Derivat von Technologien, die
auch in der Luftfahrt verwendet werden. Es sind diese Universen, die die hohe Uhrmacherkunst befruchten. Eine bestimmte Anzahl von Etappen haben wir bereits geprüft, wodurch
wir in der Lage sein werden, eine Uhr mit Smart-Funktionen
für 300 Fr. auf den Markt zu bringen.» Wobei die Uhrenbranche nicht das einzige Tätigkeitsfeld von Preciflex darstellt.
Fluidanimation kann auch in der Schmuckkreation angewendet werden. «Stellen Sie sich ein Schmuckstück mit beleuchteten Edelsteinen vor», sagt Patrick Berdoz. «Die Möglichkeiten
für Entwicklungen und Kreativität sind gewaltig.»
Partick Berdoz,
Unternehmer und
Mitbegründer
der jungen Haute
Horlogerie-Marke
HYT.
50 000
Franken kostet
der Einstieg in
die Kollektion der
Modelle H.
31
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Greubel Foresey, 2004 in La Chaux-de-Fonds
gegründet, hat technische Erfindungen zur Spezialität
des Hauses gemacht. Ein höchst ehrgeiziger Ansatz,
denn die beiden Uhrmacher wollen ihre Kunst vor allem
beim Tourbillon auf die Spitze treiben. Und zwar ohne
technologischen Firlefanz. Fabrice Eschmann
UHREN
DOSSIER
Die Uhrmacherkunst von morgen?
Fundamentale
Innovation
rt of Invention» ist Teil des
Logos der jungen Marke und
gleichzeitig Einstieg ins Gespräch. «Innovation ist eine
massgebliche Säule für Greubel Forsey», sagt Stephen Forsey. «Wir reden
nicht gerne von Marke oder Uhren, sondern
lieber von Kreationen.» Auch sucht man
vergeblich nach exotischen Materialien
oder Hightech-Verfahren. 2004 aus der Zusammenarbeit der beiden Uhrmacher Robert Greubel und Stephen Forsey hervorgegangen, hat die in La
Chaux-de-Fonds ansässige Manufaktur technische Erfindungen zu ihrer Spezialität gemacht. So wurden in zwölf Jahren
in den Ateliers sieben wegweisende Innovationen entwickelt:
Double Tourbillon 30°, Quadruple Tourbillon, Tourbillon 24 Secondes, Balancier Spiral Binôme, Différentiel d’égalité, Double
Balancier sowie der Computeur Mécanique du QP à Equation.
A
Stephen Forsey,
Mitgründer der
Uhrenmarke
Greubel Forsey.
______Jedes Mal eine Herausforderung
Diese rein mechanischen Erfindungen sind Teil langfristiger
Überlegungen. Man hat hier die feste Absicht, die Uhrmacherkunst immer weiter voranzutreiben. «Wir sind keineswegs der
Meinung, dass schon alles erfunden ist», betont Stephen Forsey. «Es ist unser kreativer Geist, der uns vorwärtsbringt. Das
Gegenteil also von Marketinglogik. Am Anfang sind immer ein
weisses Blatt und die Herausforderung, eine Idee zur Vollendung zu bringen.»
Die Uhren von Greubel Forsey sind vielfach asymmetrisch,
sehr architektonisch – selbst für Kenner verblüffend. Und die
technischen Entwicklungen sind bis ins letzte Detail dermassen ausgeklügelt, dass es unmöglich ist, ihre Brillanz ohne solide
Kenntnisse einzuschätzen. Das Modell Quantième Perpétuel à
Équation ist darin geradezu beispielhaft. Der für das 21. Jahrhun-
Die QP à Equation
von Greubel
Forsey
570
Teile
65
Rubine
dert entwickelte «mechanische Computer» basiert auf einem
beweglichen Codierer mit «Fingern», die für die Anzeigen verantwortlich sind: Dauer des Monats, Schaltjahr, Jahreszeiten,
Sonnenwende, Tagundnachtgleiche, Zeitgleichung. All diese
Angaben werden mit der sich in beide Richtungen drehenden
Krone reguliert und synchronisiert.
______Erfindung contra Neuheit
«Vielleicht sollten wir bei einer künftigen Überarbeitung eine
Aktualisierung vornehmen, um den Wechsel ins 22. Jahrtausend zu markieren», witzelt Stephen Forsey. «Diese Uhr ist so
etwas wie unsere Smartwatch!» Eine betreffend Mechanik völlig verrückte Kreation, deren Entwicklung acht Jahre gedauert
hat und die selbstverständlich nicht für die Massenproduktion
gedacht ist. Die Manufaktur, die dem Finish grösste Aufmerksamkeit schenkt, produziert von diesem Meisterwerk nur etwa
hundert Exemplare zum Durchschnittspreis von 400’000 Fr.
«Wir werden nicht günstiger produzieren, um möglichst viel
Gewinn zu machen. Das ist nicht unser Businessmodell.» Dieser Philosophie entsprechend wird auch nie ein Modell durch
ein neues abgelöst. Das Konzept der Neuheiten, wie es in der
Uhrenindustrie üblich ist und oft auch Modediktaten folgt, ist
bei Greubel Forsey kein Thema. Seit 2006 zu 20% im Besitz der
Richemont-Gruppe, verweigert sich das Haus jedoch keineswegs dem technologischen Fortschritt. So betreibt es auch die
Forschungsplattform EWT (Experimental Watch Technology),
wo beispielsweise die physischen Charakteristiken von künstlichen Diamanten getestet und bewertet wurden. Die Ergebnisse
mündeten 2007 in die Entwicklung der Binom-Unruh-Spiralfeder aus Diamantchrom, das antimagnetisch und temperaturunanfällig ist. Solche Erkenntnisse führen immer wieder zu
neuen Arbeiten. «Heute ist beispielsweise häufig von Graphen,
einer Modifikation des Kohlenstoffs, die Rede. Möglicherweise
wird das Material eines Tages Silicium ersetzen, das vor allem
im Servicebereich keine Universallösung ist. Wobei wir solche
Recherchen nicht als unsere Hauptaufgabe betrachten. Es sind
einfach unsere Werkzeuge.»
32
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Zwei Uhrenfabrikanten diskutieren mit zwei Vertretern der Aeronautik und der
Automobilindustrie über die Bedeutung von Luxus. Cristina d’Agostino
Markus Binkert
Chief Commercial Officer der Swiss
«
Die
Gesichter
auf dem
Flugzeug
entsprechen
den
Berufen
und
Funktionen
unserer
Mitarbeiter. »
Markus Binkert
Symbolisieren die auf
der neuen Boeing 777
abgebildeten Gesichter
von Swiss-Mitarbeitern die
Personalsuche für die neue
Flugzeuggeneration? Um wie
viele Stellen geht es konkret?
Markus Binkert. Swiss will sich als wichtiger Arbeitgeber positionieren. Beim Kauf
eines neuen Flugzeugs sind viele Berufszweige beteiligt, das Projekt ist so komplex wie der Aufbau einer Fabrik. Um die
Maschine herum gibt es unzählige Bereiche wie Technik, Engineering, Unterhalt,
Betrieb. Die Gesichter auf dem Flugzeug
entsprechen den verschiedenen Berufen und Funktionen unserer Mitarbeiter.
Wir werden dieses Jahr 800 Arbeitsplätze schaffen, mit dieser Imagekampagne
vermitteln wir diese Botschaft. Sie ist
aber auch eine Hommage an unsere Angestellten. Denn die Akquisition und die
Inbetriebnahme eines neuen Flugzeugs
vom Typ B777 sind in erster Linie eine
gewaltige Teamarbeit.
Könnte Breitling eine solche
Idee als Hommage an die
Mitarbeitenden gefallen?
Jean-Paul Girardin. Das ist eine Idee, die
uns nicht nur gefällt, sie hat bei Breitling sogar Priorität. Wir verfügen über
Produktionsstätten und Unternehmen.
Wir können weiterhin investieren, indem wir Fabriken und Maschinen kaufen. Aber der wahre Wert sind unsere
Mitarbeiter, die diese Maschinen betätigen. In La Chaux-de-Fonds arbeiten
zweihundert Personen, die nicht durch
Maschinen ersetzt werden könnten. Sie
sind die Stärke der Schweizer Uhrenindustrie. Wir müssen das Savoir-faire
in der Schweiz behalten, indem wir in
der Schweiz produzieren. Der von unserem Personal geschaffene Mehrwert
Jean-Paul Girardin
Vizepräsident von Breitling
ist unser Kapital. Wir planen natürlich
weitere industrielle Investitionen. Nach
der Entwicklung des eigenen mechanischen Werks, des Chrono, des Werks
mit drei Zeigern, des mit Digitaltechnologie verbundenen Quarzwerks im Jahr
2014 und der 2015 lancierten Connected
Watch werden wir unsere Pläne in dieser Richtung weiterverfolgen.
Wird Breitling 2016 neue
Arbeitsplätze schaffen?
J-P. G. Die aktuelle Lage ist ungewiss.
Wir bleiben vorsichtig, denn bei Breitling war das Wachstum stets moderat,
aber konsolidiert. Wir rechnen dieses
Jahr mit einer leichten Zunahme. Anders als bei der übrigen Industrie befinden sich unsere Hauptmärkte in Europa und in den USA. Wir sind stark in
Asien und Japan, in China haben wir
noch viel zu tun. Die Chinesen denken
schnell um; während langer Zeit bevorzugten sie einfache Uhren, mit nur gerade drei Zeigern auf dem Zifferblatt. Die
Verlangsamung dieses Marktes hat uns
wenig geschadet, 2015 war ein gutes bis
sehr gutes Jahr.
Planen Sie die Eröffnung neuer
Geschäfte?
J-P.G. Unser Ladennetz wird grösser.
Heute betreiben wir rund fünfzig Geschäfte, es werden aber nicht mehr viele dazukommen. Wir brauchen einfach
Schlüsselstandorte in der ganzen Welt,
um unseren Kunden die Möglichkeit
zu geben, das Universum Breitling zu
besuchen. Deshalb werden wir in New
York einen neuen Flagship Store eröffnen. Unsere eigentliche Priorität ist aber
unser grosses Netz mit 2000 unabhängigen Detailhändlern. Sie sind wichtig,
denn sie kennen den Markt und ihre lokalen Kunden am besten.
Die Fluggesellschaft Swiss
und die Uhrenmarke Breitling
sind eine Partnerschaft
eingegangen, indem Uhren nur
an Bord gekauft werden können
– eine Premiere. Wie kam es zu
dieser Idee?
M.B. Unsere beiden Unternehmen näherten sich anlässlich der Taufe einer
unserer Maschinen an. Die Partnerschaft mit dem Haus Breitling, das seit
jeher eng mit der Luftfahrt verbunden
ist, ist eine gute Sache.
Der Verkauf einer teuren
Uhr – 7077 Fr. – auf einem
Langstreckenflug, also
nicht in einem Geschäft, ist
wenig üblich. Wie sind Ihre
Prognosen?
J-P.G. Breitling beschränkt sich nicht darauf, von Luftfahrt zu reden, sondern ist
ein aktives Mitglied dieses Sektors. Es ist
eine kleine Welt, wir pflegen seit jeher intensive Kontakte mit den diversen Akteuren. Auch war es schon immer unser
Ziel, mit einer Fluggesellschaft eine Partnerschaft einzugehen, wobei es sich nur
um ein schweizerisches Unternehmen
handeln konnte. Wissen Sie, bei Breitling
machen wir alles ein bisschen anders,
daher auch die Idee, eine solche Uhr
im Flugzeug zu verkaufen. Wir glauben,
dass es funktionieren wird: Der Interessent sieht die Uhr, denkt darüber nach,
holt sich Informationen ein und kauft sie
schliesslich an Bord. Die regelmässigen
Swiss-Kunden und -Senatoren erhalten
via Swiss-News eine entsprechende Information. Sie bestellen die Uhr, informieren über ihren nächsten Flug, wo sie
dann das Modell geliefert bekommen. Es
ist aber auch nicht nötig, die Uhr im Voraus zu bestellen. Eine kleine Zeremonie
und das vom Kapitän signierte Zertifikat
33
Swiss International Air Lines
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
begleiten den Kauf. Das speziell konzipierte Modell Navitimer B777 wird in einer limitierten Edition von 777 Exemplaren angeboten und dürfte schnell zum
Sammlerstück werden.
neun B777 (durchschnittlicher Stückpreis 300 Mio. Fr.) und CS100 Bombardier reserviert sind. Wir werden damit
über eine der modernsten Flotten Europas verfügen.
M.B. Unsere Frequent-Flyers-Kunden,
die ihr halbes Leben im Flugzeug verbringen, sind sehr Swissness Minded,
was auch die Uhren einschliesst. Die Navitimer Swiss Boeing 777 Llimited Edition ist in den Boeing B777 sowie auf einigen Langstreckenflügen erhältlich.
In der Uhrenbranche
stellt man einen Trend zu
erschwinglichem Luxus fest.
Was denken Sie? Eine gute oder
eine schlechte Entwicklung?
Swiss hat am 1. Februar
im Flughafen Zürich eine
Firstclass-Lounge eröffnet –
ein Novum. Waren damit grosse
Investitionen verbunden?
M.B. Wir betreiben seit etwa zehn Jahren das Konzept für Firstclass-Lounges.
Es handelt sich also nicht um eine Revolution, sondern um eine Evolution.
Neu ist, dass nun Materialien verwendet werden, die Swissness symbolisieren. So werden nun für sämtliche Lounges weltweit Schweizer Holz und Stein
aus dem Jura verwendet. Diese Lounges sind Teil unserer globalen Investitionen von 5 Mrd. Fr., die grösstenteils für
die Flugzeuge, darunter den Kauf von
J-P.G. Worauf es vor allem ankommt, ist,
dass der Preis dem Wert des Produkts
entspricht. So ist es beispielsweise nicht
normal, dass die Parkgebühren teurer
sind als das Flugticket. Bei Breitling haben wir uns immer bemüht, einen soliden Kundenstamm aufzubauen und
weniger die Verkäufe um jeden Preis zu
pushen. Deshalb bieten wir Produkte
an, deren Preis ihrem Wert entspricht.
Wir haben also nicht die Absicht, Preise zu reduzieren, das Sortiment nach
unten zu korrigieren oder die Durchschnittspreise zu senken. Wir stehen
für Swiss Made, Uhren mit Chronometerzertifikat und die eigene Manufaktur. Diese Kosten stehen im Verhältnis
zum Verkaufspreis. Und wir wollen Preise, die stimmen. 2015 haben wir es vorgezogen, etwas weniger zu verkaufen,
als die Margen zu reduzieren. Wir machen kein opportunistisches Marketing.
Erschwinglicher Luxus – eine
Priorität bei Swiss? Können Sie
dank den neuen B777 mit den
Preisen manövrieren?
M.B. Meine Meinung zu diesem Thema
ist klar. Heute sind die Preise schon extrem tief und sind bei allen Gesellschaften dramatisch gefallen. Wir haben nicht
die Absicht, diesen Trend weiter mitzumachen. Swiss will den Kunden ein gutes Produkt zu stabilisiertem Preis und
mit einem echten Mehrwert anbieten.
Bezüglich Destinationen wird die Anzahl Flüge identisch bleiben. Die B777
hat natürlich eine viel grössere Kapazität als der A340, das heisst hundert zusätzliche Plätze in der Economy Class
und mehr Sitze in der Business Class.
Es ist eine mathematische Übung, optimale Konditionen zu berechnen. Die
heutige Konjunktur ist schwierig, die
geopolitische Situation, der starke Franken… Wir hoffen, dass diese neuen Investitionen Wirkung haben werden.
Wir müssen flexibel und schnell sein.
Bei Swiss ist es ähnlich wie bei Breitling:
Dank unserer Grösse können wir sehr
schnell reagieren.
« Der wahre
Wert sind
unsere Mitarbeiter,
die diese
Maschinen
betätigen.
»
Jean-Paul Girardin
34
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Der Wettkempf der Innovationen. Kennt diese Maxime der Uhren-und
Automobilindustrie keine Limiten? Cristina d’Agostino
Ricardo Guadalupe
«
Heute
reicht ein
Zifferblatt
mit drei
Zeigern
nicht mehr.
Man muss
die Seele
der Uhr
zeigen. »
Ricardo Guadalupe
CEO von Hublot
Es heisst, der europäischen
Autoindustrie fehle es an Mut.
Weshalb?
Flavio Manzoni. Seit etwa zehn Jahren
tendiert die Autoindustrie Richtung Homogenisierung des Geschmacks. Das
entspricht auch dem Wunsch der Kunden. Es ist durchaus legitim, die Kohärenz eines Hauses zu schätzen, das nur
kleine innovative Schritte tut. Auf diese Weise entsteht eine Komfortzone, in
der sich sowohl Kunden als auch Autobauer wohl und sicher fühlen. Ich garantiere Ihnen, eine solche gibt es bei
Ferrari nicht. Bei uns herrscht ein kontinuierliches Streben nach Innovation,
das Engagement, aber auch Opfer verlangt. Wenn dies nämlich höchstes Niveau bedeutet, muss es auch im Design
erkennbar sein. Ich glaube nicht, dass
die Arbeit aufgrund einiger stilistischer
Codes besonders mutig ist. Im Gegenteil, ich liebe es, jedes Mal eine einmalige
Lösung zu finden. Die grössten Pioniere
der Automobilgeschichte, von Enzo Ferrari bis Vincenzo Lancia, waren extrem
mutige Menschen, die trotz grosser Konkurrenz kein Wagnis scheuten. Die Homogenisierung des Geschmacks ist der
Menschen, die kreieren, erfinden und innovieren möchten, unwürdig.
Gibt es heute auch in der
Uhrenindustrie diesen Mangel
an Mut?
Ricardo Guadalupe. Bei den traditionellen Marken trifft dies zu. Hublot ist ein
junges Unternehmen und kann sich
viel mehr erlauben. Wir blicken nicht
auf eine 200-jährige Geschichte zurück
und können deshalb ohne Einschränkungen kreieren und Traditionen ignorieren. Bestes Zeugnis davon ist die
Flavio Manzoni
Designchef von Ferrari
Uhr LaFerrari, die von den Kunden mit
Begeisterung aufgenommen wird. Es ist
nicht eine ultraklassische Grande Complication, die unsere Kunden erwarten.
Sie wollen Innovation, Ästhetik und
Technologie, Uhren mit viel Mehrwert,
aber ausgefallen.
In unsicheren Zeiten schreckt
die Uhrenindustrie davor
zurück, Kunden und ihre
Einkaufsgewohnheiten
durcheinanderzubringen. Eine
Falle?
R.G. Ja, das ist so. Man muss sich dauernd mit Innovation, Forschung und
Neuinterpretation der mechanischen
Werke, mit Materialien und Ästhetik beschäftigen und laufend in Forschung
und Entwicklung investieren. Es geht
darum, Dinge zu bewegen, einem Produkt Wert zu verleihen. Eine Uhr ist ein
Kunstobjekt, das man mit viel Mechanik und Technik ausstatten muss. Heute reicht ein Zifferblatt mit drei Zeigern
nicht mehr. Man muss die Seele der Uhr
zeigen.
Welches waren die
Herausforderungen der FerrariHublot-Partnerschaft, die zum
Umdenken geführt haben?
F.M. Es handelt sich um einen in der
Uhrenbranche völlig neuen Ausdruck
und einen neuen Approach. Wir haben
versucht, einen gemeinsamen Nenner
unserer auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen ästhetischen Philosophie zu finden. Ferrari steht für die reine,
einfache Linie; bei Hublot geht es andererseits um reduzierte Komplexität, da
sie ja fester Teil des Designs ist. Die extrem klare Form des Objekts, der Motor
am Handgelenk, die diversen Elemente am Gehäuse erinnern eindeutig an
LaFerrari.
R.G. Wir wollten eine Uhr kreieren, die
dem Geist des Supersportwagens LaFerrari entspricht, eines Spitzenprodukts
der Technologie. Die Idee, die dieses
Konzept am besten umsetzt, war die
Konstruktion eines Motors fürs Handgelenk. So symbolisiert die Gangautonomie von fünfzig Tagen, in der Uhrenindustrie ein Rekord, die PS-Leistung des
Fahrzeugs. Das Saphirgehäuse kam erst
später und ist wie der FXXK eine Weiterentwicklung. Wir konkretisieren diesen technologischen Fortschritt mit der
Verwendung von Saphir, einem äusserst
kompliziert zu bearbeitenden Mineral.
Wofür braucht es besonderen
Mut?
F.M. Die originelle Neuinterpretation des
Ferrari-Image für jedes Modell, indem
wir in die Zukunft schauen, ohne die
Vergangenheit zu vergessen. Ich erlebte intensive Momente, wenn ich mich
gegen die Lancierung eines Produkts
stellte, das zu konventionell war. Ich bin
fest überzeugt, dass innovatives Design
nicht im Gegensatz zum Geist von Ferrari steht.
Welches waren die grossen
Risiken bei Hublot?
R.G. Zum Beispiel eine Uhr mit Saphirgehäuse zu konzipieren. Dieses Material setzt eine bestimmte Technologie
voraus und verlangt nach einem sehr
eigenständigen Design. Das war ein Risiko. Wie die Ferrari-Uhr überhaupt. Als
wir sie lancierten, dachte ich, dass wir
schon etwas verrückt sind und die Gren-
35
Ranieri D
Fred Merz
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
zen des Möglichen sehr weit ausloten.
Wir haben zwanzig Exemplare produziert und bereits Bestellungen für die
doppelte Anzahl erhalten.
Immer wieder zu überraschen:
ein schwierig einzuhaltender
Vorsatz?
R.G. Sicher. Es geht ja nicht darum, einen
500 000 Fr. teuren Zeitmesser wie LaFerrari zu produzieren, sondern Uhren
im Bereich von 10 000 Fr. anzubieten.
In der Uhrenbranche ist es nicht das
Gleiche, eine Edition von zehn oder
500 Exemplaren zu produzieren, die
Komplexität ist sehr unterschiedlich.
Die industrielle Produktion eines Saphirgehäuses setzt massive Investitionen voraus, da es sich um völlig neue
Verfahren handelt. Für Ausstattung und
Einrichtung wurden mehrere Millionen
Franken bereitgestellt. Aber Innovationen sind nie gratis. Sie verlangen die entsprechenden Mittel.
Wir haben entdeckt, dass diese Kunden
viel jünger sind als die des 612 Scalietti. Das Auto wird Familien gefallen. Die
heutigen Ferrari-Kunden ziehen geteilte
Fahrfreude dem individuellen Spass vor.
R.G. Der Kunde wünscht ein eigenständiges, identifizierbares Produkt in limitierter Edition. Er möchte einer sehr kleinen
Gruppe von Uhrenbesitzern angehören.
Es gibt eine neue, vermögende Kundschaft, die jung ist und gern konsumiert.
Wir hoffen, dass sie uns auch in Zukunft
begleiten wird.
Ist es schwierig, diese Kunden
zu bewahren?
R.G. Ja, deshalb ist Innovation so wichtig.
Unsere Kunden kaufen manchmal bis
fünfzehn Hublot-Uhren pro Jahr. Man
muss ihre Lust aufs Produkt lebendig erhalten. Das ist die Bedingung und Teil
der Geschichte unserer Marke.
Wer sind die heutigen Kunden?
Immer mehr Innovation – ist
das kompatibel mit der Rarität,
die mit Luxus verbunden ist?
F.M. Wir haben ganz unterschiedliche
Kunden. Der neue GTC4 Lusso wendet
sich an Käufer, die Leistung gekoppelt
mit Komfort für vier Personen suchen.
R.G. Es geht um die richtige Quantität.
Hublot produziert immer weniger, als
verlangt wird. Wir betreiben ein raffiniertes Sell-out. Im obersten Segment produ-
zieren wir jährlich 50 000 Stück, von Rarität spricht man bei 30 000 bis 50 000
Uhren. Aber alles ist relativ.
2016 ist erschwinglicher Luxus
Trend. Ihre Meinung dazu ?
R.G. Gewöhnlich spricht man ab einem
Ladenpreis von 4000 Fr. von einer Luxusuhr. Bei Hublot bewegen sich die Preise
zwischen 15 000 und 20 000 Fr. Wir sprechen also eine Kundschaft an, die schon
alles hat und sich etwas Neues wünscht.
Der wahrgenommene Wert muss hoch
sein, definiert durch Technik oder Ästhetik. Bei Hublot geht es darum, die Durchschnittspreise nicht zu reduzieren, sondern sie im Gegenteil zu erhöhen.
Passt ein 100%-Elektroauto
zu der gewissen Virilität, die
typisch ist für das FerrariImage?
F.M. Der Fahrer eines 100%-Elektroautos
ist nicht wirklich eingebunden, es fehlt
die enge physische Verbindung. Der körperliche Kontakt, die Vibrationen, das
dynamische Verhalten des Fahrzeugs
sind grundlegende Faktoren. Wie bei
der Uhr am Handgelenk, die man spüren muss.
«Die
grössten
Pioniere der
Automobilgeschichte
waren
mutige
Menschen,
die trotz
grosser
Konkurrenz
kein Wagnis
scheuten.
»
Flavio Manzoni
36
Zürich
1. ____ 4.94 ____
2. ____ 4.87 ____
3. ____ 4.79 ____
4. ____ 4.63 ____
5. ____ 4.58 ____
6. ____ 4.57 ____
7. ____ 4.51 ____
8. ____ 4.28 ____
9. ____ 4.28 ____
10. ___ 4.02 ____
11. ___ 4.01 ____
12. ___ 3.86 ____
13. ___ 3.57 ____
14. ___ 3.54 ____
15. ___ 3.37 ____
16. ___ 2.03 ____
Patek Philippe
Cartier
Bulgari
Rolex
Breguet
Van Cleef & Arpels
Blancpain
Omega
Hublot
Chopard
Tiffany
Jaeger-LeCoultre
Piaget
Audemars Piguet
Montblanc
IWC
MONOMARKEN
RANKING
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
BEST
BOUTIQUE
AWA R D
2016
Bereits zum neunten Mal veröffentlicht
«Luxe» eine eigene Rangliste der besten
Uhren- und Schmuckgeschäfte an der
Zürcher Bahnhofstrasse und der Genfer
Rue du Rhône. Dieses Jahr weist Zürich
die grösseren Qualitätsunterschiede auf.
Cristina d’Agostino – Koordination : Sylvie Bernaudon –
Fotos GE: François Wavre, Fotos ZH: Michele Limina
n den letzten Jahren punktete Zürich mit deutlich konstanteren Bewertungen als die Uhren- und Schmuckgeschäfte an der Genfer Rue du Rhône. Dieses Jahr
schneidet die teuerste Luxusmeile der Schweiz aber
deutlich durchwachsener ab. Die zwanzig Testkäufer,
deren Aufgabe darin bestand, das gesamte Verkaufsprotokoll in den namhaften Uhren- und Schmuckgeschäften an
der Bahnhofstrasse zu testen, äusserten sich überrascht über
das markante Gefälle. Zwar wurden teilweise deutlich höhere Noten erzielt als 2015 (Durchschnitt 2016: 4,94; 2015: 4,62).
Aber auch die tiefen Bewertungen fielen massiv schlechter
aus (2016: 2,03; 215: 3,35). Die beste Note, sowohl der Monomarken- als auch der Multimarken-Boutiquen beider Städte, konnte Patek Philippe in Zürich verbuchen. Noch nie wurde beim
Best Boutique Award ein Geschäft so hoch bewertet. Letztes
Jahr belegte die von Eric Ritter geleitete Boutique noch den
zweiten Platz; da ihr Personal 2016 aber deutlich besser über
die ereignisreiche Geschichte der Marke berichtete, erhielt sie
die absolute Bestnote. «Wir haben gemerkt, dass beim Story
Telling noch Verbesserungspotenzial bestand», erklärte der
Geschäftsführer die Anstrengungen. «Die Kunden müssen
I
METHODIK
«Luxe» hat die Kundenfreundlichkeit, die Produktpräsentation
und die Qualität des Kundendiensts bei 58 Uhren- und
Schmuckgeschäften an zwei renommierten Einkaufsmeilen, der
Zürcher Bahnhofstrasse und der Genfer Rue du Rhône, unter die
Lupe genommen. Zwanzig Mystery Shoppers unterschiedlichen
Alters und Profils haben die Boutiquen anhand von fünfzig Kriterien
beurteilt. Jedes Geschäft wurde im Abstand von mindestens zwei
Wochen zwei bis drei Mal besucht, sodass mehrere Mitarbeiter
getestet werden konnten. Es wurden vier Ranglisten erstellt, je eine
für Mono- und für Multimarkengeschäfte in Zürich und Genf.
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Eric Ritter,
Direktor der
Boutique Patek
Philippe Zürich
37
38
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
___________ Mehr Technik und Kundennähe
als Reaktion auf den starken Franken
Mehrere Geschäfte nutzen die Nähe der Uhrenmanufakturen, um ihre Kenntnisse zu vertiefen und dann im Verkauf
gewinnbringend anzuwenden. Obschon die Preise nach unten angepasst wurden, um den negativen Auswirkungen des
Wechselkurses zu begegnen, konnten einige Marken die Kun-
RANKING
mitleben, wenn ihnen die Markengeschichte geschildert wird, und sich als
BOUTIQUE
Teil davon fühlen. Die Erzählung darf
AWA R D
nicht heruntergeleiert werden, sondern
2016
soll lebendig und emotional sein. Das
wiederhole ich meinem Team jeden
Tag. Der Kunde muss sich als Mitglied
der Patek-Welt fühlen. Jeder Mitarbeitende erzählt die Geschichte mit seinen eigenen Worten, er muss sie aber perfekt
kennen. Obwohl das Geschäft von Beyer geführt wird, sind die
Verkäuferinnen und Verkäufer der Patek-Boutique ausschliesslich für diese Marke zuständig. Es sollte ihnen also leichter fallen, ihr Wissen jeden Tag zu verbessern. Ihre Kollegen von Multimarkengeschäften haben es da viel schwerer, weil sie eine
Vielzahl verschiedener Marken beherrschen müssen, was viel
komplizierter ist.» Einig waren sich die Testkäufer auch über
die herausragende Qualität: «Bei Patek Philippe war die Produktkenntnis bis in die kleinsten Details spürbar. Es war spannend, dem Verkäufer zuzuhören, und verblüffend, wie schnell
er die passenden Modelle anbot. Er wusste auf Anhieb, was
gefallen könnte», lobte ein Mystery Shopper stellvertretend.
Glamour und Story Telling wurden dieses Jahr sowohl in Zürich als auch in Genf als zentrale Punkte hervorgehoben. Im
Jahr 2016 wollen die Kunden Emotionen, Wärme und nachvollziehbare Aussagen. Jaeger-LeCoultre in Genf hat diesen
Trend erkannt und gehandelt. Die Boutique hat im Ranking
einen spektakulären Sprung nach vorne gemacht und ist vom
25. auf den 1. Platz geklettert. Dahinter stecken umfassende
Massnahmen. Die Boutique wurde vergrössert und komplett
neu gestaltet. Gleichzeitig wurde das Beraterteam umorganisiert und verstärkt, und es wurde an der Verkaufstechnik gefeilt. «Wir setzen vom ersten Augenblick an, schon wenn der
Kunde das Geschäft betritt, auf Story Telling», erklärt der Vizedirektor von Jaeger-LeCoultre Genf. «Natürlich passen wir
uns dabei dem Kunden an. Wir versuchen, rasch seine Persönlichkeit und seinen Stil zu erkennen. Dann führen wir ihn
durch die Boutique, damit er in das Markenuniversum eintauchen kann, und beraten ihn anschliessend kompetent unter
Berücksichtigung seiner Wünsche und Anforderungen. Um
unsere Erläuterungen spannend zu gestalten, bilden wir uns
technisch ständig weiter und setzen das Gelernte ein. Kunden, die sich einfach nur umschauen möchten, werden genau
gleich behandelt. So sorgen wir dafür, dass sie uns erneut besuchen und sich bei uns wohl fühlen. Wir beurteilen sie nicht
nach ihrem Äussern und setzen sie auch nicht unter Druck.»
Der Kunde nimmt diese Vorgehensweise sehr positiv wahr,
wie ein Testkäufer direkt nach dem Verlassen des Geschäfts
bestätigt hat: «Den Kunden erwartet ein echtes optisches Erlebnis. Die Boutique ist hell und elegant, und der Kunde wird
sehr zuvorkommend bedient. Ausserdem hat der Verkäufer
meine Bedürfnisse genau erkannt, auch wenn er etwas spät
auf den Preis zu sprechen kam. Er war sehr überzeugend mit
der richtigen Dosis Glamour.»
MONOMARKEN
BEST
1. ____ 4.83 ____
2. ____ 4.78 ____
3. ____ 4.73 ____
4. ____ 4.71_____
5. ____ 4.48 ____
6. ____ 4.47 ____
7. ____ 4.42 ____
8. ____ 4.42 ____
9. ____ 4.38 ____
10. ___ 4.35 ____
11. ___ 4.29 ____
12. ___ 4.26 ____
13. ___ 4.04 ____
14. ___ 4.00 ____
15. ___ 4.00 ____
16. ___ 3.94 ____
17. ___ 3.88 ____
18. ___ 3.82 ____
19. ___ 3.58 ____
20. ___ 3.58 ____
21. ___ 3.58 ____
22. ___ 3.57 ____
23. ___ 3.45 ____
24. ___ 3.39 ____
25. ___ 3.32 ____
26. ___ 3.29 ____
27. ___ 3.27 ____
28. ___ 3.06 ____
29. ___ 2.18 ____
Genf
Jaeger-LeCoultre
Piaget
Bulgari
Van Cleef & Arpels
Patek Philippe
Montblanc
Vacheron Constantin
Audemars Piguet
Van Der Bauwede
Jaquet Droz
Panerai
Cartier
Rolex
Harry Winston
Richard Mille
Roger Dubuis
Chopard
Zenith
IWC
Omega
Breguet
Corum
De Grisogono
FP Journe
Hublot
TAG Heuer
Boucheron
Graff
Blancpain
39
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Marie-Audrey
Buguet, Direktorin
der Boutique
Jaeger-LeCoultre
Genf
40
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
___________ In Zürich schneiden
Multimarken schlechter ab
Während die Multimarkengeschäfte in Genf Jahr für Jahr stabil bleiben, fallen die Bewertungen in Zürich heuer extrem
unterschiedlich aus. Negative Gründe waren die mangelnde Beratung, das lückenhafte Wissen und die unzulängliche
Berücksichtigung der Kundenwünsche. Bei den Geschäften
an der Bahnhofstrasse haben alle Mystery Shoppers Ähnliches bemängelt. Sie kritisieren die wenig einladende Atmosphäre der Geschäfte, die Distanziertheit der Verkäufer und
die fehlende Proaktivität. Aber auch in Genf wurden Mängel
festgestellt. Die Boutiquen ergriffen zu selten die Initiative,
stellten zu wenige Fragen und konzentrierten sich auf eine
einzige Marke oder ein einziges Produkt, wo doch die Vielfalt
ein Vorteil sein sollte. Wobei festzustellen ist, das hochlöbliche Ausnahmen den allgemeinen Eindruck relativieren. Bei
Multimarken-Boutiquen hängt viel mehr von Persönlichkeit
und Engagement der einzelnen Berater ab als bei den Monomarken-Läden, die allein schon mit der Markenaura punkten
können. Ihnen ist es trotz Frankenstärke und der geopolitisch
schwierigen Lage im Jahr 2015 und Anfang 2016 gelungen, ihre
Attraktivität zu steigern.
RANKING
den in erster Linie aufgrund ihrer umfassenden Kenntnisse und technischen
BOUTIQUE
Kompetenzen in der Schweiz halten.
AWA R D
Cartier in Zürich hat sich mit einer Ge2016
samtnote von 4,87 vom 6. auf den 2.
Platz verbessert. Ein Mystery Shopper
erzählt: «Die technischen Erläuterungen des Beraters von Cartier übertrafen meine Erwartungen.
Endlich wurde mir überzeugend und verständlich erklärt,
wie die Tourbillon-Komplikation funktioniert. Es war das erste Mal, dass ich sie begriffen habe. Der Verkäufer verdeutlichte seine Ausführungen mit einer Skizze. Sein Vorgehen hat
sich ausgezahlt, denn dadurch konnte er eine gewisse Nähe
aufbauen. Er brachte sich sehr persönlich ins Gespräch ein,
und trotzdem standen die technischen Aspekte im Vordergrund.» Das persönliche Engagement der Verkäufer und die
Individualisierung der Beratung fielen dieses Jahr generell
auf. Van der Bauwede in Genf ging bei der Personalisierung
sogar noch einen Schritt weiter als die Konkurrenz, wie ein
Mystery Shopper lobend erwähnt: «Als der Verkäufer mir die
diamantenbesetzte Uhr zeigte, bot er mir an, den offiziellen
Designer der Marke zu bitten, einen Fingerring zu entwerfen,
der zur Diamantenfassung der Uhr passt.» Er halte das für eine
exzellente Art, die Kundenbindung zu festigen, so der Testkäufer weiter. «Drei Tage später erhielt ich ein E-Mail mit der
Skizze des Schmuckstücks.»
Der Preis, oder wie damit umgegangen wird, spielte ebenfalls eine zentrale Rolle. Bei einigen Geschäften wirkte sich
die Handhabung dieses Aspekts negativ auf die Bewertung
aus, so auch bei Roger Dubuis, 16. der Rangliste in Genf. Dort
wurde es bewusst vermieden, Zahlen zu nennen. «Der Preis
wurde nie angesprochen, obwohl ich ganz klar danach gefragt
habe», bedauert ein Testkäufer, «ansonsten wurde ich aber
sehr zuvorkommend bedient, erhielt ein Glas Champagner
und konnte viele hochkarätige Uhren anprobieren.» Die gleiche Feststellung gilt auch für Piaget in Genf (2. Platz) und für
Omega (20. Platz). Trotz des starken Frankens wird es allgemein
geschätzt, wenn die Preisfrage gleich zu Beginn geklärt wird.
MULTIMARKEN
BEST
Zürich
1. ___ 3.48 ___Kurz
2. ___ 3.41 ___Gübelin
3. ___ 3.18 ___Bucherer
4. ___ 3.11 ___Beyer
5. ___ 2.81 ___Türler
6. ___ 2.75 ___Les Ambassadeurs
7. ___ 2.10 ___Meister Uhren
Kurt Corpataux,
Direktor der
Boutique Kurz
Schmuck und
Uhren in Zürich
41
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
10
RANKING
MULTIMARKEN
Ignaz Steg,
Direktor der
Boutique Les
Ambassadeurs
Genf
Genf
1. ___ 4.08___Les Ambassadeurs
2. ___ 4.02___Benoit de Gorski
3. ___ 3.43 ___Bucherer
4. ___ 3.40___Gübelin
5. ___ 3.08___Kurz
6. ___ 2.96 ___Kunz
positiv erwähnte
Verkaufstechniken
negativ erwähnte
Verkaufstechniken
Den Kunden auch
Uhren der Haute Horlogerie anprobieren
lassen, um ihm eine
Freude zu machen.
Den Kunden länger
als zehn Minuten
warten lassen.
Glamour bieten,
Geschichten erzählen
und einen Besuch im
Museum oder in der
Manufaktur der Marke
anbieten.
Einschüchternder
Portier.
Für ein persönliches
Verkaufserlebnis
sorgen, z.B. indem der
Verkäufer die Uhr anprobiert, um ihre Wirkung am Handgelenk
zu demonstrieren.
Zu grosse Distanz
und Zurückhaltung
des Verkäufers.
Die Preisfrage zu
Beginn des Verkaufsgesprächs klären.
Dem Kunden keine
Sitzgelegenheit
anbieten.
Dafür sorgen, dass
sich der Kunde wohl
und verstanden fühlt,
das heisst, seinen
Geschmack und Stil
erfassen.
Den Verkauf durch einen Verkäuferwechsel
oder die Bedienung
eines anderen, später
eingetroffenen Kunden unterbrechen.
Nicht warten, bis
der Kunde Fragen
stellt, sondern ihnen
vorgreifen.
Fehlende
Produkt- und
Markenkenntnis.
Den Kunden
unabhängig von
seinem Äusseren
ernst nehmen.
Das Gefühl vermitteln,
Auswendiggelerntes
herunterzuleiern.
Humor beweisen,
um mit dem Kunden
ins Gespräch zu
kommen.
Den Kunden Fotos mit
seinem Smartphone
aufnehmen lassen,
statt ihm einen
Katalog anzubieten.
Ein Buch über die
Marke oder einen
VIP-Pass für einen
Cocktail schenken.
Getränke und
Gebäck anbieten.
Unsaubere
Verkaufstheke.
Mehr als zwei
Uhren gleichzeitig
präsentieren, ohne
ihre Unterschiede zu
erklären.
42
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
DESIGN
DOSSIER
Mythische Objekte inspirieren seit
Jahrzehnten Mode, Design und
Architektur. Zum Beispiel
das Symbol der Schlange und
des Polygons. Emilie Cailleux
In der Serpenti von
Bulgari tickt die
Uhr im Rachen der
Schlange.
Obsession
der Form
1. Stilvolles Reptil
vor der Linse des
Fotografen Marc
Laita.
2. Beim Ring Cobra
von Céline d’Aoust
windet sich die
Schlange um den
Finger.
3. Die SerpentiKunstinstallation
der Architektin
Zaha Hadid ist
eine Hommage an
die gleichnamige
Uhr.
5
1
4. Die Tokyo Bench
des Architekturbüros Frank Gehry
Partners.
2
5. Der Herrenschuh
Basquette von
Balenciaga hat
sich gehäutet.
6. 1962 trug die
Schauspielerin
Elizabeth Taylor
diesen Schmuck
beim Dreh von
«Kleopatra».
Seither hat er
Kultstatus.
3
7.W-echse-lspiel:
Hemd von Lanvin
mit Reptilienmotiven.
8. Das White
Snake House des
Architekten Pierre
Minassian.
4
enn die verstreichende Zeit Gift ist, dann
wird es von diesem
wertvollen Reptil
versprüht, das seit
den Vierzigerjahren in das Handgelenk
der eleganten Damen beisst. Serpenti,
der Name dieser ikonischen Schmuckuhr von Bulgari, wird nicht laut ausgesprochen, sondern leise geflüstert. Der
italienische Juwelier interpretiert sein
Lieblingstier geradezu meisterhaft immer wieder neu: mit Diamanten und
Smaragden besetzt am Arm von Elizabeth Taylor in ihrer Paraderolle als
Kleopatra, oder aus rosafarbenem und
weissem Email am Hals von Diana
Vreeland, der schillernden Chefredaktorin von «Vogue». Wie eine Schlange
häutet sich das Schmuckstück von
Zeit zu Zeit und erscheint in einem
neuen Gewand. Als Symbol der Weisheit und der Erbsünde ist die Schlange
eine schleichende Obsession, die Design, Mode und Kunst Jahr für Jahr in
ihren Bann zieht.
W
7
8
6
43
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
1. Leuchtende
Ideen: Das Haus
Jean Perzel
stellt seit den
Zwanzigern Artdéco-Lampen her.
Hommage: Die
Reverso Tribute
Calender feiert
den 85. Geburtstag
ihrer illustren
Vorgängerin.
2. Duftende
Hommage an
das Genie des
Glaskünstlers
René Lalique:
«Hommage à
l’homme».
3. Interieur des
Designers Kelly
Wearstler in
Washington.
4. Grafisches Spiel
mit Linien im 1929
eröffneten MolitorSchwimmbad in
Paris.
5. Tapete mit
geometrischen
Motiven von Pierre
Frey.
6. Geometrisch
streng: die
Bronzemöbel von
Delisle.
7. Aufschlussreicher Schmöker:
Dieser Bildband
von Alastair Duncan widmet sich
auf 500 Seiten der
Ästhetik von Art
déco.
8. Art déco trifft
auf modern:
Im Palais de
Tokyo wird
zeitgenössische
Kunst gezeigt,
seine Architektur
aber stammt
unverkennbar
aus den
Dreissigerjahren.
2
1
3
4
hr geometrisches Gehäuse und
die Godronierung machen die
Reverso zum einem Manifest des
Art déco. Mit diesem Modell sorgt
Jaeger-LeCoultre seit den Dreissigerjahren für eine verkehrte Welt an der
richtigen Stelle. Schon beim ersten Erscheinen erregte die Reverso mit ihrem
Wendegehäuse enormes Aufsehen. Ein
genialer Schachzug der Manufaktur, mit
dem sie den Anforderungen der in Indien stationierten britischen Armeeoffiziere entsprach. Diese brauchten eine
Uhr, die den harten Stössen beim Polospiel standhielt. In ihrer Version Tribute
Calendar überrascht die Reverso mit einer faszinierenden Mondphasenanzeige und der grosszügigen Tag-Nacht-Indikation auf der Rückseite. Dieses Jahr
feiert diese grosse, noch immer zeitgemässe Dame der Uhrenkunst ihren 85.
Geburtstag. Wie Design oder Architektur aus der Zwischenkriegszeit verdreht
auch sie noch immer vielen Menschen
den Kopf.
I
5
6
7
8
44
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
DOSSIER
SHOOTING
Text: Cristina d’Agostino
Fotograf: Marc Ninghetto
Koordination: Sylvie Bernaudon
Nahezu alle Marken haben ihre symbolträchtigen
Kollektionen dieses Jahr neu interpretiert. Überarbeitet wurde vor allem die Optik. Das Design, markant oder klassisch rund, wird zur Ikone. Eine Art,
aus dem Wesentlichen zu schöpfen, ohne Konventionen über Bord zu werfen? Eine durchaus plausible Erklärung, zumal der Begriff Volatilität an den
Uhrenmessen 2016 in aller Munde ist. Mit zu viel
Neuem Verwirrung zu stiften, gehört ganz offensichtlich nicht zu den diesjährigen Prioritäten der
Marken. Die grossen Trends liegen anderswo: Ikonische Modelle, egal, ob mit einfachem oder kompliziertem Uhrwerk, werden durch die Einführung
von Edelstahluhren erschwinglicher, was die Verkäufe ankurbeln soll. Die Gehäuse präsentieren sich
in bescheidenerer Grösse, damit auch Kunden auf
der Suche nach „vernünftigen“ Massen fündig werden. Der vermögende Sammler dagegen wird mit
komplexen Unikaten bei Laune gehalten.
Auch stilistisch sind zwei Trends auszumachen: Blau
und Saphirglas geben den Ton an. Bis zur Besessenheit huldigen die Manufakturen dem Zeitgeist, haben
die Zifferblätter auf Blau getrimmt und die Gehäuse transparent gestaltet. Wir geben einen Überblick.
45
OBSESSION BLAU
VACHERON
CONSTANTIN,
Overseas Chrono,
mechanisches
Werk mit
Handaufzug,
Stunden, Minuten
und kleine
Sekunde, Stahl,
30 700 Fr.
IWC, Fliegeruhr
MARK XVIII
Edition Le
Petit Prince,
mechanisches
Werk mit
Automatikaufzug,
Stunden, Minute
und Sekunde,
Stahl, 4 400 Fr.
BLANCPAIN,
Fifty Fathoms
Bathyscaphe,
Gangreserve fünf
Tage, Datum und
Sekunde, Keramik
grau, Automatik,
Preis auf Anfrage
MONTBLANC,
Minerva 1858
Chronograph
Tachymeter
Blue, limitierte
Edition von 100
Exemplaren,
MonopusherChronograph mit
Handaufzug, Stahl,
25 500 Fr.
46
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
OBSESSION DIAMANTEN
CHOPARD,
Happy Diamond,
Quarzwerk,
Weissgold
18 Karat,
diamantenbesetzt
und fliegende
Diamanten,
weisses Perlmutt
mit Perlen,
48 500 Fr.
BULGARI,
Serpenti Incantati,
Quarzwerk,
Roségold 18 Karat
mit Diamanten und
Rubelliten,
39 000 Fr.
VAN CLEEF &
ARPELS, Sweet
Charms Pavée,
Quarzwerk,
Weissgold mit
Diamanten,
54 200 Fr.
47
OBSESSION DER FORM
RICHARD MILLE,
RM 67-01 Automatique Extra Plate,
Skelettwerk mit
Automatikaufzug,
Stunden, Minuten,
Datum und Funktionenanzeige,
Titan, 89 000 €.
AUDEMARS
PIGUET, Royal
Oak Quantième
Perpétuel,
Automatikaufzug,
Gelbgold 18 Karat,
Stunden, Minuten,
82 500 Fr.
CARTIER, Driver,
mechanisches
Manufakturwerk
mit Automatikaufzug, Roségold,
limitierte Edition,
18 400 Fr.
JAEGERLECOULTRE,
Reverso
Coordonnet,
Quarzwerk,
Stunden, Minuten,
Roségold und
Stahl, 7 650 Fr.
48
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
OBSESSION KOMPLIKATION
TUDOR, Heritage
Advisor,
mechanisches
Werk mit
zusätzlichem
Modul, Stunden
und Minuten,
Titan, 5 600 Fr.
TAG HEUER,
Carrera Heuer02T, Version Black
Phantom, limitierte
Edition von 250
Exemplaren, Automatikchronograph
mit fliegendem
Tourbillon, COSCzertifiziert. Titan,
19 000 Fr.
PANERAI,
Lo Scienziato
Luminor 1950
Tourbillon GMT
Titanio, 47mm,
mechanisches
Werk mit
Handaufzug,
Stunden, Minuten,
kleine Sekunde,
Titan satiniert,
135 000 Fr.
PARMIGIANI,
Tonda Chronor
Anniversaire,
limitierte Edition
von 25 Exemplaren,
integriertes Chronographenwerk,
Handaufzug,
Stunden, Minuten,
kleine Sekunde,
Roségold,
135 000 Fr.
49
OBSESSION
EXPERIMENT
HUBLOT, MP-05
LaFerrari Sapphire,
limitierte Edition
von 20 Exemplaren,
vertikal aufgehängtes
Tourbillon, Handaufzug,
Stunden und Minuten,
Saphir poliert,
500 000 Fr.
MB&F, Horological
Machine N°6 SV,
limitierte Edition
von 10 Exemplaren,
fliegendes Tourbillon
mit einziehbarem Schild,
Automatikaufzug,
Stunden und Minuten,
Saphirglas, Roségold,
378 000 Fr.
50
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
KULTUR
51
Kunst-Frühling in Teheran
Die postrevolutionäre islamische
Generation experimentiert ungehemmt
mit Malerei, Fotografie und neuen
Medien. Die Kunstgalerien bieten
diesem überschäumenden Drang
nach künstlerischem Ausdruck ein
Schaufenster. Ein lohnender Besuch
in einer anderen Welt. Dino Auciello
52
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Der Künstler
Siamak Filizadeh
inspiriert sich
an persischen
Traditionen
ie Kronjuwelen und der
Golestan-Palast sind die
beliebtesten Sehenswürdigkeiten Teherans. An
ihnen kommt kein Besucher vorbei. Ebenso interessant und
aufschlussreich ist aber ein Abstecher
in die Galerien zeitgenössischer Kunst.
1973 zählte man in der iranischen
Hauptstadt 13 solcher Lokale, 2008 waren es bereits 145. Mittlerweile hat sich
diese Zahl auf weit über 200 erhöht, obwohl das Regime seit der islamischen
Revolution im Jahr 1979 den Kampf gegen westliche Einflüsse verschärft hat
und sowohl Filme als auch Musik, Literatur und Kunst schonungslos zensiert. Eben einer der typisch iranischem
Widersprüche.
«Einen Fuss nach Teheran zu setzen,
bedeutet, über Stereotypen hinwegzusehen und sich mit der Komplexität der Stadt auseinanderzusetzen»,
sagt die iranische Künstlerin und Kulturjournalistin Yasaman Alipour. Die
junge Frau ist vor fünf Jahren aus der
iranischen Hauptstadt nach New York
gezogen und widmet ihre Kunst heute
der Fotografie und konzeptuellen Installationen. Für sie sind Galerien eine
D
Art Vergrösserungsglas, das die Entwicklung des Landes, das Achterbahn fährt
im Spannungsfeld zwischen Reformern
und Extremisten, fokussiert wiedergibt.
«Die international kaum beachtete iranische Gegenwartskunst entwickelt sich
rasant. Mit der Öffnung des Landes und
der Rückkehr der Vertriebenen hat sich
eine neue Gemeinschaft aus begeisterten Sammlern und Kuratoren gebildet,
was jungen Künstlern neue Chancen eröffnet», beschreibt sie die Entwicklung.
______Freitag ist Galerientag
Jeweils am Freitagnachmittag machen
sich eingeweihte Kunstliebhaber zur
Tour durch die Galerien auf. Obligatorischer Stopp ist die Assar Gallery in
einem wichtigen Kulturviertel mitten
im Stadtzentrum. Sie wurde 1999 eröffnet und ist über die Grenzen Irans hinaus bekannt. Zwölf aufstrebende oder
etablierte bildende Künstler werden
hier ausgestellt. Iman Afsarian, einer
der berühmtesten lebenden Künstler
des Landes, gehört dazu, aber auch der
Bildhauer Mohammad Hossein Emad
und Samira Alikhanzadeh, deren Werke aus Familienfotos aus den Vierzigerund Fünfzigerjahren bestehen. «In den
letzten Jahren ist die Zahl der Schulen
und Privatkurse, in denen sich die junge Generation Kunstschaffender ausund weiterbildet, stark gestiegen», meint
Maryam Majd, die Co-Direktorin der Galerie, und betont: «Aufgrund des kulturellen iranischen Erbes und der intensiven sozio-politischen Umstände hat
der künstlerische Ausdruck hier eine
eigene Sprache, die mit keinem anderen Land der Region vergleichbar ist.»
Wenige Strassen weiter liegt die Galerie Ab/Anbar. Das ganz in der Nähe der
Hauptverkehrsachse Enghelab gelegene traditionelle Gebäude wurde 2014 in
eine experimentelle Galerie umgewandelt. Gleichzeitig dient es in- und ausländischen Künstlern als Austauschplattform.
______Aufkommen
neuer Kunstformen
Ausstellungen in Teheran sind mehr
als eine künstlerische Erfahrung. Sie
treten an die Stelle traditioneller Treffpunkte und können sogar eine soziale
Kraft entwickeln. «Da Bars und Clubs
im Iran verboten sind, treffen sich die
jungen Generationen häufig in Kunstgalerien», erklärt Yasaman Alipour.
53
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Ausserdem begegnen die Kuratoren
den Touristen und möglichen ausländischen Käufern mit mehr Offenheit. Sie
denken internationaler und verfassen
zum Beispiel Erklärungen und Kataloge auf Englisch.»
Eine weitere Station ist die Aaran Gallery im Norden der Stadt. Der 2008 eröffnete Kulturraum konzentriert sich
auf die Kunst von Kindern der Revolution, das heisst Künstlern, die gerade
vor oder nach der Gründung der islamischen Republik geboren wurden. «Wir
wollen zeigen, wie sich die von Gewalt,
Krieg und Unsicherheit geprägten Jahre in den Werken der jungen Künstler
niederschlagen», erklärt die Galeriebesitzerin Nazila Noebashari ihr Konzept.
Sie hat in ihren vier Wänden schon die
Pop-Kreationen von Siamak Filizadeh
und die Videoinstallationen von Barbad
Golshiri, dem Sohn eines berühmten
iranischen Schriftstellers, ausgestellt,
aber auch die Bilder des jungen Malers
Shahryar Hatami und des Fotografen
Dadbeh Bassir. Sie verkörpern alle eine
neue Künstlergarde, die ihre Werke teilweise sogar international ausstellt und
auch in Privatsammlungen vertreten ist.
Nazila Noebashari kümmert sich auch
um das Aaran Project, das sie uns engagiert ans Herz legt. Es ist seit dem 14. Juli
2015 in einem Gebäude aus den Zwanzigerjahren ganz in der Nähe der italienischen Botschaft untergebracht und
wurde am Tag des historischen iranischen Atomabkommens eröffnet, wie
Noebashari betont.
Die schnelle Entwicklung der zeitgenössischen Malerei, Bildhauerei und Fotografie ist nichts im Vergleich zum rasanten Aufwärtstrend der Videokunst und
der damit verbundenen Performances.
Aaran Gallery organisiert zwei Mal im
Jahr ein dieser Kunstform gewidmetes Festival, das immer breitere Zustimmung findet. «Wir spüren ein grosses,
weltweites Interesse für diese höchst
aktive Szene», so Nazila Noebashari.
Dennoch: Die Zensurbehörde überwacht die lebhafte Kunstszene in Teheran voller Misstrauen und schreckt
auch nicht davor zurück, als subversiv
eingestufte Werke schlicht und einfach
zu verbieten oder gar zu verstümmeln.
«Einen Fuss nach Teheran zu
setzen, bedeutet, über Stereotypen
hinwegzusehen und sich mit
der Komplexität der Stadt
auseinanderzusetzen»
Yasaman Alipour
Ein Werk von Samira
Alikhanzadeh, die sich mit
Themen wie Identität
beschäftigt.
In den vornehmen, etwas weniger verschmutzten, aber auch weniger am Puls
der Zeit gelegenen Vierteln im Norden
J.R.S
______Im Norden und im
Süden der Hauptstadt
54
Die Malerin Elahe
Heidari findet viele
ihrer Motive auf
der Strasse
«Callidrawing» ein
Werk von Reza
Abedini bei der
Galerie Ab/Anbar
courtesy Ab/Anbar
von Teheran drängt sich ein Besuch im
Dastan’s Basement auf. Die Galerie präsentiert fast nur junge, vielsprechende
Künstler und vor allem Werke auf Papier. Kennzeichnend ist diese Zeichnung von Googoosh, einer iranischen
Sängerin und Schauspielerin, die in
ihrer Heimat seit 1979 nicht mehr auftreten darf. «Dastan möchte in der Geschichte des Landes eine Verständigungsbasis finden, in der die bildende
Gegenwartskunst ihren Platz hat. Was
vor fünfzig Jahren die geometrische
Abstraktion und die Kalligraphie waren – nämlich die aktuelle Antwort auf
dieses Anliegen –, sind heute die Illustrationen», beurteilt Yasaman Alipour
die Situation.
Auch die Silk Road Gallery in unmittelbarer Nähe des Niavaran-Palasts sollte
man auf keinen Fall verpassen. Sie ist
der erste der zeitgenössischen Fotografie gewidmete Ausstellungsort in Teheran und eine Art Brutstätte für neue Ide-
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
en. Am Fuss des Berges liegt die Etemad
Gallery. Sie ist aus der Kunstszene Teherans nicht mehr wegzudenken, agiert sie
doch als Sprachrohr zahlreicher Künstler
in ihrem Kampf gegen die Stereotypen
des traditionellen Iran. Die unaufhaltsame Expansion der Kunstszene erstaunt
sogar Yasaman Alipour: «Es ist erstaunlich, wie sich die Gegenwartskunst in der
Stadt verbreitet hat. Sie hat sich lange auf
das Stadtzentrum beschränkt, sich dann
aber bis ins bürgerliche Quartier im Norden ausgebreitet, wo sie heute fest verankert ist. Aber auch in den Arbeitervierteln im Süden mehren sich Räume, in
denen sich die Künstler ausleben können.» Ein ansteckender, vielverheissender Trend, der durch die Aufhebung der
Sanktionen gegen den Iran weiter an Dynamik gewinnen wird.
55
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Lautgedicht von
Hugo Ball, vorgetragen am 23. Juni
1916 in Zürich
« jolifanto bambla o falli bambla / großiga m’pfa habla horem / egiga
goramen / higo bloiko russula huju / hollaka hollala / anlogo bung / blago
bung blago bung bosso fataka / ü üü ü / schampa wulla wussa olobo / hej
tatta gorem / eschige zunbada / wulubu ssubudu uluwu ssubudu / tumba
ba-umf / kusa gauma / ba – umf »
KUNST
PANORAMA
Hans Uli von Erlach
Die Bombe von Zürich
an muss sich das mal
vorstellen! Mitten im
Ersten Weltkrieg. Mitten in einem gutbürgerlichen Zürcher
Winter, im ersten Stock einer Altstadtkneipe, versammeln sich Emigranten
aus halb Europa, singen Protestlieder,
versuchen sich in hirnverbrannten
Kunstformen, tragen politisch unkorrekte Gedichte vor, lallen sinnlose Laute in verrückten Rhythmen, stampfen,
singen, verkleiden sich in kubistische
Kostüme, ziehen sich Masken über, die
aussehen wie von Kindern gebastelt,
und vollführen darin wirre Tänze. «Ein
undefinierbarer Rausch hat sich aller
M
Johannes
Baargeld: Venus
beim Spiel der
Könige,
Collage 1920
bemächtigt. Das kleine Kabarett droht
aus den Fugen zu gehen und wird zum
Tummelplatz verrückter Emotionen»,
notiert ein gewisser Hugo Ball danach.
«Ein Haufen wirklich Irrer», wird Sigmund Freud später abschätzig urteilen.
Doch die, die sich da so völlig danebenbenahmen, waren nicht einer Anstalt
entwichen. Es war nicht weniger als ein
Teil der jungen, vielversprechenden, europäischen Intelligenzija, die sich Luft
verschaffte. Ein paar Tage später fanden
sie auch einen Namen für sich: Dada.
«Feuerpolizeilich keine Bedenken» sah
der damalige Besitzer der Liegenschaft
Spiegelgasse 1 in Zürichs Altstadt, um
im ersten Stock der Kneipe «Meierei» ei-
nen Veranstaltungsort namens Cabaret
Voltaire zu bewilligen. «Und er behielt
recht», sagt Stefan Zweifel, Co-Kurator der Ausstellung Dada Universal im
Landesmuseum Zürich, heute. «Dafür
explodierte am Eröffnungsabend des
5. Februar 1916 in Zürich eine veritable Brandbombe! Mit einer Zündschnur,
die quer durch Europa und sogar in New
York immer wieder zu Explosionen führen sollte.»
Gastgeber an jenem Eröffnungsanlass
des neuen Künstler- und Intellektuellentreffpunkts (nicht zufällig benannt
nach dem französischen Aufklärer
Voltaire) waren die zwei jungen deutschen Emigranten Hugo Ball und seine
«Ein undefinierbarer Rausch hat
sich aller bemächtigt. Das kleine
Kabarett droht aus den Fugen zu
gehen und wird zum Tummelplatz
verrückter Emotionen»
Hugo Ball
Kunsthaus Zürich
Deutscher
Schriftsteller und
Dada-Mitgründer
Freundin Emmy Hennings. Um sie
scharte sich die ganze Hautevolee der
europäischen Künstler-, Dichter- und
Theaterszene, alles geistige Revoluzzer, kaum dreissigjährig. Darunter die
Schweizer Hans Arp und Sophie Taeuber, der rumänische Architekt Marcel
Janco und sein Landsmann und Dichter Tristan Tzara, der deutsche Lyriker
Richard Huelsenbeck oder der Schriftsteller Walter Serner aus Böhmen. Die
56
______«Der Hauptbeitrag von Dada
war die Auf lösung der Grenzen
zwischen den künstlerischen Sparten»,
analysiert Peter K. Wehrli: «Dichtkunst
war auch Musik, Schriftkunst war auch
Bild, Klang war auch Fotografie, Tanz
konnte man auch sprechen.» Es sind
diese errungenen Freiheiten, die die
Kulturszene europa-, ja weltweit infizier-
Collagen sind ein
Medium der DadaKünstler: Chinesische Nachtigall,
1920. Collage von
Max Ernst
Musée de Grenoble, © 2015 ProLitteris, Zürich
Schweiz, Zürich im Besonderen, war der
Schmelztiegel der europäischen Kulturflüchtlinge. Fern vom Artilleriedonner
versammelte man sich zum Protest.
Nicht nur gegen den Krieg, sondern gegen die etablierte Kunst des bourgeoisen Establishments, gegen das einengende Bildungsbürgertum insgesamt,
das diesen Krieg hervorgebracht hatte.
War Dada also Protest? Oder Urschrei
einer Gruppe von Gesellschaftskritikern? Oder einfach eine neue Art von
Kunst? «Alles ist Dada», soll Dada-Ikone Tristan Tzara einmal sibyllinisch
geantwortet haben. Überhaupt ist die
Entstehung des Wortes umrankt von
Legenden. Eine besagt, dass Hugo Ball
(oder doch Tzara?) mit einem Messer in
ein deutsch-französisches Wörterbuch
stach und das Wort «dada» traf. Eine andere, ganz prosaisch, dass das damals
populäre Haarwaschmittel Dada als Namenspate diente. Gut möglich, denn die
Dadaisten (die sich selbst nie so nannten) suchten bewusst mit vermeintlichen Banalitäten ihre Verneinung aller
geltenden Ideale und Normen zu demonstrieren. Heute erinnert sich der
Zürcher Schriftsteller und Journalist
Peter K. Wehrli: «Die beste Definition
nannte mir später der deutsch-amerikanische Filmkünstler Hans Richter, selbst
ein Dadaist der ersten Stunde: ‹Dada
kämpfte gegen die Überschätzung jener Vernunft, die Krieg und Zerstörung
als logische Begleiterscheinung des
menschlichen Lebens zu legitimieren
versucht.›» Wehrli lernte in den Sechzigerjahren mehrere Dada-Gründer und
-Kollaborateure kennen und lancierte
mit ihnen im legendären Zürcher Café
Odeon 1966 eine Fete zum 50. Jahrestag
des Dadaismus. Später schuf er mehrere
Fernsehfilme über einzelne Protagonisten von damals.
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
« Der Hauptbeitrag von Dada war die
Auflösung der Grenzen zwischen
den künstlerischen Sparten »
Peter K. Wehrli
ten und bis heute beeinflussen. Denn
schon kurz nach dem denkwürdigen
Februar 1916 schwärmten die Gründer
aus und gründeten neue Dada-Gruppen. Neben den Metropolen Paris, Berlin, New York gab es weitere wichtige Dadaisten in Köln, Hannover und Weimar,
in Barcelona und Madrid, in Amsterdam,
Zagreb oder Bukarest, in Genf und auf
dem Monte Verità im Tessin. Der DadaGedanke der Provokation wurde lokal
und regional weitergesponnen, in an-
dere Philosophien und Kunstrichtungen abgewandelt. Neue Generationen
von Performern, bildenden Künstlern,
Filmern und Dichtern entstanden, die
sich in direkter Linie als Kinder, Enkel
und Urenkel der Dada-Väter identifizieren lassen. Surrealisten wie Max Ernst
und Kurt Schwitters, Leute wie Konzeptkünstler Marcel Duchamp, Dichter André Breton oder Fotokünstler Man
Ray bezogen sich auf Dada. Surrealisten,
Konstruktivisten, Existenzialisten und
57
die Fluxus-Gruppe waren die direkten
Erben, später Pop Art, Punk und Graffiti. Heute hoch gehandelte Künstler wie
Keith Haring und Andy Warhol, Performerin Marina Abramović, Videokünstlerin Pipilotti Rist, Installationsaktivist
Thomas Hirschhorn oder das Künstlerduo Fischli Weiss wären ohne Dada
vielleicht undenkbaren. Womöglich lassen sich auch Musiker wie Lady Gaga
und Konzeptkünstler Dieter Meyer
dazu zählen. Und manche Videoclips
auf MTV spielen avantgardistisch mit
dem Stil der Dada-Collagen, bloss in einem heutigen, digitalen Medium.
______«Dada hat nie aufgehört!», ruft
denn auch Cynthia Odier enthusiastisch aus. Die in Ägypten geborene
Griechin, einst selbst Tänzerin, hat vor
vierzehn Jahren in Genf die Fondation
Fluxum gegründet, die seit 2013 auch
den Zürcher Ableger Flux Laboratory
hat. «Das Multidisziplinäre der Dadaisten hat dieselbe DNA, die unsere Performances schon immer prägte», sagt
sie. Es gehe um das Sich-Verstehen in
anderer Sprache, um die veränderte
Sicht auf Werte. «Es ist derselbe Anspruch, den die Dadaisten hatten, jetzt
zu heutigen Themen.» How to put a
Price on Values ist das Leitmotiv, unter dem Flux in Zusammenarbeit mit
dem Verein Dada 100 Zürich acht Produktionen aus aller Welt präsentiert.
Ab dem 7. April werden sie auch vom
Flux Laboratory in Genf gezeigt, das
Cynthia Odier zum Dada-Hauptquartier der französischen Schweiz macht.
«Ideen sollen reisen!», sagt die engagierte Mäzenin. Ganz gemäss dem originalen Dada-Konzept.
So feiert nun die weltweite Kunstszene die Dadaisten. Mit Ausstellungen in
just jenen etablierten Kunsttempeln, die
die Kulturrebellen damals bekämpften.
Die einst als widerspenstiges Labor für
höheren Unsinn gedachte Bewegung
von Kultur-Bewegten ist längst salonfähig geworden. Ein Widerspruch, von
den Gründern aber durchaus gewollt.
Die Dada-Bühne des Cabaret Voltaire
schloss schon nach vier Monaten, hatte aber ihre zündende Wirkung bereits
getan (seit dem Jahr 2004 gibt es das Cabaret Voltaire wieder, quasi als Gedächtnis-Institution; Anm. der Red.). Schon
im Januar 1917 übernahmen Ball und
Tzara eine Galerie an der renommierten Zürcher Bahnhofstrasse, stellten Dada-Künstler aus und führten die Best of
Cabaret Voltaire auf. Dada-Kenner Peter
Hugo Ball im
kubistischen
Kostüm, 1916 in
Zürich.
Kunsthalle Hamburg © 2015 ProLitteris, Zürich
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
K. Wehrli: «Es war Tzara und Co. durchaus klar: Nur wenn Dada sich in der Kulturszene etablieren konnte, war eine
weiterführende Wirkung möglich. Das
grosse ‹Anti› brauchte ein Echo.» Jetzt,
2016, wird dieses Echo wieder gehört.
Wir beobachten es mit gemischten Gefühlen. Der Kunstkenner in uns bewundert die befreiende Kreativitätslawine,
die von Dada losgetreten wurde. Und
der Humanist in uns stellt etwas resigniert fest: Weder die Gründergeneration
noch ihre Enkel und Urenkel haben das
ursprüngliche Ziel erreicht. Wirtschaftsfatalismus und Kriege prägen unsere
Welt nach wie vor, mehr noch als vor
hundert Jahren. Immerhin kann man
sich diesen Satz von Hugo Ball verinnerlichen: «Gerade in dieser haltlosen Zeit
ist es wichtig, Haltung zu bewahren.»
Raoul Hausmann,
P, um 1920-1921,
Collage
Alle Informationen
über die vielen
Ausstellungen und
Veranstaltungen
in aller Welt unter
www.dada100zuerich2016.ch
BOUDOIR
PANORAMA
58
Anne
Walser
«Luxe» hat die weltgewandte, zielstrebige, vielseitig kreative und charmante
Filmfachfrau zum Gespräch getroffen.
Frau Walser, für unser
Gespräch haben Sie den
Sitzungsraum Ihrer Firma
C-Films gewählt. Von Glamour
keine Spur. Entspricht das
Ihrem Wesen?
Weniger. Privat ist privat, Geschäft ist
Geschäft. Der Raum spiegelt den Esprit
unserer Firma. Wir sind ein Team, das
durch gemeinsame Kämpfe freundschaftlich zusammengewachsen ist. Wir
schleichen nicht dauernd über rote Teppiche. Showbusiness, Chichi und Glamour gibt es anderswo.
Immerhin arbeiten Sie
zuweilen an mondänen Orten.
Etwa im Hotel Waldhaus im
bündnerischen Flims, wo Teile
Ihres Erfolgsfilms „Youth“
gedreht wurden.
Wir suchen für jeden Film die beste Bühne. Wenn es sich dabei um ein tolles Hotel handelt, umso besser für alle. Da ist
die Logistik optimal, das Ambiente fantastisch. Man kann sich beim Arbeiten
quasi austoben.
Das Publikum ist primär an
Stars interessiert. Produzenten
sind, mindestens hierzulande,
meistens eine unbekannte
Grösse. Was ist ihre
Bedeutung?
Sie sind das Herzstück, ohne Produzenten gibt es keine Filme. In einem Filmteam wollen alle bezahlt und umsorgt
sein, wie eine Art Herde. Vielleicht eignen sich Frauen deshalb ganz gut für
diesen Beruf. Ich habe einmal scherzhaft gesagt, dass ich mir zuweilen wie
eine Mama vorkomme.
«
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Die in Paris geborene Anne Walser ist zurzeit die international
erfolgreichste Schweizer Filmproduzentin. Ihre italienischschweizerische Koproduktion „Youth“, mit Stars wie Harvey Keitel,
Michael Caine und Jane Fonda, wurde unlängst mit drei European Film
Awards ausgezeichnet sowie für zwei Golden Globes und den Oscar für
den besten Originalsong nominiert. Michael Lang - Foto: Dominik Büttner
Wir schleichen
nicht dauernd über
rote Teppiche.»
schauen. Meine Mutter hat dann die fehlenden Szenen für mich stenografiert
und sie mir beim Frühstück vorgelesen.
Welche Filme haben Sie damals
besonders berührt?
«Irma La Douce» von Billy Wilder, wobei mich vor allem die grünen Strümpfe von Shirley MacLaine faszinierten.
Und Alfred Hitchcock. Besonders geprägt von ihm hat mich «Rear Window»
(«Fenster zum Hof»). Weil alles simpel
wirkt, in einem einzigen Raum spielt
und die eigene Fantasie weit über das
hinaus mitläuft, was im Film effektiv gezeigt wird.
Ihr Job ist ein Spagat
zwischen Kunst und Kommerz,
auch in der Schweiz sind
Millionenbeträge im Spiel. Was
gilt es da zu beachten?
Welche Eigenschaften sind für
Sie beruflich unverzichtbar?
Neugierde und Toleranz. Als Filmproduzentin muss man zulassen können,
dass der eigene Kopf nicht das Mass aller Dinge ist. Zuhören können und Offenheit aufbringen für die Ideen anderer
sind die Schlüssel, um nicht an Mustern
festzuhängen.
War Filmproduzentin Ihr
Berufsziel?
Nein. Ich wollte als Fotografin Geschichten mit einem einzigen Bild erzählen.
Nun tue ich das mit vielen Bildern. Ich
habe das Glück, in einer Branche gelandet zu sein, wo das möglich ist.
Wann haben Sie die Magie des
Films entdeckt?
Ich war ein Bücherwurm, und mein Vater hat mir Kinoklassiker nahegebracht.
Gewisse Filme durfte ich als Kind im
Fernsehen allerdings nie bis zum Ende
Ich muss von meiner Idee voll überzeugt sein. Und ich muss einkalkulieren, dass ich jahrelang mit dem Projekt
befasst bin. Ohne den Glauben ans Gelingen geht nichts.
Filme von Ihrem
Qualitätsanspruch sind in der
Schweiz nur mit Fördergeldern
realisierbar…
…ja, denn im kleinen Filmland Schweiz
sind die Finanzierungsmöglichkeiten limitiert. Wir sind auf Beiträge des
Bundesamtes für Kultur, des Schweizer Fernsehens SRF und – als Zürcher
Firma – von der Zürcher Filmstiftung
angewiesen. Im Ausland ist es wegen
der dort grösseren Anzahl der Fernsehsender teilweise einfacher. Allerdings ist
dort die Konkurrenz grösser. In jedem
Fall muss man in der Schweiz den Heimmarkt mit den zuständigen Leuten sehr
gut kennen.
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
59
60
Gianni Fiorito
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Glamour auf dem
Set: Jane Fonda im
Film «Youth», einer
Koproduktion von
Anne Walser.
Sie gehören zu einer
Produzentengeneration, die
gegenüber dem Fernsehen
keine Berührungsängste hat?
in unseren Alpen schöner und besser
sind, und so wurde die Geschichte auf
die Schweiz umgeschrieben.
Ja, obwohl es natürlich Unterschiede
gibt. Der Fernsehzuschauer will schnell
erobert sein, Fernsehen ist aus Konkurrenzgründen ein knallhartes Medium.
Im Kino kann man sich narrativ mehr
Zeit lassen. Ich finde es gut, dass das
Schweizer Fernsehen SRF eine Filmreihe produziert, die sich auf Schweizer
Themen konzentriert. Dank ihr können
auch neue Filmemacher ausgebildet
und begleitet werden.
Wie finden Sie Ihre Projekte?
Was wird von den Geldgebern
als Hauptkriterium gefordert?
Ein klarer Schweizer Bezug. Bei «Grounding» war es das Ende der nationalen
Fluggesellschaft Swissair, in «Die Akte
Grüninger» die Geschichte eines humanitär agierenden Schweizer Beamten am
Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die
Verbindung kann sich aber auch über
Schweizer Bestseller-Autoren wie Pascal
Mercier («Nachtzug nach Lissabon»)
oder Martin Suter («Der Koch») ergeben.
Im Fall von «Youth» wollten die italienischen Partner ursprünglich in den Dolomiten drehen. Wir haben sie überzeugt,
dass die Schauplätze und die Hotels
Autoren melden sich oft direkt bei uns.
Oder wir selbst haben Ideen im Team.
Momentan beschäftigt uns beispielsweise ein Stoff über den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli, der mich seit
der Lektüre einer Biografie fesselt. Eigentlich könnte ich über jedes Thema
einen Film produzieren. Aber man darf
nie nur die eigenen Steckenpferde reiten. Man muss hellhörig sein, wenn sich
im Markt ein Publikum für bestimmte
Themen abzeichnet. Im Kino lasse ich
mich auch von anderen Filmen inspirieren. Ich mag etwa die Werke des Mexikaners Alejandro González Iñárritu
und generell Episodenfilme.
Ihre Filme gefallen unter
anderem wegen ihrer
sorgfältigen Erzählstrukturen.
Auf die grossen formalen
Gebärden wird verzichtet. Aus
Budgetgründen?
Wir verfügen tatsächlich nicht über die
Mittel für bombastische Ausstattungen
und Szenerien. Wir machen die Not zur
Tugend und konzentrieren uns auf das
Entscheidende: eine emotionale Story
mit überzeugenden Darstellern.
Haben Sie eine Affinität zum
kreativen Rollenspiel?
Durchaus. Ich betreue ja mehrere Projekte gleichzeitig, in allen Bereichen.
Mich interessiert alles. Die etwas nüchterne Seite des Budgetierens und Rechnens ebenso wie das Kreative, das
Schreiben. Natürlich muss ich es auch
aushalten, wenn etwas nicht klappt,
und entsprechend handeln.
Wann zum Beispiel?
Falls ein Drehbuch nach Jahren immer
noch zu wenig gut ist, muss man brutal entscheiden, dass sich die Weiterfinanzierung nicht mehr lohnt. Mein Geschäftspartner Peter Reichenbach und
ich schauen einander diesbezüglich genau auf die Finger. Wer ein Unternehmen führt, kommt nie zur Ruhe, und auf
Lorbeeren auszuruhen, ist keine Option.
Das ist die Crux – und die Lust auf Neues
ist die Triebfeder.
Filme zu produzieren, ist
Herzblutsache. Was ist es für
ein Gefühl, wenn das erste
Publikum eines Werks im Saal
sitzt?
61
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
«Filmproduktion ist ein 100%-Job, der
kein Jonglieren mit weiteren Tätigkeiten zulässt.
Ich bewundere Frauen, die sich daneben
noch um eine Familie kümmern.»
Ich schätze die spannenden Momente,
wenn wir die Reaktion eines Testpublikums eruieren, um allenfalls Änderungen an einem Film vornehmen zu
können. Es darf nie darum gehen, das
eigene Ego zu befriedigen.
Reizt es Sie zuweilen, auf dem
Set Einfluss zu nehmen?
Der Reiz ist da, klar. Ich bin ja nicht nur
für das Budget zuständig, sondern von
der Drehbuchentwicklung bis zur Technik- und Regiebesetzung involviert.
Wenn der Regisseur feststeht, suche ich
mit ihm die Schauspieler aus und kommuniziere in der Planungsphase eng
mit ihm. Filmen hat viel mit Vertrauen
zu tun, darum lasse ich die Leute arbeiten. Aber selbstverständlich beobachte
ich, was und wie es auf dem Dreh läuft.
Unter den jüngeren Filmschaffenden,
mit denen ich zu tun habe, sind etliche starke Frauen. Ich selbst hatte den
Vorteil, stets von intelligenten Leuten
umgeben zu sein, egal, ob Mann oder
Frau. Was zählte, war das Resultat. Natürlich ist Filmproduktion ein 100%-Job,
der kein Jonglieren mit weiteren Tätigkeiten zulässt. Ich bewundere Frauen,
die sich daneben noch um eine Familie kümmern.
Wie halten Sie es mit dem Luxus?
Mischen Sie sich auch mal ein?
Ich bin ein absoluter Genussmensch.
Ich liebe es, in der Natur zu sein, zu essen, zu wellnessen. Leider habe ich immer zu wenig Zeit, und bei den schönen
Dingen des Lebens vergeht sie ja besonders schnell. Beruflich empfinde ich es
als Luxus, mit Menschen lustvoll etwas
zu kreieren und nicht irgendwelche
Auftragsarbeiten erledigen zu müssen.
Selten. Aber wenn der Zeitplan kollabiert, werde ich nervös.
Haben Sie eine spirituelle Ader?
Zumindest eine sensitive Ader, die ich
regelmässig im Yoga auslebe. Und als
ehemalige Balletttänzerin liebe ich klassische Musik. Mein Kater ist übrigens
Chopin-Fan. Also hören wir oft zusammen, das beruhigt.
Sie sind in Paris geboren und
teilweise dort aufgewachsen.
Was verbindet Sie mit dem
französischsprachigen Raum?
Paris zieht mich immer wieder an, ich
fühle mich dort wie zu Hause. Beruflich
habe ich den Eindruck, dass sich die
französische Kultur nach aussen eher
weniger öffnet. Darum ist es noch nie
zu einer Koproduktion mit uns gekommen. Aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, das zu ändern.
Anne Walser, was ist für Sie
Glück?
Ambitioniert sein zu dürfen und
gleichzeitig zu schätzen, was man hat.
Erfüllung und Zufriedenheit, das ist
Glück.
Gibt es etwas, was Sie
besonders freut?
Wenn ein Plan aufgeht, wie kürzlich
im Fernsehfilm „Lina“, wo wir der erst
18-jährigen Schauspielerin Rabea Egg
die Hauptrolle anvertraut haben. Sie hat
ihren Job super gemacht und sogar den
Schweizer Fernsehfilmpreis gewonnen.
Ich finde, die junge Frau hat Starpotenzial. Das macht Freude.
Drehtage können schon mal
sechzehn Stunden und länger
dauern. Wie schafft man das?
Filmen ist eine Stresssituation, physisch
und psychisch. Nur wer sich wohlfühlt,
kann seine Rolle ausfüllen. Ich bin oft auf
dem Set und versuche, meinen Beitrag
für eine gelöste Stimmung zu leisten.
In der Aussenwahrnehmung
haftet dem Filmgeschäft immer
noch etwas Männerlastiges an.
Ist dem so?
Anne Walser ist seit 1999 für die Filmproduktion C-Films
mit Sitz in Zürich und Hamburg tätig. Seit 2007 ist sie mit
dem Produzenten Peter Reichenbach auch Inhaberin des
Unternehmens. C-Films bringt regelmässig künstlerisch
hochwertige, publikumswirksame Fernseh- und Kinofilme heraus.
Auf Koproduktionsbasis etwa den international besetzten
Welterfolg «Nachtzug nach Lissabon» (Regie Oscar-Preisträger
Bille August, mit Jeremy Irons, Charlotte Rampling, Christopher
Lee und Bruno Ganz) und «Youth», mit Stars wie Michael Caine
und Jane Fonda. Als Eigenproduktionen u. a. den aktuellen
Box-Office-Hit «Schellen-Ursli» (Regie: Oscar-Preisträger Xavier
Koller), «Der Goalie bin ig» nach dem Kultroman von Pedro Lenz
und «Grounding» über den Niedergang der Swissair. Zudem
hat Anne Walser «Die Akte Grüninger» über die humanitäre
Zivilcourage eines Schweizer Beamten produziert.
62
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
ohe, dichte grüne Wände
dämpfen die Stimmen
der auf den ganz nahen
und dennoch unsichtbaren Alleen wandelnden Menschen. Man taucht ein in ein
total grünes Universum. Geschützt von
den wuchtigen Kronen der bis zu sechs
Meter hohen Bambusse hat man grösste
Mühe, die Orientierung zu behalten. Es
ist eine echte Herausforderung, aus diesem acht Hektar grossen Bambusgarten
bei Fontanellato in der Nähe von Parma
herauszufinden.
H
Monument aus
lauter Bambus
______Das drei Kilometer umfassende
Wegenetz ist ausschliesslich mit Bambus bepflanzt. Insgesamt 200’000 Pflanzen in fünfzehn verschiedenen Arten
erwarten den entdeckungsfreudigen
« Labyrinthe und Gärten gehören zu den
ältesten Erfindungen der Menschheit »
italienischer
Verleger,
Kunstsammler
und besessener
Gartengestalter
Labirinto della
Masone,
www.labirintodifrancomariaricci.it
200 000
Pflanzen
verschiedener
Bambusarten
säumen die drei
Kilometer langen
Irrwege des
Labirinto della
Masone
Besucher. «Labyrinthe haben mich seit
jeher fasziniert. Sie und Gärten sind die
ältesten Erfindungen der Menschen.»
Der Irrgarten mit den schnurgeraden
Wegen wurde vom Gründer der renommierten Kunstzeitschrift FMR konzipiert und ist seit diesem Frühling auch
Sitz seiner Stiftung.
______Die Idee des eigenen Labyrinths
stammt aus der Zeit seiner Spaziergänge
mit seinem langjährigen Freund, dem
argentinischen Schriftsteller Jorge Louis
Borges, der ebenfalls von dieser Allegorie der Reise ins Innere des Menschen
fasziniert war. Hinzu kommt, dass Franco Maria Ricci schon immer eine grosse
Passion für den eleganten und schnell
wachsenden Bambus hegte.
Wie zur Belohnung stösst der Besucher
im Herzen der Anlage auf die kostbare
Kollektion mit Gemälden, Skulpturen
und modernen Kunstobjekten, die der
Sammler Ricci im Laufe der Jahre zusammengetragen hat. Zu bewundern
sind auch sämtliche Bücher, die der
Verleger Ricci herausgegeben hat. Es ist
ein origineller, ambitionierter Ort, ganz
nach dem Credo des Hausherrn: «Entweder man macht grosse Dinge oder
gar nichts.»
Carlo Vannini
Franco
Maria Ricci
Marco Campanini
PANORAMA
ARCHITEKTUR
In Sachen Besessenheit besitzt der italienische Verleger
und Kunstsammler Franco Maria Ricci eine seltene
Ausdauer. Die Idee eines eigenen Labyrinths beschäftigt
ihn seit mindestens zwanzig Jahren. Eintauchen in ein
grünes Paradies und in den weltweit grössten Irrgarten
in Grün. Sébastien Ladermann
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Citations
63
64
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
PANORAMA
ACHITEKTUR
Der weltweit gefragte grosse Schweizer Architekt ist
aktiver denn je. Patricia Lunghi
Mario Botta über
Architektur
und Erinnerung
r hat unter anderem das Tinguely-Museum in Basel gebaut, das Centre Dürrenmatt
in Neuenburg, das Modern
Art Museum in San Francisco, das Campari-Haus in Mailand und
die Kathedrale von Évry. Und gerade
hat er verschiedene Projekte in Arbeit.
In der Schweiz, aber auch in China. Entgegen unserer schnelllebigen Zeit hat
Mario Botta den Wunsch, der Nachwelt
Bleibendes zu hinterlassen.
Mario Botta, haben Sie
als über 70-Jähriger nicht
gelegentlich den Wunsch, eine
etwas langsamere Gangart
einzuschalten?
Im Gegenteil. Ich begann als 15-Jähriger
zu arbeiten, ich arbeite seit 55 Jahren
und möchte es bis 100 oder 120 tun. Architekten leben lang. Zwar sind sie sich
dessen nicht bewusst, aber sie möchten
ewig leben. Ich habe immer sehr viel gearbeitet. Arbeiten ist meine grosse Passion. Bin ich krank, gehe ich ins Büro
und bin wieder in Form. Probleme zu
lösen, Ideen zu finden – das ist für mich
das Nirwana. Die meisten Projekte habe
ich jedoch im Bett entwickelt. Ich liebe
den Schlaf, schlafe täglich zehn Stunden
und finde so oft meine Inspiration.
Formen und Materialien machen
Ihren Stil unverkennbar. Haben
Sie eine bestimmte Obsession?
Wie die Wissenschaftler ihr ganz spezifisches Terrain besetzen, liebe ich es,
Sprachen zu kultivieren, zu denen ich
ganz spezifische Affinitäten habe. Ich
würde nicht von Obsessionen reden,
sondern von Sprachen. Man spricht
von musikalischer oder piktoraler Sprache, etwa bei Klee oder Picasso. Ob er
die «Demoiselles d’Avignon» oder erotische Zeichnungen kreierte, es war immer der gleiche Strich, auch wenn Picasso verschiedene Dinge zeichnete.
Man kann dem nicht entgehen, diese
Sprache befindet sich eher im Stift als
im Kopf. Analog zu einem Instrument
im Dienste einer Geschichte. Manchmal
Enrico Cano
Beat Pfändler
E
versuche ich, etwas anderes zu machen,
aber ich finde nur dann meinen Frieden, wenn ich zu meiner eigenen Signatur zurückkehre. Man darf aber Zeichen nicht überwerten, denn mit dem
gleichen Zeichen kann man Gutes, aber
auch Schlechtes kreieren. Zeichen, oder
eben Sprachen, sind keine Werte, sondern ein Instrument. Konkret bedeutet
dies, dass ich viel lieber mit natürlichen
Materialien arbeite. Glas, Backstein, Naturstein haben für mich eine viel stärkere Präsenz und Ausdruckskraft als
Aluminium oder industriell fabrizierte
Elemente. Um die Reaktion der Materialien besser zu verstehen, muss man
sie einander gegenüberstellen, sie miteinander konfrontieren. Bei den natürlichen Materialien liebe ich geometrische
Hauptsitz Campari
in Sesto San
Giovanni in Italien
(2007 und 2009)
65
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
« Man muss seine eigene Sprache
kultivieren, um Dinge immer
wieder auf eine neue Art zu sagen. »
Formen, bei undefinierten Elementen
die Präzision. Es geht um das Spiel der
Ausgewogenheit von Formen, Massen,
Linien, von Leere und Fülle.
Um auf die Obsessionen zurückzukommen: Jeder Mensch besitzt sein eigenes
Vokabular. Es zu vertiefen, bedeutet, es
besser zu verstehen. Es auszuloten,
ist unendlich und kann oft zu überra-
schenden Resultaten führen. Man muss
seine eigene Sprache kultivieren, um
Dinge immer wieder auf eine neue Art
zu sagen.
Ökologie ist Ihnen ein Anliegen.
Wie kann man heute in der
Architektur ethisch und
ökologisch sein?
Ich mag diese Allerweltswörter nicht
sehr. Es ist zwar wichtig, von Ethik
und Ökologie zu sprechen, aber
diese Begriffe sind zu Passepartouts
geworden, eine Form, um einen
Konsens zu erlangen. Für mich
bedeutet Architektur, ein Haus für
Menschen zu bauen. Oder wie Walter
Benjamin sagte: «Der ethische Wert
eines Wandbildes ist sein piktoraler
Wert, und der ethische Wert eines
architektonisches Werkes ist sein
architektonischer Wert.» Wenn jeder
seine Arbeit gut macht, ist dies die
beste Art, ethisch zu sein. Davon bin ich
überzeugt. Man kann die Probleme der
Welt nicht mit Architektur lösen. Man
glaubte dies in den Sechzigerjahren,
auch ich dachte damals so. Heute weiss
66
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
ich, dass man mit Architektur nur die
Architektur ändern kann; jeder von uns
in dem Bereich, den er beherrscht.
Erinnerung ist für Sie ein
wichtiges Element. Was
bedeutet sie?
Der Mensch existiert, weil er sich erinnert, das Gedächtnis ist eine Form der
Gegenwart. Ich will die Vergangenheit
nicht vergessen, denn sie ist Teil meiner
Kultur und meines Lebens. Wir leben in
einer Welt der extremen Komplexität
und Schnelligkeit. Beide Aspekte sind
Wie denken Sie über die
zeitgenössische Architektur?
Ich bin sehr kritisch, denn ich finde, Architektur darf nie selbstbezogen sein.
Die Arbeit des Architekten besteht darin, einen natürlichen Ort in einen künstlichen zu verwanden. Die Natur zu verändern, birgt eine Verantwortung, die
über die Aktion hinausgeht. Architektur
schafft nicht nur ein Objekt, sondern einen räumlichen Bezug zwischen Objekt,
Mensch und Kontext. Die heutige Architektur legt den Hauptakzent auf das
Objekt, dabei geht es um das Bebauen
« Bauten von heute leben ein halbes
Jahrhundert, während die Pyramiden
seit Ewigkeiten bestehen!»
Urs Homberger
TschuggenBad «Bergoase»
in Arosa
direkt proportional zum Vergessen: Je
schneller man vorwärtsgeht, desto mehr
braucht man ein Gedächtnis, denn alles gerät schnell in Vergessenheit. Das ist
schlimm. Architektur hingegen überdauert die Lebenszeit des Menschen. Meine Arbeit wird für künftige Generationen Zeugnis unserer heutigen Bauweise
sein. So, wie wir die Zeugen der Vergangenheit geerbt haben. Für mich ist unser Metier überaus verpflichtend und
ethisch, es besitzt den Wert eines Zeugnisses, denn jede Form von Architektur
ist ein Spiegel der Gesellschaft.
67
von öffentlichem Grund. Darin liegt die
grosse Verantwortung der Architekten.
Wie ist Ihre Beziehung zur
Schweiz?
Pino Musi
Ich hatte nie viele Projekte in der
Schweiz, arbeitete hier vor allem für
Private. Man beobachtet mich hier mit
Misstrauen. Aber das ist nicht weiter erstaunlich. Als ich 1965 Giacometti traf,
hatte die offizielle Schweiz noch kein
einziges Werk von ihm erworben, nicht
mal eine Lithografie. Zurzeit bin ich mit
dem Thermalbad von Baden und dem
Restaurant auf dem Monte Generoso beschäftigt, das wie eine Steinblume aus
dem Berg herausragen wird. Es ist ein
seltsames Metier, denn es ist nicht der
Architekt, der ein Projekt auswählt, sondern er wird von jemandem ausgewählt.
Ähnlich wie bei den Schauspielern. Und
es ist immer wieder ein Wunder, weshalb die Wahl auf einen fällt.
Museum of
Modern Art
San Fransisco
(1992-1995)
Wie arbeiten Sie?
GEO, Bottas Kristallarchitektur für Lalique
Karine Faby
Wir sind im Moment 24 Personen, ohne
die Administration. Ich habe keinen eigenen Arbeitsplatz, sondern verfolge alle Projekte, gehe von morgens bis
abends von einem Posten zum andern.
Da korrigiere ich mit dem Stift. Ich arbeite nicht am Computer, dies tun meine
Mitarbeiter. Ich zeichne alles von Hand.
Feuer und Sand sind die Basiselemente dieser Kristallvase. Mario Botta, fasziniert von
der handwerklichen Glasherstellung von Lalique im elsässischen Wingen-sur-Moder,
hat eine wie ein Diamant facettierte Skulptur gestaltet. Er wandte dafür das uralte
Modellausschmelz-Verfahren an, bei dem reines Kristall in eine Form gegossen wird.
Geo «terre» gibt es in zwei Grössen und drei Farben, in limitierter Edition.
Was wird die Architektur
kommenden Generationen
hinterlassen?
Enrico Cano
Kellerei Château
Faugères (2009)
Philippe Caumes
Die zeitgenössische Kultur ist prekär, die
heutigen Bauten werden nicht dauern.
Was hinterlassen wir also der Nachwelt?
Vielleicht einige Museen, Kirchen, öffentliche Gebäude, so sie gut gebaut sind. Die
heutigen Materialien und die schnelle
Bauweise sind überaus fragil, der Urbanismus der Zukunft wird das Demolieren und das Rekonstruieren sein, genau
das Gegenteil von dem also, was wir bis
heute gemacht haben. Wenn Sie sich umschauen, entdecken Sie lauter schnell gebaute Objekte, die in vierzig bis fünfzig
Jahren abbruchreif sind. Wer sich heute
ausserhalb dieser Konsumlogik bewegt,
macht sich verdächtig. Für eines meiner
grossen, gegenwärtigen Projekte in China
musste ich eine Klausel unterschreiben,
die garantiert, dass meine Bauten eine
Lebensdauer von fünfzig Jahren haben.
Es ist frustrierend zu denken, dass in einem halben Jahrhundert diese Gebäude
abgebrochen werden, während die Pyramiden seit Ewigkeiten bestehen.
Kirche Santo Volto,
Turin (2001-2006)
68
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Unwiderstehlich Jazz
a, tata,tata, boum, bang, pow,
wizz... Die Pariser Jazzszene ist quicklebendig wie eh
und je, animiert die Nächte entlang der Seine, sorgt
für den ganz speziellen Swing, manchmal happy, manchmal slow. Es ist keine
erstarrte Musik, sie war es nicht in den
Fünfzigerjahren und ist es auch heute
nicht in den Kellern von Saint-Germaindes-Prés. «Diese Musik ist frei», sagt die
25-jährige Agathe Iracema, Frontfrau ihres Quartetts. Swing, Soul, Gypsy Music
– Jazz ist offen für andere Stile, nimmt
sie auf und emanzipiert sich von ihnen. Jazz ist unwiderstehlich und immer neu. Eine aufregende Nacht in Paris.
T
______18.30 Uhr. Rue des Petites Écuries, Paris 10e. Schnell eine Zigarette vor
der mit Programmzetteln überklebten
Tür. Das Schild New Morning leuchtet
am frühen Abend noch nicht wirklich
hell, aber hinter der Stahltür sind bereits
Laurent Monlau
MUSIK
ERLEBEN
Der Pariser Jazz ist nicht tot, er hat bloss das Ufer
gewechselt. Dies erleben wir mit Agathe Iracema, dem
aufsteigenden Stern am zeitgenössischen Jazz-Himmel.
Die Tour führt vom nächtlichen Saint-Germain-des-Prés
bis zum Sonnenaufgang im Châtelet. Souverän führt die
preisgekrönte Künstlerin ihr Agathe Jazz Quartet. Und
uns durch die Pariser Jazzclubszene. Die Metropole ist
seit den Fifties Destination der berühmtesten Sidemen
Amerikas. Emilie Cailleux
69
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
«Ich liebe es auch, in noblen Sälen,
Opernhäusern und Theatern
aufzutreten.»
Jazzklänge von Omar, dem Soulpropheten aus England, und seinen fünf Musikern zu hören. «Je mehr Bässe, desto
kleiner der Nachhall.» Im rot gestrichenen Club, dessen erster Ableger in Genf
in den Siebzigerjahren eröffnet wurde,
nehmen die Schwingungen Besitz von
der grazilen Gestalt unserer Begleiterin.
Die Sängerin ist hier zu Hause. «Hier präsentierte ich letzten März mein erstes
Album Feeling Alive», erzählt sie unter
dem Porträt von Elvin Jones. Keith Anderson, Barry Harris, Lou Donaldson,
Miles Davis… der Ruhm des «New», wie
Eingeweihte das Lokal nennen, gründet
auf seiner Offenheit, auch neue Talente
auf der Bühne auftreten zu lassen, auf
der schon die Grossen der Jazzmusik
gespielt haben, Fred Wesley, Nina Attal und Agathe, die das New Morning
seit ihrer frühesten Kindheit kennt.
«Mein Vater war Musiker, als Kleinkind
schlief ich oft in den Clubs.» Seither ist
das für seine Akustik und das vielseiti-
Agathe Iracema
ge Programm renommierte Haus eine
Art zweite Heimat geworden. Für die
Künstlerin mit französisch-brasilianischen Wurzeln ist Jazz eine sich stets
verändernde Musik. Und sie weiss, wo
sie gespielt wird.
______Unsere Nacht in Paris steht ganz
im Zeichen des Jazz. Schon das Fastfood-Lokal, wo wir einen Burger essen,
ist mit zwar wenig passenden Porträts
von Billie Holiday und Miles Davis geschmückt. Die Sängerin spricht von
ihrer Bühnenerfahrung mit dem Agathe
Le Trianon,
boulevard de
Rochechouart
80, Paris XVIIIe,
letrianon.fr
Jazz Quartet. «Ich liebe es, in grossen Sälen, Opernhäusern und Theatern aufzutreten. Auch sehr noble Orte eigenen
sich für den Auftritt.» Zum Beweis führt sie uns ins ehrwürdige Théâtre Trianon, wo jazzig dröhnende Bässe, Schlagzeug und die vibrierende Stimme des
Crooner Hugh Coltman zu hören sind.
Das Haus organisiert regelmässig Jazzkonzerte. Es ist 21.30 Uhr, das Publikum
im prunkvoll vergoldeten Saal sitzt auf
karminroten Sesseln und applaudiert
dem Musiker im schwarzen Anzug mit
der dunklen Krawatte noch eher verhal-
70
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Le Trianon
«Swing, Soul, Gypsy Music –
Jazz nimmt andere Stile auf und
emanzipiert sich wieder von ihnen.»
Agathe Iracema
fon, Gitarre, Schlagzeug… Immer mehr
Musiker kommen auf die Bühne, das
Publikum ist immer zahlreicher. Ganz
in der Nähe befinden sich das Quartier
Saint-Germain-des-Prés, die Universitäten, man denkt an Sartre, Beauvoir,
Vian und Modigliani, an die Zeit, als
Existentialismus Humanismus bedeutete. «Die Nostalgie der Fünfzigerjahre
ist ein bisschen Schaumschlägerei. Natürlich waren dies die goldenen Jahre
des Pariser Jazz. Aber Jazz war damals
prägend, weil die Musik eng mit den intellektuellen und kulturellen Strömun-
gen verbunden war», erklärt die Künstlerin. Heute ist die Adresse Teil des Paris
Jazz Club, einem Verein, der diese Musik
im Raum Paris fördern und demokratisieren will.
An der Rue des Lombards, wo wir weniger in die Keller, sondern in die oberen Etagen steigen, reihen sich die Jazzclubs Tür an Tür. Midnight in Paris, das
Ambiente ist elektrisch. Im Baiser Salé,
Hausnummer 58, hat Agathe ihr erstes
Konzert gegeben. Hier treten viele junge Künstler auf, die anschliessend weiterziehen zum benachbarten Sunset/
Laurent Monlaü
ten. Die Akustik ist hervorragend, der
Kontakt zwischen Sänger und Publikum
natürlich nicht wie in einem kleinen
Jazzlokal. Coltmans Vortrag strebt dem
Höhepunkt zu, ein Schlüsselmoment
seiner Stimme, seiner Musiker und des
Publikums. Noch während des Stücks
wird heftig geklatscht. Jazz ist eben
doch nicht Oper.
Wechsel des Arrondissement, Wechsel der Ambiance. Jazz gibt es im Caveau des Oubliettes, 52, rue Galande.
Der Keller ist seit den Achtzigerjahren
ein veritables Labor für berühmte Sidemen und unbekannte Talente. Um diese
Höhle der Musik zu betreten, gilt es den
Kopf einzuziehen und die Ellbogen zu
aktivieren. «Jazz ist nicht intellektuell,
er spricht den Kopf an und die Gefühle», meint Agathe. Was man in diesem
kleinen Lokal (Gratiseintritt!) besonders intensiv spürt. In den Tiefen von
Saint-Michel bewegt man sich Körper an
Körper zum Jam-Rhythmus. Orgel, Saxo-
71
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Le Caveau-desOubliettes, rue
Galande 52, Paris
Ve, lecaveaudesoubliettes.wordpress.
com
«Feeling Alive»,
das erste Album
des Agathe Jazz
Quartet, erschien
2015 beim Label
Neuklang.
Duc-des-Lombards,
rue des Lombards
42, Paris I,
ducdeslombards.com
Sunside oder zum renommierten Duc
des Lombards, Nummer 42. Das in den
Achtzigerjahren eröffnete Lokal ist chic
und Treffpunkt eines etwas älteren Publikums. «Wer im Duc spielt, ist schon
eine gewisse Célébrité», erklärt Insiderin
Agathe. Zwischen den Tischen jonglieren die makellos in weisses Hemd mit
schwarzem Gilet gekleideten Serveurs,
mit einem Glas in der Hand plaudert
man über Ibrahim Maalouf, man kennt
sich, Küsschen hier und Küsschen
dort. Auf der Bühne präsentiert sich
der Trompeter Nicolas Folmer, der an
Agathes Album Feeling Alive mitgewirkt
hat. Musiker mit ihrem Instrument unter dem Arm treffen ein, hören zu, animieren sich gegenseitig zur Teilnahme
an der Duc’s session. Spät in der Nacht
wird auch Agathe zum Mikrophon greifen. Mit ihrer weichen, leicht rauchigen
Stimme lässt sie unter der kalten, weissen Beleuchtung des Duc ihre Blue Notes swingen.
JAZZIG IN DER SCHWEIZ UNTERWEGS
The Birds Eye Jazz Club
Le Baiser-Salé,
rue des Lombards
58, Paris I,
lebaisersale.com
Kohlenberg 20, Basel
Für Kenner ist dies einer der besten
Jazzclubs Europas. Musiker und Publikum
schätzen die hervorragende Akustik, die
Intimität des Lokals und das erstklassige
Programm, das sowohl renommierte
Künstler als auch junge, lokale Musiker ins
Rampenlicht stellt.
Marians Jazzroom
Sunset/Sunside,
rue des Lombards
60, Paris Ier,
sunset-sunside.com
New Morning,
rue des PetitesEcuries, Paris Xe,
newmorning.com
Engestrasse 54, Bern
Blue Notes und Ohrenschmaus – Marians
Jazzroom empfängt Stars von Jazz und
Blues von Dienstag bis Samstag und ist
fester Bestandteil des Internationalen
Jazzfestivals Bern (12. März bis 21. Mai).
Chorus
avenue Mon-Repos 3, Lausanne
Jazz im intimen Keller. Oft überaus attraktives Programm.
Bee-Flat
Zähringerstrasse 28, Bern
Das spannende Programm favorisiert
zeitgenössischen Jazz. Elektronischer
Rhythmus und Klänge, Musik aus aller
Welt, avantgardistische Elemente – Jazz,
den man normalerweise so nicht zu hören
bekommt.
Widder Bar
Widdergasse 6, Zürich
Lederfauteuils, cosy Ambiente, gedämpftes Licht. In der wunderschönen Bar im
Herzen der Altstadt treten renommierte
Jazzmusiker auf.
Le Sud des Alpes
10 rue des Alpes, Genève
Der Verein zur Förderung der Musique
improvisée (AMR) und das Musikzentrum
laden zu Konzerten und Jamsessions.
Kenner sind begeistert.
72
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
MODE
ERLEBEN
Mode interessiert die Männer oft nicht
gross. Sie wollen nichts Überflüssiges und
keinen Firlefanz. Diese Saison könnten
sie sich aber sogar für modische Finessen
begeistern lassen. Kleine Details machen
den grossen Unterschied. Sarah Jollien-Fardel
Detailverliebt
ännermode kommt
gerne bequem daher,
ist selten von Trends
abhängig und nicht
bereits nach einer
Saison out. Modische Eintagsfliegen findet man in der Herrenbekleidung nur
selten, denn Männer wollen in sichere
Werte investieren. Die Materialien sollen schön und hochwertig sein, die Proportionen passen und der Schnitt perfekt sitzen. Die Kehrseite der Medaille?
Der Look wirkt etwas langweilig, wenn
nicht gar wie ein Déjà-vu. Natürlich ist
das immer noch besser als Pullover in
grellen Farben und mit zweifelhaften
Logos verzierte Sweatshirts oder Hemden. Aber wie kann man etwas Spannung in einen schon fast asketisch
wirkenden Kleiderstil bringen und ein
klares und elegantes, aber doch etwas
alltägliches Outfit aufpeppen? Indem
man mit subtilen Details arbeitet, die für
das ungeübte Auge praktisch unsichtbar, für den Modekenner aber ein unübersehbares Statement sind. Es lohnt
sich, den Versuch zu wagen, denn plötzlich kann man nicht mehr ohne.
Dior – Foto: Sylvie Roche
M
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
73
74
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Ein Foulard
Officine Generale
Ein Mann mit einem Foulard um den Hals sieht
fantastisch aus. Und mit Foulard ist nicht ein
mehrfach um den Hals gewickelter Baumwollschal gemeint, sondern ein quadratisches
Tuch oder ein kleiner Seidenschal von Hermès.
Foulards waren erst populär, dann chic und
schliesslich trendy. Kurz und gut, sie haben
schon tausend Leben gelebt und werden immer wieder neu interpretiert. Diesen Frühling
(und auch für die nächste, die übernächste
und wahrscheinlich die darauffolgende Saison)
darf es praktisch mit allem getragen werden:
Auf die typisch englische Art mit einem T-Shirt
oder einem Hemd wie bei Margaret Howell. Ein
um den Hals geknöpftes Stück Seide (sie darf
nicht glänzen!) oder hochwertiger Baumwolle
lässt sich mit jedem Outfit und zu jedem
Anlass tragen. Ist das Foulard vielleicht sogar
die neue Krawatte? Nein, denn eine Krawatte
ist zweckmässig. Ein Foulard ist eine Entscheidung. Die Entscheidung, nicht aussehen zu
wollen wie jedermann.
Officine Generale
Subtilität
Ein Farbtupfer, der auffällt, ohne grell zu
wirken. Auf dem Aufschlag eines Blazers
oder als Futter einer dunklen Jacke. Eine
orangefarbene Borte an einem blauen Poloshirt. Babyblaue Socken. Ein Parkafutter
in Camouflagemuster. Eine Farbschattierung, ein Knopf, ein Gürtel, Slipper anstelle
von Sandalen. Es sind diese subtilen
Details, die einem Outfit Pfiff und Charme
verleihen. Männer, die verstehen, dass es
für das perfekte Resultat das gewisse Etwas braucht, sind am interessantesten. Wie
es scheint, nicht nur im Kleidungsstil.
Karos
Fotos : Sylvie Roche
Dior
Dior
Officine Generale
Verschiedene miteinander kombinierte Karomuster können tatsächlich gut aussehen. Aber
nur unter gewissen Umständen. Ein Beispiel,
wie man es auf keinen Fall machen sollte? Wir
erinnern uns noch allzu gut, als Bill Murray 2012
in Cannes einen Anzug und ein Hemd mit verschiedenen Karomustern trug. Für Avantgardisten und Modekenner war das zwar mutig, aber
ausserhalb der Künstlerszene wohl kaum tragbar. Wir sprechen hier von feinen, weissen Linien
auf einem Kurzmantel oder einem marineblauen
Blazer, wie zum Beispiel bei Dior Homme. Oder
von einem Rautenmuster auf einem Pullunder
oder auf einer Hose. Klingt etwas flippig, sieht
aber umwerfend aus.
75
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
MODE
ERLEBEN
Wie kann man im bereits gesättigten Sportswear-Sektor
überhaupt noch Fuss fassen? Neue Schweizer Marken
scheinen die Antwort gefunden zu haben und zielen auf
den Luxusmarkt. Jorge S.B. Guerreiro
100% Baumwolle
Gabardine oder
100% Merino
Wolle: noble Materialien für extreme
Bedingungen
Schweizer Sportswear setzt auf faire
Technologien
wei Marken wollen sich
von der Masse abheben,
indem sie auf innovative
Technologien setzen. Paradoxerweise ist dabei der
erste Schritt die Suche nach natürlichen
Rohstoffen in herausragender Qualität.
Da die Bekleidung nicht nur bei sportlichen Aktivitäten tragbar sein soll, bedarf es aber auch eleganter Schnitte und
schlichter Farben.
Z
Die Marke Mover stammt ursprünglich
aus Schweden und wurde auch von der
königlichen Familie gerne getragen. Nach
der Übernahme durch Nicolas Rochat
fand sie in Lausanne eine neue Heimat
und hat, dank neuer Forschungserkenntnisse und technischer Entwicklungen,
die Outdoor-Bekleidung revolutioniert.
Der ethische Aspekt wurde dabei aber
nie aus den Augen verloren, und nach
wie vor werden lokale Ressourcen bevorzugt. Erst kürzlich hat Mover den
ISPO Award erhalten, der von einer internationalen Jury aus Fachleuten für
die innovativsten Neuheiten der Sportbranche verliehen wird. Ausgezeichnet
wurde der Cotton-Wool-Anorak, eine
Übergangsjacke aus zwei praktisch
vollständig biologisch abbaubaren Lagen. Für das Aussenmaterial aus 100%
Baumwollgabardine hat der Zürcher
Lieferant von Mover eine hochverdichtet gewebte Baumwolle, die während
des Zweiten Weltkriegs in England für
die Piloten der Royal Air Force entwickelt wurde, neu produziert. Auch das
Haus Burberry verwendet diese Webtechnik heute wieder. Die Aussennähte der Jacke sind vollständig verschweisst, das Futter besteht zu 100%
aus Merinowolle, sodass sie nicht nur
leicht und atmungsaktiv ist, sondern
76
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
auch technische Eigenschaften garantiert, die nicht mit denen von Produkten aus synthetischen Materialien vergleichbar sind. Als Wärmeisolation hat
Mover eine wattierte Zwischenschicht
aus der Wolle von Alpakas entwickelt,
die in den Schweizer Alpen gezüchtet
werden. Das Know-how von Mover hat
die Luxusmarke Ermenegildo Zegna
derart überzeugt, dass sie sich für ihre
Winterkollektion TechMerino beraten
liess. Im Gegenzug haben die Schweizer
Zugang zu den Kunden und den eleganten Schnitten der Schneider des italienischen Modehauses und können so
den ästhetischen Aspekt ihrer Produkte
verbessern. Die Jacken von Mover bestechen nicht von ungefähr durch ihren
sportlich-urbanen Schick.
______«Running couture» als neuer
Modetrend? Darauf setzt die Marke Emyun, die 2015 von Rodolphe Huynh und
Salvatore Mandra gegründet wurde. Inspiriert wurde Salvatore während einer
Geschäftsreise im Ausland. Auf dem
Weg vom hoteleigenen Fitnessraum in
sein Zimmer fand er sich schwitzend
und in einem unförmigen Trainingsoutfit neben vier Geschäftsleuten im
Die Superfine
Merino C ompAct3
bietet
15%
mehr Widerstandsfähigkeit
30%
zusätzliche
Elastizität
20%
mehr
Geschmeidigkeit
Der Cotton
Wool-Anorak
von Mover aus
zwei vollständig
aubbaubaren,
biologischen
Geweben
perfekt sitzenden Anzug im Lift wieder.
Diese unangenehme Situation machte
ihm bewusst, dass es den grossen Sportmarken an Eleganz mangelt. Daraufhin
entschloss er sich, diese Lücke zusammen mit seinem Geschäftspartner zu
füllen.
Ziel war die Produktion stilvoller
Sportbekleidung, die nicht nur bequem
und wärmeregulierend, sondern
auch modisch ist. Auf der Suche nach
einem Lieferanten für das von ihnen
gewünschte Material stiessen die
zwei Geschäftspartner schliesslich
auf Superfine Merino CompAct3 des
77
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Ziel war die Produktion stilvoller
Sportbekleidung, die nicht nur bequem
und wärmeregulierend, sondern
auch modisch ist.
Merinospezialisten Reda. Er deckt von
der eigenen Schafzucht bis zum Atelier
die gesamte Produktionskette ab. Das
Geheimnis der in Italien hergestellten
Merinowolle liegt in der innovativen
Webtechnik, die auf der Rotation der
Fäden beim Webvorgang basiert. Für die
Ausarbeitung der Schnitte hat Emyun
eine etablierte Stilistin angestellt
und setzt auf bewährte Details wie
verstärkte Schulterpartien für eine
bessere Passform und Zwickel unter
der Achsel für mehr Bewegungsfreiheit.
Um ihren Vorsprung auf die Konkurrenz
i Die Gründer
der Marke Emyum,
Rodolphe Huynh
und Salvatore
Mandra
nicht zu verlieren und die ungewöhnliche Positionierung von Sportbekleidung im Luxussegment zu festigen,
hat Emyun das Emyun Ideas Lab ins
Leben gerufen. Dank dieses Systems
können Kunden und Wiederverkäufer
ihre Erfahrungen weitergeben. Zu starkes Schwitzen nach einem 20-Kilometer-Lauf oder eine störende Naht an der
Schulter: Diese und andere Reaktionen
werden von Emyun im Hinblick auf die
kontinuierliche Verbesserung der Produkte gesammelt und ausgewertet. Ein
neuer Dresscode ist geboren!
78
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
REISEN
Im Herzen der Pampa
Das Geheimnis dieses Ortes liegt im ständigen und harmonischen
Wechselspiel zwischen Natur und Zivilisation, unübertroffener
Raffinesse und grandiosen Elementen, zwischen Ochsenblutrot
und Himmelblau, zwischen energiegeladenen Pferden und
einheimischer Kultur. Quentin Mouron
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
79
80
enf–Buenos Aires steht
auf der Boarding Card
der Air France. Ich denke unwillkürlich an Jorge Luis Borges, der lange
Zeit vor mir die gleiche Reise absolviert
hat, nur eben in die andere Richtung.
Das Argentinien des in Buenos Aires
geborenen und in der Calvinstadt gestorbenen berühmten Schriftstellers hat
mit unseren Bildern des Landes wenig
gemeinsam. Einsam gelegene Kapellen,
in Dämmerlicht getauchte Krankenzimmer, komplizierte Probleme, die das
menschliche Bewusstsein herausfordern. Dennoch – im realsten, ländlichsten Argentinien ist seine Person immer
wieder präsent, wie ein Leitmotiv. Und
oft auch in Verbindung mit Genf.
G
______Vom Flughafen Buenos Aires
führt die holprige Autobahn weg in eine
monotone Landschaft. Diese und die
unglaubliche Hitze entfalten eine mehr
einschläfernde als belebende Wirkung.
Würde diese Unendlichkeit nicht hie
und da von Pferden unterbrochen, der
Reisende wäre längst glücklich eingeschlummert. Aber, so denke ich, würde
Reisen lediglich bedeuten, von einem
angenehmen Zustand zum nächsten zu
wechseln, ginge der Sinn verloren, und
es wäre völlig überflüssig, sein komfortables Zuhause zu verlassen. Zwei Stunden später ist der Staub omnipräsent,
die grenzenlose Landschaft wirkt hart
und fast feindlich, die Strasse ruppig.
Mit einer gewissen Erleichterung lese
ich auf dem Wegweiser, dass es nicht
mehr weit ist bis zu «La Bamba de Areco». 1830 erbaut, hat diese Estancia eine
wechselvolle Geschichte. Seit 2010
könnte man das Landgut ohne Weiteres
die Verkörperung des Paradieses Argentinien bezeichnen. Schon die Aussenanlagen sind von unglaublicher Schönheit.
Eine imposante Platanenallee, minutiös
unterhaltene Pferdestallungen, Polofeld,
ochsenblutrot gestrichene Gebäude
im Kolonialstil. Alles atmet Grösse und
Weite, nicht die der tristen Autobahnen,
sondern diejenige, die Gänsehaut verursacht. Selbstverständlich entsprechen
auch die Räumlichkeiten ganz diesem
Standing. Luxuriöse Aufenthaltsräu-
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
me im Hauptgebäude, eine im Turm
versteckte Bibliothek, elf Gästezimmer,
die Pulperia, eine Art Schenke, mit dem
grossen Kamin, massive Möbel. Mit anderen Worten – hier lässt es sich sein,
hier lässt es sich träumen. Ich schliesse Bekanntschaft mit meinen Gastgebern Lucila und Guillermo. Mit Maria,
die mehr tut als nur das Verwalterpaar
zu unterstützen, mit Gaston, die Pubertät knapp hinter sich, und seinem ansteckenden, komplizenhaften Lachen. Und
schliesslich mit Küchenchef Federico,
der Fleisch, frisches Gemüse und Patisserien zubereitet. Noch ein bisschen
wackelig von der Reise, freue ich mich
über ein Glas Weisswein, die fleischgefüllten Empenadas und über mein Reitpferd. Der auf der Estancia arbeitende
Gaucho begleitet mich in die Pampa.
Die Müdigkeit ist schnell verflogen, die
dreizehn Stunden, die ich in der fliegenden Blechkiste verbracht habe, sind
schon fast vergessen. Unsere Pferde
gehen Seite an Seite, und ich entdecke
Das Grundstück
umfasst auch zwei
Polo-Felder und
viel Gelände für
Ausflüge zu Pferd.
Die Estancia
und ihre elf Zimmer und Suiten im
Herzen der Pampa.
81
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
die atemberaubende Umgebung. Wir
fallen in leichten Trab, überqueren
ein Bächlein, um uns herum nichts als
Gras, über uns der blaue Himmel. Der
Horizont erinnert an die Monochrome,
die trotz ihrer Monotonie die Sensibilität viel stärker ansprechen, als jeder
Renaissancemaler, Expressionist oder
zornige Vertreter des Fauvismus es
tun könnte. Argentinien, ich meine das
Argentinien der Pampa, bezieht seine
Kraft aus der Wucht dieser spektakulären Eintönigkeit. Beim Überqueren eines Gatters wechseln wir ein paar Worte,
dann herrscht wieder Schweigen. Wie
Das Argentinien der Pampa
bezieht seine Kraft aus der Wucht
dieser spektakulären Eintönigkeit
wäre es jetzt mit einem Galopp? Mein
Begleiter und Führer hat recht, wenn er
in mir die Anfängerin erkennt. Er sorgt
sich um sein Pferd – und zweifellos auch
um mich. Langsam geht die Sonne unter,
der Himmel färbt sich glühend rot, die
Schatten werden scharf und lang. Sie
sorgen für eine neue, träumerische, intensivere Dimension. Wir passieren das
grosse Portal der Estancia, in der Ferne
winken Maria, Gaston und Federico. Aus
dem Steinofen steigen Rauchschwaden.
Das zweite Willkommensglas Wein wird
serviert. Das Geheimnis dieses Ortes
82
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
liegt im ständigen und harmonischen
Wechselspiel zwischen Natur und Zivilisation, unübertroffener Raffinesse
und grandiosen Elementen, zwischen
Ochsenblutrot und Himmelblau, zwischen energiegeladenen Pferden und
einheimischer Kultur.
______Am Tag danach werde ich ins
Zentrum der argentinischen Kultur katapultiert. Im Städtchen San Antonio
de Areco findet die Fiesta de la Tradicion statt, ein jährlich durchgeführter
Event, an dem Tausende Gauchos teilnehmen. Ein Sonntag im Zeichen des
Feierns, des Jubels und des nationalen
Stolzes. Man erinnert sich an einen Text,
den der französische Romancier Maurice Barrès über Toledo geschrieben
hat: «Weniger eine mit Lärm und den
Bequemlichkeiten des Alltags gefüllte
Stadt, sondern vielmehr ein bedeutsamer Ort für die Seele.» Alles hat seinen
Sinn. Strenge Rituale, üppige Festkostü-
s La Pulperia war
im XVIII. Jahrhundert ein Pferdestall
Neubeginn Argentinien
Am 22. November vergangenen Jahres haben sich die Argentinier
vom Kirchnerismus verabschiedet und statt Daniel Scioli den Konservativen Mauricio Macri gewählt. Aber die Bevölkerung schwankt
zwischen Hoffnung und Angst. Sie sind hoffnungsvoll, denn Macri
steht für das Neue, für Dynamik, Unternehmertum, den Ausweg
aus der Sackgasse der Ära Kirchner. Sie sind aber auch beunruhigt,
denn der frühere Stadtpräsident von Buenos Aires hinterlässt einen
Nachgeschmack von Opportunismus und sozialer Ungerechtigkeit.
Oder wie es ein Taxichauffeur auf den Punkt brachte: «Ich mag
weder den einen noch den andern… Aber ich ziehe Macri vor, denn
er wird die Dinge bewegen.» Hoffentlich in die gute Richtung.
me, prachtvoll gekleidete Frauen, Männer mit Silbermesser im Gürtel, ängstlich lächelnde Kinder auf ihren Pferden.
Hände werden geschüttelt, ohne vom
Pferd abzusteigen. Ich sitze auf einer
Terrasse gleich neben dem Laden des
Messerschmieds Gustavo Stagnaro, eines der berühmtesten der Stadt, und
beobachte den Umzug. Ich bin in Gesellschaft von Einheimischen, auch einige
wenige Engländer und Deutsche sind dabei. Das verschlafene Städtchen, das wenig erfolgreich gegen den Staub und das
Vergessen ankämpft, ist heute voller Leben, unglaublich lärmig, pulsierend. Auf
dem grossen Platz, in der Kirche, in den
Boutiquen und den Cafés herrscht ein
unablässiges Kommen und Gehen. Zwei
Tage später, spätabends in Buenos Aires,
werde ich dieses gleiche elektrische Ambiente erleben. Heute aber sind es etwa
3000 Caballeros und Señoritas, die vorbeiziehen, Pferdehufe, die auf den Pflastersteinen einen ohrenbetäubenden
Lärm verursachen, der fast die Mauern
zum Zittern bringt. Man paradiert und
promeniert, man misst sich in Reit- und
Rodeowettbewerben, gönnt sich ab und
zu auf einer Terrasse eine Pause, geniesst
gegrilltes Fleisch, teilt sich ein Bier. Den
Mund voller Staub, den Kopf gefüllt mit
dem Lärm, den Freudenschreien, dem
Applaus, dem von Lautsprechern verstärkten Gebrüll, kehre ich die ruhige
Bamba zurück. Wieder geht die Sonne
unter, der Himmel färbt sich rot, die Schatten legen sich auf die roten Gebäude. Jasminduft, Vogelgesang. Dies alles wäre
Kitsch in Reinformat, wären da nicht die
unglaubliche Weite und Grösse, die Anla-
ge, wo das Poloteam trainiert, das diskrete
Kommen und Gehen von Maria, Veronica, Gaston. Später werde ich die Hauptstadt, die Stadt von Borgès, entdecken, wo
das Leben an jeder Strassenecke explodiert, wo der faszinierende Spektakel den
Besucher geradezu umwirft. Diese einzigartige Metropole Lateinamerikas wirkt
wie ein Fieber- oder Ekstaseschub. Aber
noch bin ich hier, geniesse dankbar die
Stille und mache zwischen zwei Eichen
ein erholsames Nickerchen.
ADRESSEN IN SAN ANTONIO DE ARECO
La Bamba de Areco
2760 San Antonio de Areco,
+54 2326 45-6293
www.labambadeareco.com
Gustavo Stagnaro, Silberschmied
Gustavo Stagnaro beliefert Gauchos und
Touristen mit traditionellem Silberschmuck
und Messern. Auf Wunsch kreiert er auch
gerne persönliche, weniger konventionelle
Stücke.
Matheu y Arellano, San Antonio de Areco
Zarza, Restaurant
Ein altes Gebäude, dicke, rote Backsteinmauern, eine einfache, gepflegte Küche.
Das ideale Lokal, um kulinarische Bekanntschaft mit San Antonio zu schliessen.
San Martin 361, San Antonio de Areco
Ricardo Güiraldes, Museum
Das Museum Güiraldes trägt den Namen
des berühmten Schriftstellers und Bürgers
von San Antonio. Eine veritable Goldmine,
um Einblick in das traditionelle Leben der
Gauchos und die Geschichte der Estancias
zu erhalten.
Ricardo Güiraldes, San Antonio de Areco
ADRESSEN IN BUENOS AIRES
El Million, Bar und Restaurant
Die langgestreckte Marmor-Bar ist
bekannt für ausgezeichnete Cocktails.
Ein Patio im Sommer, das Restaurant im
Erdgeschoss.
Parana 1048, Buenos Aires
La Brigada, Restaurant
Hervorragende Parilla, berühmt für das
zarte Fleisch und das elegante Ambiente.
Estados Unidos 465, Buenos Aires
Four Seasons, Hotel
Im Herzen von Buenos Aires, mit einzigartigem Service. In der Bar «Pony Line»
stehen die besten argentinischen Weine
im Rampenlicht, zu denen man köstliche
Empanadas geniesst.
1086/88 Posadas, Buenos Aires
83
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Neue Partnerschaft zwischen dem Club Med und
dem Cirque du Soleil: In Punta Cana können sich die
Gäste in den akrobatischen Disziplinen des weltweit
führenden Entertainment-Unternehmens aus Montréal
versuchen. Serge Guertchakoff
kulturell vielseitig und auf der ganzen
Welt vertreten. Alle unsere Gentils Circassiens träumen davon, später im Cirque du Soleil zu arbeiten.» Die involvierten Mitarbeiter wurden am Hauptsitz des
Cirque du Soleil in Montréal ausgebildet.
ERLEBEN
ABENTEUER
______«Für Creative haben wir enorm
Zirkuskünste
in der Sonne
ie echten Fans möchten
mit unseren Künstlern
auf Tuchfühlung gehen.
Bisher war das nicht möglich. Jetzt erhalten sie die
Möglichkeit, das, was sie in den Aufführungen des Cirque du Soleil gesehen haben, selbst zu erleben, ohne mehr dafür
zu bezahlen», erklärt Yasmine Khalil begeistert. Sie ist Präsidentin von 45 Degrees, der früheren Event-Abteilung
des Cirque du Soleil. Im Juni 2015 hat
der Club Med in Punta Cana den für die
Zirkusaktivitäten vorgesehenen Bereich
umgebaut. Seither prangt dort das farbenfrohe Logo Creative. Inzwischen ist
Creative eine eingetragene Marke, die
aus der Partnerschaft zwischen dem
D
weltweit führenden Entertainment-Anbieter und dem Pionier der All-Inclusive-Ferien entstanden ist. Yasmine Khalil: «Es handelt sich um ein Pilotprojekt.
Wir wollen das Konzept testen und es
dann anhand der Erkenntnisse und
der Rückmeldungen optimieren. Wir
planen, es auch anderen Orten umzusetzen und den jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen.»
«Es war uns ein echtes Bedürfnis, das
fliegende Trapez neu zu erfinden», sagt
Sabrina Cendral, Leiterin Marketing and
Digital North America im Club Med. «Das
Ganze ist aus einer Intuition heraus entstanden. Der Cirque du Soleil und der
Club Med haben viele Gemeinsamkeiten: Beide sind kreativ, künstlerisch tätig,
Kopfüber ins
Abenteuer:
Im Club Med von
Punta Cana kann
man Cirque du
Soleil spielen.
viel Zeit mit der Ausarbeitung von Trainingsprogrammen für unsere Feriengäste verbracht. Wir wollen keine Profis aus
ihnen machen, sondern dafür sorgen,
dass sie eine unvergessliche Erfahrung
machen.» Der Zirkusbereich ist in fünf
Zonen gegliedert: ein Acroplex für Vertikaltuch, Reifen, Wandtanz, Bungeeakrobatik, eine Piste für das Einradfahren,
das Stelzenlaufen und für Rhönräder,
ein Zelt für Devilsticks, Diabolo und
Jonglieren, ein Atelier für Trampolin,
Percussion, Theater und Clownschule und schliesslich ein grosses Trapez.
Wenn da keine neuen Zirkustalente entdeckt werden! Der Plan scheint jedenfalls aufzugehen. «Die Zahlen sind eindeutig: Unsere G.M. führen immer mehr
Gäste in die Zirkuskünste ein, und die
Nachfrage steigt stark», bestätigt Sabrina Cendral. Yasmine Khalil weist zudem
darauf hin, dass zu Demozwecken jeweils am Samstagabend eine rund vierzigminütige Show stattfindet. «Sie ist
eine Art Inszenierung von allem, was
bei Creative möglich ist, und wird von
Musik des Cirque du Soleil untermalt.
Wir bieten hier etwas, was es sonst nirgends gibt», so die Marketingchefin.
84
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
ERLEBEN
DUFTNOTIZEN
Sarah Jollien-Fardel
Diskret,
schick und
geistreich
EIN FILM
EIN BUCH
Shame von Steve McQueen
Beautiful People
von Alicia Drake
Hätte Chypre 21 eine Farbe, wäre
sie Blau-Grau und von hypnotisierender Schönheit, wie ein Grossteil
dieses ergreifenden Films.
Regisseur Steve McQueen ist ein
bildender Künstler der Moderne.
Sein Lieblingsdarsteller Michael
Fassbender verkörpert den Mann,
der seinen quälenden Schmerz
so gut wie möglich zu verbergen
sucht, so überzeugend, als wäre
es seine eigene Geschichte. Man
leidet förmlich mit dem sexsüchtigen Brandon. Der Film könnte
angesichts des Themas anrüchig
und lüstern sein. Aber er ist anspruchsvoll und überwältigend.
Die Journalistin Alicia Drake legt
mit diesem Buch ein sorgfältig und
minutiös recherchiertes Zeugnis
über Yves Saint Laurent und
Karl Lagerfeld ab. Sie schildert
die beiden Modepäpste in vielen
Anekdoten und bestimmt etwas
ausgeschmückten Fakten. Im
Vordergrund steht jedoch nicht
die Fashion-Welt, sondernd die
Verwegenheit und die Irrungen
und Wirrungen einer Epoche. Das
Buch ist kein Roman, liest sich
aber wie einer.
EIN ORT
EIN OBJEKT
Das Val d’Anniviers
Geschirr Astier de Villatte
Auf keinen Fall ein Palasthotel
oder ein Ort, an dem es um
«sehen und gesehen werden»
geht. Nichts Überkandideltes.
Ein Ort ohne Bombast, an dem
man einfach nur sein kann. Ein
einfaches Hotel zum Beispiel,
eine Wohnung oder ein Chalet
mit der genau richtigen Dosis
Komfort. Das schliesst natürliche
Eleganz jedoch nicht aus. Eine
Adresse? Alpes et Caetera in
Vercorin, acht «Mazots» mit
authentischem Walliser Charme.
Perfekt, um eine Auszeit zu
nehmen. www.alpesetc.ch
ames Heeley bleibt sich treu. Seine jüngste Schöpfung erweist sich als wie gewohnt schick, elegant,
unisex und unkonventionell. Sich auf die Düfte des Engländers einzulassen, bedeutet, sich in
eine Welt abseits der kommerziellen Parfümerie
vorzuwagen. Seine Kreationen sind wie er selbst: zart und geistreich. James Heeley ist ein Quereinsteiger in der Parfümerie,
die er meisterhaft beherrscht und auch respektiert. Er hat in
London Philosophie und Ästhetik studiert. Wahrscheinlich
sind deshalb jede Note und jeder Inhaltsstoff genauestens
abgewogen, bestens durchdacht und wunderbar subtil. Man
muss sich die Zeit nehmen, die Aromen auf sich wirken zu lassen, denn sie überfallen einen nicht, sondern verbinden sich
in einer be- und verstörenden Intimität mit der Haut. Auch
Chypre 21 (21 für das 21. Jahrhundert) gibt seinen Charakter
nicht auf Anhieb preis, sondern entfaltet je nach Träger ein
anderes Duftbild.
Alban Mathieu
J
Irgendwie wirkt das Pariser Haus
anachronistisch, wie aus einem
anderen Jahrhundert. In Wahrheit
ist es erst zwanzig Jahre jung.
Seine Gründer Ivan Pericoli und
Benoît Astier de Villatte sind keine
ausgefuchsten Marketingprofis,
sondern geistreiche Visionäre.
Ihre winzige Boutique an der
Rue Saint-Honoré gleicht einem
entstaubten Sammelsurium aus
alten französischen Zeiten. Die
ideale Höhle zum Stöbern mit
dem typischen Hauch Pariser Flair,
passend zum Duft des Briten.
85
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
David Huc
Die innovative Kosmetikmarke
aus Japan ist jetzt auch
in der Schweiz erhältlich.
Die Hyalogy-Linie enthält
eine niedrigmolekulare
Hyaluronsäure, die tiefer in
die Haut eindringen kann.
Der Peptidkomplex Hyalogy
B vermindert die Spannung
der Gesichtsmuskeln und
stärkt die Kollagenfasern.
Das Resultat nach 57 Tagen
Anwendung (ein paar Tropfen
genügen) ist ein bis um 96%
erhöhter Feuchtigkeitsgehalt.
Zusätzlich werden die
Mimikfalten um 40% geglättet.
Hyalogy B, 30 g, 200 Fr.,
exklusiv bei Bon Génie Grieder.
BEAUTY
W
Wenn die Haut Stress ausgesetzt ist, reagiert sie empfindlich.
Trockenheit, Talg oder Mitesser können die Folge sein und den Teint
verunreinigen. 2016 besinnen wir uns auf das Wesentliche: Wir
versorgen die Haut mit Feuchtigkeit. Cristina d’Agostino
ERLEBEN
eil die Haut mit der
Zeit immer weniger
Feuchtigkeit speichern kann, liegt es
im Trend, unterstützend Wasser zu trinken. Ob Mann oder
Frau, unsere urbane Lebensweise lässt
uns nur wenig Zeit, uns um die natürlichen Bedürfnisse der Haut zu kümmern. Ernährung, Sauerstoff, Wasser
und Ruhe kommen oft zu kurz. Wie können wir sie mit einem Frischekick versorgen? Indem wir morgens und abends
zu einem Tiegel greifen. Hier präsentieren wir Ihnen vier innovative Lösungen.
VALMONT
Durstige Haut
Die Schweizer Marke wurde vor zwanzig Jahren vom Unternehmer Didier Guillon gekauft. Sie
verwendete als Erste das patentierte Dreifach-DNS-System. Dieser Inhaltsstoff speichert das bis
zu 10’000-Fache seines Gewichts an Feuchtigkeit. 2016 legt Valmont ihre Feuchtigkeitsprodukte
neu auf und ergänzt die Palette mit der Moisturizing Serumulsion, einem Kombiprodukt aus Serum
und Fluid für Frauen und Männer. Es kann allein verwendet werden, spendet der Haut Feuchtigkeit
und sorgt für ein angenehmes Hautgefühl. Moisturizing Serumulsion, 30 ml, 153 Fr.
FORLLE’D
SHISEIDO
Die renommierte japanische Kosmetikgruppe will 2016 auf globalen
Expansionskurs gehen. Mit dem Hydro Master Gel lanciert sie speziell für
Männer ein feuchtigkeitsspendendes Produkt. In Kombination mit dem
exklusiven Damage Defense Complex von Shiseido Men verhilft die neue
Hydro-Master-Technologie der Haut dazu, ihre Feuchtigkeit zu regulieren.
Dieses nicht fettende Gel mit aromatischen Essenzen hält die Poren frei und
versorgt die Haut mit Feuchtigkeit.
LANCÔME
Schädliche Umwelteinflüsse
(UV-Strahlen, Luftverschmutzung,
Zigarettenrauch), Stress, und Müdigkeit
begünstigen entzündliche Reaktionen,
die den Hauterneuerungsprozess
beeinträchtigen. Als Gegenmittel hat
Lancôme ein kaltes Rosenextrakt
entwickelt, das intensiv regenerierend
wirkt und die Zeichen von Hautalterung
mildert. Es kommt erstmals in der
Absolue Precious Cells Crème Soyeuse
zu Anwendung und entfaltet seine
Wirkung in einer feinen, seidig weichen
Textur für ein sofortiges Wohlgefühl.
Absolue Precious Cells Crème Soyeuse,
50 ml, 273 Fr.
86
lucie & michèle
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
LU C I E M Ö C H T E E I N B U C H S C H R E I B E N
U N D M I C H È L E I M N ÄC H ST E N L E B E N
EIN MANN SEIN.
LESEN ANNABELLE.
D I E F R AU E N Z E I T S C H R I F T D E R S C H W E IZ. A M K I O S K. I M A B O N N E M E N T U N D O N L I N E: A N N A B E L L E .C H
87
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
NEWS
SAVOIR-FAIRE
Die Italo-Schweizerin Christine Nagel tritt die
Nachfolge des Meisterparfümeurs Jean-Claude Ellena
an. Bei Parfums Hermès tut sich damit ein neues
Kapitel auf. Sarah Jollien-Fardel
L
Die neue Nase
von Hermès
Christine Nagel,
erdverbunden,
sensibel,
kartesianisch
ausgebildet,
vifer Geist, die
Nase im Wind.
Eine spannende
Persönlichkeit, der
Hermès und JeanClaude Ellena die
Düfte unbesorgt
anvertrauen
können.
Benoit Teillet
uxushandwerk, grenzenlose Virtuosität. Hermès
produziert zwar schon
seit 1951 Parfum, beschäftigt aber erst seit 2004 einen eigenen Parfümeur. Jean-Claude
Ellena, Schöpfer der Hermès-Düfte, hatte die Challenge nur unter bestimmten
Bedingungen akzeptiert, nämlich keine
Konsumententests, keine Briefings. Mit
anderen Worten: Die Kreation eines Duftes kommt vor dem Marketing, Savoir-faire vor kommerziellen Vorgaben. Ein Luxus. Jetzt, zwölf Jahre später übergibt der
Meister das Zepter an Christine Nagel.
Über den Dächern von Paris, zwei Schritte
vom Palais Royal entfernt, lädt sie zum Gespräch. Die neue Nase von Hermès ist unkompliziert, italienisch-herzlich, schweizerisch-direkt (die Mutter ist Italienerin,
der Vater Schweizer). Ebenfalls anwesend
Jean-Claude Ellena, der mit seinem unnachahmlichen Lachen Fröhlichkeit verbreitet. Präsent, aber nicht dominierend,
wird er dem Haus als Berater erhalten
bleiben. Er stellt uns seinen letzten Duft
vor, den er, wie er augenzwinkernd sagt,
für sich selbst gemacht hat. Christine Nagel präsentiert ihr erstes Hermès-Cologne,
Eau de Rhubarbe Ecarlate. Die Genferin ist
eine starke Persönlichkeit, die die Einfachheit liebt. Wie die des Rhabarbers, den
sie als anregend empfindet. «Man findet
ihn in allen Gärten der Welt, jedermann
mag ihn. Ich mag, wie er sich ständig erneuert, immer wieder nachwächst.» Wie
fühlt man sich, wenn man Nachfolgerin
eines kompromisslosen Puristen wird?
«Ein riesiges Geschenk, denn Hermès ist
eine Schule», so die Parfümeuse. «Eine
Schule mit einmaligen Handwerksberufen, einem einzigartigen Know-how. Das
Haus beschäftigt sogar einen „Kosmetiker“
für Taschen.» Sie ist sich bewusst, dass sie
ein kostbares Erbe antritt, da ihrer Arbeit
keine Grenzen gesetzt sind. «Mein Auftrag
lautet kurz und bündig: Wagen Sie etwas!»
Ihre solide Ausbildung befähigt sie, Wünsche und Ambitionen auszuleben und
in aller Freiheit schöpferisch zu sein.
Nach dem wissenschaftlichen Studium
war sie neun Jahre für Firmenich und
elf Jahre für Créations Aromatiques aktiv. 1998 verliess sie die Schweiz, um in
Paris bei Quest zu arbeiten. Hier kreierte sie für kleine Kreise bestimmte Düfte,
aber auch Publikumsrenner – Eau von
Cartier, Si von Giorgio Armani, For Her
von Narcisso Rodriguez. Un certain été
à Livadia von Baccarat wurde 1999 als
bester Duft ausgezeichnet.
Hermès Eau de
Rhubarbe Ecarlate
von Christine
Nagel
88
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
AUTO
ERLEBEN
16 ist das Ergebnis von 4x4. Und die einzige
Multiplikation, die dieses Jahr die Autokonstrukteure
interessiert. Jorge S.B. Guerreiro
Allräder der
Luxusklasse
Der Bentayga von
Bentley: sportliche
Eigenschaften
trotz seiner XXL
Grösse
12
Zylinder im W12
Motor
608
Pferdestärken
900
Nm Beschleunigung
301
Km/h auf dem
Zähler
ie Zahl der angebotenen
SUV (Sport Utility Vehicles) wird sich 2016 vervielfachen, und zwar
auch im hochpreisigen
Segment. Bis in die Neunzigerjahre
lagen die Dinge ziemlich einfach. Im
4×4-Luxusbereich war der Range-Rover König, später stiessen Mercedes,
BMW, Audi usw. dazu. Das Publikum
war begeistert, für einige Marken bedeutete dies eine Renaissance. So konnte
Porsche dank dem Cayenne die Produktion verdoppeln. Gleichzeitig veränderte sich das Image dieser Kategorie
total. Es waren nun nicht mehr Grossgrundbesitzer, die im Geländewagen
D
über Wiesen und Felder kurvten. Heute
lenkt man vom Hochsitz aus das Auto
mit Allradantrieb durch die Stadt oder
zum Wintersportort; Grösse, Preis und
Markenlogo zeigen an, welchen sozialen Status der Lenker geniesst.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis
Autohersteller, die auf diesem Terrain
noch inaktiv waren, sich ein Stück vom
lukrativen Kuchen abschneiden wollten. Schlag auf Schlag präsentieren jetzt
drei Marken, die bisher in dieser Kategorie nicht von sich reden gemacht hatten, ihre allradangetriebenen Meisterwerke: Jaguar, Maserati und Bentley.
Beginnen wir mit dem «erschwinglichsten» Modell der drei Newcomer,
4,1
Sekunden
von 0 auf 100
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
89
Die 12 ZollLeichtmetallFelgen des
Jaguar F-Pace
sind ein stilvoller
Hingucker.
90
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Das Interieur
des Jaguar F-Pace
dem Jaguar F-Pace. Das Einstiegsmodell verfügt über einen 180 PS starken
Zweiliter-Dieselmotor und wird zu einem aggressiv günstigen Basispreis von
unter 50‘000 Fr. angeboten. Das Topmodell gibt es mit Dreiliter-Benzinmotor mit 380 PS, und es ist mit seinen
12-Zoll-Leichtmetallfelgen ein wahrer
Hingucker. Auch beim Interieur richtet Jaguar mit der grossen Kelle an: Ein
12,4-Zoll-Instrumentendisplay ersetzt
die herkömmlichen Anzeigen auf dem
Armaturenbrett, auf der Mittelkonsole
thront ein 10,2-Zoll-Touchscreen. Der Jaguar F-Pace kann seine Abstammung
nicht verleugnen, denn die Front übernimmt das mittlerweile bekannte Design der Limousine, während die Heckleuchten denen des wunderschönen
Coupé F-Type nachempfunden sind.
Man spürt, dass Jaguar keine Risiken
eingehen wollte und einen Look wählte, der Stammkunden nicht vertreibt.
Man hofft auf ein beträchtliches Ver-
kaufsvolumen. Dabei
ist das Zielpublikum
klar definiert, Jaguar
nennt denn auch als
direkten Konkurrenten den Porsche Macan.
Der grosse Chef Sergio
Marchionne war kategorisch: einen Ferrari-Geländewagen gibt es nicht. Also war es an Maserati, die Interessen der Fiat-Gruppe
in diesem Segment zu verteidigen. So
geschehen am Genfer Autosalon mit
der Präsentation des Levante. Damit
hat das Haus mit dem Dreizack endlich ein Projekt zum Abschluss gebracht, das 2011 mit dem Prototyp Kubang begonnen hatte, wobei sich das
Design des Neuen etwas unterscheidet. Ausser dem Einstiegsmodell, einem Dreiliter-Turbodiesel, gibt es
einen von Ferrari entwickelten Dreiliter-Twinturbo-Benziner mit 430 PS. Im
Basispreis von 85‘000 Fr. ist eine sehr
91
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
ansprechende Grundausstattung enthalten. Wer es noch exklusiver mag,
wird im umfangreichen Individualisierungsprogramm fündig. Wie Jaguar hat auch Maserati einen klaren Konkurrenten im Visier, in diesem Fall den
Porsche Cayenne.
______In jeder Beziehung nach oben
Der Maserati Levante:
Italienische Eleganz,
aufgepeppt mit angriffigem Design dank
veredelten Scheinwerfern und drei seitlichen
Belüftungskiemen.
strebt der Bentley Bentaiga. Der 2015
präsentierte Luxusgeländewagen positioniert sich klar hoch über seiner
Konkurrenz und nimmt für sich den
Titel des schnellsten SUV der Welt in
Anspruch. Schnell ist er in der Tat. Der
W12-Motor mit Zwölfzylinderkraft und
Twinturbos produziert 608 PS und 900
Nm. Das Kraftpaket mit Achtstufenautomatik ist in 4,1 Sekunden von null
auf hundert und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 301 km/h.
Entsprechend natürlich auch der Benzinverbrauch von 12,8 l auf 100 km (falls man vernünftig fährt) bei CO2-Emis-
sionen von 292g. Die Innenausstattung
ist selbstverständlich Bentley-like aristokratisch: kostbares Holz, handgestepptes, gepolstertes Leder, Chrom,
dicke Teppiche, Bildschirme auch für
die Passagiere im Fond, Internetverbindung, individuelle, heizbare, belüftete
Massagesitze und als Option ein exklusives Picknick-Set mit ChampagnerKristallgläsern, Silbergeschirr, kleinem
Kühlschrank und einem gepolstertes
Sitzbänkchen. Damit man auf dem Weg
nach St. Moritz unbesorgt einen Etappenhalt einschalten kann.
Zurzeit ist dieses Gefährt von Bentley absolut ohne Konkurrenz. Wenn
auch nicht für lange Zeit, denn schon
hat Lamborghini die Lancierung eines
SUV angekündigt (mit dem monströsen
LM002 ist die Marke mit dem Stier in
den Achtzigerjahren unvergesslich geblieben). Und die Gerüchte verdichten
sich, dass auch Rolls-Royce den Einzug
in die 4×4-Klasse plant.
92
LUXE FINANZ UND WIRTSCHAFT
Jorge S.B. Guerreiro
Kamera Nikon KeyMission 360
Digital
Streng genommen verlassen wir
die digitale Welt, denn hier handelt
es sich um eine Kamera. Mit der Nikon
KeyMisson 340 lassen sich aber aussergewöhnliche Inhalte für Smartphones und
Applikationen erstellen. Die Actionkamera
zeichnet 360-Grad-Bilder und Videos in
4k-Auflösung mit zwei Objektiven auf. Sie
ist zudem auch ohne Schutzgehäuse bis
zu einer Tiefe von 30 m wasserdicht und
übersteht Stürze aus bis zu 2 m Höhe und
Temperaturen bis zu -10 °C. Die KeyMission 360 ist mit WLAN, NFC und Bluetooth
ausgerüstet. Tauchen Sie ein in intensive
Videoerlebnisse und virtuelle Realitäten!
www.nikon.ch
Ulo, die kauzige Überwachungskamera
Ulo ist eine vom französischen Designer Vivien Muller konzipierte Überwachungskamera, die aussieht wie eine kleine Eule. Dank WLAN kann man
über Blicke und Berührungen fast wie mit einem Haustier kommunizieren.
Ulo schaltet die Heizung und das Licht ein, wenn sie Bewegung im Raum
erkennt, und stellt während Ihrer Abwesenheit den Alarm ein. Bei verdächtigen Bewegungen im Haus schickt Ulo Ihnen über Dropbox ein Video auf Ihr Smartphone. Wird Ulo
ausgeschaltet, schliesst sie ihre Augen. Ein komischer, aber nützlicher Kauz!
www.mu-design.lu
Vivino, der Wein-Scanner
Vivino versteht sich als Shazam für
Weine. Fotografieren Sie mit Ihrem
Smartphone die Etikette der Weinflasche, und Vivino findet heraus, um
welchen Wein es sich handelt. Mit
der intuitiven App können Sie Ihre
Neuentdeckungen auflisten, klassifizieren, festhalten, wo Sie den Wein
gesehen oder degustiert haben (Bar,
Restaurant, Supermarkt …) und sogar
herausfinden, wo er erhältlich ist. Falls
die Etikette nicht erkannt wird, sucht
ein Team rund um die Uhr manuell nach
dem Wein und findet ihn normalerweise
in weniger als fünf Minuten. Es gibt also
keinen Grund mehr, sich darüber zu ärgern, dass man sich während der letzten
Ferien den Namen des edlen Safts nicht
notiert hat. www.vivino.com
Neue Louis Vuitton
City Guide APP
Seit ihrer Lancierung im Jahr
1998 erfreuen sich die Louis
Vuitton City Guides mit ihren
stilvollen und originellen Adressen grosser Beliebtheit. Einige
dieser Reisebegleiter gibt es seit
einiger Zeit dank einer speziellen
Smartphone-App auch in digitaler Form. Mit der neuen Version
der App kann nun mit der Umgebung interagiert werden. Es
besteht zudem die Möglichkeit,
personalisierte Reiseführer zu
erstellen. Die Kollektion umfasst
bereits 25 Städte, darunter Paris,
London, New York, Venedig,
Bangkok und Rom. Die App gibt
es in Englisch und Französisch.
www.louisvuitton.com
Virtuelle Umkleidekabine
von Ralph Lauren
In seiner New Yorker Boutique an der Fifth
Avenue hat Ralph Lauren fünf virtuelle Umkleidekabinen eingerichtet. Die vom Start-up Oak Labs
entworfenen Oak Fitting Rooms sollen die Kabinen
der Zukunft werden. Sie sind mit interaktiven
Spiegeln ausgestattet, in denen sich der Kunde zwar
immer auch noch betrachten kann, die es ihm aber
mithilfe eines Touchscreens auch erlauben, den Verkäufer um Hilfe zu bitten oder nach dem gleichen
Kleidungsstück in einer anderen Grösse zu verlangen. Ausserdem werden dem Kunden automatisch
verschiedene passende Teile vorgeschlagen. Klarer
Vorteil: Man muss sich nicht mehr in die unangenehme Situation begeben und in Socken die Kabine
verlassen, um im Laden das gleiche Kleidungsstück
in anderer Grösse oder Farbe zu suchen. Auch
die restlichen Boutiquen von Ralph Lauren sollen
allmählich mit den interaktiven Kabinen ausgestattet
werden. www.ralphlauren.com